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Im schönen Süden Deutschlands ticken die Uhren oftmals etwas anders. Langsamer, um genau zu sein. Das zeigt sich nicht nur in dörflicher Landidylle und einem urwüchsigen, meist völlig zu Unrecht bespöttelten Menschenschlag, sondern ist auch in politisch-moralischer Hinsicht oftmals unter Beweis gestellt worden. Es dauert etwas länger, bis die Segnungen der Moderne in die Alpenausläufer vordringen; man verteidigt sich, so lange wie möglich, gegen Angriffe von außen, die das traditionelle Gefüge in Frage zu stellen drohen. Wertkonservativismus, im besten Sinne, nennt sich so etwas.
Was die Gesellschaft bedroht? Das kann der unsägliche Atheismus sein, der die Kreuze von den Wänden bayerischer Klassenzimmer reißen will und an derer statt am Besten noch Hammer und Sichel sehen möchte. Das kann die Auflösung der Familie, seit jeher Fundament der Gesellschaft, ihre Keimzelle und ihre Basis, sein. Oder auch widernatürliche sexuelle Gelüste, die zunächst den schwachen Menschen und irgendwann den ganzen Staat zersetzen. Homosexualität zum Beispiel.
Und außerdem bleibt es meistens nicht bei einer Verfehlung, die man ja eventuell gerade noch so hinnehmen könnte, allein: Wer schwul ist, bekommt meistens keine Kinder. Also ist auch die Familie in Gefahr. Wer die Familie und Ehe ablehnt, ist außerdem Kommunist, also auch Atheist. Und obendrein hat der sexuell motivierte Kriminelle, der die Übereinkunft unseres demokratischen Gemeinwesens ablehnt, die fatale Angewohnheit, sich epidemisch zu vermehren - durch Verführung bestenfalls, notfall auch durch Zwang zum Mitmachen. Bevorzugt gegen Kinder. Wo wir wieder bei der Gefahr für die Familie, unserer Heimstatt, wären - der Kreis schließt sich.
Und prompt ist die Bedrohung da: der Sündige zieht immer mehr Sünden an; aus einem kleinen Manko wird - die Universalbedrohung für Land, Staat und Bürger.

Schwachsinnige Argumentation? Mag sein. Aber erzählen Sie das bitte nicht mir, sondern zum Beispiel der bayerischen Polizei. Die denkt nämlich, muss man nach Betrachtung des folgenden Falles annehmen, genau so.

I. Homosexuelle als potentielle Tätergruppe - Ihre Polizei ermittelt.

Die automatisierten Ermittlungssoftwares "IGVP" und "PVP", in der alle an Strafverfahren beteiligten Täter, aber auch alle Opfer und Zeugen gespeichert sind, kennt in Bayern (und auch in Thüringen und Nordrhein-Westfalen, der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter geht überdies davon aus, dass dies auch in anderen Bundesländern geschieht) das besondere Kürzel *omosex*, wie SPIEGEL ONLINE unlängst berichtete. Auf Eingabe des Kurzbefehls spuckt das Programm alle gespeicherten Personen, die der Gruppe "Homosexuelle" zugeordnet werden, als "potentielle Tätergruppe", keineswegs beschränkt auf Sexualstraftaten, aus. "Übliche Aufenthaltsorte" von Homosexuellen werden als "potentielle Tatorte" gelistet.
Dieses Verfahren lässt nicht nur unangenehme Erinnerungen an die sog. "Rosa Listen" aus der Zeit des deutschen Faschismus, dessen Homosexuellen-Verfolgung ungefähr 100.000 Menschen zum Opfer fielen, wach werden, sondern scheint sich zudem noch auf soziologisch kaum haltbare Konstrukte von Kriminalitätsanfälligkeiten gewisser gesellschaftlicher Gruppen zu stützen. Es ist schon nicht belegbar, dass (prozentual natürlich) mehr Homosexuelle als Heterosexuelle in justiziable Sexualdelikte verwickelt sind; völlig unhaltbar wird die Argumentation, wenn sie sich auf alle Verbrechensbereiche ausdehnt. Darüber hinaus sollte die Frage, wessen Geschlecht sich ein Bankräuber z.B. zugeneigt fühlt, für die Klärung des Delikts keinerlei Nutzwert haben.

