Vom 14.-19. Januar fand der 11. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams in Hanoi statt. Zirka 1 400 Abgeordnete trafen sich zu den 8-tägigen Diskussionen und Wahlen. Sie vertraten 3,6 Millionen Mitglieder. Knapp 90 Millionen Menschen leben derzeit in Vietnam, 60 % von ihnen sind jünger als 35 Jahre.
In der Abschlusserklärung vom 19. Januar nimmt der Parteitag eine Standortbestimmung des Landes und der Partei vor und berichtet über Erfolge und nicht erreichte Ziele der letzten Parteitagsperiode, die 2006 begonnen hatte. Der zweite wesentliche Teil der Abschlussresolution befasst sich mit den Herausforderungen, die Vietnam in den nächsten 10 Jahren zu bewältigen hat. Neben den Neuwahlen der Parteigremien befasste sich der Parteitag außerdem mit den Statuten, die in wichtigen Punkten erneuert wurden. Der folgende Beitrag gibt Einschätzungen aus der Abschlussresolution und Ausschnitte aus der Parteitagsdiskussion wieder, die in der Online-Ausgabe Zeitung der KP Vietnam publiziert wurden.
Regierung und Partei blicken angesichts der schwierigen weltpolitischen Bedingungen selbstbewusst auf die Erfolge in der Wirtschaft zurück. "Es ging um einen rationellen Umgang mit den komplizierten ökonomischen Entwicklungen, sowohl im weltweiten als auch im nationalen Rahmen. Es ging um den Erhalt der makroökonomischen Stabilität sowie um den Erhalt des Wachstums in vielen Sektoren und die Entwicklung und Ausdehnung der Wirtschaft Vietnams. Der Lebensstandard der Bevölkerung hat sich verbessert und die gesellschaftlich stabile Lage blieb erhalten. Die nationale Verteidigung und die Sicherheit des Landes wurden gestärkt. Die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität blieben unverändert. Demokratie und die nationale Einheit wurden voran gebracht und die Arbeit der Partei sowie des politischen Systems haben sich positiv entwickelt". Die außenpolitischen Aktivitäten wurden ausgebaut. Das Ansehen des Landes hat sich verbessert. In den letzten beiden Anmerkungen spiegeln sich unter anderem die Aufnahme Vietnams in die WTO (2007) sowie den UNO Sicherheitsrat (2008-2009) oder auch die Ausrichtung der Gipfelkonferenz der ASEAN-Staaten im April 2010.
Zu den Erfolgen, auf die das Land besonders stolz ist, gehört die wirtschaftliche Entwicklung: Vo Hong Phuc, Mitglied des Zentralkomitees und Delegierter aus der Provinz Thanh Hao, wies in seinem Diskussionsbeitrag auf die Verbesserungen in der Leistung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hin. Er erklärte, das Land habe sich aus Armut und Unterentwicklung befreit. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei um 7,26 % pro Jahr gewachsen und habe damit die geplanten Ziele erreiht. Das BIP 2010 liege bei 102 Milliarden US-Dollar und das Pro-Kopf-Einkommen bei 1 160 US Dollar. Die Makroökonomie sei stabil und wichtige Investitionen in der Infrastruktur seien getätigt worden. Der Abgeordnete verfällt allerdings nicht in Euphorie, sondern weist sehr nüchtern auf die bestehenden Schwächen der Wirtschaft hin: "Die Qualität, die Produktivität und die Effizienz und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist allerdings noch gering und die Leistungsbilanzen sind unausgewogen. In den Export gelangen in erster Linie Rohmaterialien und manuell gefertigte Fertigprodukte. Die Produktion ist im Vergleich zu den vergleichbaren Volkswirtschaften in der Region deutlich geringer. Auch die Infrastruktur hat sich nur langsam verbessert und ist von schlechter Qualität." Noch klarer werden die Schwierigkeiten in der Abschlussresolution benannt: "Schwächen und Unzulänglichkeiten bestehen auf den Bereichen Bildung, Berufliche Qualifikationen, Wissenschaft und Technik, im Umweltschutz. Bürokratie, Korruption, Verschwendung von Rohstoffen, Energie, und anderen Ressourcen seien noch nicht überwunden. Probleme gebe es auch auf der sozialen Ebene der Gesellschaft; Kriminalität, soziales und moralisches Fehlverhalten (dazu zählen z. B. Gier, Egoismus) und ein unangemessener Lebensstil und im Auseinanderklaffen von Arm und Reich." Vor allem dem letzten Punkt müsse die Partei zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken. Vor allem in den ländlichen Räumen und den Gebieten der ethnischen Minderheiten müsse für eine Verbesserung der materiellen und geistigen Lebensbedingungen gesorgt werden.
