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BERLIN/WASHINGTON/BEIJING (19.05.2008) - Mit einem Treffen mit der deutschen Entwicklungshilfeministerin und einer Rede in Berlin beendet der Dalai Lama am heutigen Montag seinen jüngsten Deutschland-Aufenthalt. Nach Interventionen aus Wirtschaftskreisen hat die Bundesregierung ihre antichinesischen Provokationen diesmal eingeschränkt; weder die Kanzlerin noch der Außenminister, auch nicht der Bundespräsident sind zu einem aktuellen Treffen mit dem tibetischen "Gottkönig" bereit. Deutsche Unternehmensvertreter hatten vor Einbrüchen im Chinageschäft gewarnt, das sich in den vergangenen acht Jahren verdreifacht und die deutsche Industrie in beträchtliche Abhängigkeit von der Volksrepublik gebracht hat. Dennoch führen die westlichen Staaten, darunter die Bundesrepublik, ihre gegen Beijing gerichteten Aktivitäten fort - nicht auf höchster staatlicher Ebene, aber mit Finanzierung und organisatorischer Unterstützung der weltweit tätigen Tibet-Initiativen und deren Kampagnen. Sowohl Berlin als auch Washington nutzen zu diesem Zweck staatsfinanzierte Vorfeldapparate: Washington das National Endowment for Democracy (NED), Berlin die parteinahen Stiftungen. Deren Arbeit ermöglichte bereits die Fackellauf-Kampagne der vergangenen Monate, die scheinbar ohne staatliches Zutun die westliche Öffentlichkeit geschlossen gegen China mobilisierte.

Ohne einen Empfang in Berliner Regierungsgebäuden geht die aktuelle Deutschlandreise des Dalai Lama zu Ende. Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) wird sich am heutigen Montag mit dem "Gottkönig" der tibetischen Exilregierung treffen, weitere direkte Kontakte zur unmittelbaren Berliner Führungsebene bleiben diesmal aus. Lediglich zwei Regierungschefs einzelner Bundesländer (Roland Koch, Hessen; Jürgen Rüttgers, Nordrhein-Westfalen) sowie Abgeordnete des Deutschen Bundestags (darunter der Parlamentspräsident) kamen mit dem Dalai Lama zusammen. Berlin schraubt damit seine antichinesischen Provokationen, die seit dem vergangenen Herbst in Beijing auf lauten Protest gestoßen waren, erkennbar zurück. Dem im Berliner Prunkhotel Adlon weilenden religiösen Oberhaupt der Tibeter bleibt die höchste staatliche Anerkennung diesmal versagt.

100 Milliarden Euro

Mit der relativen Einschränkung ihrer antichinesischen Provokationen reagiert die Bundesregierung auf nachdrückliche Beschwerden aus maßgeblichen Kreisen der deutschen Exportwirtschaft. Zahlreiche deutsche Unternehmen erzielen inzwischen einen beträchtlichen Teil ihrer Gewinne in China1 und sind gegenüber Boykottdrohungen aus der Volksrepublik empfindlich. Vor allem ein möglicher Entzug staatlicher Aufträge in Milliardenhöhe lässt eine ungebrochene Fortführung der Tibet-Agitation gegenwärtig als nicht ratsam erscheinen. Aufträge in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010 stehen allein in der zentralchinesischen Metropole Chongqing in Aussicht, wo die deutsche Wirtschaft und das Auswärtige Amt in der vergangenen Woche eine achttägige PR-Maßnahme beendet haben ("Deutschland und China - gemeinsam in Bewegung"). Dass jetzt ein Fototermin des tibetischen "Gottkönigs" beim Bundespräsidenten oder beim Außenminister unterblieben ist, begünstigt nach Einschätzung der deutschen Außenwirtschaft ihre Chancen auf künftige Profite.