Was geschieht hier also, wenn es mit wissenschaftlich begründeten Eingrenzungskriterien (wie z.B. Bildung, Vorstrafen, Gewaltaffinität) nichts zu tun hat? Es geht um Stigmatisierung und Klein-Hänschen-Vorstellungen vom "bösen Mann": wer sich sexuell verfehlt, tut auch noch schlimmeres, scheint der Gedankengang hinter den Vorgängen zu sein.
Völlig vergessen wird dabei, dass die gesetzliche Diskriminierung Homosexueller durch die §§175, 175a und 175b seit 1994 ersatzlos aus dem StGB gestrichen wurde.

II. §175 - staatliche Diskriminierung mit langer Geschichte.

Die Geschichte der staatlich sanktionierten Homosexuellenverfolgung liest sich als ein besonders dunkles Kapitel deutscher Historie.
Ausgehend vom 13. Jahrhundert wurde die vorher im christlich-moralischen Sinne zwar als anzüglich, keineswegs aber als kriminell oder gar bestrafungswürdig angesehene Homosexualität gesetzlich belangt - so zum Beispiel fixiert in der "Constitutio Criminalis Carolina" unter Karl V. von 1532:

„Straff der Vnkeusch, so wider die Natur beschicht. Jtem so ein mensch mit einem Viehe, Man mit Man, Weib mit Weib Vnkeusch treibenn, die habenn auch das leben Verwurckt. Vnt man solle sy, der gemeynen gewohnheit nach, mit dem feure vom lebenn zum tode richtenn.“

Erst im preußischen "Allgemeinen Landrecht" von 1794 wurde die Todesstrafe auf Gefängnishaft reduziert. Hier aus dem §143:

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren verübt wird, ist mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu vier Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen.“

Damit galt Preußen damalig sogar als fortschrittlich im Sinne der Aufklärung; nur wenige Jahre später wurde im napoleonischen Code Civil allerdings die Homosexualität für völlig straffrei erklärt. Diesem Modell folgte zunächst Preußen und auch später das Deutsche Reich nicht; der betreffende Artikel, nun unter §175 und auf Homosexualität zwischen Männern und mit Tieren beschränkt, wurde aus dem ein Jahr vorher geschaffenen Strafgesetz des Norddeutschen Bundes übernommen (§175, RStGB, 1894):

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

III. Kampf gegen den §175 seit dem 19. Jahrhundert

Verschiedenen Initiativen, z.B. des Arztes Magnus Hirschfeld oder auch der damaligen SPD unter August Bebel, gelang trotz beeindruckender Kampagnen und Unterschriftensammlungen nicht die Aufhebung des Paragrafen. Auch in der Weimarer Republik konnten die linken Parteien dies nicht durchsetzen; im Gegenteil, es kam zu einer nochmaligen Verschärfung durch die Einführung des §297: statt eines Vergehens wurde homosexuelle Betätigung nun unter bestimmten Umständen, z.B. männlicher Prostitution, als Verbrechen eingestuft; die Straftatbestände wurde neben "beischlafähnlichen Handlungen" auch auf "gegenseitige Masturbation" ausgeweitet.
In der Begründung des Urteils wird der später während des Faschismus angewandte Tonfall des potentiell zersetzenden Homosexuellen und der "Ansteckungsgefahr" gegenüber "Unschuldigen" und Kindern deutlich:

„Dabei ist davon auszugehen, daß der deutschen Auffassung die geschlechtliche Beziehung von Mann zu Mann als eine Verirrung erscheint, die geeignet ist, den Charakter zu zerrütten und das sittliche Gefühl zu zerstören. Greift diese Verirrung weiter um sich, so führt sie zur Entartung des Volkes und zum Verfall seiner Kraft.“

Als diese Strafrechtsnovelle 1929 dem Strafrechtsausschuss des dt. Reichstages vorgelegt wurde, gelang es einer Mehrheit aus KPD, SPD und DDP (Deutscher Demokratischer Partei) mit 15:13 Stimmen beinahe, die Einführung des neuen Paragraphen zu stoppen, was einer Legalisierung männlicher Homosexualität gleichgekommen wäre. Gleichzeitig aber wurde mit einer deutlichen Mehrheit der modifizierte §175 nur gegen die 3 Stimmen der KPD im Ausschuss durchgesetzt. Selbst dieser Teilerfolg aber wurde, gegen die Stimmen der Kommunisten, wieder zunichte gemacht, als der neu zu schaffende §297 wieder in das Reformpaket aufgenommen wurde; durch die Aushebelung des Parlamentes durch die Brüningschen Präsidialkabinette kam es allerdings zu keiner Verabschiedung mehr.

