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„Bolivarische Revolution“

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Präsident Hugo Chávez Frías
Mit einem erdrutschartigen Sieg gewann der Präsidentschaftskandidat Hugo Chávez Frías am 6. Dezember 1998 die Wahl. Er erhielt 56,2 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 65%.
Daran konnte auch die Wahltaktik von AD und COPEI nichts ändern, die im letzten Moment nach den zukunftsweisenden Regionalwahlen wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen ihre beiden Kandidaten zurückzog und gemeinsam einen Kandidaten stellten.1 Jedoch auch dieses taktische Manöver hatte gegen das Polo Patriotico keine Chance.

Später benannte sich das Polo Patriotico in „Alianza del cambio“ (Bündnis des Wechsels) um. Es blieb aber bei der Ablehnung nicht unwesentlicher Teile der Linken, die den parlamentarischen Weg ablehnten.
So führte die Diskussionen innerhalb der Linken zu einer Spaltung der Bewegung. Die Partei MAS teilte sich und aus ihr ging die Partei PODEMOS (Wir können) hervor, die bis heute in der „alianza del cambio“ ist, während die (Rest-) MAS der Opposition angehört.

Auch die „causa R“ (Grund R) war eine linke Partei, schlug sich aber auf die Seite der Opposition, zu der sie bis heute zählt; wie auch die Organisation Bandera Roja, die heute sogar als bewaffneter Arm der Rechten bezeichnet werden kann.

Die bolivarische Verfassung

Als erster Schritt neben der politischen Neuordnung Venezuelas stand das große Verfassungsprojekt, das schließlich 1999 nach breiter Diskussion und einem Referendum verabschiedet wurde. Damit wurde der Verfassungsfrage der Rang gegeben, den auch der ideologische Vater Simón Bolívar ihr einst gegeben hatte, als er eine neue Verfassung auf die Tagesordnung setzte. Kurz angedeutet ist die Verfassung ein Meilenschritt zur Demokratisierung Venezuelas, denn sie definiert Venezuela als „partizipative, protagonistische Demokratie“. Damit sind basisdemokratische Elemente fester Bestandteil der neuen politischen Ordnung.

Reorganisierung der OPEC

Weiterhin spielte Ende der 90er Jahre die außenpolitische Festigung antiimperialistischer Politik eine große Rolle. So trug Venezuela maßgeblich zur Rekonstituierung der OPEC bei, die Organisation erdölexportierender Staaten, die 1960 gemeinsam mit Saudi-Arabien, Kuwait, Iran und Irak gegründet wurde und heute mit Katar, Indonesien, Lybien, den Vereinigten Arabische Emirate, Algerien und Nigeria 40 % der weltweiten Erdölproduktion fördern und über 2/3 der weltweiten Erdölreserven verfügen. [vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/OPEC] Ziel der OPEC ist die koordinierte Verringerung der Produktion zur Kontrolle der Preise und damit natürlich den imperialistischen Mächten ein Dorn im Auge.

Der Aufbau sozialer Missionen

Mit dem Jahr 2001 begann die Regierung, die Bildung und Agrarfrage anzupacken. Brachliegende Länder wurden und werden enteignet und den armen Bäuerinnen und Bauern zur Verfügung gestellt, vielfältige Bildungsprojekte initiiert, die den Analphabetismus im Jahr 2005 beseitigen werden, basisdemokratische Projekte gefördert und vieles mehr, was im Kapitel zu den sozialen Missionen noch näher erläutert werden soll.

Reaktionärer Widerstand wächst

Die Erfolge der bolivarischen Revolution gingen nicht spurlos an der Opposition vorbei. Schon seit Jahren beobachtete sie argwöhnisch den Prozess im neuen Venezuela. Mit der Umsetzung der verfassungsmäßig konstatierten Aufgaben jedoch tritt sie endgültig aus der Defensive heraus und rüstete sich für die Konterrevolution.

Es formierte sich ein breites Oppositionsbündnis, was mit Vehemenz bis heute von den privaten Medien unterstützt wird, die die Medienlandschaft zu dieser Zeit komplett beherrschen.
In diesem Oppositionsbündnis sind sowohl die von AD kontrollierte Gewerkschaft CTV, als auch der Unternehmerverband FEDECAMARAS, hochrangige Generäle (die später noch beim faschistischen Putsch eine Rolle spielen werden), aber auch ehemals linke Organisationen wie die MAS und die ehemals maoistische Guerillaorganisation Bandera Roja.

Gerade die Beteiligung ehemals revolutionärer Organisationen führte zu großer Unsicherheit insbesondere im Ausland. Bandera Roja z.B. wurde von der Internationalen Konferenz marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen (deren Teil die KPD/RM ist, aus der wir kommen) erst im Jahr 2004 rausgeschmissen, also zwei Jahre nach dem offensichtlich faschistischen Putsch, der von Bandera Roja unterstützt wurde. Wir führten im Jahr 2004 ein Gespräch mit einem Vertreter von Bandera Roja, der uns deutlich mitteilte, dass Bandera Roja auch mit Faschisten in Venezuela zusammenarbeitet, da Chávez Regierungssystem bürgerlich sei und ein Bündnis in der Opposition jeglichen Partner zuließe.

Der faschistische Staatsputsch 2002

Der faschistische Staatsputsch vom 11./12. April 2002 markiert zweifelsohne einen Wendepunkt in der Geschichte des bolivarischen Prozesses.

Der Donnerstag, 11. April 2002, war kein gewöhnlicher Tag in Venezuela. Er war Höhepunkt monatelanger Vorbereitungen der Opposition, um das Land zu destabilisieren. Dabei wurde versucht, alle möglichen Bereiche der Gesellschaft zu involvieren und zu instrumentalisieren, wie die Betriebe, Gewerkschaften, Religion, Militär, Medien, das Erdöl und ausländische Regierungen waren direkt an diesen Machenschaften beteiligt.2

Der 11. April war auch nicht zufällig gewählt, fällt er doch in die sogenannte Semana Santa, also die Osterwoche, in der die Masse der Venezuelanerinnen und Venezuelaner nicht in den Städten sind, sondern an der Küste Urlaub machen.

Anlaß für die Opposition war die von der Regierung unternommene Intervention im staatlichen Erdölkonzern Petróleo de Venezuela SA, abgekürzt PdVSA. Hugo Chávez Frías hatte nämlich 5 neue regierungstreue Mitglieder für den Verwaltungsrat des staatlichen Betriebs ernannt.3 Damit war das Faß antiimperialistischer Maßnahmen der bolivarischen Regierung für die Opposition zum Überlaufen gebracht. In der Tradition der school of america versuchte die bürgerliche Opposition mit Unterstützung der USA, insbesondere des CIA, das Idol der demokratischen Revolution, Hugo Chávez Frías, abzusetzen.