Finanziers

Tatsächlich jedoch beschränkt sich die Rückstufung der antichinesischen Provokationen auf die höchste Regierungsebene, während die Tibet-Agitation in der Breite unvermindert anhält - mit Geldern mehrerer westlicher Regierungen. Hohe Bedeutung kommt hierbei insbesondere der International Campaign for Tibet (ICT) zu. Die Organisation, 1988 in den Vereinigten Staaten gegründet, wurde mit umfangreichen Mitteln des National Endowment for Democracy (NED) unterstützt, einer staatsfinanzierten US-Organisation, die vor allem durch ihre Beihilfe für mehrere Umstürze sowie Umsturzversuche in Osteuropa und Zentralasien ("Farbenrevolutionen") bekannt wurde. NED stellt seit 1990 bedeutende Summen für Tibet-Aktivitäten zur Verfügung, unter anderem für Organisationen in Dharamsala, wo die tibetische "Exilregierung" ihren Sitz hat. Augenfällig sind Parallelen zur Unterstützung der "Exilregierung" und anderer Tibet-Projekte durch ebenfalls staatsfinanzierte deutsche Parteienstiftungen; deren Tibet-Förderung wurde ebenfalls zu Beginn der 1990er Jahre eingeleitet und hält bis heute an (german-foreign-policy.com berichtete2).

Parlamentslobby

Die International Campaign for Tibet (ICT) hat gegen Ende der 1990er Jahre ihre weltweiten Aktivitäten deutlich verstärkt. 1999 eröffnete die Organisation eine Europa-Filiale ("ICT Europe") in Amsterdam und ergänzte dies im September 2006 durch die Gründung eines Ablegers in Brüssel, der vor allem Lobbyarbeit bei der EU leistet. In Berlin ist seit 2002 "ICT Deutschland" präsent. ICT Deutschland kooperiert unter anderem eng mit dem Tibet-Gesprächskreis im Deutschen Bundestag. So war der Geschäftsführer des Vereins bei der Neukonstituierung des Gesprächskreises am 7. April 2006 anwesend und referierte zuletzt bei dem Treffen des Parlamentarier-Zusammenschlusses am 8. April 2008. Die enge Zusammenarbeit entspricht einer nicht weniger dichten Kooperation beim Europaparlament, das ähnlich dem Tibet-Gesprächskreis eine Tibet Intergroup unterhält. Den Absprachen mit der Intergroup, die seit 1999 von einem deutschen Abgeordneten geleitet wird, widmet sich vor allem das Brüsseler ICT-Büro. Eine effiziente Vernetzung der US-Zentrale mit Berlin und Brüssel kann auf diese Weise sichergestellt werden.

Olympics Campaign

Ein weiteres Beispiel für die intensive transatlantische Tibet-Kooperation bietet das "International Tibet Support Network" (ITSN), das maßgeblich in die antichinesische Fackellauf-Kampagne der vergangenen Monate involviert war. ITSN wurde im Jahr 2000 als Netzwerk der Tibet-Initiativen weltweit gegründet, im Rahmen der dritten "International Tibet Support Group Conference" in Berlin. Seit Mitte der 1990er Jahre werden die Support Group Conferences von der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) organisiert, die damit den Tibet-Initiativen aus aller Welt Gelegenheiten zu Absprachen und koordiniertem Handeln bietet. Im Anschluss an die vierte Tibet Support Group Conference der Naumann-Stiftung gründete ITSN sogenannte Campaign Working Groups, deren Aufgabe in der Planung und Durchführung von Kampagnen besteht.3 Auf der fünften Support Groups Conference im Mai 2007 legte ITSN nicht nur detaillierte Pläne für eine "Olympics Campaign" vor, sondern führte auch die Kanadierin Freya Putt als "Olympics Campaign Coordinator" für den Zeitraum von Mai 2007 bis September 2008 ein. Freya Putt gehört zu den maßgeblichen Organisatorinnen der Sabotagekampagne gegen den Fackellauf.4

Training

Die ITSN-"Olympics Campaign" wäre nicht nur ohne die Tibet Support Group Conferences der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung kaum in globalem Maßstab umzusetzen gewesen. Auch US-Gelder haben maßgeblich dazu beigetragen: ITSN hat für die Zeit von Juli 2007 bis Juni 2008 einen Extra-Zuschuss aus Washington erhalten - vom NED. Über die aktuelle Kampagne hinaus sorgt sich ITSN um die politische Schlagkraft der Mitgliedsorganisationen für zukünftige Vorhaben. Zu seinen Arbeitsbereichen gehören Mitgliedertrainings in Fundraising sowie anderen politisch nützlichen Fähigkeiten.

