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NEUER BEITRAG19.12.2022, 17:37 Uhr
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FPeregrin

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Mussolinis Schüler

Nicht unterschätzt werden darf allerdings der ideologische Einfluss des historischen Faschismus an der Macht in Europa, besonders in Italien – vermittelt durch den revisionistischen Zionismus: Wladimir Jabotinsky verband mit Benito Mussolini nicht nur die Begeisterung für Nationalchauvinismus und Militarismus. Der »Duce« und er teilten auch die Auffassung, dass die Araber in Palästina niemals friedlich mit den Juden zusammenleben können und deshalb segregiert werden müssen. »Die zionistische Kolonisation« könne nur »hinter einer eisernen Mauer« aus »Bajonetten« stattfinden, die »die einheimische Bevölkerung nicht durchbrechen kann«, heißt es in einem 1923 in der zionistischen Zeitschrift Rasswjet erschienenen Aufsatz von Jabotinsky. Die Vertreter des revisionistischen Maximalismus, einer von dem Historiker Abba Ahimeir geführten radikalen Strömung in Jabotinskys Bewegung, traten in den 1930er Jahren für einen offenen Schulterschluss mit Mussolini ein, wollten in Palästina einen faschistischen jüdischen Staat gründen – schließlich sogar den »antikommunistischen Kern« Hitlerdeutschlands unterstützen und dessen »antisemitische Schale« wegwerfen.

1934 ermöglichte Mussolini Jabotinsky die Einrichtung einer Betar-Marineakademie für jüdische Kadetten in der italienischen Hafenstadt Civitavecchia. »Die Revisionisten stimmten absolut mit der faschistischen Doktrin überein«, war damals in einem Magazin der italienischen Marine zu lesen. »Deshalb werden sie als unsere Schüler die italienische und faschistische Kultur nach Palästina bringen.«

Diese Mission hat die zionistische Rechte erfüllt. Im gelobten Land national-religiöser Eiferer, aber auch Armageddon in spe für gefährlich irre Endzeitchristen aus den USA und der westlichen Welt, konnte der Kahanismus wesentliche Elemente des Faschismus ausbilden. Wie der ­israelische Politikwissenschaftler Ehud Sprinzak bereits 1985 belegte, gilt das ebenso für sekundäre Merkmale: etwa einen demagogischen Populismus, der permanent Hass gegen die Araber als »Krebsgeschwür der Nation« schürt und zu deren Ausmerzung aufruft, verarmte sephardische Juden gegen eine angebliche »Verschwörung des aschkenasischen Establishments« mobilisiert oder die Exekution aller Soldaten verlangt, die den Wehrdienst in den besetzten Gebieten verweigern. Sprinzak verwies auch auf die Bedeutung des Führerprinzips der bevorzugt in gelben Hemden aufmarschierenden »Kachniks«: Kahane hat seine Gefolgschaft mit autoritärem Auftreten und Selbstinszenierungen, die auf Personenkult setzten, sowie streng hierarchischen Organisationsstrukturen zu »einem monolithischen Körper« geformt, »in dem keine Spaltungen oder Abspaltungen möglich sind«.

Meir Kahane starb vor 32 Jahren in New York bei einem Attentat durch einen Islamisten. Aber sein Traum, der Jugend Israels den Universalismus und die »internationalistische Orientierung« auszutreiben, war noch zu seinen Lebzeiten wahr geworden – laut einer Studie sympathisierten damals schon 42 Prozent der 15- bis 18jährigen jüdischen Gymnasiasten mit seinen Ansichten.

