Wenn ich die Linie des deutschen Imperialismus in der unmittelbaren Syrien-Krise analysieren will, so stelle ich fest, dass es sich um zwei Linien handelt. Fest mache ich dies vor allem an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einem Thinktank des deutschen Imperialismus. Aus diesem Haus stammen zwei Studien von Anfang März zum Umgang mit der Syrien-Krise. Die eine Studie aus dem Nahost-Experten-Team der Stiftung riet zur Vermeidung einer Gewalteskalation und einer ausländischen, letztendlich deutschen, Intervention. Hiernach stehe eine große Mehrheit des Sicherheitsapparats Syriens hinter dem Präsidenten, die Freie Syrische Armee bilde trotz ihres Wachstums keine ernstzunehmende Bedrohung für das Regime. Die weiteren Entwicklungen dürften in einen ethnischen Bürgerkrieg münden. Die weitere Militarisierung des Aufstandes wird die Kräfteverhältnis vor Ort nicht wesentlich verändern, sondern die Anzahl der zivilen Opfer steigen lassen. Deutschland solle die Isolation des Regimes, auch im Inland, betreiben. Auf der anderen Seite der deutschen Strategen stehen, auch aus dem Haus der SWP, die Experten für Sicherheitspolitik. Diese sind Anhänger einer ausländischen Intervention, letztendlich mit deutscher Beteiligung. Nach dieser Forschungsgruppe sei eine militärische Intervention in Syrien kein Versagen der Politik, sondern elementarer Bestandteil der Politik. Bei der Beurteilung der UNO zu den Ereignissen in Syrien, es handle sich um „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, ergebe sich auch ohne UN-Mandat eine Möglichkeit für eine militärische Intervention. Die Stimmung in den imperialistischen Staaten sei zwar „einsatzmüde“, aber die allgemeine Position für eine „berechtigte“ Intervention sei vorhanden. In der Studie werden Kriegsszenarios vorgestellt. In demselben Artikel von German Foreign Policyi wird ein Herr Voigt (SPD), ehemaliger Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, zitiert. Herr Voigt sagt, es handle sich in Syrien nicht um „Menschenrechte versus Diktator“ und man müsse das ganze aus „machtpolitischem Blickwinkel“ betrachten. In ähnlicher Manier argumentierte Hans-Christof Kraus in der FAZ vor wenigen Tagen. Er wisse, dass es nicht darum geht der „bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen“, sondern um „geostrategische Erwägungen“ und „Machtpolitik“. Zur Debatte in Deutschland sagte er: „Vor allem in Deutschland scheint die Unkenntnis, mit der diese Auseinandersetzung derzeit diskutiert wird, grenzenlos zu sein.“
Weitere Belege für Differenzen innerhalb der deutschen Bourgeoisie sind die mediale Berichterstattung. Während die allgemeine Linie vom Zeigen bewegender Bilder von massakrierten Kindern und Zivilisten bestimmt wird, um das deutsche Volk und die fortschrittlichen Kräfte zu verblenden, gibt es hiervon immer wieder Ausnahmen. Wer genau die Berichterstattung in der FAZ zum Massaker in Al-Hula verfolgte, wo letztendlich das syrische Regime von dem Massaker freigesprochen und den Rebellen zugeschoben wurde, der wird vom Vorhandensein einer zweiten Linie innerhalb der deutschen Bourgeoisie überzeugt sein. Weitere Beispiele sind der Spiegel, wo über mordende FSA Einheiten in Homs berichtet wird, oder die Berichte der Frankfurter Rundschau zum Vorfall mit den türkischen Militärflugzeugen und über die Begrüßung der Journalisten in den „befreiten“ Grenzübergängen durch die Al-Qaida Maghreb. Oder selbst die in der ARD entdeckten manipulierten Videos aus Homs.
Kurz, die deutsche Bourgeoisie ist gespalten in Bezug auf einen möglichen Krieg gegen Syrien bzw. sie ist differenzierter. Es handelt sich um zwei ergänzende Strategien. Das mag die deutsche scheinbare, relative Zurückhaltung in Sachen Syrien begründen, wenn man dies mit den Kriegsgebärden durch Sarkozy und seinem „sozialistischen“ Nachfolger Hollande vergleicht, ebenfalls die verbale Bereitschaft Großbritanniens und der USA zu einer militärischen Intervention in Syrien und deren offenkundige Unterstützung der offiziellen syrischen Opposition.
Die deutsche Bourgeoisie mag in Sachen einer militärischen Intervention in Syrien etwas differenzierter sein, sie ist aber nicht handlungsunfähig oder ein Friedensengel. Sie stimmt mit den anderen westlichen Imperialisten, in der Zielsetzung das syrische Regime zu stürzen, aus den verschiedensten Gründen überein.
In der Frage der Syrien-Krise geht es dem deutschen Imperialismus in (zumindest formaler) Übereinstimmung mit den anderen Imperialisten um Kriegsvorbereitungen gegen den Iran, die Umzinglung der sozialistischen Volksrepublik China und der Russischen Föderation. Es geht ebenfalls in Übereinstimmung mit den anderen imperialistischen Staaten um die Ausplünderung der syrischen Märkte. Das klingt erst mal allgemein und das ist es auch, denn in den Details liegen die Differenzen zwischen dem deutschen Imperialismus und den anderen imperialistischen Staaten. In der Frage der Kriegsvorbereitung gegen den Iran steht die deutsche Bourgeoisie unentschlossen da. Zum einen machen einige deutsche Monopole wie Siemens und Co. gute Geschäfte mit dem Mullah-Regime in Teheran, zum anderen sind andere Monopole doch an dem Sturz des iranischen Regimes interessiert, ebenfalls aus ökonomischen Interessen. Die Umzinglung Chinas verläuft bei den deutschen Strategen anders als die der USA. Hier gilt es, lokale Gegenkräfte zu China aufzubauen, sie in Stellung gegen die Volksrepublik zu bringen und nicht selber aktiv zu werden. Zu Russland verhält sich die deutsche Bourgeoisie ebenfalls gespalten. Einige sehen in Russland eine mögliche strategische Alternative zu Frankreich gegen die USA und einen Lieferanten von billigen Energieträgern. Die Ausplünderung des syrischen Marktes verläuft am besten ohne imperialistische Konkurrenz. Das mag auch die Begründung sein, warum der deutsche Imperialismus nicht offen aggressiv auftritt und in völliger Übereinstimmung mit den anderen imperialistischen Staaten mitmacht.
Der Autor Toto Lyna ist DKP-Mitglied und deutscher Kommunist mit syrischer Herkunft. Fortsetzung folgt!