IV. staatlicher Terror gegen Homosexuelle unter dem deutschen Faschismus

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Im Jahr 1935 wurde unter den Faschisten der §175 verschärft; die Höchststrafe wurde von 6 Monaten auf 5 Jahre heraufgesetzt und im gleichen Zuge die Praxis der sog. "Schutzhaft" nach Verbüßung der Strafe, bei Freispruch oder bei als zu kurz verstandenen Strafmaßen eingeführt, was in der Realität oftmals einer Todesstrafe durch Folter und KZ-Haft gleichkam. Dier "qualifizierte Unzucht", gemeint sind z.B. Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen oder männliche Prostitution, wurde nach §175a ausgelagert, die "Unzucht mit Tieren" nach §175b.

In einem Runderlass des Reichssicherheitshauptamts von 1940 wurde pauschal bestimmt:

„alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen“.

Lediglich etwa 40% der 10.000 Opfer, die aufgrund der "Vorbeugehaft" in die Mühlen des staatlichen Terrors gerieten, überlebten die Zeit des deutschen Faschismus (und kamen in den westlichen Besatzungszonen und der späteren BRD oftmals wieder ins Gefängnis, da sie entweder ihre Strafe nach den nach wie vor gültigen §§175, 175a und 175b noch nicht verbüßt hatten oder im gleichen "Delikt" wieder "straffällig" wurden).

Mit Beginn der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die weitere Geschichte des §175 in der späteren DDR und BRD einen sehr unterschiedlichen Verlauf:

V. (zu späte) Einsicht in das Unrecht: der §175 und die DDR

Die Rechtentwicklung in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR war uneinheitlich: In den allermeisten Teilen des Landes wurde zunächst wieder die Fassung des §175 vor der faschistischen Modifizierung angewandt. Erst 1957 wurde durch das Strafrechtsänderungsgesetz der §175 faktisch außer Kraft gesetzt und lediglich noch in Fällen der "Verführung Minderjähriger" zur Anwendung gebracht.
Das Kammergericht Berlin urteilte,

"daß bei allen unter § 175 alter Fassung fallenden Straftaten weitherzig von der Einstellung wegen Geringfügigkeit Gebrauch gemacht werden soll“.

Homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen blieben daher ab Ende der 50er Jahre in der DDR straffrei.
Im Jahr 1968 wurde der Straftatbestand der "Verführung gleichgeschlechtlicher Minderjähriger" in den §151 StGD-DDR eingegliedert; 1987 wurde durch ein Urteil des Obersten Gerichts der DDR auch dieser Paragraph mit der Begründung aufgehoben, dass:

„Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet.“

Ein Jahr später strich die Volkskammer der DDR den Paragraphen ersatzlos. Noch ein Jahr später, nach der "Wende" und der Annexion der DDR, wurde der BRD-Paragraph 175 wieder eingeführt.

VI. weiter, als wäre nichts geschehen: der §175 in der BRD

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Im Jahr 1949 wurden die betreffenden Teile des faschistischen Gesetzes eins zu eins in das StGB der BRD übernommen; der Bundesgerichtshof schloß sich ebenfalls der unter dem Faschimus üblichen Auslegung des §175, nach der es zur "Unzucht" nicht einmal körperlicher Berührung bedürfe, an. Zuschauen oder gleichzeitiges Masturbieren genügte.
Zwischen 1950 und 1969 kam es zu mehr als 100.000 Ermittlungen und über 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen aufgrund der §§175, 175a und 175b. Mehrere regelrechte Treibjagden auf Homosexuelle mit anschließenden Prozeßwellen, wie zum Beispiel 1950/51 in Frankfurt a.M., forderten ihre Opfer: in diesem Falle 6 Suizide und oftmals der Verlust der bürgerlichen Stellung neben Gefängnisurteilen.