Das Kahane-Syndrom

Heute bezeugen die Brandanschläge der von Kahanes Enkel Meir Ettinger angeführten Noar ­HaGvaot (Hügeljugend), der wachsende Zuspruch für die Organisation Lehava des Ex-Kach-Aktivisten Ben-Zion Gopstein, die »Töchter Israels« vor Beziehungen mit Männern von nicht »göttlicher Rasse« bewahren will, ebenso das hetzerische »Linke in den Ofen!«-Gebrüll bei den Siedlerkundgebungen, dass sich das Kahane-Syndrom in der Mitte der israelischen Gesellschaft festgesetzt hat. Und zwar bis hinein in die Sozialdemokratie und Histadrut, die als zionistische Gewerkschaft, wie es Jabotinsky, inspiriert von Mussolinis »Carta de Lavoro«, gefordert hatte, einen nationalen Pakt mit dem Kapital geschlossen hat und zum Vehikel des Besatzungsregimes und der Disziplinierung der überausgebeuteten palästinensischen Arbeiter verkommen ist. Netanjahus Likud und die anderen bürgerlichen Parteien haben – beispielsweise mit den Nationalstaatsgesetz von 2018 – längst die Grundlagen für ein Apartheidregime geschaffen, das in den besetzten Gebieten seit vielen Jahren Realität ist. Die Durchsetzung eines »jüdischen Kapitalismus«, ein »totaler Krieg gegen Israels Feinde«, Zwangsumsiedlung aller illoyalen Araber – allein diese Programmpunkte von Otzma Jehudit verheißen noch Schlimmeres.

»Der Faschismus ist hier, um zu bleiben«, verkündete Haaretz nach dem Erfolg von Parteichef Itamar Ben-Gvir mit seinem Rechtsbündnis bei der 25. Knessetwahl. Bald wird der Kachnik Minister für Nationale Sicherheit sein, und mit dem mittlerweile siebten Netanjahu-Kabinett, das nun die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird der Kahanismus als radikalste Form zionistischer Herrschaft wirkmächtig.

Unterdrückte Wahrheiten

Die Kahanisten haben den katastrophischen Zionismus, der Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, von einem »ewigen Antisemitismus« ausgegangen, dessen Prinzip die »Negation der Diaspora« und dessen Ideal der »Muskeljude« war, zur Religion erhoben. Der von Nazideutschland verbrochene Völkermord und das Versagen vor allem der westlichen Welt, die den verfolgten und schließlich in die Todesfabriken getriebenen Juden nicht beigestanden hatte, schien ihre Thesen unwiderruflich belegt zu haben. Aber ihr »Nie wieder!«, das sich unter jedem Bekennerschreiben der JDL zu Terroranschlägen fand, erwies sich nicht als Ausdruck des welthistorischen kategorischen Imperativs, den Hitler der Menschheit auferlegt hatte, sondern als dessen heteronome Instrumentalisierung – und letztlich Unterminierung. Denn indem sie Jabotinskys kolonialistisches »jüdisches Eisen« fetischisiert, sozialdarwinistischen Ideologemen und einer Post-Holocaust-Version des revisionistischen Maximalismus zum Durchbruch verholfen haben, tragen sie dazu bei, dass die Möglichkeit neuer Menschheitsverbrechen nicht nur aufrechterhalten, sondern auch vergrößert wird.

Die Geburtsstunde des Kahanismus schlug nicht zufällig in der Ära des Kalten Krieges: In dieser Zeit wurde das Ende der jüdischen Moderne, die in Auschwitz weitgehend ausgelöscht worden war, in den USA und im Westen durch eine Versöhnung von Juden mit den Rechten besiegelt, die sie mit Konformismus bezahlt haben. Das ebnete den Weg für eine »philosemitische Reaktion«, die den Antiantisemitismus und das Holocaustgedenken »in das Wertesystem einer ideologischen Strömung integrierte, die, historisch gesehen, den Juden feindlich gesinnt war« und deren »Universalismus in Okzidentalismus« verwandelte – wie Enzo Traverso es mit Verweis auf Thesen des Philosophen Ivan Segré in seiner Studie über die »konservative Wende« in der jüdischen Gemeinschaft beschreibt. Mit dieser Entwicklung wurden nicht nur die Antisemiten von gestern exkulpiert und ihnen eine »narzisstische Anteilnahme« an dem Leiden der Juden, das sie und ihre ideologischen Vorgänger produziert hatten, ermöglicht. Sie förderte auch die ideologische Ausschlachtung der jüdischen Katastrophe für die Konservierung von Elementen des Antisemitismus: Die kritischen jüdischen Intellektuellen, die schon von den Begründern des Zionismus als »Nervenjuden« verächtlich gemacht worden waren, werden heute, besonders wenn sie Kommunisten sind, von Rechten als mit den Palästinensern und anderen kolonisierten »Feinden« des »Wertewestens« verschworene »Verräter« der kapitalistischen »Zivilisation« dämonisiert.