Ausführlich dokumentiert der Film „Puente Llaguno: Claves de una masacre“4 die Geschehnisse in dieser 60 Stunden gescheiterter Konterrevolution.

Entführung von Chávez

An diesem 11. April stürzte eine Gruppe putschierender Armeegeneräle die demokratische gewählte Regierung und entführte Hugo Chávez Frías. Dieser ging „freiwillig“ mit, da die Putschisten gedroht hatten, anderenfalls den Präsidentenpalast Miraflores wie in Chile 1973 zu bombardieren.5 In gut dokumentierten Aufnahmen sieht man Hugo Chávez Frías umringt von Militärs aus dem Palacio Miraflores gehen, umringt von aufgebrachten Oppositionellen, die auch führende Regierungsmitglieder zum Teil mit Faustschlägen und Tritten traktierten. Chávez wurde anschließend in die Armeebasis Fuerte Tiuna gebracht, wo versucht wurde, dem von den Massenprotesten in Caracas nichtsahnenden Präsidenten eine Unterschrift unter eine Abdankungserklärung mit den Argumenten abzutrotzen, ein Blutband im Land nur so verhindern zu können. Chávez verweigerte dies, nichtsdestotrotz wurde fälschlicherweise behauptet, er hätte die Macht freiwillig abgegeben.

Interessant bleibt, dass die Opposition während des ganzen Putsches und auch später alles daran setzte, den Putsch als Dienstverweigerung zur Bewahrung der Rechtsordnung zu verkaufen. Umso wichtiger war auch, dass Chávez bei seiner Abführung aus dem palacio Miraflores klar äußerte, dass dies ein Putsch war.

Er erklärte später in einer Pressekonferenz:
In der Nacht vom 12. auf den 13. April dachte ich einen Moment lang, die Veränderungen sind auf demokratischem Weg nicht möglich ... Am nächsten Morgen sah es zum Glück anders aus und der Gedanke war nur eine flüchtige Idee. Denn wenn es auf demokratischem Weg nicht möglich ist, dann müssen wir in die Berge.“6

Rolle des Wirtschaftsverbands

Die Aktionen der Militärs waren eingebettet in die Politik der formierten und bereits oben beschriebenen Wirtschaftsverbände. In einer Stellungnahme der Venezuelanischen Botschaft Wiens äußert sich diese dazu folgendermaßen:
Dieser von der Regierung in Angriff genommene Umwandlungsprozess rief, wie zu erwarten war, eine heftige Reaktion besonders unter jenen hervor, die ihre direkten Interessen angegriffen sahen, da sie aus der Wirtschaftspolitik der Regimes, die in den letzten vier Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts regierten, ihren Nutzen gezogen hatten. Dieser Widerstand wurde von der alten politischen Klasse und den wichtigsten Kommunikationsmedien unterstützt, die in direkter oder indirekter Form von den großen, im Schatten des Staates entstandenen Wirtschaftsgranden beeinflusst wurden. Dies liefert die Erklärung für die Rolle, die die Medien gespielt haben, (...) politische Instrumente der Opposition (...), (die) vorgaben, das Loch, das die alten ihres Prestige beraubten Parteien zurückgelassen hatten, auszufüllen. Es ist beklagenswert, welche Rolle sie beim fehlgeschlagenen Staatsputsch vom 11. April gespielt haben und weiterhin spielen, als Katalysatoren der aufständischen und putschistischen Absichten einiger politischer Oppositioneller und Mitglieder der Nationalen Streitkräfte, die die legitime Regierung der Venezolaner gewaltsam stürzen wollen, sogar mittels Ermordung hochgestellter Persönlichkeiten, wie die zwei fehlgeschlagenen, erst kürzlich stattgefundenen Versuche, den Staatspräsidenten und den Vizepräsidenten zu ermorden, beweisen.“7

Rolle der Medien

Die Rolle der Medien spielte eine entscheidende Rolle und steht bis heute im Mittelpunkt des ideologischen Kampfes der bolivarischen Regierung, denn nach wie vor ist die Mehrzahl der Medien auf Seiten der Opposition. Bei dem Putsch 2002 arbeiteten sie mit bewußten Falschinformationen und hetzten die Menschen auf. So kann man den Putsch auch als Medieninszenierung lesen.

Am 11. September fanden nämlich zwei Demonstrationen statt – eine prochávistische und eine oppositionelle -, in deren Rahmen der Putsch stattfand. Auf den Demonstrationen wurden 17 Menschen ermordet. Die privaten Fernsehsender zeigten Bilder von toten DemonstrantInnen als Rechtfertigung für den Putsch des Unternehmensverbands, der rechten Militärs und auch der Gewerkschaftsbürokratie des Dachverbandes CTV. Fakt ist jedoch, dass die ersten Ermordeten RegierungsanhängerInnen waren. Im Nachhinein rekonstruiert stellte sich auch heraus, dass die Toten (auch auf Seiten der Opposition mehrheitlich) von auf Hochhausdächern postierten Scharfschützen abgegeben worden waren und durch gezielte Kopfschüsse ermordet wurden.

Die Version der privaten Medien war, dass die Massen aus den Barrios bewaffnet in die Innenstadt gezogen wären und insbesondere von der Brücke Llaguno auf die Demonstration der Opposition geschossen hätte. Dafür wurde eine Kameraaufnahme verwendet, die RevolutionärInnen auf der genannten Brücke zeigt, die mit Pistolen zielen. Reingeschnitten wurde dann das Bild der Erschossenen. In Wirklichkeit versteckten sich jedoch die RevolutionärInnen vor den Schüssen der Hochhausschützen und die Demonstration der Opposition war zu dieser Zeit gar nicht auf der Strasse unter der Brücke.8

Auch US-amerikanische Medien spielten den venezolanischen zu. So wurden nach oppositioneller Version die putschenden Militärs erst durch die „Vorkommnisse“ auf den Demonstrationen zum Putsch entschlossen. Nach Angaben des CNN-Korrespondenten Otto Neusteldt wurde jedoch eine Probe der Erklärung der Militärs bereits am Vormittag des 11. Aprils aufgenommen, also bevor es überhaupt Tote gab.9
Auch vielfältige Dokumentaraufnahmen belegen, dass es zum Zeitpunkt des Putsches noch gar keine Toten auf Seiten der Oppositionellen gab. Interessanterweise distanzierte sich Neusteldt später von seinen Erklärungen und äußerte, mißverstanden worden zu sein. Kurze Zeit später verließ er den CNN.10

