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Die Reise geht weiter: zunaechst einmal habe ich Suedchina verlassen und bin gestern Abend gegen 21:30 gut in Xi'an angekommen. Mit Landdurchquerungen in Deutschland ist so eine Reise freilich nicht vergleichbar: knapp 30 Stunden hat die Zugfahrt gedauert; solange sass ich in meinem ganzen Leben noch nie in einem Zug. Warum es mir dennoch nicht langweilig wurde, werde ich erzaehlen...
Die "harte-Baenke-Klasse" ist soetwas wie die zweite Klasse in Deutschland. Ja, sowas gibt's auch wieder in China, nachdem in der Kulturrevolution mal alle "Klassen" abgeschafft wurden. Dennoch sind die Betten nicht hart, sondern im Vergleich mit den mir bekannten europaeischen Nachtzuegen durchaus komfortabel - und gut gepolstert. Der Preisunterschied zwischen der "harten Bank" und der ersten Klasse ist allerdings durchaus relevant; Wanderarbeiter oder Studenten zum Beispiel greifen auf die billigere Variante zurueck. Wer also vor Kontakt nicht zurueckscheut und durchaus etwas mehr Laerm und Gedraengel vertragen kann, sollte die "harte Baenke-Klasse" waehlen.
Der erste September ist in China Semesterbeginn. Das ist im ganzen Land zentral so geregelt und war mir nicht bekannt, denn sonst haette ich meine laengste Zugreise waehrend dieses China-Aufenthalts sicherlich anders gelegt. Nun war das Ticket aber gekauft und der Platz reserviert, die Reise musste also beginnen: ich und Tausende von Studenten, die in den drittwichtigsten Uni-Standort Chinas, naemlich Xi'an, wollten. Xi'an hat ueber 500.000 Studenten und einen ganzen Strauss Universitaeten; der Zug musste wegen massiven Andrangs sogar um mehrere Wagons erweitert werden.
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der Autor eingekeilt in einem chinesischen Schlafwagenabteil |
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Freilich waren nicht nur Studenten im Zug - gleich nach Fahrtbeginn wurde ich von einem Guiliner Arbeiter, der ebenfalls unterwegs nach Xi'an war, angesprochen und in eine Diskussion ueber die Rolle Deutschlands in Bezug auf China und die Aufarbeitung der Zeit des Faschismus in deutschen Schulen verwickelt. Der Mann aus Guilin lud mich denn auch gleich am naechsten Morgen um 11Uhr zu chinesischem Reisschnaps (natuerlich wieder mit mehr als 55 Prozent) und Erdnuessen ein.
Ganz allgemein verbluefft mich immer wieder, wie genau die Chinesen unterschiedlichster Alters- und Bildungsklassen ueber Deutschland Bescheid wissen, wieviel Interesse sie an der Meinung Deutscher zu China im Allgemeinen und der deutschen Position gegenueber ihrem Land im Besonderen zeigen - mich wuerde mal interessieren, wie oft ein Chinese in Deutschland auf solche Themen angesprochen wird. Oder: wieviel die meisten Deutschen von China wissen... Gerhard Schroeder und Angela Merkel kennt hier jeder, und jeder ist interessiert am Ausgang der deutschen Wahlen - welcher Deutsche weiss, wie der chinesische Ministerpraesident heisst? Der Vergleich waere wohl ernuechternd...
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Glockenturm in Xi'an |
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Dies verbluefft mich umso mehr, als die Chinesen mit der Beschaeftigung mit ihrer eigene reichen Geschichte sicher mehr als ausgelastet waeren und sich dennoch sehr fuer die Geschehnisse in aller Welt interessieren - im chinesischen Fernsehen laufen staendig Sendungen ueber den zweiten Weltkrieg auch in Europa oder andere welthistorische Themen; Erdoelarbeiter sprachen mich nach deutschen Philosophen und ihrem Einfluss auf die moderne chinesische Philosophie an; Studenten wollen wissen, wer in Deutschland wohl als naechstes regiert und wie sich Deutschland dann zu China verhaelt. Ich kann mich nicht erinnern, in meiner eigenen deutschen Schulzeit auch nur ein einziges Wort ueber China im Geschichtsunterricht gehoert zu haben.
Solche Gespraeche ergeben sich im Zug - allein deswegen lohnt es sich, 30 Stunden Gedraenge, etwas zu kurze Betten und nicht sonderlich einladendende Zugtoiletten in Kauf zu nehmen.
Wie dem auch sei - ich bin gut in Xi'an angekommen und werde in den naechsten Tagen die Stadt erkunden...
Bis bald!