Dem Kahanismus war es nicht zufällig ein Anliegen, »Bolschewist« als eines der schlimmsten Schimpfwörter in der politischen Kultur Israels zu etablieren (was ihm gelungen ist). Den Vertretern der zionistischen Erscheinungsform des Faschismus ist kaum etwas verhasster als das Pariajudentum, dem Max Horkheimer einst eine »unendliche Zartheit« und »Weigerung, Gewalt als Argument der Wahrheit anzuerkennen«, bescheinigt hatte. Indem der Kahanismus allen den Krieg erklärt, die Marx’ Erkenntnis, dass die Befreiung der Juden nur mit dem Kampf für die »menschliche Emanzipation« erreicht werden kann, erweist er sich der westlichen Bourgeoisie, die gegenwärtig wieder besonders aggressiv imperiale Ziele verfolgt, als überaus nützlich. Ebenso wenn es darum geht, eine unterdrückte historische Wahrheit endgültig auszulöschen, die Isaac Deutscher 1969 ausgesprochen hat und die als Stachel in ihrem fauligen Fleisch steckt: »Das europäische Judentum hat den Preis für (…) den Erfolg des Kapitalismus in der Verteidigung gegen eine sozialistische Revolution bezahlt. Diese Tatsache ruft bestimmt nicht zu einer Revision der klassischen marxistischen Analyse auf – sie bestätigt sie eher.«


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NEUER BEITRAG23.12.2022, 15:28 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung jW heute:

Kommentar

Natürliche Verbündete

Netanjahu bildet rechts-religiöse Regierung

Von Moshe Zuckermann

Benjamin Netanjahu hat am Mittwoch dem israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog den Bescheid überbracht, dass es ihm gelungen sei, eine Regierungskoalition zu bilden. Es gibt Journalisten, die das anzweifeln, denn nicht alle Verträge mit den Koalitionspartnern sind bis dato unterschrieben worden, aber das ist unerheblich. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass der Kitt, der diese Koalition zusammenhält, jetzt noch auflösbar sei. Zu fragen bleibt lediglich, was es mit diesem Kitt auf sich hat.

Die Koalitionspartner Netanjahus sind vier religiöse Parteien: Die Schas-Partei, Otzma Jehudit, HaTzionut HaDatit und Jahadut HaTorah – sie alle zeichnen sich durch eine orthodox-klerikale Grundlage aus. Netanjahu bezeichnet sie als seine »natürlichen Verbündeten«. Und man fragt sich: Ist das sein Ernst? Netanjahu im Verbund mit fundamentalreligiösen Parteien, von denen zwei traditionell anti- und heute zumindest nichtzionistisch sind? Er, der sich als gewandten, westlich ausgerichteten Staatsmann ausgibt und einen säkularen, hedonistischen Lebenswandel unterhält? Er hat eine Koalition errichtet mit Parteien, von denen Teile bestrebt sind, Israel in eine Theokratie zu verwandeln.

Mehr noch: Die Ideologie dieser Parteien (in verschiedener Couleur) besteht aus einer Melange von faschistischen, rassistischen, autoritär-reaktionären, letztlich dezidiert rechtsradikalen Gesinnungskoordinaten. Sie sind darauf aus, den bereits bestehenden Apartheidstaat zu festigen und auszubauen, die barbarische Besatzungsrealität noch durch Erweiterung des Siedlungsbaus und noch härtere Maßnahmen gegen die Palästinenser im Westjordanland (gegebenfalls auch im Innern Israels) zu steigern. Sie legen es darauf an, bislang konsensuelle Normen der israelischen Zivilgesellschaft und unantastbar geglaubte Grundfeste in den Erziehungs- und Kulturbereichen auszuhebeln und umzukrempeln. Vergangene Woche ging gar die Nachricht durch die Medien, dass die israelische Energieindustrie künftig keinen Strom am Sabbat produzieren werde. Netanjahu sah sich genötigt zu dementieren.

