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Von Alex

Unser nächstes Thema ist die Differenz der Löhne von Männern und Frauen, und gleich der erste Absatz ist eine tolle Ergänzung in jeder Tautologiensammlung: "Warum verdienen Frauen weniger als Männer? Weil ihre Arbeit am Arbeitsmarkt weniger wert ist." Und warum ist ihre Arbeit am Arbeitsmarkt weniger wert? Na, weil Männer mehr verdienen als Frauen!

Teil II


Wir können allerdings davon ausgehen, dass es, entgegen der FAZ-Argumentation, "am Ende" (welches Ende?) keine "Frage der Wertschätzung" ist, sondern tatsächlich irgendwelche ökonomischen Hintergründe haben könnte.
Hintergründe werden nun erstmal in den Hintergrund gerückt, denn schon erscheint die nächste Grafik, die mangels vergleichbarer Angaben zum allgemeinen Lohnniveau der einzelnen europäischen Länder, zur Verteilung der Gehälter in den gesellschaftlichen Klassen etc. absolut nix aussagt, außer, dass Frauen weniger verdienen als Männer - Quo errat Demonstrator. (Wo der Beweisende irrt.) Wir könnten genausogut in die Grafik hineininterpretieren, dass eine, zahlenmäßig vernachlässigbare, Handvoll sämtlichst männlicher Managertypen oder sonstiger Superverdiener erstaunlich viel Kohle verdienen und somit das Durchschnittseinkommen der Männer viel zu stark nach oben ablenken, woraus dann folgen kann, dass Frauen sogar tendenziell mehr verdienen als ihre männlichen Konkurrenten, welche zumindest gerade keine Manager sind.

Jetzt endlich gibt uns der Text einen bunten Strauß Erklärungen für das Lohnproblem der Frauen in die Hand, und zwar erstens, dass Männer mehrheitlich über Frauenkarrieren entscheiden. Das setzt allerdings stillschweigend voraus, dass Männer ein Interesse haben, die Frauen niedriger zu bezahlen als Geschlechtsgenossen, und wo das herkommen soll bleibt noch immer offen. Da werden dann Vorurteile und uralte Rollenmuster vorgeschoben...uralte Rollenmuster? Wie alt genau? Im alten Rom wurden die Frauen oft als Haussklavinnen gehalten, die meisten als Mätressen zusätzlich zu einer "Hauptfrau". Wurden diese jetzt niedriger bezahlt als andere Sklaven? 0 - 0 = 0? Wir sind immernoch nicht schlauer.

Zweiter Erklärversuch: Frauen kriegen weniger Geld, weil sie ja Familienpausen einlegen. Denn: "Berufserfahrung in Form einer kontinuierlichen Vollzeiterwerbstätigkeit wird belohnt. Bezahlt wird nach Seniorität - unabhängig von Leistung und Leistungsfähigkeit." Dass irgendein Kapitalist unabhängig von deren Leistung irgendwelche Greise einstellt, dürfte zu den eher seltenen Ereignissen unserer Welt gehören. Und es gibt Frauen die auf Familie etc. völlig verzichten und lange Jahre durchackern, trotzdem werden auch viele von ihnen weniger als männliche Kollegen bekommen.

Ökonomie-Ratespiel, Frage "Frauenlöhne", dritter Versuch: Frauen sind traditionell schlechter ausgebildet. Da kommen wir endlich auf eine historische Ursache! Könnte das ein lohnender Ansatz sein? Vorerst nicht, wir werden abgespeist mit der dünnen Phrase, dass in den Siebzigern Mädchen schlechtere Schulbildung bekamen als Jungs und das bis heute auf Erwerbsstatistiken einwirkt.
Schließlich: Der Arbeitsmarkt ist "segmentiert", es gibt "Männer- und Frauenberufe", von denen letztere natürlich schlechter bezahlt werden, und denen nicht einmal Aufstiegschancen gegönnt werden. Aber warum "natürlich" schlechter bezahlt?

