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Der An­ti­is­la­mis­mus sei der An­ti­se­mi­tis­mus der heu­ti­gen Zeit, der An­ti­is­la­mis­mus er­set­ze den An­ti­se­mi­tis­mus. Die­se An­sicht be­kommt man seit ei­ni­gen Jah­ren häufig zu hören. An­ti­is­la­mis­mus soll also im Grun­de das Glei­che sein wie An­ti­se­mi­tis­mus? Wir sind die­ser An­sicht nicht. Und wir hal­ten sie für gefähr­lich, weil sie die Ge­fahr des An­ti­se­mi­tis­mus un­terschätzt. Aber zunächst wol­len wir mal fest­stel­len, wie es zu die­ser An­schau­ung kommt, und wor­in tatsächlich die Ge­mein­sam­keit zwi­schen An­ti­se­mi­tis­mus und An­ti­is­la­mis­mus be­steht.

Gemeinsamkeit – Rassismus

Je­der, der sich mit der Ge­schich­te des deut­schen Fa­schis­mus beschäftigt hat und nun den Text des baye­ri­schen Ent­wurfs zu ei­nem In­te­gra­ti­ons­ge­setz1 liest, wird sich mit Er­schre­cken an die Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze von 19352 er­in­nert fühlen. Das so­ge­nann­te „Reichsbürger­ge­setz“ schuf zwei­er­lei Staatsbürger. Dort hieß es: „Reichsbürger ist nur der Staats­an­gehörige deut­schen oder art­ver­wand­ten Blu­tes, der durch sein Ver­hal­ten be­weist, dass er ge­willt ist, in Treue dem Deut­schen Volk und Reich zu die­nen“. Und wei­ter: „Der Reichsbürger ist der al­lei­ni­ge Träger der vol­len po­li­ti­schen Rech­te nach Maßgabe des Ge­set­zes.“ Wie man sieht, wen­det sich die­ses Ge­setz (im Ge­gen­satz zu ei­nem wei­te­ren Nürn­ber­ger Ge­setz) nicht aus­sch­ließlich ge­gen Ju­den. Umso of­fen­sicht­li­cher ist die Ähn­lich­keit mit dem baye­ri­schen Ent­wurf. Da wer­den auch zwei­er­lei Staatsbürger ge­schaf­fen. Und das aus­ge­hend vom Stamm­baum bis zu den Großel­tern – ent­spre­chend dem Glob­ke-Kom­men­tar zu den Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­zen. Mit die­sem Kom­men­tar wur­de der Halb- und Vier­tel­ju­de ge­schaf­fen. In Bay­ern sol­len dar­aus nun der Halb-Türke und der Vier­tel-Ara­ber wer­den. Die Ge­sin­nungs­ver­fol­gung im baye­ri­schen Ent­wurf gibt es auch: Das Ge­setz rich­tet sich ge­gen die­je­ni­gen, die „in be­son­de­rer Wei­se in­te­gra­ti­ons­bedürf­tig“ sind. Wie im Nürn­ber­ger „Reichsbürger­ge­setz“ rich­tet sich die­se Ge­hirnwäsche auch ge­gen Staatsbürger ohne so­ge­nann­ten „Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund“. Be­reits in der Präam­bel des Ge­setz­ent­wur­fes wird je­der auf die Loya­lität ge­genüber Volk, Staat und Ge­set­zen ver­pflich­tet und wer er­ken­nen lässt, dass er die freie de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung nicht ak­zep­tiert, kann nach Art. 13 zu Kur­sen über die Wer­te­ord­nung ver­don­nert wer­den. In den Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­zen und der ak­tu­el­len Ko­pie aus Bay­ern zeigt sich sehr deut­lich: Der An­ti­se­mi­tis­mus ist Ras­sis­mus, ge­nau­so wie der An­ti­is­la­mis­mus. Ras­sis­mus ist die Leh­re von der bio­lo­gi­schen oder ab­stam­mungsmäßigen Un­gleich­heit der Men­schen. Eine Leh­re, die sich ge­gen die bürger­li­che Gleich­heit wen­det. Ras­sis­mus stellt Un­ter­schie­de zwi­schen den Men­schen fest, die es in Wirk­lich­keit nicht gibt, und leug­net den ein­zi­gen ge­sell­schaft­li­chen Un­ter­schied, den es wirk­lich gibt: den Klas­sen­un­ter­schied.