Es erwies sich nämlich, dass sich die »natürlichen Verbündeten« in den Koalitionsverhandlungen als gefräßig-unersättliche Polit- und Inter­essenkörper gebärdeten. Damit man den Ansprüchen der Parteiengeier nachkommen konnte, ist ein Großteil der israelischen Ministerien dermaßen zerstückelt und zerfasert worden, dass man die Übersicht über das Netz der parlamentarischen Kompetenzbereiche kaum noch wahren kann. Netanjahu erwies sich bei den Verhandlungen als schwach und erpressbar, ja nachgerade als Opfer seiner eigenen Bestrebungen. Weil nur noch wenig für seine eigene Partei übriggeblieben ist, waren in der letzten Woche bereits kritische Stimmen aus Likud-Reihen zu hören. Des Rätsels Lösung ist relativ einfach. Netanjahu hat sich nicht zum orthodoxen Juden gewandelt, auch hängt er nicht dem Kahanismus an (der traditionelle Rechtsradikalismus reicht schon aus). Netanjahu ging es einzig darum, eine Koalition zu bilden, die es ihm potentiell ermöglichen würde, seinem Prozess und einer eventuellen Gefängnisstrafe zu entkommen. Genau dafür benötigte er seine »natürlichen Verbündeten«, die selbst von korrupten, gewaltbereiten und vorbestraften Politikern geführt werden.


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NEUER BEITRAG30.12.2022, 01:13 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung jW heute:

Kommentar

Apartheid als Programm

Neue Regierung in Israel vereidigt

Von Nick Brauns

In Jerusalem wurde am Donnerstag die neue israelische Regierung unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vereidigt. Neben dessen schon sehr weit rechts stehender Likud-Partei gehören der Koalition fünf teils offen faschistische und religiös-fundamentalistische Parteien an.

Vor der Knesset erklärte Netanjahu die Beendigung des Konflikts zwischen Israel und den Arabern zur obersten Priorität. Gemeint ist die weitere Normalisierung der Beziehungen zu arabischen Staaten, um Teheran zu isolieren. Mit den Palästinensern dagegen wird keine Lösung angestrebt. So hatte Netanjahu bereits am Mittwoch die in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten Grundlinien seiner »Nationalregierung« bekanntgegeben: »Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle Teile des Landes Israel. Diese Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen des Landes Israel, in Galiläa, der Negev, auf dem Golan, in Judäa und Samaria fördern und entwickeln.«

In Galiläa im Norden Israels lebt ein Großteil der Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit. Diese sind bereits heute Bürger zweiter Klasse des »jüdischen Staates«. In der Negev-Wüste sind die Beduinen seit Jahrzehnten mit Verdrängung konfrontiert, während jüdische Einwanderer etwa aus der ehemaligen Sowjetunion und Äthiopien gezielt dort angesiedelt wurden. Die Golanhöhen sind syrisches Territorium, sie wurden 1967 von Israel besetzt und 1981 annektiert. Und Judäa und Samaria ist die israelische Bezeichnung für das besetzte und von völkerrechtlich illegalen Siedlungen überzogene Westjordanland. Nur Gaza fehlt in dieser Vision von Großisrael – den faktischen Status des schmalen Landstreifens als dichtbesiedeltes Freiluftgefängnis für Palästinenser will die neue Rechtsregierung nicht antasten.

Apartheid und jüdischer Vorherrschaftsanspruch »from the river to the sea«: So lässt sich das Regierungsprogramm zusammenfassen. Dabei täte man einigen Koalitionären Unrecht, würde man sie als überzeugte Apartheidbefürworter bezeichnen. So machen etwa die Kahanisten, zu denen der Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir gehört, kein Geheimnis daraus, dass sie am liebsten alle Palästinenser gewaltsam vertreiben wollen.

