TRIPOLIS/BERLIN (25.02.2011) - Deutsche Kriegsschiffe nehmen Kurs auf die libysche Küste. Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es einen Einsatzgruppenversorger und zwei Fregatten vor das im Bürgerkrieg versinkende Land entsandt. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger. Tatsächlich ist die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe vor Libyen Teil einer anschwellenden westlichen Marinepräsenz, die für unterschiedliche militärische Maßnahmen genutzt werden kann. Im Gespräch ist die Einrichtung einer Flugverbotszone, um die libysche Luftwaffe, soweit sie noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, auszuschalten und den Gegnern des Regimes damit unter die Arme zu greifen. Auch weitergehende Operationen werden nicht ausgeschlossen. Die deutschen Kriegsschiffe bilden eine militärisch recht flexible Basis für die unterschiedlichsten Einsatzszenarien; Washington zieht zusätzlich eine Entsendung von US-Flugzeugträgern in Betracht. Aus deutscher Sicht steht in Libyen viel auf dem Spiel: Das Land ist seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik; deutsche Konzerne haben Milliardensummen dort investiert. Zudem fällt mit dem al Gaddafi-Regime ein zentraler Partner Berlins bei der Abschottung der EU gegen Armutsflüchtlinge.
Truppen vor OrtWie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es bereits am Mittwoch mehrere Kriegsschiffe nach Libyen entsandt. Der Einsatzgruppenversorger "Berlin" sowie die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", die am 15. Februar Wilhelmshaven zu einer regulären Ausbildungsfahrt Richtung Mittelmeer verließen, befinden sich inzwischen auf dem Weg vor die libysche Küste. An Bord sind rund 600 Soldaten. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Libyen. Bislang steht dafür ein Hubschrauber - Typ: Sea King - bereit, ein zweiter soll in Kürze eintreffen. Bereits zuvor hatte die deutsche Luftwaffe zwei Transall-Maschinen in das im Bürgerkrieg versinkende Land geschickt, die einige hundert Deutsche ausflogen. Laut Berichten wurde die Evakuierung von bewaffneten Sondereinheiten der Bundeswehr, möglicherweise dem Kommando Spezialkräfte (KSK), begleitet.
1 Die Luftwaffe steht weiterhin auf Malta bereit. Wie Beobachter mitteilen, operieren im Mittelmeer im NATO-Rahmen gegenwärtig auch die Fregatte "Lübeck", das Minenjagdboot "Datteln" und das Aufklärungsschiff "Oker". Alle drei Schiffe können bei Bedarf zur Verstärkung herangezogen werden.
Militäreinsatz: "Möglich"Unter dem Vorwand, jeweils die eigenen Staatsbürger evakuieren zu wollen, ziehen tatsächlich mehrere europäische Staaten Kriegsschiffe vor der libyschen Küste zusammen. Italien hat einen Zerstörer und zwei Landungsschiffe geschickt, Großbritannien und Griechenland je eine Fregatte. Großbritannien zieht außerdem die Entsendung von Flugzeugen der Royal Air Force in Betracht. Die Türkei führt ihre Evakuierung mit zivilen Fähren durch, lässt diese jedoch von drei Fregatten begleiten. Möglicherweise stoßen auch US-Flugzeugträger hinzu. Sogar Indien will sich mit zwei Kriegsschiffen am Marineeinsatz vor Libyen beteiligen. Während der NATO-Generalsekretär gestern erklärt hat, das westliche Kriegsbündnis plane gegenwärtig keine Intervention, werden in der EU militärische Aktivitäten nicht ausgeschlossen. Ein Militäreinsatz sei tatsächlich "eine der Möglichkeiten", die in Frage kämen, heißt es beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD).
2KriegsoptionenFür eine mögliche Militärintervention liegen inzwischen mehrere Optionen vor. Eine besteht darin, eine Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Damit ließe sich die Luftwaffe des Landes, soweit sie überhaupt noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, ausschalten; dadurch wiederum wären die Gegner des zerfallenden Regimes von einem militärisch gravierenden Nachteil befreit. Günstig für den Westen wäre dabei, dass die eigenen militärischen Kapazitäten nicht allzusehr beansprucht würden - schließlich sind sie in Afghanistan und an den anderen aktuellen Kriegsschauplätzen recht stark gebunden. In deutschen Leitmedien wird inzwischen ein umfassender Kampfeinsatz in Libyen gefordert; als Beispiel gilt etwa die Intervention in Somalia 1992, die von den Vereinten Nationen beschlossen wurde - und scheiterte.