Ras­sis­mus jeg­li­cher Art bil­de­te sich her­aus mit der Ent­wick­lung der Wa­ren­pro­duk­ti­on, die den Ka­pi­ta­lis­mus her­vor­brach­te. In sei­nem höchs­ten Sta­di­um, dem Im­pe­ria­lis­mus, er­reich­ten auch die ver­schie­de­nen Aus­prägun­gen des Ras­sis­mus ihr uns be­kann­tes schreck­li­ches Ge­sicht.

Der Ras­sis­mus ge­gen Men­schen mit nicht weißer Haut­far­be hat sei­ne Ur­sa­che im Ko­lo­nia­lis­mus, in der im­pe­ria­lis­ti­schen Ar­ro­ganz ge­genüber den un­ter­drück­ten Völkern. Eine be­son­de­re Art des Ko­lo­nia­lis­mus gab es in den USA, wo nicht Ge­bie­te son­dern Men­schen aus Afri­ka ge­raubt und ver­sklavt wur­den. Auch hier liegt in die­ser be­son­de­ren Art von Ko­lo­nia­lis­mus die Ur­sa­che des Ras­sis­mus ge­gen Men­schen schwar­zer Haut­far­be.

Der An­ti­se­mi­tis­mus ist Ras­sis­mus an­de­rer Art. Er ist der Auf­stand der Mit­telmäßig­keit ge­gen das Wei­ter­ent­wi­ckel­te, das Er­folg­rei­che­re. Er ist die Ideo­lo­gie und Po­li­tik der zu spät und zu kurz Ge­kom­me­nen. Und weil die deut­sche Bour­geoi­sie zu spät und zu kurz ge­kom­men ist und dar­aus ihre be­son­de­re Ag­gres­si­vität erwächst, ist der An­ti­se­mi­tis­mus eine ihr be­son­ders ent­spre­chen­de Ideo­lo­gie. Der An­ti­se­mi­tis­mus ist ihr so­zu­sa­gen auf den Leib ge­schnei­dert.

Der Ras­sis­mus nach un­ten ist im Großen und Gan­zen nicht auf Ver­nich­tung, son­dern auf Un­ter­wer­fung und Ver­skla­vung von an­geb­lich „min­der­wer­ti­gen“ Völkern aus.

Was sagt uns da­ge­gen der Blick auf den An­ti­se­mi­tis­mus: Er hat, so wie ins­ge­samt der Ras­sis­mus, in vie­len Ländern zu schreck­li­chen Ver­bre­chen geführt. Aber nur der deut­sche An­ti­se­mi­tis­mus hat zur sys­te­ma­ti­schen, staat­lich or­ga­ni­sier­ten, fa­brikmäßig be­trie­be­nen, als Kriegs­waf­fe ein­ge­setz­ten Er­mor­dung von Mil­lio­nen von Men­schen geführt. Als eli­mi­na­to­ri­schen An­ti­se­mi­tis­mus hat der ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Gold­ha­gen den deut­schen An­ti­se­mi­tis­mus cha­rak­te­ri­siert. Die­sem Teil sei­ner Ana­ly­se (die eine bürger­li­che Ana­ly­se ist) kann man nur zu­stim­men. Sei­ne Be­griffs­be­stim­mung eli­mi­na­to­ri­scher An­ti­se­mi­tis­mus für den deut­schen An­ti­se­mi­tis­mus ist ver­dienst­voll.