1962 wurde die Aufrechterhaltung des §175 wie folgt gerechtfertigt (Regierungsentwurf für das StGB der BRD, E 1962, BT-Drs. IV/650):

„Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“

VII. das Ende der (gesetzlichen) Diskriminierung ?

Zunächst unter Kiesinger 1969, als in einer der letzten Amtshandlungen der Großen Koalition die Zusatzparagraphen a und b wegfielen und der Straftatbestand auf "qualifizierte Unzucht" begrenzt wurde, als auch 1973 unter der SPD-FDP-Koalition unter Willy Brandt in einer großen Sexualrechtsreform, als der der Begriff der Unzucht durch den der „sexuellen Handlungen“ ersetzt wurde und nur noch Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurückblieb (das "Schutzalter" wurde ebenfalls von 21 auf 18 Jahre gesenkt), wurde der §175 weiter vereinfacht und abgeschwächt.
Erst im Jahr 1994 konnten sich die Gesetzgeber dazu durchringen, den §175 ersatzlos zu streichen.

Seit gut zehn Jahren also macht sich ein Mann, der einen anderen Mann liebt, nicht mehr nach dem Gesetz strafbar. Auch wenn diese Gesetzesänderung noch nicht in allen Bereichen Deutschlands bekannt zu sein scheint und obendrein subtilere Varianten der Diskriminierung Homosexueller nach wie vor eine gesellschaftliche Funktion erfüllen, ist die BRD damit endlich auf dem längst üblichen Level bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit, dass uns unsere europäischen Nachbarn schon lange vorleben, angekommen.
Sicher, dies alles hilft wenig, wenn man in Bereichen tätig ist oder lebt, wo Gesetze das Papier, auf dem sie stehen, nicht wert sind. In der Armee zum Beispiel, als Sportler in Bundesligavereinen, als Angestellter in kirchlichen Einrichtungen. Oder, neuerdings wieder, als Zeuge, Opfer oder auch Angeklagter in einem Strafprozeß.

Geschichte soll sich angeblich nicht wiederholen. Und der Fortschritt unaufhaltsam sein. Es gibt, kann man einwenden, heute doch schon genug Spitzenpolitiker, die sich ohne Gefahr für Karriere oder gar bürgerliche Glaubwürdigkeit "outen" können. Die Zeiten haben sich doch geändert!
Solange es irgendeiner Rechtfertigung oder gar eines "Outings", vor dem Gesetz oder vor einem Millionenpublikum vor Fernseher und Zeitung, für Liebe bedarf, stimmt etwas nicht.
Gleichberechtigte und einvernehmliche Liebe ist, egal, auf welches Geschlecht sie sich richtet, nicht "pervers", "abnormal" oder "potentiell kriminell", sondern der Normalzustand. Rechtfertigen müssten sich diejenigen, die nicht lieben.

Über eines sollte sich niemand, der sich aufgrund anders gearteter sexueller Neigungen über dererlei Zustände in unserer Gesellschaft erhaben fühlt, hinwegtäuschen lassen: Von der Unterdrückung, Kriminalisierung und gesellschaftlicher Ächtung von Menschen, die die "falsche" Person vom "falschen" Geschlecht lieben, ist es nur ein kurzer Weg zur Kriminalisierung und Verfolgung aufgrund der "falschen" Haut- oder Augenfarbe, der "falschen" Sprache, der "falschen" Eltern oder der "falschen" (oder, noch schlimmer, gar keiner) Religion.
Die, die heute Homosexuelle auf eine Liste setzen, können die sein, die dies morgen mit "den Sozialisten", "den Atheisten" oder "den Juden" tun. Und ist die Liste erst einmal da, wird sich wer finden lassen, der sie nutzt. Das alles wäre nicht neu in unserem Land.

 
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 T Kommentar zum Artikel von Thomas HTK:
Donnerstag, 18.08.2005 - 16:34

Nicht nur als Schwuppe, sondern auch als Kommunist finde ich dieses Thema extrem Interessant. Ein Genosse will hier in Hessen mehr in Bereich schwule Jugendarbeit machen. Natürlich unterstützen wir von der Jugendkommission Hessen ihn. Wer Nachrichten in diesem Zusammenhang hat, kann sich gerne melden.