Machtergreifung Carmonas

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der "Übergangspräsident" Pedro Carmona, Chef des Unternehmerverbandes
Nachdem also der Präsident von den Putschisten verhaftet und ausgeflogen wurde, ließ sich der Unternehmer-Chef Pedro Carmona am 12. April als Übergangspräsident vereidigen. Als erste Maßnahmen und damit auch Ankündigung seines politischen Konzepts löste er das Parlament und das Oberste Gericht auf. [vgl. http://kulturkritik.net/Quellen/petrodollar.html] Und nannte die bolivarische Republik Venezuela in Republik Venezuela um. Kurze Zeit später wurde die illegitime Regierung sowohl von den USA, als auch von Spanien anerkannt, der Internationale Währungsfond bot Kredite an11, so dass nicht erst die Aufdeckungen der venezolanischen Regierung nach dem Putsch die Zusammenarbeit der ausländischen Imperialisten mit den oppositionellen Kräften Venezuelas deutlich machten. Dass die Imperialisten zur Aufrechterhaltung ihrer Macht auch vor Ermordungen nicht halt machen, ist uns bekannt, bezeugt aber auch noch mal anschaulich folgendes Telegramm des damaligen spanischen Botschafters Viturro de la Torre an seine Regierung (unter Aznar) am 12. April 2002:
„...Strategie der Opposition, durch Druck der Armee Rücktritt von Präsident Chávez zu erreichen, hat also Erfolge. Gewerkschaft und Unternehmerverband nutzten Konflikt in Erdölgesellschaft zur Massendemonstration der Bevölkerung von Caracas, die ihrerseits die notwendigen Toten erbrachte, um die Intervention der Armee hervorzurufen, der einzigen Kraft in diesem Lande, die angesichts der Schwäche der politischen Parteien fähig ist, der Regierung von Präsident Chávez ein Ende zu setzen.“12

Die Massen holen Chávez zurück

Der Putsch löste in der Bevölkerung breiten Widerstand aus. Der Revolutionär Ricardo Suarez aus dem barrio 23 enero in Caracas erzählte mir, dass er am 12. April im Radio hörte, dass gefährliche Menschen durch das Armenviertel gehen würden und alle BewohnerInnen des Viertels angehalten seien, ihr Haus nicht zu verlassen. Es stellte sich aber heraus, dass diese „gefährlichen Menschen“ nur gefährlich für die Putschisten werden sollten. Es war nämlich der Beginn der Massendemonstration. Ricardo Suarez schloß sich der Demonstration an und erzählte eindrucksvoll, dass er am Anfang schon ganz schöne Befürchtungen über den weiteren Verlauf der Demonstration hatte. Insbesondere im barrio 23 enero wäre es ja nicht das erste Mal gewesen, dass Ausbeuterschergen auf die Bevölkerung losgingen und schießen würden. Auf dem Weg hinunter in die Innenstadt schlossen sich jedoch immer mehr Menschen an, bis sie schließlich mit zigtausenden vor den Toren des Palacio Miraflores standen und die Rückkehr ihres Präsidenten forderten, obwohl die offizielle Version war, dass dieser freiwillig abgedankt hätte.

Mediathek > Pics >


Die Desinformation war für alle RevolutionärInnen im Land das größte Problem in den Tagen. In Caracas bestand die Möglichkeit, als Augenzeuge zumindest Teile der Wahrheit zu erfahren. In anderen Orten war dies natürlich nicht möglich. Die Revolutionärin Frau Barcos aus Barquisimeto, die in einem bolivarianischen Zirkel arbeitet, erzählte mir von den schlaflosen Nächten im April 2002. Sie konnten nicht glauben, was die bürgerlichen Medien berichteten, hatte aber auch nicht die finanziellen Mittel, nach Caracas zu fahren, zumal sie nicht gewußt hätten, was sie dort erwarten würde. Die Angst dieser Zeit war selbst 4 Jahre später noch in den Erzählungen zu spüren.

Die Massen in Caracas standen vor dem Palacio Miraflores und machten klar, dass sie erst wieder gehen würden, wenn ihr Präsident zurückkäme. Während der Siegesfeier setzte die Garde des Präsidentenpalastes schließlich die Putschisten fest und verhaftete sie. Am 15. April schließlich wurde Chávez aus der Militärhaft befreit und in den Palacio Miraflores per Helikopter eingeflogen.13

Der Aufstand und Widerstand von Millionen von Menschen hat also schließlich die demokratisch legitimierte Regierung wieder in ihren Stand gesetzt. Nicht wenige bezeichnen die Ereignisse um den 11. April 2002 als die eigentlich bolivarische Revolution.14

Grund für die Niederlage der Konterrevolution sind sicherlich vielfältiger Natur. Am wichtigsten war die Mobilisierung der Massen, die klar machte, dass sie ihren Präsidenten nicht einfach gehen läßt. Offensichtlich scheint ein ein Putsch wie in Chile zu der Zeit auch nicht gewollt gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache sicherlich auch nicht unwichtig, dass Venezuela ein Ölland ist und jede Diktatur auch eine Schwäche der herrschenden Verhältnisse signalisiert, was wiederum zu einer Radikalisierung führen kann. Weitergehende Vermutungen – insbesondere internationale Komponenten – bedürften hier einer näheren Untersuchung.

Gerechtigkeit

Die eigentlichen Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Während einige Putschisten von den Palastgarden verhaftet wurden, konnte Carmona selbst fliehen und hat in den USA „Asyl“ gefunden.

Selbst das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ erklärte, der Putsch sei von der Oberschicht „wohl mit Hilfe der CIA“ organisiert worden. Die Deckung der Verbrecher des Putsches ist nicht die einzige Aggression des US-Imperialismus gegen die Souveränität Venezuelas. Venezuela wird ein „potentieller Raum für Instabilität“ sein, äußerte der Direktor des US-Auslandsgeheimdienste, der Central Intelligence Agency (CIA), Porter J. Goss am 16. Februar 2005 vor dem Geheimdienst-Ausschuss des US-Senats.15

Die Hochhausschützen wurden zwar zunächst festgenommen, während des Putsches jedoch auf mysteriöse Weise wieder freigelassen, was auch auf eine Zusammenarbeit der Geheimpolizei DISIP mit den Putschisten schließen läßt, die für die Verhaftung wie für die Freilassung verantwortlich waren.

