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Eine Nachbetrachtung zum Bahn- bzw. Lokführer-Streik im Zusammenhang mit dem Tarifeinheitsgesetz

Zur Erinnerung: Das Tarifeinheitsgesetz (TEG) wurde nach Klagen mehrerer Gewerkschaften 2017 durch ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht (8 Richterinnen/Richter) bei 6 Für- und 2 Gegenstimmen als grundgesetzkonform erklärt (zum abweichenden Votum der Minderheit siehe Kasten). Danach gilt bei mehreren im Betrieb vertretenen Gewerkschaften der Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“, der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Der Bahn-Vorstand verhandelt mit zwei im Konzern vertretenen Gewerkschaften den Abschluss von Tarifverträgen. Der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, der EVG sowie der GDL, der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Hierbei ist es bereits 2020 zu einem Tarifabschluss der DB mit der EVG als Mehrheitsgewerkschaft gekommen. Wird bzw. würde das Tarifeinheitsgesetz dabei auf den GDL-Tarifvertrag angewendet, ist die praktische Auswirkung: Die GDL-Mitglieder, die Lokführer haben sich einen Tarifvertrag durch Streik erkämpft, der dann vom EVG-Mehrheits-Tarifvertrag verdrängt wird. Damit passiert dann, was in der Auseinandersetzung über die Koalitionsfreiheit heftiger Diskussionspunkt war und von vielen Juristen nachgewiesen ist: Das in der BRD durch die Klassenjustiz – Richterrecht durch LAG-/BAG-Urteile – auf den Abschluss von Tarifverträgen beschränkte und nur Gewerkschaften zuerkannte Streikrecht ist für die so bezeichneten Spartengewerkschaften gestrichen. Die für das Tarifeinheitsgesetz maßgeblich mit verantwortliche IGM-Führung ließ dazu ihren Justiziar Thomas Klebe 2014 erklären: „Auch wenn die IG Metall in ihrem Organisationsbereich davon nicht betroffen ist, kann sie die damit verbundene Begrenzung des Streikrechts von Spezialistengewerkschaften zugunsten einer solidarischen Tarifpolitik mittragen: Wir sind der Meinung, dass sich Spezialistengruppen keine Sondervorteile zu Lasten der großen Mehrheit der Beschäftigten verschaffen sollten ...“

Die „Sondervorteile“ für ihre „Spezialistengruppen“ bei der Bahn hat die GDL nach Streikende in den Medien am 16/17. September 2021 bekannt gemacht. Ein Tarifvertrag, dessen Laufzeit am 1. Oktober 2023 endet. Danach gibt es ab 1. Dezember 2021 eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent sowie eine „Corona-Beihilfe“ von 600 Euro für die Bahnbeschäftigten mit mittlerem Einkommen und 400 Euro für diejenigen mit höherem Einkommen. Ab Januar 2022 werden dabei alle Erschwerniszulagen für „Handwerker/Werkstattmitarbeiter“ um 12 Prozent erhöht und im März 2022 gibt es nochmals 400 Euro Corona-Beihilfe für alle. Ab 1. März 2023 gilt dann mit 1,8 % die 2. Stufe der Lohnerhöhung.

Für alle, die ihre Erinnerung auffrischen wollen:

Zur Entstehung des Tarifeinheitsgesetzes und der gemeinsamen Gesetzesinitiative vom größten Teil der DGB-Gewerkschaften mit den Kapitalisten vom Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) haben wir ausführlich in den Ausgaben der KAZ 322, 346 und 349 berichtet.
Die GDL schreibt dazu: „Der Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in allen Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB.“

Das GDL-Ergebnis wurde als Besseres in Nachverhandlungen auf den Tarifvertag der EVG übertragen. Das ist mit der Bahn vereinbarte Rechtsanspruch beider Gewerkschaften, für den Fall, dass ein Tarifvertrag bessere Regelungen als der andere vorsieht. Damit gelten die „Sondervorteile“ jetzt auch für die EVG-Mitglieder. Mit der 12% Erhöhung aller Erschwerniszulagen erhalten sie dadurch ebenfalls die von der GDL erstreikten Corona-Beihilfen. Die wurden zwar 2020 von der EVG gefordert, aber mit Rücksicht auf die durch Corona angespannte Lage und Milliardenverluste des Konzerns – sozusagen als Kosten-Beitrag der EVG-Mitglieder – nicht durchgesetzt.