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Donnerstag, 28.07.2005 - 15:27

"1. Die Karolina wurde imo im 16.Jh. verabschiedet. Eben unter Karl V."

Du hast natürlich Recht - es war im Jahre 1532. Ich werde dies korrigieren, danke für den Hinweis!

"Wie Du ja schon andeutest ist Homosexualität nicht allein ein juristisches Thema sondern auch ein gesellschaftliches. Insofern reicht der Diskurs natürlich weiter zurück als bis zur Karolina."

Das ist richtig - allerdings, und da kommt mein 13. Jhd. wieder ins Spiel, begann um diese Zeit die breitere juristische Verfolgung mit vorgesehenen Strafen - vorher war homosexuelles Verhalten in den Gebieten des heutigen Deutschland meist zwar (aus zum Teil christlich-religiösen, zum Teil gentilgesellschaftlich-moralischen Motiven) geächtet, aber nicht (regulär) belangt worden.
Insofern muss ich bis ungefähr hier ausholen, wenn ich versuche, einen groben Überblick über die wesentlichen rechtsgeschichtlichen Entwicklungen zu geben. Eine sicher hoch interessante Untersuchung über gesellschaftliche Funktion und Geschichte des Umgangs mit Homosexualität würde den Rahmen hier gewaltig sprengen - kann man sich ja mal für die Habilitation vormerken oder so... smiley


 B Kommentar zum Artikel von Bierchen:
Donnerstag, 28.07.2005 - 15:15

Hi sec.

1. Die Karolina wurde imo im 16.Jh. verabschiedet. Eben unter Karl V.
(kleine Petitesse)

2. Wie Du ja schon andeutest ist Homosexualität nicht allein ein juristisches Thema sondern auch ein gesellschaftliches. Insofern reicht der Diskurs natürlich weiter zurück als bis zur Karolina.

Inhaltlich empfinde ich die umfassende Verzeichnung von sexuellen Orientierungen als höchst bedenklich. Schon weil jüngste Fälle in der Politik gezeigt haben, dass immer noch Erpressungspotential besteht.

Man fragt sich ja dann auch wer, wann und wieso Zugriff erhält auf solche Daten....

Habe schon den Spiegelartikel mit großem Erstaunen gelesen. Bin hier also ganz Deiner Meinung.

Moritz.


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Dienstag, 26.07.2005 - 16:22

@Stephan:

"Ansonsten gab es nur eine Gruppe Nutznießer dieses §: Die Erpresser, die die begüteteren Opfer, die um ihre gesellschaftliche Stellung fürchten mußten, ausnahmen wie die Weihnachtsgänse. Die Angst, die man bei einvernehmlichen Sex haben mußte, schlägt die "ich passe schon auf"-Verhütung der Heterosexuellen um Längen. Ungezählt: die Beziehungen, die ausschließlich daran gescheitert sind. "

Die unzähligen ganz persönlichen Tragödien, die diese Justizpraxis zu verschulden hatte, sind eine ganz andere Dimension des Unrechts - ich habe mich hier auf eine kurze Geschichte der Jurisprudenz beschränkt. Wieviel Leben durch die Anwendung des §175 zerstört wurden, läßt sich im Nachhinein wohl kaum noch rekonstruieren; es dürfte an die Millionen gehen. Alleine in der BRD waren über 100.000 Menschen in Ermittlungsverfahren etc. verstrickt.

@jonas:

"hardcore" hat die kurze Antwort gegeben; ich mach es genre etwas länger, wenn's dir hilft:

"Trotzdem gehst du mit deinen Schlußfolgerungen viel zu weit, finde ich - es steht doch nicht gleich eine neue Nazi-Zeit ins Haus!"

Das hat auch niemand behauptet. 1925 stand auch die Nazizeit kaum direkt vor der Tür - als es denn aber soweit war, brauchten lediglich die Polizeiarchive gelesen zu werden, um zu wissen, wer Kommunist, Schwuler, Jude oder sonstwie klar im Kopf war. Datenspeicherung um des Speicherns willen ist per se immer riskant - seien es Kaufvorlieben, Kontobestände oder, noch schlimmer, persönliche sexuelle oder politische oder religiöse Vorlieben.