Und hier wird's reaktionär: Bismarck höchstpersönlich steigt aus den stickigen Urnebeln preußisch-deutscher Geschichte hervor und wird sogleich verantwortlich gemacht, nicht etwa für die vielen Kriege in und um Deutschland, oder für die brutale Verfolgung von Sozialdemokraten, nein, für die böse geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, für ein duales Ausbildungssystem, das nur für Jungs geschaffen wurde, während Mädchen in Vollzeitschulen hauswirtschaftliche Tätigkeiten lernen mussten! Und "natürlich" dachte wieder keiner daran, dass die Frauen sich eventuell auch für das Berufsleben interessieren könnten.
Ein kurzer Blick ins British Empire hätte unseren Bismarckfanatikern gezeigt, dass dort schon die ganze industrielle Revolution hindurch auch Frauen, und in einigen Bereichen bevorzugt Frauen, eingestellt wurden.
Von Bismarck zurück in das funkelnde, prunkige, "goldene Zeitalter der Normalfamilie", in das frisch verbombte Deutschland direkt nach dem letzten Weltkrieg, wo, "ganz normal", der Mann einen auf Ernährer machte und die Frau die Organisation seiner Erben und seines Erbguts besorgte. Einmal diesen Normalzustand konstatiert, ist es ganz klar, dass, wenn sich eine Ausreißerfrau findet, die sich tatsächlich in den Arbeitsmarkt eingeschlichen hat, sie sofort als Rabenmutter beschimpft wird, ungeachtet der Tatsache, ob sie überhaupt Kinder hat.
Zum Abschluss wird noch eine Realitätsverbiegung dahingezimmert, die außerhalb von FAZ.net Ihresgleichen lange wird suchen müssen. Durch die vielzitierte demographische Entwicklung befinden wir uns plötzlich in einer "schrumpfenden Gesellschaft" (quantitativ oder qualitativ, liebe FAZ?), und da wird "natürlich" das Humankapital knapp. Also werden Frauen gebraucht. Dann verdienen die endlich mal mehr. Problem "natürlich" gelöst!

Dass das "Humankapital" knapp wird könnten allerdings die Millionen von Arbeitslosen berechtigterweise infragestellen, aber bestimmt sind auch unter jenen die Art Frauen dabei, die dann, "natürlich", gebraucht werden.
Soviel von der FAZ, so wenig zum Thema. Was angerissen wurde waren die traditionellen gesellschaftlichen Rollenverhältnisse, wo diese herkommen blieb leider unbeachtet. Laut Marx bestimmt aber das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein, und während ersteres ziemlich flexibel ist und sich munter fortentwickelt, kann letzteres mitunter eine lange Zeit beanspruchen sich ersterem anzupassen. Dass heutzutage die Frau zuhause bleibt und Kinder großzieht, während der Mann das Geld verdient, ist längst nicht mehr Usus. Es kann genausogut umgekehrt laufen, es können Kindermädchen engagiert werden, und es soll sogar alleinerziehende Mütter geben, ganz ohne männlichen "Ernährer". Es gab aber früher, ganz früher, offensichtlich (Ur-)Gesellschaften, in denen das nicht möglich war. Der technische Stand zwang die Männer dazu, ihre höhere körperliche Kraft und Ausdauer für die Jagd, auf den Ackern und bei sonstiger schwerer Arbeit, die meist der Nahrungsbeschaffung gewidmet war, zu verausgaben. Die Frauen besorgten den großen Teil des gesellschaftlichen Lebens (mal von Kriegen abgesehen), und waren anfangs dadurch den Männern gesellschaftlich gleichgestellt, wenn nicht sogar höhergestellt. Aller Besitz und alle Produkte wurden geteilt, und eben deshalb verteilt; es herrschte Gemeineigentum, bei dem der einzelne anfangs höchstens ein Vorrecht an der Benutzung derjenigen Werkzeuge und Arbeitsmittel besaß, mit Hilfe derer er die Gesellschaft bereicherte. Es war natürliche Arbeitsteilung; die Männer waren dank ihrer physischen Stärke Ernährer, mehr nicht, und besorgten Feldarbeit und Viehzucht, während die Frauen einen guten Teil der politischen Macht innehatten und schließlich auch für den rein zahlenmäßigen Fortbestand der Gesellschaft sorgten. Jedes von beiden war Herr (oder eben Herrin) über seinen Bereich.