Einige Prozesse fanden statt, viele gingen aber aufgrund der zu der Zeit oppositionslastigen Gerichte mit dem Urteil aus, dass die Täter nicht aus unehrenhaften Motiven gehandelt hätten.

Die Oppositionellen hatten sogar die Dreistigkeit, zum Jahrestag des Putsches mit T-Shirts „ich überlebte den 11. April“ durch die Strassen zu ziehen.16

Konsequenz des Putsches

Durch das Scheitern der Konterrevolution ist die antiimperialistische Bewegung Venezuelas gestärkt worden. Unbestreitbar hat es große Teile der Bevölkerung formiert und organisiert. Von einem Wahlsieg wurde eine Revolution des Volkes.

Mit der Konterrevolution wurden auch die Quereleien innerhalb der sogenannten Linken liquidiert. In Gesprächen mit den Menschen in Venezuela war für alle, mit denen ich gesprochen habe, ohne Zweifel, dass Organisationen wie Bandera Roja oder MAS nicht mehr Teil der fortschrittlichen oder gar sozialistischen/kommunistischen Bewegung sind.

[mp3]Durch die Entlarvung der gezielten Ermordung und Verletzung demokratischer Rechte ist sogar die Opposition gezwungen, sich von dem Putsch zu distanzieren. Ich habe niemanden getroffen – auch nicht unter den vehementesten Kritikern des Systems -, der sich hinter die Konterrevolution gestellt hat. Dies – so sagen alle – sei ein „Fehler“ gewesen.
Der Putsch hat auch die Wachsamkeit in der Bevölkerung gesteigert. Man ist sich bewußt, dass das Imperium zu allem bereit ist, sollten sie die Möglichkeit haben, die bolivarianische Republik zu stürzen und eine Militarisierung des Landes wird in diesem Zusammenhang meist positiv bewertet.

Auch wenn die Opposition durch den gescheiterten Putsch offensichtlich geschwächt ist, heißt das nicht, dass sie tatenlos geworden ist. Da die Verantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen wurden, wurde ihr Handlungsspielraum zwar eingeengt, aber nach wie vor erhalten. Die Opposition ging zu neuen Taktiken und Kampfformen über, die auch vor terroristischen Attentaten nicht halt macht.

Nachputschistische Zeiten

In einer Stellungnahme der Venezolanischen Botschaft Wiens Ende 2002 beschreibt selbige:
...Absichten einiger politischer Oppositioneller und Mitglieder der Nationalen Streitkräfte, die die legitime Regierung der Venezolaner gewaltsam stürzen wollen, sogar mittels Ermordung hochgestellter Persönlichkeiten, wie die zwei fehlgeschlagenen, erst kürzlich stattgefundenen Versuche, den Staatspräsidenten und den Vizepräsidenten zu ermorden, beweisen.

5) Die Nationalregierung deckte einen weiteren Versuch eines Staatsputsches analog zu dem vom 11. April dieses Jahres auf, welcher im Rahmen einer öffentlichen Demonstration der Opposition am 10. Oktober durch Provokation von Gewaltakten durchgeführt hätte werden sollen. Sie hatten aber dabei keinen Erfolg, der Aufmarsch der Opposition erfolgte in friedlicher Form, ebenso wie der Massenaufmarsch der Anhänger des Präsidenten Chávez am darauffolgenden 13. Oktober.

6) Am vergangenen 21. Oktober rief die Spitze von FEDECAMARAS zu einem Unternehmerstreik oder “Lock out” auf, etwas das nicht in der Verfassung verankert ist, mit dem offensichtlichen Ziel einer Volkserhebung. Sie erhielten aber bei dieser Gelegenheit wieder nicht die erhoffte Resonanz, da die Erdölindustrie, die Basisindustrien (Stahl, Aluminium, Elektrizitäts- Forstwirtschaft), die in FEDEINDUSTRIA organisierten Klein- und Mittelindustrie, der öffentliche Transport (...) und ein grosser Teil des Handels normal funktionierten. Angesichts dieses neuerlichen Scheiterns entstand eine neue, durch die oppositionellen Kommunikationsmedien aufgeblähte Destabilisierungsaktion, die von Seiten des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten, der Regierung der Vereinigten Staaten und der Länder, die zusammmen mit Venezuela die Andengemeinschaft bilden, auf Ablehnung stieß. Es handelte sich dabei um einen neuen Aufruf der putschenden Militärs zum Ungehorsam der Nationalen Streitkräfte und zur Aberkennung des Staatspräsidenten Chávez, ein Aufruf, der am 22. Oktober erfolgte.

7) Im Bewusstsein der Notwendigkeit, die putschende Opposition zu isolieren und die politischen Differenzen im Rahmen der Verfassung und unter Respektierung der legitim eingesetzten Gewalten einer demokratischen Lösung zuzuführen, hat die Regierung des Präsidenten Chávez, nachdem er vom Volk und den institutionellen Streitkräften nach der kurzen Unterbrechung der Kontinuität der Verfassung vom 11. April neuerlich in seine Macht eingesetzt worden war, die Initiative ergriffen, einen konstruktiven Dialog mittels “Dialog-Runden” voranzutreiben (...), was auch funktionierte, bis die Vertreter der Opposition beschlossen, zu einem weiteren unbefristeten Unternehmerstreik aufzurufen, (...) mit Unterstützung der Führungsspitze der Zentralen Arbeitervereinigung “Central de Trabajadores de Venezuela“ (CTV), wodurch der Dialog unterbrochen wurde.
Diesem Streik blieb der Erfolg versagt - die Arbeitsniederlegung betraf nur einen Teil des Handels (...). Tatsächlich leisteten die staatlichen und privaten Basisunternehmen von Guayana, die Erdölindustrie, die Transportindustrie, öffentliche Serviceunternehmen und ein Großteil des Handels auf landesweiter Ebene dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung, (...) nicht Folge, bis dann der makabre Destabilisierungsplan innerhalb der Erdölindustrie, dem Herzen der Wirtschaft Venezuelas, aktiviert wurde, ausgeführt von einigen Mitgliedern des Führungspersonals von PDVSA, mit dem Versuch, den Seetransport von Erdölprodukten, die für den Binnenmarkt bestimmt waren, aufzuhalten und den Betrieb einiger Raffinerien und Verteileranlagen zu sabotieren. Alles dies geschah mit der Absicht, die Bedingungen für einen neuen Staatsstreich zu schaffen (...).