"Darf man denn auch nicht mehr sagen, der Täter hatte schwarze Haut, weil das diskriminierend wäre??"

Das darf man sicherlich sagen, wenn es zur Tat oder deren Aufklärung irgendeinen Bezug hat - äußere Merkmale sind nun auch etwas, dass zur Ergreifung des Täters führen kann, wie Haarfarbe, Bartracht oder Muttermale im Gesicht. Wie aber z.B. ein Autodieb schneller überführt werden kann, wenn man weiß, er ist schwul, musst du mir mal erklären. Wird jeder Tatverdächtige in der U-Haft wechselweise von weiblichen und männlichen Polizeibediensteten sowie Hunden aus der Polizeistaffel sexuell verführt, um seine Vorlieben herauszufinden? Selbst wenn manch ein Beamter davon träumen sollte - Realität ist das wohl kaum.

"Alles in allem kann man und können auch Schwule hierzulande wohl noch sehr zufrieden sein, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht: in Iran sind grade zwei Jugendliche(!) wegen homosexueller Vergehen hingereichtet worden -> hier."

Ich sehe überhaupt nicht ein, die Vor- oder Nachteile unseres Landes, das sich immerhin nach 200 Jahren Industrialisierung und Marktwirtschaft rühmt, eine aufgeklärte, vollgültige bürgerliche Demokratie zu sein, am Kontrast eines spätfeudal-absolutistischen Mullah-Regimes zu messen. Wäre es nicht sinniger, statt "denen da geht's dreckig, wie gut geht es mir doch dagegen" zu fragen: "was könnte hier, gemessen an unserem Niveau, besser sein?"

"Mag sein, daß man anders urteilt, wenn man selbst betroffen ist "

Ich glaube kaum, dass "Betroffenheit" ausschlaggebend ist - ich selbst bin von dieser konkreten Situation auch nicht betroffen, da ich nicht homosexuell bin. Das tut allerdings herzlich wenig zur Sache: heute sind es "die Schwulen", morgen können es "die Sozialisten" oder "die Atheisten" sein. Wer sowas nicht im Keim bekämpft, sollte sich nicht wundern, wenn niemand mehr zum protestieren da ist, wenn man selbst dran ist - frei nach einem Worte Niemöllers. Der war übrigens Pastor.

"aber jeder ist in irgendeiner Frage oder Vorliebe des Lebens mal Teil einer Minderheit, man sollte so einen "ich -werde-diskriminiert"-Reflex nicht kultivieren, finde ich. Selbstbewußtsein ist für mich was anderes als ständiges Jammern, wie man doch unterdrückt würde."

Es mag einen großen Bevölkerungsteil geben, der bei der Wahl zwischen Burger King und McDonalds oder zwischen Goethe und Schiller als Bettlektüre mal in der Minderheit ist - weitergehende persönliche Konsequenzen ergeben sich daraus wohl kaum. Wenn durch einen Minderheitenstatus allerdings zunächst persönliches Ansehen, später auch berufliche Werdegänge oder gar Freiheit und Leben in Gefahr sind, nimmt sich das wohl doch etwas anders aus, lieber Jonas.

Ich glaube aber, eigentlich muss man dir das alles gar nicht erzählen. Vielleicht würde die Anwendung des guten, alten Sprichwortes "erst denken, dann handeln" genügen, denn auf all das, was ich dir hier jetzt gerade schrieb, hättest du nach fünfminütigem Nachdenken auch selbst kommen können.


  Kommentar zum Artikel von ..:: jonas ::..:
Dienstag, 26.07.2005 - 15:28

"@ jonas: Du. Redest. Scheisse."

äußerst qualifizierter Beitrag. Wenn dir sonst nichts dazu einfällt...


  Kommentar zum Artikel von 127757:
Dienstag, 26.07.2005 - 14:32

Echt mal wieder ein sehr interessanter Artikel... ich hätte jetzt getippt, daß der § 175 irgendwann in den Sechzigern oder Siebzigern abgeschafft wurde, aber erst 1994... da war die DDR echt (mal wieder) ein gutes Stück weiter!