Als Hauptaufgabe sieht die KP VN die Entwicklung des Landes zu einem Industriestaat durch die konsequente Fortführung des Erneuerungsprozesses Doi Moi, der bereits 1986 vom 6. Parteitag eingeleitet wurde. "Das Land dürfe nicht nur Rohmaterialien und Naturressourcen (Öl, Bauxit, Kohle und Lebensmittel) auf den Weltmarkt bringen sowie Produkte geringer Qualität oder Produkte, die im Auftrag internationaler Konzerne gefertigt werden (z. B. Schuhe und Kleidung). Das Land müsse vielmehr hochwertige Produkte selbst entwickeln und herstellen. Für die sozioökonomische Entwicklung wird die Latte für die nächsten 10 Jahre sehr hoch gelegt. Das globale Wirtschaftswachstum der Nationalökonomie soll bei 7-7,5 % für die Jahre 2011-2015 liegen. In der Bauwirtschaft und der Industrie wird ein Wachstum von 7,8-8 % angestrebt. Auch die Landwirtschaft soll um 2,5 bis 3 % wachsen und dann bei ca. 18 % des BIP liegen. Jeweils 41 % sollen durch die Industrie und Dienstleistungen erbracht werden. In diesem Zeitraum sollen bis zu 8 Millionen neue Jobs entstehen. Die (derzeit noch sehr niedrigen, d. A.) Einkommen in der Landwirtschaft sollen sich nahezu verdoppeln. Das Pro-Kopf-Einkommen soll von heute ca. 1 160 US Dollar auf 2 000 US Dollar steigen. Die Zahl der Armen soll jährlich um 2 % reduziert werden." Auf vielen gesellschaftspolitischen Ebenen fordert die KP VN radikale Veränderungen und Entwicklungsschritte, darunter:
eine schnelle Verbesserung des Bildungsstandes der Nation, um die Industrialisierung sowie die Aufgaben in der Welt bewältigen zu können.
den Aus- und Aufbau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur, um den wachsenden Verkehr bewältigen zu können
die Schaffung eines angemessenen Gehaltssystems, um die aktuell bestehenden Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung von Beschäftigten in öffentlichen Institutionen, von Arbeitern und Angestellten zu überwinden.
die Beseitigung gravierender sozialer Missstände
die Verstärkung des Kampfes gegen die Korruption und soziales Fehlverhalten
Als neuen Generalsekretär wählte der Parteitag Nguyen Phu Trong. Der 67 Jahre alte Literaturwissenschaftler löste den 71-jährigen Nong Duc Manh ab, der die Partei 10 Jahre lang geführt hatte und aus Altersgründen nicht mehr kandidiert hatte.
Mit großer Mehrheit sprachen sich die Parteitagsdelegierten dafür aus, dass Ministerpräsident Nguyen Tan Dung für eine zweite Amtszeit kandidiert. Gewählt werden muss er allerdings im Parlament. Auch mehrere Mitglieder des Politbüros schieden aus Altersgründen aus. Dem 14-köpfigen Gremien gehört eine Frau an.
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@Rainer: Von Vietnam kompakt: "Den derzeit wohl augenfälligsten Konfliktstoff zwischen Vietnam und China stellen die gegensätzlichen Gebietsansprüche in der südchinesischen See dar, für die trotz mehrjähriger Verhandlungsrunden keine Annäherung der Standpunkte erzielt werden konnte. In der äußerst schwierigen Frage der Grenzziehung ist man durch die Unterzeichnung eines Abkommens über die Landgrenze und die Grenzziehung im Golf von Tongking ein wichtiges Stück vorangekommen. Ein Übereinkommen über die weiterhin umstrittenen Paracel- und Spratly-lnseln ist allerdings in naher Zukunft nicht zu erwarten. Trotz der gemeinsamen Erklärung über einen Verhaltenskodex in der südchinesischen See kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen über die Ausbeutung von Bodenschätzen und sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen Todesopfer zu beklagen sind."
Kommentar zum Artikel von Rainer:
Mittwoch, 02.03.2011 - 20:36
@IvanDrago :
Ich dachte, auch die territorialen -Streitfragen wären mittlerweile geklärt ?
Kommentar zum Artikel von IvanDrago:
Montag, 28.02.2011 - 20:47
"Die konkreten Bedingungen und das historisch gewachsene Verhältnis Vietnam-China kann nicht ohne die Verwerfungen ,die die ganze Weltbewegung erschüttert haben, analysiert werden. " Klar, schade ist es trotzdem.Die teritorrialen Ansprueche zwischen den laendern scheinen aber ja dennoch nicht vollstaendig geklaert zu sein (Die Inseln im Suedchinesischen Meer, mit bis heute teilweise bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden laendern).
