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Als erster deutscher Autokonzern zieht BMW Konsequenzen aus dem von US-Präsident Donald Trump angestoßenen Handelskrieg. Wie das Unternehmen gestern mitteilte, wird es seine Produktion in China ausbauen, um Verlusten zu entgehen, zu denen chinesische Gegenzölle gegen US-Strafzölle voraussichtlich führen. Hatte die Kfz-Firma bislang in den USA produzierte Fahrzeuge in die Volksrepublik verkauft, so wird sie künftig Lieferungen von ihren US-Standorten nach China zurückfahren und gleichzeitig ihren Standort in Shenyang in ein auch für den Export produzierendes Werk transformieren. Die Entscheidung erhöht die Bedeutung der Volksrepublik für die langfristige Planung des Konzerns; zugleich ist sie geeignet, die Bedeutung der Vereinigten Staaten zu relativieren. Bereits jetzt setzt BMW mit 25 Prozent seiner globalen Produktion mehr Kfz in China ab als in ganz Amerika (18 Prozent). Die strategisch womöglich folgenreiche Verschiebung ergibt sich aus den kaum zu durchschauenden Verwicklungen, die Trumps Handelskrieg mit sich bringt.

Die Schutzzölle der EU

Der Handelskrieg, den die Vereinigten Staaten eröffnet haben, trifft die deutsche Industrie bereits jetzt auf doppelte Weise. Zum einen sind zum 1. Juni US-Strafzölle auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium in die USA in Kraft getreten. Deutsche Hersteller machen sich dabei nicht so sehr um ihre US-Exporte Sorgen: Diese nehmen in ihrem Gesamtgeschäft keinen zentralen Stellenwert ein; zudem bestehen sie zu einem guten Teil aus Spezialstählen, die auch die US-Kunden nicht ohne weiteres ersetzen können. Deutlich größere Einbrüche drohen laut Konzernvertretern, weil Hersteller aus anderen Ländern nicht mehr in die Vereinigten Staaten liefern können, deshalb jetzt Ersatzmärkte suchen und mit ihren Waren deutschen Produzenten Konkurrenz in der EU machen. Brüssel, das ohnehin schon zahlreiche Zölle auf die Einfuhr chinesischen Stahls verhängt hat (german-foreign-policy.com berichtete1), plant nun weitere Schutzzölle, um insbesondere auch der deutschen Industrie unliebsame Konkurrenz vom Hals zu halten.

Die Paradebranche der Bundesrepublik

Vor erheblich größeren Problemen steht allerdings die deutsche Kfz-Industrie, die Paradebranche der Bundesrepublik. Im Jahr 2016 erwirtschaftete sie einen Umsatz von rund 400 Milliarden Euro; das waren rund ein Viertel des Gesamtumsatzes im produzierenden Gewerbe und 7,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Die Kfz-Industrie hat, wie es in einem Bericht heißt, "in keiner anderen Volkswirtschaft der Welt einen so großen Anteil an der heimischen Wertschöpfung wie in Deutschland".2
Deutsche Autokonzerne sind nun allerdings mehrfach betroffen - zum einen an ihren US-Standorten, zum anderen eventuell bald auch an ihren deutschen Fabriken. Ursache sind die US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium, bevorstehende chinesische Gegenzölle auf US-Produkte sowie darüber hinaus drohende US-Strafzölle auf die Einfuhr auswärtiger Kfz-Produkte. Die Verwicklungen, die sich dabei ergeben, zeigen exemplarisch die Komplexität des aktuellen Handelskriegs.

Kollateralschäden

US-Produktionsstandorte deutscher Autohersteller sehen sich zum einen mit der Tatsache konfrontiert, dass infolge der Strafzölle auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium der Stahlpreis in den Vereinigten Staaten zuletzt deutlich gestiegen ist. So lag der Preis für eine Tonne HRC-Stahl, der im Juni 2017 noch bei 589 US-Dollar gelegen hatte, Mitte Juni bei 902 US-Dollar. Andere Stahlprodukte sind ebenfalls teurer geworden. Treibt dies die Produktionskosten in die Höhe, so dürfte die zweite Runde chinesischer Gegenzölle auf US-Produkte, die Beijing wahrscheinlich in Kürze verhängen wird, deutschen Kfz-Konzernen weitaus größere Probleme bereiten: Sie sehen vor, dass die Zölle auf Autoimporte aus den USA um 25 Prozentpunkte erhöht werden. Dies trifft am stärksten die beiden größten US-Exporteure von Autos nach China: BMW und Daimler. Hätten beide laut Schätzung des Analyseunternehmens IHS unter bisherigen Bedingungen damit rechnen können, 89.000 (BMW) respektive 65.000 (Daimler) Fahrzeuge von ihren US-Standorten in die Volksrepublik zu liefern, so müssen sie nun spürbare Einbußen fürchten.