Die Gefährlichkeit solcher "Listen" und der Praxis gewisser staatlicher Stellen sehe ich im übrigen genauso wie du - jede/r, ob schwul, lesbisch, hetero, ist gefragt, Gleichberechtigung zu erkämpfen ("verteidigen" wäre ein falsches Wort, es gibt sie nicht).

@ jonas: Du. Redest. Scheisse.


  Kommentar zum Artikel von ..:: jonas ::..:
Dienstag, 26.07.2005 - 10:58

Ich finde das Vorgehen der Polizei auch nicht richtig.
Trotzdem gehst du mit deinen Schlußfolgerungen viel zu weit, finde ich - es steht doch nicht gleich eine neue Nazi-Zeit ins Haus!
Kenne ich mich mit solchen Softwares leider nicht genau genug aus, um die Gewichtung von Kriterien beurteilen zu können - was für andere Eingrenzungsbegriffe gibt es denn noch? Ich könnte mir vorstellen, daß jede Eingrenzung, die nicht eine gesellschatfliche Mehrheit betrifft (also in Bezug auf Hautfarbe, sexueller Orientierung, etc.) nicht unbedingt diskriminierend sein muss, sondern nur der genaueren Eingrenzung einer Tätergruppe dient. Darf man denn auch nicht mehr sagen, der Täter hatte schwarze Haut, weil das diskriminierend wäre??
Alles in allem kann man und können auch Schwule hierzulande wohl noch sehr zufrieden sein, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht: in Iran sind grade zwei Jugendliche(!) wegen homosexueller Vergehen hingereichtet worden -> hier.

Ich bin selbst heterosexuell und darf deshalb vielleicht gar nicht so urteilen, aabbber: ich glaube, wir haben Gleichberechtigung im weitesten Sinne erreicht - natürlich immer mit Ausnahmefällen, wie hier zum Beispiel, und Vorurteilen einzelner Personen, die durchaus das Gesamtbild mal trüben können. Aber davon kann man nicht, wie du das hier immer gerne machst, Rückschlüsse auf die ganze Gesellschaft ziehen. Mag sein, daß man anders urteilt, wenn man selbst betroffen ist - aber jeder ist in irgendeiner Frage oder Vorliebe des Lebens mal Teil einer Minderheit, man sollte so einen "ich -werde-diskriminiert"-Reflex nicht kultivieren, finde ich. Selbstbewußtsein ist für mich was anderes als ständiges Jammern, wie man doch unterdrückt würde.
Wenn ich hier wirklich total falsch liege, nennt mir bitte mal ein paar Beispiele, wo es anders ist. Ich kenne zwei Schwule, die sich nie beklagt haben und auf ihre Art total selbstverständlich leben, ohne Streß, Polizeiprügel und so weiter. Vor 20, 30 Jahren wäre das bestimmt anders gewesen, aber heute und hier lässt es sich doch anscheinend ganz gut so leben.


  Kommentar zum Artikel von Stephan:
Dienstag, 26.07.2005 - 09:50

einen Satz sollte man besonders hervorheben:
"... kamen in den westlichen Besatzungszonen und der späteren BRD oftmals wieder ins Gefängnis, da sie entweder ihre Strafe nach den nach wie vor gültigen §§175, 175a und 175b noch nicht verbüßt hatten oder im gleichen "Delikt" wieder "straffällig" wurden"
Eine KZ-Haft, also der zwangsweise Aufenthalt in einem Foltercamp eines Unrechtsregimes (was immer noch eine sehr freundliche Formulierung ist), war also mitnichten ein Grund, den "Täter" mit gewisser Milde zu behandeln, er galt ja als Wiederholungstäter. Die KZ-Haft war strafverschärfend.

Ansonsten gab es nur eine Gruppe Nutznießer dieses §: Die Erpresser, die die begüteteren Opfer, die um ihre gesellschaftliche Stellung fürchten mußten, ausnahmen wie die Weihnachtsgänse. Die Angst, die man bei einvernehmlichen Sex haben mußte, schlägt die "ich passe schon auf"-Verhütung der Heterosexuellen um Längen. Ungezählt: die Beziehungen, die ausschließlich daran gescheitert sind.