8) Am Freitag, dem 6. Dezember dieses Monats kam es zu einem Gewaltakt auf dem Platz von Altamira in Caracas, mit 3 Toten und 14 Verletzten. Die Regierung rief, indem sie diesen blutigen Akt verabscheute und verurteilte, zum Frieden, Dialog und zur Suche nach Konsens im Rahmen der Verfassung auf, welche Mechanismen wie Wahlen und Volksbefragungen vorsieht, um politische Differenzen auf demokratischem Weg auszuräumen. Ebenso verlangte sie die baldige Aufklärung des Vorfalles und die exemplarische Bestrafung der Morde.“
17

Generalstreik und Putschpläne im Aktenkoffer

Am 3. Dezember begann der längste Generalstreik der venezolanischen Geschichte, der allerdings zum Teil Züge einer Aussperrung trug, da er unter anderem durch die Unternehmerverbände initiiert wurde. Er wurde aber schließlich im Februar 2003 erfolglos beendet.

Im Oktober 2003 veröffentlichten Parlamentsabgeordnete Material, das Aufschluß über Putschvorbereitungen der Opposition in Zusammenarbeit mit der CIA gab.18

„Erst Aristide – dann Chavez“

Ende November 2003 wurde eine neue Kampfform angewandt. Es wurde versucht, die öffentliche Ordnung zu destabilisieren und zu zerstören. Ziel war es, Verhältnisse à la Haiti herbeizuführen und das Chaos zu demonstrieren, damit internationale Truppen das Land zugunsten der Opposition okkupieren würden. In Caracas und anderen Städten wurde der Verkehr zeitweilig lahmgelegt, indem die Strassen versperrt, verbarrikadiert wurden.19

Dieser Boykott hatte zum Teil drastische Konsequenzen. Eine Frau in Choroni erzählte mir, dass in dem Ort (der hinter einem Nebelwald liegt) die Lebensmittelversorgung beängstigend eingeschränkt war. Nur die Hauswirtschaft in den Gärten der BewohnerInnen und die Solidarität untereinander konnte der Bevölkerung die Befriedigung der Grundbedürfnisse sichern.
Auch diese reaktionäre Aktion hatte jedoch langfristig keine Überlebenschance, da auch der Rückhalt innerhalb oppositioneller Reihen aufgrund persönlicher Beeinträchtigungen zurückging, so dass die Aktion im März 2004 eingestellt wurde.

Mitte Mai 2004 konnte die venezuelanische Regierung 132 Paramilitärs auf dem Landgut eines Exilkubaners in der Nähe von Caracas verhaften, die von dort aus terroristische Anschläge gegen Regierungsinstitutionen und ihre Vertreter durchführen sollten. 20

In einem Kommuniqué der venezolanischen Regierung vom Mai 2004 äußert sie sich zu den Hintergründen dieser Machenschaften:
...Die permanenten Untersuchungen, die seit den unheilvollen Ereignissen des Jahres 2002 getätigt werden, erlauben zweifelsohne zu bestätigen, dass es sich um einen Plan handelt, der von den Sektoren der Opposition, sowohl im Ausland wie auch in Venezuela, entworfen wurde, wobei diese Sektoren von einigen Mitgliedern der Nationalen Streitkräfte (FAN) unterstützt werden, von denselben, die sich in den letzten Jahren vom Weg der Verfassung entfernt haben und wegen ihres Verhaltens, das im Gegensatz zu ihrem Treueschwur der Republik gegenüber steht, verurteilt werden, und ebenso werden sie vom State Department der U.S.A. unterstützt, welches unverholen und mit dem reinsten Zynismus zugibt, Gruppen, die Gewaltakte anführen, zu finanzieren, wobei das State Department seine Bereitschaft, in diesem Sinne fortzufahren, sogar öffentlich verbreitet.

Die involvierten Bürger, die ausgeforscht wurden und welche die Bürde des Gesetzes treffen wird, sind die gleichen, die mit den Gewaltakten seit dem Staatsputsch im Jahr 2002 in Zusammenhang gebracht werden; ebenso wie mit dem Unternehmerstreik gegen unsere wirtschaftliche Hauptader; weiters mit den Unruheherden in den vergangenen Monaten Februar und März , die in gewalttätigen Ausschreitungen, ernsten Umweltschäden und der Zerstörung von öffentlichem Gut in den Wohnsiedlungen der Mittelschicht, einschliesslich der von den gleichen Demonstranten ermordeten Personen, mündeten. Es ist notwendig, die Namen der Oppositionellen, die nicht ihre
andergelagerte politische Agenda verheimlichen, hervorzuheben, unter diesen Herr Carlos Andrés Pérez, der, im Wissen was losbrechen würde, vorher von den U.S.A. aus behauptete, dass die Option für uns Venezolaner, um den Abgang des Präsidenten Hugo Chávez Frías zu garantieren, jene der Gewalt mit massenhaft Toten und einer Militärregierung sei.

Gleichzeitig haben die privaten Kommunikationsmedien die Selbstzensur, die sie sich am 12. und 13. April 2002 selbst auferlegt hatten, wiederholt, indem sie der Gesellschaft, der sie es schuldig sind, das Recht einer angemessenen Berichterstattung verweigern. Es sind dies dieselben Medien, d.h. ihre Eigentümer, die ständig die Regierung vor den internationlen Organisationen wegen angeblicher Verletzungen ihres Rechtes auf Information verklagen, wobei es nachweisbar ist, dass die Regierung des Präsidenten Chávez, trotz der wiederholt vorgebrachten Lüge und eines so antidemokratischen Verhaltens, in kein einziges Medium eingegriffen hat.

(...)

Die kolumbianischen Paramilitärs, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden, waren dazu ausgebildet worden, zivile und militärische Einrichtungen anzugreifen mit dem Ziel, Gewalt, Chaos und Verwirrung in Venezuela auszulösen, schlussendlich mit dem Zweck, die verfassungsgemässe Ordnung zu brechen, und was viel schwerwiegender ist, die physische Inegrität seiner obersten Beamten anzugreifen, in der Meinung, dass so ein Klima der Spannung in der Folge zu einem Eingreifen aus dem Ausland verpflichten würde.

Die Präsenz einer signifikanten Anzahl von kolumbianischen Paramilitärs auf venezolanischem Territorium ist ein Problem, das den Staat betrifft, und hat Auswirkungen auf die Souveränität, den Frieden und die Ruhe im Land und stellt sogar eine Gefahr für den sozialen Frieden auf dem Kontinent dar. Auf dies sollten die Demokratiefaktoren aufmerksam gemacht werden und es erfordert die Ablehnung seitens der internationalen Gemeinschaft.