Das Vorantreiben des Siedlungsbaus, die Entrechtung der Palästinenser und die Verhinderung eines lebensfähigen palästinensischen Staates gehörten zur Praxis jeder israelischen Regierung der letzten Jahrzehnte, egal ob diese im zionistischen Kontext eher links oder rechts zu verorten war. Es ist das Verdienst von Netanjahu und seiner klerikal-faschistischen Koalitionäre, der »einzigen Demokratie im Nahen Osten« die Maske heruntergerissen zu haben. Das neue Kabinett ist nicht nur die am weitesten rechts stehende, sondern auch die ehr­lichste Regierung Israels, denn sie macht aus ihren kolonialistischen Zielen kein Geheimnis.


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NEUER BEITRAG08.01.2023, 20:13 Uhr
EDIT: FPeregrin
08.01.2023, 23:06 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung jW morgen:

Ultras kriegen Kontra

Tel Aviv: Proteste gegen fundamentalistisch-rechte Regierung. Breites Bündnis demonstriert

Von Knut Mellenthin

Israels extrem rechte und ultrareligiöse neue Regierungskoalition bekommt Gegenwind. Zum ersten Mal, seit Langzeitpremier Benjamin Netanjahu am 29. Dezember für seine sechste Amtszeit vereidigt worden war, gab es am späten Sonnabend in Tel Aviv Proteste mit mehreren tausend Teilnehmern. Bei der zentralen Kundgebung füllte die Menschenmenge nicht nur den großen Platz am traditionsreichen Habima-Theater, sondern verteilte sich auch auf die Zugangsstraßen. Von dort aus formierten sich mehrere, von unterschiedlichen politischen Kräften organisierte Demonstrationszüge. Neben der blau-weißen Staatsflagge, die in Israel zum gewohnten Bild aller politischen Aktionen gehört, war auch die Regenbogenfahne der LGBTI-Community zu sehen. Queere Personen sind von den zu erwartenden Maßnahmen der neuen Regierung besonders betroffen und hatten als erste schon in den vergangenen Tagen Demonstrationen mit mehreren hundert Menschen organisiert.

In israelischen Medien hieß es, während die Aktionen in Tel Aviv noch in Gang waren, »die Veranstalter« hätten von mehr als 10.000 Teilnehmenden gesprochen. Allerdings war bei der Vielzahl aufrufender Gruppen nicht auszumachen, wer genau die Veranstalter waren. Ganz sicher war es nach israelischen Maßstäben überwiegend das linke Spektrum der Opposition. Unter den Aufrufen und Stellungnahmen standen bekannte Zusammenschlüsse und Initiativgruppen, von denen mehrere auch schon 2020 bei den großen Versammlungen gegen die damalige Netanjahu-Regierung hervorgetreten waren: »Bewegung für eine Qualitätsregierung«, »Schwarze-Fahnen-Bewegung«, »Zusammenstehen«, »Das Schweigen brechen« und »Crime Minister« – ein Wortspiel mit der englischen Bezeichnung für den Premierminister (»Prime Minister«) und dem Wort »Crime« (Verbrechen). Zumindest einige dieser Gruppen haben schon angekündigt, dass sie künftig an jedem Sonnabend – immer nach dem Ende der Schabbat-Ruhe – auf die Straße gehen wollen.

Etliche prominente Politiker liefen bei den Protesten mit, einige hielten auch Reden, prägten aber nicht das Gesamtbild. Unter ihnen waren Parteichefin Merav Michaeli und der Abgeordnete Gilad Kariv von der Arbeitspartei, ebenso Aiman Odeh, der Vorsitzende des maßgeblich von der Kommunistischen Partei beeinflussten Bündnisses »Demokratische Front für Frieden und Gleichheit«, kurz Chadasch genannt. Auch die frühere Außenministerin und Vizepremierministerin Tzipora »Tzipi« Livni, die sich im Februar 2019 offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, wurde von den Medien gesichtet.