Kommentar zum Artikel von secarts:
Sonntag, 27.02.2011 - 14:41
"Schon irgendwie schade das die beiden maechtigsten verbleibenden Laender auf dem Weg zum Sozialismus sich auch noch gegenseitig zerfleischen muessen. "
Das Verhältnis VR China - SR Vietnam ist spätestens seit Beginn der 2000er weitgehend geklärt. Die beiden Parteien KPCh und KPV arbeiten unterdessen auch (wieder) bilateral politisch zusammen. Die geschichtlichen Widersprüche wirken natürlich noch nach, aber die Zeit der Spaltung der Weltbewegung ist tatsächlich vorbei. Eine Form der internationalen Zusammenarbeit, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insb. von der UdSSR ausgehend gepflegt wurde, oder gar ein Bündnissystem wie zwischen den sozialistischen Staaten Europas existiert allerdings nicht mehr - dieser Maßstab wäre allerdings auch etwas abstrakt angelegt. Die konkreten Bedingungen und das historisch gewachsene Verhältnis Vietnam-China kann nicht ohne die Verwerfungen ,die die ganze Weltbewegung erschüttert haben, analysiert werden.
Kommentar zum Artikel von IvanDrago:
Freitag, 25.02.2011 - 20:56
Ok, danke fuer die Links. Schon irgendwie schade das die beiden maechtigsten verbleibenden Laender auf dem Weg zum Sozialismus sich auch noch gegenseitig zerfleischen muessen.
Bei Vietnam-kompakt gibt es eine ganz gute Übersicht. In der 6teiligen Serie werden die Gegenwartsbeziehungen im (hier verlinkten) Teil 4 behandelt (einfach auf Teil 5 und 6 weiterklicken), in den Teilen 1 bis 3 die Geschichte
@Retmarut: Hm... Das die Konflikte ofiziell beigelegt sind sagt noch nichts aus ueber die tatsaechlichen Beziehungen bzw. die evtl Zusammenarbeit...
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Dienstag, 22.02.2011 - 23:09
@ Ivan Drago: "Kann jemand sagen wie mittlerweile das Verhaeltniss Vietnams zu China ist? Gibt es wirtschafltiche/militaerische Zusammenarbeit oder herrscht da noch Winter?"
Wikipedia meint dazu:
Seit 2001 ist der Konflikt zwischen China und Vietnam beigelegt. Nachdem Ende 1999 schon die gemeinsame territoriale Grenze in einem Vertrag der beiden Konfliktpartner festgelegt wurde, fand am 25. Dezember 2000 die Unterzeichnung der Demarkation der Seegrenze und der Fischereirechte im Tonkin-Golf zwischen dem vietnamesischen Präsidenten Tran Duc Loung und dem chinesischen Präsidenten Jiang Zemin statt. Diesem Vertragsschluss ging ein vorbereitendes Treffen der Premierminister am 25. September 2000 voraus. Somit sind alle bilateralen Streitigkeiten um regionale Macht vertraglich beigelegt worden. Lediglich in dem unabhängig existierenden Konflikt um die Spratly- und Paracel-Inseln stehen sich die beiden Länder zusammen mit Brunei, Malaysia, Taiwan und den Philippinen noch konflikthaft gegenüber.
Bei CathrinKa gibt es einen Haufen Informationen zu allem Möglichen in Vietnam. Cathrin studiert in Hanoi Geschichte, hat die vietnamesische Staatsbürgerschaft beantragt und kann Angelesenes mit eigenem Erleben abgleichen - ein Berg von Infos:
http://cathrinka.blog.de/
Kommentar zum Artikel von IvanDrago:
Dienstag, 22.02.2011 - 21:47
Hm... ok das mit den Zahlenverhaeltnissen mag stimmen, aber weiss den jemand wie es um die Gewerkschaften (die mit soz. Ansruechen versteht sich) und sozialistische Massenorganisationen steht?
"Die Reform(en) in Vietnam begann nicht nur vor der chinesischen, sie ging bisher auch deutlich weiter" Eben genau das habe ich naemlich auch gelesen, allerdings nichts genaueres, deswegen meine Skepsis. @Sec.: Und die Armee steht fest hinter der Partei bzw dem M-L.?
Kann jemand sagen wie mittlerweile das Verhaeltniss Vietnams zu China ist? Gibt es wirtschafltiche/militaerische Zusammenarbeit oder herrscht da noch Winter?