Die Anwesenheit von Minderjährigen und die Ermordung von Mitgliedern der Gruppe von Irregulären durch eben die Urheber der Vorkommnisse zeigen, dass zweifellos solch eine Verschwörung mit den obskuren Interessen der mächtigen Wirtschafts-, Medien- und Politikersektoren verbunden ist, die von Kolumbien und von Miami, U.S.A., aus versuchen, an die Macht zu gelangen, um weiterhin Nutzniesser unserer reichen Bodenschätze zu sein, welche wir würdevoll unter dem Gebot der Souveränität und der nationalen Würde verteidigen...
21

Referendum August 2004

Neben diesen offen terroristischen Aktionen verfolgte die Opposition auch andere Wege. Die neue Verfassung Venezuelas ermöglicht die Abwahl eines jeden politischen Mandatsträgers nach der Hälfte der Amtszeit. So heißt es in der neuen Verfassung:
Wenn dieselbe oder eine größere Zahl von Wahlberechtigten, die den Amtsträger oder die Amtsträgerin gewählt hatten, für einen Widerruf stimmen und unter der Voraussetzung, dass mindestens fünfundzwanzig Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten an der Volksabstimmung teilgenommen haben, wird das Mandat als widerrufen betrachtet.“22

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Referendum 2003: Wahlplakate der Opposition
So stellte die Opposition ein Referendum gegen das Mandat des Präsidenten Chávez, um Neuwahlen zu initiieren. Die Opposition startete eine große Kampagne, und bis heute sind an vielen Hauswänden Aufrufe zur Wahl (Si=Ja, für die Opposition oder No=Nein, für die Revolutionäre) in Form von verblichenen Plakaten oder Sprühereien zu sehen.

Auf dem XX. Internationalen Antifaschistisch-Antiimperialistischen Jugendcamp in Mexiko im August 2004 versuchte der Vertreter der oppositionellen Organisation Bandera Roja die Unterstützung für das Referendum von den CampteilnehmerInnen zu erwirken und reiste auch vorzeitig vom Camp ab, um am Referendum teilnehmen zu können.

Dass jede Stimme für die Opposition wichtig war, zeigten dann auch die Ergebnisse.
Am 3. Juni 2004 gab der Präsident des Nationalen Wahlrats, Francisco Carrasquero bekannt, dass von 3,4 Millionen von der Opposition für ein Referendum gegen Chávez gesammelten Stimmen 2,54 Millionen anerkannt würden und so das Referendum mit knapp 15.738 Stimmen Überschuss zugelassen würde. Diesem musste sich Chávez am 15. August 2004, vier Tage vor Beendigung des vierten Jahres seiner sechsjährigen Amtszeit, stellen. Um Chávez des Amtes zu entheben, benötigte die Opposition in einer Volksabstimmung allerdings mehr als die 3,7 Millionen Stimmen, die der Politiker bei seiner Wiederwahl für eine zweite Amtszeit 2000 (bzw. erste nach neuer Verfassung) erhielt.

Gemäß ersten Verlautbarungen der Wahlkommission vom 16. August 2004 hatte das Referendum, das eine extrem hohe Wahlbeteiligung in Höhe von etwa 95 Prozent aufwies (zweimal wurde die Schließung der Wahllokale am Wahltag verschoben), nicht zur Ablösung der Regierung geführt. Nach ersten Zahlen waren etwa 58 Prozent aller Wahlberechtigten gegen eine Amtsenthebung von Hugo Chávez und somit gegen Neuwahlen. Internationale Wahlbeobachter – darunter OAS, das Carter-Center und Vertreter der Wahlbehörden von einem Dutzend lateinamerikanischer Staaten - bescheinigten der Wahl entgegen im Vorhinein geäußerter Befürchtungen der Opposition über möglichen Wahlbetrug einen einwandfreien Verlauf.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kam es in Caracas zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen der Opposition, die das Ergebnis nicht akzeptieren wollten. Dabei fielen mehrere Schüsse und eine Frau wurde tödlich verletzt.

Das Referendum war erst einmal das letzte mögliche zeitnahe legale Mittel der Opposition, das scheiterte. Da es in der Verfassung heißt: „Während des Zeitraums, für den der Amtsträger oder die Amtsträgerin gewählt wurde, darf nicht mehr als ein Antrag auf Widerruf des Mandats gestellt werden.“23

Allerdings ist ein neuer Versuch, mittels der von der Verfassung gegebenen Möglichkeiten Chávez abzusetzen, nach seiner zu vermutenden Wiederwahl am 3. Dezember 2006 möglich. Die Tatsache, dass die Opposition bei den Parlamentswahlen im Dezember 2005 aufgrund angeblicher undemokratischer Wahlsysteme kurzfristig die Wahl boykottierte, schließt ein neues Referendum nicht aus, denn auch bisher verbinden sie alle Mittel des Widerstands – sei es legal oder illegal.

Am 18. November 2004 wurde gegen den Staatsanwalt Danilo Anderson in Caracas ein Bombenanschlag verübt, bei dem selbiger ums Leben kam. Anderson war mit nichts Geringerem als der Ãœberführung der Putschisten vom April 2002 befaßt. Im Laufe des Verfahrens tauchten Listen mit Namen von führenden Staatsfunktionären auf, die den Vermerk „eleminieren“ trugen.24

Venezuela auf dem Vormarsch

Die Stimmenverhältnisse in Venezuela sind heute so stark wie nie seit 1998. Die Regional- und Kommunalwahlen vom 31. Oktober 2004 bestätigten einmal mehr den positiven Ausgang des Referendums. Die Opposition verlor von bis dahin regierten 8 (von 23) Bundesstaaten 7, gewann einen dazu und regiert seitdem also in zwei Bundesstaaten. Ebenso konnten das revolutionäre Bündnis 270 von 334 Bürgermeisterposten erlangen. Zuvor besetzten sie lediglich 118. 25

Ebenso führte die Spaltung der Organisationen und Parteien wie MAS (zur revolutionären Podemos) und causa – R (zur unterstützenden PPT) dazu, dass die Regierungsunterstützenden mittlerweile mehr Stimmen erhielten als früher die Gesamtpartei.

Nicht überraschend ist, dass die Regional- und Kommunalwahlen von der Opposition nicht anerkannt wurden.

Für die Parlamentswahlen im Dezember 2005 ging die Nichtakzeptanz so weit, dass sich alle oppositionellen Kräfte kurz vor der Wahl gegen die Beteiligung aussprachen. Der Grund kann darin zu sehen sein, dass das Ergebnis ähnlich schlecht für die Opposition ausgefallen wäre wie die Regional- und Kommunalwahlen.

