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"Die zirka 60 bis 70 Demonstranten der sogenannten ´Antifa´, die gegen die Eröffnung des Bürgerbüros protestierten, kamen wegen der guten polizeilichen Absicherung gar nicht erst an das Gebäude heran, sorgten stattdessen aber für eine zeitweilige Blockade des Straßenbahnverkehrs". So kann, wie gewohnt, ein Pressetext der total legalen NPD feixen.

Der Auslöser dieses Protests selbst ist für Leipzig - derzeit noch die einzige sächsische Großstadt, deren Parlament nazifrei ist - dennoch ungewöhnlich. Er markiert ein neues strategisches Ziel der Neonazis. Unter der Devise "Leipzig nicht den Roten" zu überlassen, wurde zum Sturm auf das Stadtparlament geblasen. Siehe oben, unter Polizeischutz konnte der Landtagsabgeordnete und Sachsen-Vorsitzende der NPD Winfried Petzold am 15. November im Stadtteil Lindenau sein Abgeordnetenbüro eröffnen. Und bei der Gelegenheit ankündigen, von hier aus werde die logistische Vorbereitung für den kommenden Kommunalwahlkampf gesteuert. Weshalb ins gleiche Haus praktischerweise noch die neue Kreisgeschäftsstelle der Leipziger NPD und ein so genanntes Nationales Jugendzentrum einzogen. Für den Obernazi, der vorher seinen Stützpunkt in Mutzschen bei Grimma hatte, und sich nun nach Leipzig wagte - allerdings festungsartig verschanzt hinter einem massiven Eisenzaun und anderen Sicherungsmaßnahmen - steht laut Spiegel "zweifellos" ein "Endkampf" bevor. Weil der natürlich nicht mit dem überalterten Leipziger NPD-Haufen zu gewinnen ist, wurde im April dieses Jahres bereits eine "Vorfeldorganisation der Partei", die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in Leipzig platziert, die sich wiederum mit den sich seit 2007 hier aktiven "Freien Kräften" bzw. "Freien Kameradschaften" vernetzte. Was bei verschiedenen Aufmärschen, die unter anderem in mehreren Überfällen auf ein von Studenten bewohntes Haus mündeten, nur zu deutlich wurde. Für Petzold waren diese zum Teil gemeingefährlichen Angriffe auf Leib und Leben auf demokratisch agierende Bürger offenbar nur "schon monatelang anhaltende politische Aktivitäten der NPD in Leipzig", die es mit Blick auf die herannahenden Kommunalwahlen nochmals zu verstärken gelte.

Erbarmen möchte man rufen.

Da aber erfahrungsgemäß auch in dieser Frage weder von oben noch von ganz oben echte Unterstützung zu erwarten ist, haben empörte Jugendliche die Sache selbst in die Hand genommen. Und so versammelten sich zur Eröffnung dieses Faschostützpunktes spontan nicht nur etwa 70 Gegendemonstranten, wie die Nazis in ihrer Presseerklärung anklingen ließen, sondern mindestens 200. Zusammengerufen vor allem vom antifaschistisch ausgerichteten linXXnet-Büro (betrieben von jungen Leipziger Linken ), forderten sie nicht nur die Schließung dieser festungsartigen Kampfzentrale, sondern fragten auch nach, welche den Landtagsabgeordneten zustehenden staatlichen Mittel direkt in den Aufbau von Nazistrukturen fließen. Was ja bedeutet, dass Steuergelder durchaus helfen könnten, nazistische Ideologie, menschenverachtenden Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus - vor allem unter immer orientierungsloseren Jugendlichen - zu befördern. Ohnehin gibt es für Linke nur eine Konsequenz: Verbot dieser Partei.