Antisemitismus – eine imperialistische Ideologie

An­ti­se­mi­tis­mus ist eine im­pe­ria­lis­ti­sche Ideo­lo­gie. Nun wird oft der An­ti­se­mi­tis­mus mit jeg­li­chem Ju­den­hass gleich­ge­setzt. War­um ist es wich­tig, den An­ti­se­mi­tis­mus von dem al­ten Ju­den­hass zu un­ter­schei­den? Der im Spätmit­tel­al­ter mit den Kreuzzügen sich aus­bil­den­de Ju­den­hass hat­te öko­no­mi­sche Ur­sa­chen, die mit de­nen des heu­ti­gen An­ti­se­mi­tis­mus nicht ver­gleich­bar wa­ren. Er hing zu­sam­men mit dem Zins­ver­bot, das dem feu­da­lis­ti­schen, mit großen Gütern ge­seg­ne­ten Kle­rus große Vor­tei­le bot. Nun war aber die Wa­ren­pro­duk­ti­on doch schon so weit ent­wi­ckelt, dass Han­del und Wan­del mit ei­nem Zins­ver­bot to­tal un­rea­lis­tisch wa­ren. Des­halb schaff­te man ein Ven­til, in­dem die Ju­den Zins neh­men, aber kein Land be­sit­zen durf­ten. Die Ju­den wur­den so un­ge­wollt zu ei­nem bürger­lich-re­vo­lu­ti­onären Ele­ment in der mit­tel­al­ter­li­chen Ge­sell­schaft. Gleich­zei­tig wur­den sie zu Ver­hass­ten und Ver­folg­ten. Mit der Re­for­ma­ti­on ver­lor die Kir­che ent­schei­dend an Macht. Das auf­stre­ben­de Bürger­tum konn­te ein Zins­ver­bot über­haupt nicht ge­brau­chen, und die Großhan­dels­fa­mi­lie Fug­ger hat­te sich schon lan­ge darüber hin­weg­ge­setzt. Das Zins­ver­bot fiel, aber auf die bürger­li­chen Fer­tig­kei­ten, die die geld­ver­lei­hen­den Ju­den in­zwi­schen er­wor­ben hat­ten, konn­te die un­ent­wi­ckel­te Wa­ren­pro­duk­ti­on über­haupt noch nicht ver­zich­ten. So bes­ser­te sich die Lage der Ju­den nicht: Sie wa­ren not­wen­dig für die bürger­li­che Ent­wick­lung, und gleich­zei­tig wa­ren sie als Kon­kur­ren­ten des auf­stre­ben­den Bürger­tums ver­hasst. Dar­aus erklären sich auch die be­kann­ten blutrüns­ti­gen Hass­ti­ra­den Mar­tin Lu­thers auf die Ju­den, die er erst los­ließ, als das verräte­ri­sche Bünd­nis der deut­schen Bour­geoi­sie mit den Fürs­ten per­fekt war, als er schon die ge­gen den Feu­da­lis­mus kämp­fen­den Bau­ern für vo­gel­frei erklärt hat­te. Erst im 19. Jahr­hun­dert be­gann die be­son­de­re öko­no­mi­sche Funk­ti­on der geld­ver­lei­hen­den Ju­den zu schwin­den. Mit der Ver­all­ge­mei­ne­rung der Wa­ren­pro­duk­ti­on, der Ent­wick­lung des Ka­pi­ta­lis­mus ver­lor der Ju­den­hass endgültig sei­nen ma­te­ri­el­len Bo­den. Die deut­sche Bour­geoi­sie konn­te so lang­sam auf die Ju­den ver­zich­ten. Wir wa­ren so­zu­sa­gen alle zu Ju­den ge­wor­den, je­der muss glei­cher­maßen ver­kau­fen und kau­fen, es geht im­mer nur ums Geld. Das gilt selbst für die­je­ni­gen, die nur ihr biss­chen Ar­beits­kraft zu ver­kau­fen ha­ben. Nicht die ka­pi­ta­lis­ti­sche Aus­beu­tung, son­dern das Geld als sol­ches scheint ge­ra­de den im­mer mehr in ih­rer Exis­tenz be­droh­ten Kleinbürgern die Wur­zel al­len Übels zu sein. Auf die­ser Grund­la­ge be­gann sich der An­ti­se­mi­tis­mus zu ent­wi­ckeln. Die Tat­sa­che da­ge­gen, dass der Zins nur ein Teil des von den Ar­bei­tern ge­schaf­fe­nen Mehr­werts ist, ist nicht of­fen­sicht­lich und nur durch wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um er­kenn­bar. Dies zu ent­de­cken, blieb dem Theo­re­ti­ker der Ar­bei­ter­be­we­gung Karl Marx vor­be­hal­ten. Ge­gen Ende des 19. Jahr­hun­derts war der Ka­pi­ta­lis­mus so weit aus­ge­bil­det, dass er in sein höchs­tes und letz­tes Sta­di­um ein­trat, den Im­pe­ria­lis­mus. In­dus­trie- und Bank­ka­pi­tal wa­ren un­un­ter­scheid­bar im Fi­nanz­ka­pi­tal ver­floch­ten. Umso per­ver­ser wur­den die an­ti­se­mi­ti­schen Schlag­wor­te, die mit der Lüge vom ausländi­schen raf­fen­den und inländi­schen schaf­fen­den Ka­pi­tal hau­sie­ren gin­gen (so z.B. die NS­DAP ab 1925).