Auf der Reise durch Venezuela wurde der Eindruck geweckt, dass die Opposition derzeit wenig aktives Mobilisierungspotenzial hat. Die Vertreter oppositioneller Meinungen sind zumindest nicht offen aktiv. Die Gegendemonstration zum marcha nacional, der die siebenjährige Amtszeit von Hugo Chávez Frías feierte, fand gerade mal 10.000 AnhängerInnen (bei 4 Millionen DemonstrantInnen bei dem marcha nacional).

Insofern wird es auch für ziemlich sicher eingeschätzt, dass Hugo Chávez Frías bei den Präsidentschaftswahlen am 3. Dezember 2006 wieder als Sieger hervorgehen wird.

Andererseits darf dieser positive Trend nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aktivitäten der Opposition unter der legalen Oberfläche weiterlaufen. Die terroristischen Machenschaften lassen weiterhin um das Leben der Revolutionäre in Venezuela fürchten. Auch sind 41 % Gegenstimmen im Präsidialreferendum 2004 kein zu vernachlässigender Faktor.


Anmerkungen:
1
vgl. http://www.npla.de/poonal/p364.htm
2 vgl. http://www.rnv.gov.ve/noticias/index.php?act=ST&f=26&t=32054
3 vgl. WoZ, 18. April 2002
4 Venezuela, Abril 2004, www.clavesllaguno.com.ve, Produktion: Asociacion nacional de Medios comunitarios libres y alternativos, Panafiloms, Direktion: Angel Palacios
5 vgl. http://www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/456.html
6 ebd.
7 abgedruckt in der Volksstimme vom 11.12.2006, nachzulesen unter: http://www.volksstimme.at/old/arch/heute/02-12-11.html
8 vgl. Dokumentaraufnahmen im Film: Venezuela, Abril 2004, www.clavesllaguno.com.ve, Produktion: Asociacion nacional de Medios comunitarios libres y alternativos, Panafiloms, Direktion: Angel Palacios
9 vgl. http://www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/457.html
10 vgl. vgl. raul zelik, sabine bitter, helmut weber, made in venezuela – notizen zur „bolivarianischen revolution“, Verlag Assoziation A, 2004, S. 61
11 vgl. http://www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/457.html
12 zitiert in: Otto Pfeiffer, Venezuela Vergangenheit und Gegenwart, Venezuela Avanza, 2005, S. 23
13 vgl. http://kulturkritik.net/Quellen/petrodollar.html
14 vgl. raul zelik, sabine bitter, helmut weber, made in venezuela – notizen zur „bolivarianischen revolution“, Verlag Assoziation A, 2004
15 Newsweek, zitiert nach: SPIEGEL, Nr. 29, 17.7.06
16 vgl. raul zelik, sabine bitter, helmut weber, made in venezuela – notizen zur „bolivarianischen revolution“, Verlag Assoziation A, 2004
17 vgl. http://www.volksstimme.at/old/arch/heute/02-12-11.html
18 vgl. http://kulturkritik.net/Quellen/petrodollar.html
19 vgl. Otto Pfeiffer, Venezuela Vergangenheit und Gegenwart, Venezuela Avanza, 2005
20 ebd.
21 vgl. Kommuniqué der Regierung der bolivarianischen Republik Venezuela, Verhaftung kolumbianischer Paramiliärs, Caracas, Mai 2004
22 Verfassung der bolivarischen Republik Venezueka vom 24. März 2000, Artikel 72
23 ebd.
24 vgl. Otto Pfeiffer, Venezuela Vergangenheit und Gegenwart, Venezuela Avanza, 2005
25 ebd.


Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Organisation "Roter Oktober".


Dieser politische Reisebericht über Venezuela erscheint in acht Teilen im viertägigen Rythmus. Teil III wird am 09.11.2006 auf www.secarts.org veröffentlicht.


 
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  Kommentar zum Artikel von secarts:
Mittwoch, 08.11.2006 - 15:58

Gelesen habe ich das mit der Visa-Einstellung auch, entweder bei Spiegel Online oder der netzeitung.de. Leider finde ich es nicht mehr wieder...
Ich habe aber mal ein wenig rumgesucht und bin auf das hier gestoßen:

24.10.2006, 12:33 Uhr
Venezuela stellt keine Visa für Israelis aus

CARACAS (inn) - Venezuela stellt für israelische Bürger keine Visa mehr aus. Dies teilte die venezolanische Botschaft in Israel am Montag mit - dabei verwies sie auf die Kritik des venezolanischen Präsidenten, Hugo Chavez, an Israel.

Venezuela hatte im August seinen Botschafter in Israel aus Protest gegen die israelische Militäroffensive im Libanon abgezogen. Chavez hatte Israels Verhalten als "Genozid" und als "neuen Holocaust" bezeichnet. Daraufhin berief das israelische Außenministerium seinen Botschafter in Venezuela für Beratungen ab. Dieser ist allerdings mittlerweile wieder in das südamerikanische Land zurückgekehrt.

Aber Venezuelas Ständiger Vertreter in Israel, Hector Quintero, befindet sich noch in Caracas. Er sagte, seit seiner Abreise seien keine Touristenvisa ausgestellt worden. Dies habe aber formale Gründe. Er wisse nichts von einer Änderung der Politik in Caracas bezüglich der Einreise von Israelis.

http://www.israelnetz.de/show.sxp/12547.html?sxpident=38019293647485d---EG--iMM--9489839Ri- [externer link]

Genaueres fand ich auch nicht. Ich denke aber, dass diese Meldungen zunächst mit Vorsicht genossen werden sollten, solange nicht aus Venezuela oder Israel selbst dazu Nachrichten vorliegen.


  Kommentar zum Artikel von paulina:
Mittwoch, 08.11.2006 - 15:33

diverse schmusefotos chavez-ahmadinedschad kennt man ja leider schon... aber stimmt das mit der (nicht-) visavergabe echt?? ach hugo, mach doch kein' scheiß...


  Kommentar zum Artikel von 127757:
Mittwoch, 08.11.2006 - 11:34

@Maja
"Das mit der Freudschen Fehlleitung verstehe ich nicht....?"
So nennt man es doch, wenn man das Gegenteil von dem schreibt (tut), was meint eigentlich meint (will)...


  Kommentar zum Artikel von Herr Meier:
Mittwoch, 08.11.2006 - 10:46

@ Secarts:
von der Seite habe ich's noch gar nicht betrachtet... Das klingt logisch. Also Legalität um jeden Preis ist sicher auch nicht in jedem Falle ein Fortschritt. Oder, anders ausgedrückt: wenn die revolutionäre Bewegung etwas unerkämpft hinterhergeworfen bekommt, sollte man das zumindest gründlich analysieren...