Beispiellose Aufmerksamkeit

Wie ITSN schreibt, geht die heutige Stärke der Tibet-Bewegung auf einen Umschwung Ende der 1980er Jahre zurück. Demnach erhielten damals "der Dalai Lama, die tibetische Exilregierung, Tibeter innerhalb Tibets und weniger als ein Dutzend kleiner Tibet Support Groups eine beispiellose internationale Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit".5 Die Folge war ein außergewöhnliches Wachstum der Bewegung. Dabei sind die Voraussetzungen dafür offenbar schon zu Beginn der 1980er Jahre geschaffen worden. Nur ein Jahrzehnt zuvor hatte Washington seine Unterstützung für den Dalai Lama und die tibetischen Sezessionisten vorerst auf Eis gelegt, um die damalige Annäherung an die Volksrepublik China nicht zu gefährden. Zu Beginn der 1980er Jahre, als die Annäherung in stabile Kooperation überzugehen begann und der künftige Aufstieg der Volksrepublik erkennbar wurde, nahmen US-Kongressabgeordnete ihre Zusammenarbeit mit Exiltibetern wieder auf. Schrittweise stabilisierten sich die Kontakte, bis das Washingtoner Repräsentantenhaus sich im Juni 1987 in größerem Maßstab der Tibet-Thematik annahm: mit einer eigenen Resolution und einem Auftritt des Dalai Lama. Im selben Jahr trat die Tibet Intergroup im Europaparlament zum ersten Mal zusammen, in der Bundesrepublik befasste sich der Bundestag umfassend mit dem westchinesischen Autonomiegebiet.

Kampagnenfähig

Nur zwei Jahre später, 1989, erhielt der Dalai Lama den Friedensnobelpreis - eine herausragende Hilfe für eine ungewöhnliche Polit-Karriere, die mit staatlichen Initiativen des Westens und mit Fördermitteln für die Exiltibeter aus US-amerikanischen (NED) und bundesdeutschen (Parteienstiftungen6) Staatsetats weiter unterstützt wurde. Das vermeintlich interessenlos humanitär-menschenrechtliche Netzwerk, das sich um den staatlichen Finanzierungskern der Tibet-Initiativen herausgebildet hat, ist inzwischen auf hohem Niveau kampagnenfähig. Es stabilisiert sich in diesen Tagen mit Hilfe des Deutschland-Besuchs des Dalai Lama und kann bei Bedarf jederzeit mit der Zuführung gezielter monetärer Zuschüsse zu neuen Attacken gegen China mobilisiert werden.


Weitere Informationen zur deutschen Tibet-Politik finden Sie hier: Schwächungsstrategien (I), Schwächungsstrategien (II), Schwächungsstrategien (III), Schwächungsstrategien (IV), Der Olympia-Hebel, Die Fackellauf-Kampagne, Operationen gegen China und Tibet ohne Mythos.

Anmerkungen:
1 s. dazu Alle Optionen und Spitzenduell
2 s. dazu Operationen gegen China
3 Campaigns; www.tibetnetwork.org
4 s. dazu Die Fackellauf-Kampagne. S. auch "Es werden wieder Tibeter sterben"; Die Zeit 15.04.2008. Finanzstarke Verbündete der Tibeter; Kölner Stadt-Anzeiger 28.04.2008.
5 History of ITSN; www.tibetnetwork.org
6 s. dazu "Wirksamste Instrumente der deutschen Außenpolitik"



 
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