Wor­in un­ter­schei­det sich der An­ti­se­mi­tis­mus vom herkömm­li­chen Ju­den­hass? Er speist sich aus dem al­ten Ju­den­hass, aber er ist ras­sis­tisch. Das ist der we­sent­li­che for­ma­le (und des­halb nicht we­ni­ger grau­sa­me) Un­ter­schied. Dem al­ten Ju­den­hass konn­te man ent­ge­hen, in­dem man zum Chris­ten­tum kon­ver­tier­te, und das ha­ben auch vie­le ge­tan, die si­cher­lich kei­ne be­son­ders from­men Chris­ten wa­ren (z. B. Hein­rich Hei­ne). Der ras­sis­ti­sche Ju­den­hass, der An­ti­se­mi­tis­mus, lässt kei­nem Be­trof­fe­nen mehr eine Wahl, er be­sei­tigt die letz­ten Hemm­nis­se für Willkür, Mord und Tot­schlag. Er be­frie­digt nicht nur die Ra­che­gelüste des Kleinbürger­tums für ihre elen­de Lage, er ist, wie ge­sagt, die idea­le Welt­an­schau­ung für den zu spät und zu kurz ge­kom­me­nen deut­schen Im­pe­ria­lis­mus. Der frühere Ju­den­hass war öko­no­misch be­dingt, der An­ti­se­mi­tis­mus ist eine po­li­ti­sche Waf­fe und hat im Ge­gen­satz zum al­ten Ju­den­hass kei­ne ma­te­ri­el­le Ba­sis. Was ist der Un­ter­schied zwi­schen Öko­no­mie und Po­li­tik? Le­nin drückte das so aus, „dass die Po­li­tik der kon­zen­trier­tes­te Aus­druck der Öko­no­mik ist“. Das be­deu­tet in die­sem Fall, dass der An­ti­se­mi­tis­mus nicht un­be­dingt den ein­zel­nen Ban­ken und Kon­zer­nen mehr Pro­fit bringt. In ein­zel­nen Fällen war das zwar bei der Ver­nich­tung der Ju­den so, wie bei den IG Far­ben als Gift­gas­lie­fe­rant oder der De­gus­sa als Ver­wer­ter von Zahn­gold. Und auch die so­ge­nann­te Ari­sie­rung er­freu­te ein­zel­ne Mo­no­po­lis­ten. Aber das wa­ren nicht die Haupt­vor­tei­le für die Mo­no­pol­bour­geoi­sie, das hat­te kei­ne be­deu­ten­den öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen für den deut­schen Im­pe­ria­lis­mus. Der An­ti­se­mi­tis­mus dient als ideo­lo­gi­sche, po­li­ti­sche und mi­litäri­sche Waf­fe – und da­mit der ge­sam­ten Mo­no­pol­bour­geoi­sie. So ist auch zu erklären, dass im fa­schis­ti­schen Deutsch­land der Staat als ide­el­ler Ge­samt­ka­pi­ta­list den An­ti­se­mi­tis­mus als Staats­dok­trin über­nahm. Der eli­mi­na­to­ri­sche An­ti­se­mi­tis­mus des deut­schen Fa­schis­mus ist nur durch die ras­sis­ti­sche Kom­po­nen­te zu erklären. Nur mit Hil­fe die­ser Ras­se-Kon­struk­ti­on konn­te der An­ti­se­mi­tis­mus in eine ma­te­ri­el­le Kriegs­waf­fe – durch Ver­nich­tung von Men­schen­mas­sen v.a. in Po­len und der So­wjet­uni­on, und be­gin­nend mit dem Krieg ge­gen die So­wjet­uni­on – ver­wan­delt wer­den. So war der An­ti­se­mi­tis­mus der Hit­ler­fa­schis­ten auch stets ver­bun­den mit dem Ras­sis­mus nach un­ten. Nicht nur, weil den Ju­den „die Ver­pes­tung durch Ne­ger­blut am Rhein im Her­zen Eu­ro­pas“3 vor­ge­wor­fen wur­de. Die Un­gleich­wer­tig­keit auf­grund von Her­kunft und Stamm­baum, die durch den An­ti­se­mi­tis­mus in den Köpfen ver­an­kert wur­de, eb­ne­te den Weg für wei­te­re For­men des Ras­sis­mus. Hier zeigt sich die er­schre­cken­de Ähn­lich­keit des Bay­ri­schen In­te­gra­ti­ons­ge­setz­ent­wurfs mit den Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­zen – jeg­li­cher Ras­sis­mus, jeg­li­che Be­to­nung von ver­meint­li­cher Un­gleich­wer­tig­keit eb­net den Weg für wei­te­ren Ras­sis­mus.