Mancher Prostest dieser Tage erscheint allerdings auch reichlich diffus, ist aber bei genauer Betrachtung wohl eher der Feigheit vor gemeinsamer Sache mit linkem Protest und linken Konsequenzen geschuldet. Also wird in einem Schreiben von Bürgern, vor allem SPD-Funktionären, an den Oberbürgermeister gefordert: "Kein NPD-Büro in unserem Stadtteil! Keine Gewalt - egal von welcher Seite!!" Zwei Ausrufezeichen nach dem zweiten, recht ominösen Teil der Forderung! Aber was dann? Wimpelketten aufhängen? Um die Nazis braun zu ärgern? Oder die von den bisherigen SPD-Oberbürgermeistern gepflegte Alternative: Gescheit daher reden bei Bier und Bratwurst, Hunderte Meter weit weg von den grölenden Nazis - denen und den Wasserwerfern und dem Pfefferspray der "Ordnungshüter" sich allein gelassen vor allem die "linken Chaoten", die kriminalisierten Antifaschisten entgegen warfen.

Flagge zeigen, so oder so, den Nazis zu sagen, dass ihnen unsere Straßen nicht gehören, müsste selbstverständlich sein. Aber was können der "linke Chaot" oder ein OB am Ende wirklich ausrichten, wenn das Oberlandesgericht in Bautzen alle von der Stadt verbotenen Naziaktivitäten wieder zulässt? Wenn Petzolds Abgeordnetenbüro ganz rechtens steuerfinanziert ist.

Was soll also dieses rückversichernde: "Keine Gewalt - egal von welcher Seite!!"? Schwenken Antifas vielleicht Baseballschläger, schlagen sie Ausländer tot? Jagen sie Menschen durch Glastüren, dass die an ihren Wunden sterben? Dieses "egal von welcher Seite" wirkt umso peinlicher, je besser man sich mit dem neuen Nazinest vertraut macht. Nicht nur, dass sich dieser künftige Szenetreff und Rückzugsposten der Neonazis inmitten eines traditionsreichen Arbeiterviertels befindet, in dem - wie lange noch? - Straßennamen von Kommunisten gerettet werden konnten, die von den Nazis umgebracht wurden: Georg Schwarz, Erich Köhn, William Zipperer (gerettet vor bürgerrechtelnden Geschichtsverfälschern, die den Nazis in die Hände arbeiten, weil sie sich an deren Opfer nochmals vergreifen). Es geht sowieso nicht ohne Gewalt. Und zwar ganz eindeutig nicht ohne die von oben. Ein Verbot muss her!

NPD-Chef Wilhelm Petzold, die braunen Wahllogistiker und ihre Schlägertrupps haben in ihrer unmittelbaren Nähe unter anderem auch eine MigrantInnenberatungsstelle, eine Nachbarschaftsschule, das (mit seinen Stücken sehr klug gegen rechte Gewalt und rechtes Denken agierende) Theater der Jungen Welt, alternative Wächterhaus-Wohnprojekte ... Viele Felder, um sich auszutoben, das nazistische Selbstbewusstsein zu erproben und zu stärken. Und eine sichere Festung im Rücken. Leider nicht nur die.

Ich wiederhole mich: Was bitteschön sollen die Andersaussehenden und die Andersdenkenden tun, wenn die Nazis mit all ihrer ungezügelten Aggressivität anrücken? Die rechte Wange hinhalten, wenn sie auf die linke geschlagen wurden? Auf die Polizei vertrauen? Friedlich protestieren? Zum Beispiel ihre Lautsprecher aus den Wohnungen mit lauter Musik auf die Nazis ausrichten, um deren Hetz-Parolen zu übertönen? Sinnlos! Solche gewaltlose Selbstverteidigung wurde schon versucht in Leipzig. Und gewaltsam unterbunden. Von der Polizei. Sie stürmte die Wohnungen und riss die Stecker aus den Dosen. Man fragt sich angesichts dessen, von wem geht die größere Gefahr aus, von den Neonazis oder von der Politik in diesem Land? Ohnehin zu schwaches, weil meist auch noch verleumdetes Engagement gegen Rechts läuft irgendwann ins Leere, wenn der Rechtsstaat nicht funktioniert. Ich nenne das, was in Leipzig im Namen einer längst unglaubwürdigen Demokratie geschehen darf und vor allem das, was von der Politik gar nicht erst dagegen unternommen wird laut und deutlich unrechtsstaatlich.

 
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