Mehrere der beteiligten Gruppen hoben in ihren Aufrufen und Ansprachen Ziel und Absicht hervor, ein möglichst breites Bündnis aller Teile der Gesellschaft »gegen den Staatsstreich« der »kriminellen Regierung« aufzubauen, »die allen Bürgern, wer immer sie auch sind, zu schaden droht«. Jael Lotan und Avner Gvarjahu, die Chefs von »Das Schweigen brechen«, wandten sich an die Menge mit den Worten: »Heute Abend, liebe Freunde, haben wir ein neues demokratisches Lager geschaffen. Es schließt Juden und Araber, Männer und Frauen, ›straight people‹ und ›LGBTQ people‹, Säkulare und Religiöse ein. Vereinigt gegen eine üble Regierung und zugunsten einer besseren Zukunft an diesem Ort.« Menschenrechte, sagten die beiden weiter, stünden nicht nur jüdischen Menschen zu, sondern müssten auch auf die arabische Bevölkerung ausgeweitet werden – einschließlich der Menschen, die in den von Israel 1967 besetzten Gebieten leben.

Der Kampf hat gerade erst begonnen, das ist offenbar das allgemeine Verständnis. In einer gemeinsamen Erklärung von »Zusammenstehen« und »Crime Minister« hieß es: »Wir werden nicht Däumchen drehend zu Hause sitzen, und wir werden uns nicht in Verzweiflung und Frustration verlieren. Wo gekämpft wird, da ist Hoffnung. Wir gehen auf die Straße und kämpfen für unsere Heimat.«


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Hmm, ... wäre das der Anfang einer antifa.-dem. Volksfront? Ich bleibe
skeptisch, daß das so einfach funktioniert. Weniger weil eine Tzipi Livni - unvergessen aus dem Gaza-Krieg 2008/09 - hier mitläuft - Volksfronten schließt man mit Kotzbrocken -, sondern weil ich nicht sehe, daß hier mehr auf die Straße geht als "Breite", mithin nicht unbedingt die fortschrittlichste Kräfte die Reiter sein müssen. ... kennen wir von hier. - Wir werden sehen.
NEUER BEITRAG09.01.2023, 21:19 Uhr
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arktika

Und weiter geht 's. Jetzt verbietet Israel palästinensische Flaggen im öffentlichen Raum, denn dies fördere "den Terrorismus". Dies berichtet RTdeutsch heute:

Israel verbietet palästinensische Flaggen im öffentlichen Raum
Der frisch ernannte israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hat das Aufhängen palästinensischer Flaggen an öffentlichen Orten verboten. Der Beamte geht davon aus, dass sie den "Terrorismus fördern".


Israels neuer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, erklärte, er habe die Polizei angewiesen, gegen alle Versuche, palästinensische Flaggen auf den Straßen des Landes zu zeigen, vorzugehen. Dem Minister zufolge sei das öffentliche Zeigen des Symbols, das seit 1964 von der Palästinensischen Befreiungsorganisation verwendet wird, mit Sympathiebekundungen für den Terrorismus verbunden:

"Es ist unfassbar, dass Gesetzesbrecher Terrorflaggen schwenken, zum Terrorismus aufrufen und ihn fördern."

Ben-Gvir wies dabei Bedenken zurück, dass sein Flaggen-Verbot die bürgerlichen Freiheiten verletzen könne. Er argumentierte, dass sich die Freiheit der Meinungsäußerung "nicht darauf erstreckt, sich mit Terroristen zu identifizieren ...", "... die versuchen, israelischen Soldaten zu schaden". In einem Tweet fügte er hinzu:

"Wir werden den Terrorismus und die Ermutigung zum Terrorismus mit aller Kraft bekämpfen."

Nach israelischem Recht ist das Aufhängen und Zeigen der palästinensischen Flagge nicht illegal, aber das Militär und die Strafverfolgungsbehörden sind befugt, sie zu entfernen, wenn sie als Bedrohung der öffentlichen Ordnung angesehen wird.

Der neue Minister erhielt das Amt, nachdem die nationalistische Partei Otzma Yehudit (Jüdische Stärke), zu der er gehört, der Koalitionsregierung des kürzlich wiedergewählten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu beigetreten war. Die Koalitionsvereinbarung sah unter anderem vor, palästinensische Flaggen aus staatlich finanzierten Einrichtungen zu entfernen. Die Anordnung von Ben-Gvir scheint noch einen Schritt weiter zu gehen und verbietet die Flaggen an allen öffentlichen Orten.