Der An­ti­se­mi­tis­mus ist da­bei be­son­ders gut ge­eig­net, die Haupt­fein­de des deut­schen Im­pe­ria­lis­mus auf ei­nen Nen­ner zu brin­gen (Ver­nich­tung der Ar­bei­ter­klas­se und der im­pe­ria­lis­ti­schen Kon­kur­ren­ten). Die Pro­be für Ausch­witz und an­de­re Ver­nich­tungs­la­ger wur­de mit In­sas­sen von psych­ia­tri­schen An­stal­ten ge­macht. Sie wur­den bis zum Som­mer 1941 ver­gast, be­vor die ei­gent­li­che Ju­den­ver­nich­tung be­gann. Hier zeigt sich ein wei­te­rer As­pekt, der durch die Ver­an­ke­rung der ver­meint­li­chen Un­gleich­wer­tig­keit von Men­schen auf­grund willkürlich be­stimm­ter Merk­ma­le zur Ver­nich­tung von Le­ben führte. So wur­de die Ver­nich­tung von als „un­wert“ an­ge­se­he­nem Le­ben ge­recht­fer­tigt. Die Sin­ti und Roma, die ein­fach als Störfak­tor gal­ten, wur­den ab 1943 mas­sen­haft ver­gast, da man ja schon mal das ge­sam­te In­stru­men­ta­ri­um hat­te, um die­sen Bevölke­rungs­grup­pe auch noch ganz schnell los­zu­wer­den. Das sind nur zwei Bei­spie­le, wie der eli­mi­na­to­ri­sche An­ti­se­mi­tis­mus das Wüten des Ras­sis­mus nach un­ten befördert hat.