3 Erwogen wird nicht zuletzt, das ägyptische - und womöglich auch das tunesische - Militär in Libyen einmarschieren zu lassen, um westliche Bodentruppen nicht zu verheizen. In der Tat finden sich zumindest in der ägyptischen Demokratiebewegung eine Reihe von Befürwortern dieses Konzepts, das darüber hinaus geeignet wäre, die Position des ägyptischen Militärs zu stärken
4 - und damit zugleich das Entgleiten der westlichen Kontrolle über Ägypten zu verhindern.
Flexible Basis SeeMit den drei Schiffen der Kriegsmarine, die Berlin jetzt vor die libysche Küste entsendet, verfügt die Bundesregierung über eine flexible militärische Ausgangsposition. Zu den Kriegsstrategien, die in den Zukunftsplänen der Bundeswehr einen deutlichen Schwerpunkt bilden, gehören seegestützte Operationen gegen Ziele an Land. Kern der dafür vorgesehenen Einsatzverbände sind die sogenannten Einsatzgruppenversorger, schwimmende Versorgungsplattformen, die den Nachschub für die kämpfenden Einheiten stellen.
5 Um sie herum gruppieren sich etwa Fregatten, die für den Beschuss der Landziele zuständig sind; zudem können von den maritimen Einsatzgruppen jederzeit Spezialkräfte zu Kommandoaktionen starten. Die "Basis See" hat dabei den Vorteil, nicht so leicht angreifbar zu sein wie Militärstützpunkte auf dem Land. Letztlich ziele das Konzept darauf ab, "die See als Basis zu nutzen, um in einem Einsatzland eine gewünschte Wirkung zu erzielen", erläuterte der damalige Marineinspekteur Wolfgang Nolting bereits 2006.
6 Die möglichen Maßnahmen reichten von "demonstrativer Präsenz und Aufklärung" über die "Unterstützung verbündeter Kräfte an Land" bis zur "direkte(n) Waffenwirkung".
Deutsche InteressenDie militärische Flexibilität ist vor allem mit Blick auf die deutschen Interessen hilfreich, die es aus Sicht Berlins in Libyen zu schützen gilt. Libyen war lange Zeit der wichtigste außereuropäische Erdöllieferant der Bundesrepublik und fiel erst im vergangenen Jahr hinter Kasachstan auf Platz zwei. Die BASF-Tochter Wintershall ist mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen. RWE verfügt über riesige Konzessionen für die Öl- und Gasförderung. All das versucht die Bundesrepublik zu sichern - während Muammar al-Gaddafi angekündigt haben soll, womöglich Erdölanlagen und Pipelines zu sprengen.
7 Zudem sind die vor der libyschen Küste eintreffenden Kriegsschiffe in ihrer Gesamtheit durchaus geeignet, Flüchtlinge von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuschrecken und damit die westeuropäischen Wohlstandszentren auch weiterhin gegen unerwünschte Migranten abzuschotten. Die Präsenz der deutschen Kriegsschiffe gilt Berlin als geeignet, eine Grundlage für die Durchsetzung deutscher Interessen zu schaffen. Weitere Schritte werden folgen.
Anmerkungen:
1 Evakuierung läuft - Länder fliegen Bürger aus; www.tagesschau.de 23.02.2011
2 EU schließt Militäreinsatz nicht aus; www.faz.net 24.02.2011
3 Wir sind den Libyern einen Militäreinsatz schuldig; www.welt.de 23.02.2011
4 s. auch Garant der Stabilität (I), Garant der Stabilität (II) und Das türkische Modell
5, 6 s. dazu Einsatzgruppen und Seekrieger (II)
7 Gaddafi's Next Move: Sabotage Oil and Sow Chaos?; www.time.com 22.02.2011