Das änderte sich nach und nach hauptsächlich durch den starken Wuchs von Viehbestand; diesen verwaltete der Mann, der Ernährer, da es auch zu seinen Arbeitsgegenständen gehörte. Je mehr Vieh ein Mann besaß, desto mehr Mitglieder des Stammes konnte er damit ernähren. Dieser Mann war fortan nicht mehr nur Ernährer seiner Frau und ihrer Kinder, sondern in immer zunehmendem Maß auch der anderen Gesellschaftsmitglieder, und bekam dadurch auch immer mehr politische Macht. So wuchs der Einfluss einzelner Männer innerhalb der Gesellschaft, und langfristig betrachtet gab diese Entwicklung irgendwann den Anstoß, der das Gleichgewicht der Geschlechter zum Kippen brachte.
Die Frau verlor also ihre politische Macht, der Mann packte zu und nahm sie an sich, und mit dem wachsenden materiellen Fortschritt wurde die Frau schon bald in ihrem bisherigen Gebiet, der Haushaltung, regelrecht eingepfercht und die gesamte Verwaltung nun gesellschaftlich relevant gewordener Produkte, der Waren, und damit auch die politische und ökonomische Macht, vom Mann übernommen.

Dieser Zustand hielt lange, sehr lange an, denn die Arbeitskraft der Frau, die bisher traditionell auf Kindererziehung und hauswirtschaftliche Tätigkeiten zugeschnitten war, wurde sonst in der Gesellschaft nicht weiter verlangt. Das politische Leben eigneten sich die Männer über die Verteilung des mittlerweile komplett privaten Eigentums an, das ihre, in der Regel unterjochten, Geschlechtsgenossen in Werkstätten, auf Feldern, in Bergwerken oder sonstwo produzierten, und versuchten es nach Möglichkeit zu vermehren und zu konzentrieren. Lange Zeit reichte der gesellschaftliche Vorrat an Arbeitskräften, und damit auch die bisherige Weise der Arbeitsteilung, bis die ökonomische Entwicklung mit dem rasanten Aufstieg des Kapitals als gesellschaftlich dominierender Macht die Frauen wieder aus den Küchen holte - um sie in stickige Fabriken oder düstere Bergwerke in England zu stecken. Aber wie auch immer, der Heißhunger des Kapitals nach frischer Arbeitskraft konnte von Männern allein nicht gedeckt werden, ja selbst die Kinder reichten schon nicht mehr aus; die Frauen wurden binnen kürzester Zeit zu notwendigen Arbeitskräften und begannen, sehr allmählich und der ökonomischen Entwicklung weit hinterherhinkend, sich auch politisch zu emanzipieren. Und nicht nur in England, auch in den anderen Ländern war es sehr bald vorbei mit der kleinbäuerlichen Hauswirtschaft, die die ganzen kleinen Dinge des Lebens herstellte; Industrieprodukte, in rauhen Massen, zu Spottpreisen, und anfangs selbstverständlich aus England, machten große Teile der Hausarbeit wesentlich einfacher oder gar ganz überflüssig. Die Frau wurde sozusagen zuhause arbeitslos und musste so Arbeit in der Gesellschaft finden; eine Entwicklung, die sich derzeit abzeichnet und wo geringere Löhne für Frauen, "Frauenberufe" und Bildungsdefizite zu den letzten Resten ihrer gesellschaftlichen Unmündigkeit gehören und schon bald verschwinden müssen.


der nächste Artikel der elfteiligen Serie "Verklär' mir die Welt - von Dummies für Dummies: die FAZ erklärt die Wirtschaft" erscheint am Dienstag, den 05.09.2006, auf www.secarts.org.


 
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  Kommentar zum Artikel von oesi:
Sonntag, 03.09.2006 - 16:06

Ich finde diesen Artikel wirklich bemerkenswert (und bemerkenswert gut geschrieben)!
Gratulation dem Verfasser!
[Die FAZ (die ich zwar nicht oft lese) könnte noch viel lernen; - vielleicht sollte man die mal verlinken mit Link ...jetzt anmelden!!]