Funktionen des Antiislamismus

Der An­ti­is­la­mis­mus hat zwei As­pek­te: Ers­tens ist er Ras­sis­mus nach un­ten, ge­gen an­de­re Völker, ge­gen Men­schen aus an­de­ren Ländern, die pau­schal als Mus­li­me gel­ten, aber auch ge­gen Em­porkömm­lin­ge in der ara­bi­schen Welt (so­weit es dem Ka­pi­tal ge­ra­de nützt). Im Ge­gen­satz zum An­ti­se­mi­tis­mus, der in den Ju­den die heim­li­chen Draht­zie­her und Welt­be­herr­scher wähnt, schürt der An­ti­is­la­mis­mus die Angst vor ei­ner „Über­flu­tung“ is­la­mi­scher Mas­sen, die mas­sen­haft Kin­der krie­gen (laut Sar­ra­zin lau­ter Kopf­tuchmädchen her­vor­brin­gen). Der Ras­sis­mus nach un­ten ist auch ein wich­ti­ges In­stru­ment zur Spal­tung der Ar­bei­ter­klas­se (da­von können die meis­ten Ge­nos­sen in den Be­trie­ben ein Lied sin­gen). Der An­ti­is­la­mis­mus hat nun die Be­son­der­heit, dass er ver­edel­ter Ras­sis­mus ist: Ich kann ge­gen „den Is­lam“ het­zen, in­dem ich die Gleich­be­rech­ti­gung der Frau, das Recht der Ho­mo­se­xu­el­len, das Recht auf Schweinswürstl und Bier, das Recht über­haupt (ge­gen die Scha­ria) „ver­tei­di­ge“, mich als auf­geklärten Men­schen ver­ste­hen kann, also als das ge­naue Ge­gen­teil von ei­nem pri­mi­ti­ven Ras­sis­ten dar­stel­len kann! Da­bei ent­larvt sich der An­ti­is­la­mis­mus als Ras­sis­mus al­lein schon des­halb, weil er Mus­li­me an­hand der Her­kunft und nicht an­hand der tatsächli­chen Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit de­fi­niert. Je­der, der aus ei­nem Land mit mehr­heit­lich mus­li­mi­scher Bevölke­rung kommt, ist ein Mus­lim – ob er in Wirk­lich­keit Ale­vit, Christ, Jude oder re­li­gi­ons­los ist, das ist egal4. Dem Eti­kett „Mus­lim“ kann die Mehr­zahl der zu uns Geflüch­te­ten eben­so we­nig ent­rin­nen wie vie­le Men­schen der De­fi­ni­ti­on als „Jude“ durch die Na­zis ent­rin­nen konn­ten, weil nur ihre Her­kunft, ihr Stamm­baum zählte. Sie­he dazu die Het­ze nach der Kölner Sil­ves­ter­nacht, wo zu­erst an­geb­lich nord­afri­ka­nisch aus­se­hen­de Männer als Sex­gangs­ter aus­ge­macht wur­den, was dann aber doch zu ras­sis­tisch wirk­te, so dass sie flugs in „Mos­lems“ um­ge­wan­delt wur­den. Da nun der An­ti­is­la­mis­mus als Ver­let­zung der Re­li­gi­ons­frei­heit an­ge­se­hen wer­den kann, gibt es noch eine wei­te­re Ver­ede­lungs­stu­fe: Der Is­lam sei kei­ne Re­li­gi­on son­dern eine po­li­ti­sche Be­we­gung, die da­bei sei, das christ­li­che Abend­land zu über­rol­len. Frau von Storch erklärte so­gar, der Is­lam sei nicht mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar. Nun ist die For­mel „nicht mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar“ eine ty­pisch deut­sche, die viel mit Ge­sin­nungs­ver­fol­gung und nichts mit dem nor­ma­len bürger­li­chen Recht zu tun hat. Als ver­fas­sungs­wid­ri­ge Or­ga­ni­sa­ti­on oder po­li­ti­sche Be­we­gung hier­zu­lan­de ver­bo­ten zu wer­den, heißt Gefäng­nis für je­den, der wirk­lich oder ver­meint­lich trotz Ver­bot da­bei bleibt. So große Gefäng­nis­se, um alle als Mus­li­me Verdäch­ti­gen ein­zu­sper­ren, gibt es al­ler­dings nicht. Das wäre nur mit KZs zu ma­chen.