Was auf dem Spiel steht

Noch gravierendere Folgen hätten US-Strafzölle auf Kfz-Importe, wie sie US-Präsident Donald Trump zur Zeit vorbereitet. Laut Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) lieferten deutsche Konzerne im vergangenen Jahr rund 493.600 Fahrzeuge in die USA. Rechnet man Lieferungen von Kfz-Teilen hinzu, dann erreichten die deutschen Kfz-Exporte in die USA im vergangenen Jahr einen Wert von rund 28,6 Milliarden Euro. All diese Exporte würden durch etwaige Strafzölle erheblich verteuert, was Absatz und Gewinn deutscher Hersteller empfindlich treffen würde. Seit Wochen kursieren Schätzungen, die von Einbußen im Wert von bis zu fünf Milliarden Euro ausgehen. Vorstandschefs deutscher Kfz-Konzerne haben inzwischen mehrfach mit dem US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, verhandelt. Wie es heißt, hat Grenell sich zuletzt für den Vorschlag der deutschen Autobosse, beiderseits sämtliche Fahrzeugzölle auf Null zu senken, offen gezeigt.3

Berlin gegen Paris

Allerdings weisen Beobachter darauf hin, dass Frankreich einer solchen Zollsenkung auf Null wohl kaum zustimmen wird: Die französische Autoindustrie ist erheblich stärker als die deutsche auf Kleinwagen spezialisiert und fürchtet die übermächtige Konkurrenz asiatischer Produzenten.4 Der absehbare Widerstand in Paris dürfte auch Hintergrund des ungewöhnlichen Verhandlungsformats - Kfz-Vorstandschefs im Gespräch mit dem US-Botschafter - sein: Ob die eigentlich zuständige EU-Handelskommissarin sich in dieser Frage über französische Einwände umstandslos hinwegsetzen könnte, gilt als ungewiss; die Bundesregierung wiederum hat sich bereits in den vergangenen Monaten schweren Ärger eingehandelt, als sie mit Washington Handelsfragen diskutierte und damit direkt in die Kompetenz der EU-Kommission eingriff. Gegen tatsächlich mit der Bundesregierung abgesprochene, der Form nach jedoch private Gespräche interessierter Manager mit US-Stellen können allerdings weder Brüssel noch Paris intervenieren.



Nach China

Wozu die komplexen Verwicklungen des Handelskriegs führen können, zeigt nun das Beispiel BMW. In der Furcht, Einbrüche beim Absatz in China zu erleiden, weil die in den USA produzierten Autos in der Volksrepublik aufgrund der bevorstehenden Zölle womöglich bald zu teuer sind, hat der Konzern gestern angekündigt, die Produktion seines Joint Ventures mit dem chinesischen Autohersteller Brilliance in Shenyang von zuletzt 400.000 auf 520.000 Fahrzeuge pro Jahr hochzufahren.5 Damit könne man, heißt es, einen guten Teil der in den USA produzierten BMW ersetzen. Darüber hinaus will die Firma den vollelektrischen SUV X3, den sie ab 2020 gemeinsam mit Brilliance in Shenyang bauen will, als ihren ersten in China hergestellten Pkw auch in andere Länder exportieren. Während die Ausfuhren aus den USA für BMW also derzeit an Bedeutung verlieren, wächst in der Volksrepublik ein neuer Produktionsstandort für den Export heran. Ende 2015 beliefen sich die Bestände deutscher Direktinvestitionen in China laut Angaben der Bundesbank auf knapp 70 Milliarden Euro. Seither sind sie weiter gestiegen; Experten nennen jetzt eine Zahl von mehr als 80 Milliarden Euro. Dies liegt noch weit hinter dem Bestand deutscher Direktinvestitionen in den Vereinigten Staaten zurück (291 Milliarden US-Dollar). Völlig offen ist allerdings, welche Verschiebungen sich aus dem aktuellen Handelskrieg ergeben.

Strategische Verschiebungen

Erste Verschiebungen deuten sich jedenfalls bereits im Handel an. So sind, wie das Statistische Bundesamt gestern mitteilte, die deutschen Exporte in den ersten fünf Monaten 2018 um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 547,4 Milliarden Euro gestiegen. Gegenläufig fiel der Export in die USA: In den ersten fünf Monaten schrumpfte die Ausfuhr in die Vereinigten Staaten um 1,9 Prozent; im Mai - noch vor dem Inkrafttreten der ersten Strafzölle, aber bereits in Antizipation der Maßnahme - verzeichnete die amtliche Statistik ein Minus von 10,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Leiten die politischen Eliten auf beiden Seiten des Atlantik jetzt keine Wende ein, dann werden die USA ihre Stellung als größter Abnehmer deutscher Exporte voraussichtlich verlieren.


Anmerkungen:
1 S. dazu Glashäuser und Steine.
2 Martin Seiwert, Stefan Reccius: So abhängig ist Deutschland von der Autoindustrie. wiwo.de 27.07.2018.
3 Hoffnungsschimmer im Autozoll-Streit mit Amerika. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.07.2018.
4 "Der größte Handelskrieg der Geschichte". Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.07.2018.
5 BMW-Produktion in China steht vor dem Ausbau. wiwo.de 09.07.2018.


 
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  Kommentar zum Artikel von RevLeft:
Donnerstag, 12.07.2018 - 01:02

Trump bekommt nun auch innenpolitisch Gegenwind. Es trifft natürlich auch US-Kapitalisten: Im amerikanische Kongress wächst der Widerstand gegen die Handelspolitik des Präsidenten Donald Trump. Die einflussreichen Republikaner Paul Ryan und Orrin Hatch kritisierten die jüngsten Zollempfehlungen Trumps als rücksichtslos und nicht zielgerecht. Deren Parteifreund Kevin Brady forderte Trump auf, das Gespräch mit der chinesischen Führung zu suchen, um dem Konflikt zu entschärfen. Link ...jetzt anmelden!