@ Maja:
wenn speziell zur KP Venezuelas noch ein eigener Artikel kommt, will ich das jetzt hier an dieser Stelle nicht schon alles vorweg nehmen und lieber dann nochmal drauf zurückkommen - ich glaube aber, ich hab kapiert, worum es ungefähr geht! Besten Dank!

Eine ganz andere Sache noch: Gestern habe ich gelesen, daß Hugo Chavez die Visavergabe an Israelis gestoppt habe und in Anbindung an den "antizionistischen" Kurs der arabischen Länder einen engeren Schulterschluß an Iran etc. sucht. Werden diese Länder als revolutionäre Kräfte oder evetuelle Bündnispartner betrachtet?

Und: wie ist das Verhältnis Venezuelas zu der VR China? Da ließt man komischerweise überhaupt nix in den bürgerlichen Blättern zu...


 M Kommentar zum Artikel von Maja:
Mittwoch, 08.11.2006 - 09:50

@hardcore

Das mit der Freudschen Fehlleitung verstehe ich nicht....?


  Kommentar zum Artikel von 127757:
Mittwoch, 08.11.2006 - 02:48

smiley smiley smiley

...ich glaube, er meint nicht die nicht ganz wörtliche Zitierung, sondern die Freudsche Fehleistung:
"Denn, wie Marx und Engels passend im Manifest geschrieben haben "Wir Kommunisten verschmähen es, unsere Ansichten offen und ehrlich darzutun""

Aber es ist ja schon klar, wie es wirklich heißt...


 M Kommentar zum Artikel von Maja:
Dienstag, 07.11.2006 - 22:12

Richtig, Alex.

Sorry, hätte die Anführungsstriche nicht setzen dürfen.


  Kommentar zum Artikel von 127712:
Dienstag, 07.11.2006 - 19:02

"Denn, wie Marx und Engels passend im Manifest geschrieben haben 'Wir Kommunisten verschmähen es, unsere Ansichten offen und ehrlich darzutun'..." - Maja

Grundgütiger!!!
Du meinst sicher folgende Stelle:

"Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung." - [Manifest der kommunistischen Partei]


 M Kommentar zum Artikel von Maja:
Dienstag, 07.11.2006 - 12:11

Es geht mir nicht darum, legale Möglichkeiten der kommunistischen Politik im kapitalismus so weit wie möglich auszunutzen. Da verweist Du zurecht auf Lenin. Die Frage ist nur: zu welchen Konditionen? Denn, wie Marx und Engels passend im Manifest geschrieben haben "Wir Kommunisten verschmähen es, unsere Ansichten offen und ehrlich darzutun". Und dies muss sich natürlich auch in der Praxis widerspiegeln. Das Legalisierungsabkommen "Pakt zur Befriedung" war an die Bedingung geknüpft, dass sich die KPV aus dem bewaffneten Guerilla-Kampf zurückzieht, was sie auch 1965 tat.


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Dienstag, 07.11.2006 - 00:27

Kurze Anmerkung:
Zur KP Venezuelas und der hier angesprochenen Legalisierung dieser Partei werden im siebten Teil dieses Artikels (erscheint am 25.11.) ausführlichere Erklärungen gebracht (was natürlich die Debatte hier nicht abwürgen soll...)

@ Herr Meier:
""Und was ist an "Legalisierung" an und für sich schlecht? ""
Legale Kampfbedingungen einer KP im Kapitalismus sind a) relativ und b) temporär. Relative und temporäre Legalität erleichtert den Kampf, schafft aber gleichzeitig Illusionen: Der Kontakt zur nicht organisierten Arbeiterklasse wird erleichtert, die Reichweite und Wirksamkeit der Agitation und Propaganda wird potentiell erhöht, die Kanäle des bürgerlichen Legitimationsapparates können ein Stück weit mit genutzt werden (von Redeminuten im Parlament bis hin zu kaum vermeidbarer Präsenz auch in bürgerlichen Medien).
Die Legalität weckt aber immer auch bei schwankenden Kräften die Illusion der Reformierbarkeit, der Abwählbarkeit des Kapitalismus. Wenn eine legale KP erfolgreich ist, endet die Legalität früher oder später, denn die Bourgeoisie neigt bekanntlich nicht zur kampflosen Herrschaftsaufgabe. Wenn eine legale KP ihres revolutionären Anspruchs verlustig geht, ist sie irgendwann keine KP mehr, und damit erübrigt sich die Frage eines Verbots - einen zahnlosen Tiger braucht man nicht mehr zu jagen, der verendet von selbst.

Du bringst den Lenin ja schon; das Verbot schwebt automatisch über einer kommunistischen Partei im Kapitalismus (siehe hierzulande). Und natürlich muss jede politische Ebene, vom Parlament bis zur Straßenarbeit und eben auch der Untergrundstruktur ausgenutzt werden, das war ja schon Bestandteil der Aufnahmekriterien der KI.
Die labilen (und immer umkämpften und zu verteidigenden) "Freiheiten", die das bürgerliche System kommunistischen Organisationen einräumt, sind aber immer nur die eine Seite der Medaille - die zweite ist der Zustand innerhalb der Organisationen. Eine nur noch dem Namen nach kommunistische Partei (und das meine ich hier ganz allgemein und nicht unbedingt im Bezug auf die KP Venezuelas, deren Geschichte und aktuelle Situation ich ebenfalls nicht kenne!) zu legalisieren kann eben auch durchaus systemstärkende Resultate mit sich bringen, wenn von diesen Organisationen kein revolutionärer Impuls mehr ausgeht.

Ich denke, das man diese Frage sehr im Kontext zur Situation der gesellschaftlichen Prozesse, also dem Stand der Klassenkämpfe, und auch zur (daraus resultierenden) Situation innerhalb der Bewegung sehen muss. Eine Legalisierung, die einer verbotenen KP von der Bourgeoisie geschenkt wird, ist ein schlechtes Zeichen. Eine Legalisierung, die gesellschaftlich erkämpft und gegen den Widerstand der herrschenden Klasse durchgedrückt wird, signalisiert einen Fortschritt im Klassenkampf - und wenn, wie in dieser Frage, auf bürgerlich-demokratischer Ebene, also der bürgerlichen Illusion der Meinungs- und Organisationsfreiheit. Denn mit einer konstituierten, "legal" operierenden revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse wird der grundlegende Widerspruch des Kapitalismus zugespitzt und kommt damit seiner Lösung näher.


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