Zwei­tens ist der An­ti­is­la­mis­mus Volks­ge­mein­schafts­kitt zum Zweck des Ab­baus der De­mo­kra­tie und mi­litäri­sche Ein­mi­schung in al­ler Welt un­ter all­ge­mei­ner Zu­stim­mung. Das nennt sich dann Ter­ror­bekämp­fung. An­ti­ter­ror­ge­set­ze gibt es schon seit den sieb­zi­ger Jah­ren, da­mals un­ter dem Vor­wand, die RAF etc. zu bekämp­fen. Nach den An­schlägen auf das World Tra­de Cen­ter in New York 2001 wur­den wei­te­re Anti-Ter­ror-Ge­set­ze er­las­sen. Da­bei dien­te und dient das Schlag­wort vom is­la­mi­schen Ter­ror dazu, dass sol­che Ge­set­ze – früher von De­mo­kra­ten bekämpft – gar nicht mehr in Fra­ge ge­stellt wer­den. Und so­mit ist je­der Willkür Tür und Tor geöff­net. Un­ter der Ãœber­schrift „Ter­ror­bekämp­fung” wur­de in den neun­zi­ger Jah­ren die PKK ver­bo­ten. 2013 gab es dann zum ers­ten Mal eine Ver­ur­tei­lung ge­gen ei­nen an­geb­li­chen PKK-Ka­der nach dem § 129a – eins der Ge­set­ze von 2002/​2003 ge­gen den „is­la­mi­schen Ter­ror“. Und das ge­gen eine Or­ga­ni­sa­ti­on, die mu­tig und op­fer­reich ge­gen den „Is­la­mi­schen Staat“ kämpft! Der An­ti­is­la­mis­mus begüns­tigt ge­nau die­se Willkür, dass Re­vo­lu­ti­onäre ver­bo­ten und in den Knast ge­steckt wer­den, dass al­les po­ten­zi­ell Aufständi­sche ein­geschüchtert und im Keim er­stickt wird. Aber wie sol­len wir uns denn zu den Ter­ror­an­schlägen ver­hal­ten? Die Ter­ror­an­schläge der letz­ten Zeit in im­pe­ria­lis­ti­schen Ländern (Frank­reich, Bri­tan­ni­en) sind re­ak­ti­onäre Ant­wor­ten auf im­pe­ria­lis­ti­sche Un­ter­drückung. Sie sind die Kon­se­quenz aus den Nie­der­la­gen der Ar­bei­ter­be­we­gung seit 1989-1991. Sie sind die Ant­wort auf die Klas­sen­zu­sam­men­ar­beit, for­ciert durch die So­zi­al­de­mo­kra­tie, mit dem Im­pe­ria­lis­mus. Ab­bau der De­mo­kra­tie hilft da gar nichts – sonst würde es längst kei­ne An­schläge mehr ge­ben. Die Sach­wal­ter der Bour­geoi­sie ha­ben die re­ak­ti­onären, fa­schis­ti­schen Kräfte, die jetzt Ter­ror­an­schläge wahl­los auf ir­gend­wel­che Men­schen verüben, erst hoch­gezüch­tet. Und nun steht die Bour­geoi­sie ih­ren ei­ge­nen Zieh­kin­dern zum ei­nen macht­los ge­genüber, zum an­de­ren nutzt sie die­se An­schläge, um uns un­se­re Rech­te zu neh­men, mehr und mehr Willkür statt Recht zu set­zen und den Fa­schis­mus zu ei­ner im­mer wahr­schein­li­che­ren Op­ti­on zu ma­chen. Gleich­zei­tig ist das zur­zeit ei­ner der bes­ten Vorwände, um sich übe­r­all auf der Welt po­li­tisch und mi­litärisch ein­zu­mi­schen.

An­ders als der An­ti­se­mi­tis­mus, der die mit­tel­al­ter­li­che bzw. frühbürger­li­che Ju­den­feind­schaft ab­gelöst hat, rich­tet sich der An­ti­is­la­mis­mus aus­drück­lich ge­gen eine Re­li­gi­on. Das ist auch dann der Fall, wenn der Is­lam als po­li­ti­sche Be­we­gung um­de­fi­niert wird und die Her­kunft statt der Welt­an­schau­ung für die­se Art Ras­sis­mus ent­schei­dend ist. Der An­ti­is­la­mis­mus ist natürlich kei­ne Re­li­gi­ons­kri­tik, aber die Ras­sis­mus-Ver­ede­lung funk­tio­niert nun mal nur über die vor­ge­scho­be­ne „Re­li­gi­ons­kri­tik“. Des­halb müssen wir an die­ser Stel­le auch zur Re­li­gi­on was sa­gen.


Teil II erscheint am 07.08. auf secarts.org, Teil III am 14.08.2016.


Anmerkungen:
1 www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/02/160223_BayIntG_FassungMinisterrat.pdf.
2 Texte der Rassengesetze mit Ausführungsverordnungen: www.1000dokumente.de/index.html/index.html?c=dokument_de&dokument=0007_nue&object=translation&l=de.
3 „Mein Kampf“, 2. Band, 13. Kapitel.
4 Dem schamlosen Pragmatismus der Ideologen der herrschenden Klasse haben wir zu verdanken, dass bei Berichten aus den angeblich total islamischen Regionen dann von Zeit zu Zeit doch mal verfolgte Jesiden oder Christen hervorgehoben werden, wenn das im Sinne der außenpolitischen Interessen des deutschen Imperialismus gerade opportun ist.



 
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