Der Vorsitzende der GDL-Ortsgruppe S-Bahn Berlin, Uwe Krug, hat auf die Frage, wie er den Tarifabschluss bewertet und zur jetzigen Situation festgestellt: „Ernüchternd. Weil wir als Gewerkschaft wieder einmal darum kämpfen und streiken mussten, dass unsere Tarifverträge bei der Deutschen Bahn umfänglich Anwendung finden. Das heißt inzwischen für die GDL Mitglieder auf den Zügen und in den Werkstätten ... Die essentielle Frage, wo die GDL-Tarifverträge nun tatsächlich angewendet werden, ist noch nicht geklärt Hier wurde sich zwischen DB und GDL darauf verständigt, laut Tarifeinheitsgesetz (TEG) die Zählung der Gewerkschaftsmitglieder in den jeweiligen Betrieben der DB durchzuführen. Nur dort, wo die GDL (oder die EVG) mehrheitlich vertreten ist, kommt deren Tarifvertrag zur Anwendung ...“ (Auszug aus solidaritaet.info/2021/09/ernuechternd/ 22.09.2021)

Kritische Juristen und ein Minderheitsvotum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Tarifeinheitsgesetz wird in den Kreisen kritischer Juristinnen und Juristen als Gefälligkeitsurteil, als Zugeständnis an Regierung und Kapital gehandelt. Wie bereits oben angemerkt gab es dazu zwei Gegenstimmen. Eine von Richterin Baer und die 2. von Richter Paulus. Sie haben zum Urteil ein sogenanntes Minderheitsvotum erstellt. Nachstehend daraus ein kurzer Auszug:

„Dieser Eingriff in die Tarifautonomie, die im Mittelpunkt des Art. 9 Abs. 3 GG steht, und die damit einhergehende vielfache Beeinträchtigung der tarifpolitischen Freiheit der Gewerkschaften im Vorfeld ist grundrechtlich von erheblichem Gewicht. Vorkehrungen des Gesetzgebers, um dies dennoch als zumutbar zu rechtfertigen, sind trotz ihrer grundsätzlichen Bedeutung unklar, unzureichend oder fehlen ganz. ...

Zudem darf sich der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung, die Koalitionsfreiheit einzuschränken, nicht auf schlichte Befürchtungen stützen; eine Einschränkung von Art. 9 Abs. 3 GG ist – wie auch sonst – nur auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte zu rechtfertigen (...).“

www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/07/rs20170711_1bvr157115,html (S. 59)
In einer Pressemitteilung wird die Anwendung des TEG die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse betreffend u.a. festgestellt: „Laut Bahn hat die GDL diese nur in 16 von gut 300 Betrieben. (...) Dies soll nun unter notarieller Aufsicht geklärt werden. Bliebe es bei 16 Betrieben, würde der GDL-Tarifvertrag für 8.000 Beschäftigte gelten. Der EVG-Vertrag käme bei 177.000 zum Zuge.“ (AFP/dpa/Reuters/jW)

Die wesentliche Verantwortung für die Spaltung und Zersplitterung der Gewerkschaften geht auf das Konto der sogenannten Mehrheitsgewerkschaften.

Es ist ihre Politik der Zugeständnisse, des Lohn- und Streikverzichts, womit sie seit Jahren dem deutschen Imperialismus „Sondervorteile“ gegenüber den internationalen Konkurrenten verschaffen. Hierbei geht es nach wie vor in den Gewerkschaften um die Durchsetzung der nach Kriegsende 1945 aufgestellten Forderung: Keine erneute Spaltung der Arbeiterbewegung durch Berufsverbände und/oder Standesorganisationen, die sich wie bei der Bahn untereinander Konkurrenz machen und versuchen, sich mittels Tarifvertrags die Mitglieder abzujagen. Das damit verbundene Problem der Schwächung gewerkschaftlicher Kampfkraft ist nur durch gewerkschaftlichen Kampf, den Kampf zur Herstellung der Einheit mit den Spezialistengewerkschaften zu lösen. Der Streik der Lokführer und der übrigen daran beteiligten Bahnbeschäftigten hat dabei nicht nur gezeigt, was möglich ist, sondern ebenso, was getan werden muss, um Kapital und Regierung unter Druck zu setzen, um z. B. das Tarifeinheitsgesetz wieder aus dem Weg zu räumen oder eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen. Nur so können wir die Gewerkschaftseinheit herstellen und zur kampffähigen Einheitsgewerkschaft werden, die den heutigen Kampfaufgaben gerecht wird. Und das heißt, sich gegen die verschärften Ausbeutungsbedingungen zur Wehr zu setzen und Reaktion und Kriegstreiberei die Stirn zu bieten.

Ludwig Jost

 
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