Vergangene Woche waren bei Feierlichkeiten zur Freilassung des Palästinensers Karim Younis im Norden Tel Avivs palästinensische Flaggen geschwenkt worden. Der Mann war 1983 wegen des Mordes an einem israelischen Soldaten verurteilt worden. Younis selbst schwenkte die palästinensische Flagge, als er nach Hause kam. Überdies waren am Wochenende bei einer Demonstration gegen die neue Regierung in Tel Aviv vereinzelt palästinensische Flaggen zu sehen.

Netanjahus Regierung kündigte am 6. Januar bereits eine Reihe von Strafmaßnahmen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde an, weil diese ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen über die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete eingeholt hatte. Unter anderem sollen die Maßnahmen Israels den Entzug des Reisepasses des palästinensischen Außenministers Riyad al-Maliki vorsehen
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NEUER BEITRAG22.01.2023, 20:21 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung jW morgen:

Druck auf Netanjahu wirkt

Israel: Größte Kundgebung in Geschichte des Landes. Premier entlässt vorbestraften Minister

Von Knut Mellenthin

Der Druck auf die seit dem 29. Dezember amtierende Ultrarechtsregierung in Israel wächst. Am Sonntag vormittag musste Premierminister Benjamin Netanjahu aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofs seinen wichtigsten Partner in der Regierung Arje Deri entlassen, der die Posten des Innen- und des Gesundheitsministers besetzt hatte. Er tue das »mit schwerem Herzen, mit großer Sorge und mit dem denkbar schlechtesten Gefühl«, betonte Netanjahu bei der Bekanntgabe dieser Maßnahme in der allwöchentlichen Kabinettssitzung.

Zuvor hatte es am späten Sonnabend nach dem Ende der Schabbatruhe in Tel Aviv die bisher größten Proteste gegen die neue Regierung gegeben. An zwei verschiedenen Orten der Stadt versammelten sich nach Polizeiangaben insgesamt 110.000 Menschen, während die Organisatoren sogar von 150.000 Teilnehmern sprachen. Die Verteilung auf zwei Kundgebungsplätze war nötig geworden, weil voraussehbar war, dass der Habima-Platz, auf dem sich am vorigen Sonnabend bei strömendem Gewitterregen 80.000 Menschen versammelt hatten, diesmal die Menge der Protestierenden nicht mehr fassen würde. Weitere Demonstrationen gab es in Jerusalem, Haifa, Beerscheba, Herzlija und anderen Städten. In Jerusalem protestierten mehrere tausend Menschen in der Nähe von Netanjahus Residenz.

Diesmal hatten auch die Politiker des Zentrums und der moderaten Rechten zu den Kundgebungen in Tel Aviv aufgerufen. Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) hielt eine der zahlreichen Reden und verkündete den allgemeinen Konsens der Protestierenden: »Wir geben nicht auf, bis wir gewonnen haben.« Der frühere Chef der israelischen Streitkräfte und ehemalige Verteidigungsminister Mosche Jaalon, seit Jahren ein populärer Gegenspieler Netanjahus, bezeichnete die gegenwärtige Regierung als »Diktatur von Verbrechern«.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen Deri, den Vorsitzenden der orthodoxen Schas-Partei, wird laut einer Umfrage, die am Sonntag bekannt wurde, von 70 Prozent der Bevölkerung begrüßt. Sogar bei den Wählern von Netanjahus Likud-Partei stimmen 57 Prozent der Entscheidung zu. Der Logik des Gerichts ist in der Tat schwer zu widersprechen. Deri, der 1999 schon einmal wegen Annahme von 150.000 Dollar Bestechungsgeld zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, stand im vorigen Jahr erneut vor Gericht, diesmal wegen Steuerhinterziehung. Er kam mit einer zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe davon, und das Gericht verzichtete darauf, sein Verhalten als »moralische Verkommenheit« – ein Begriff aus dem US-amerikanischen Recht – einzustufen, was eine siebenjährige Ämtersperre zur Folge gehabt hätte. Als Gegenleistung versprach Deri, er werde sich aus der Politik zurückziehen. Folglich dürfe er jetzt nicht Minister sein, ordnete am Mittwoch der Oberste Gerichtshof an.

Deri wird beim aktuellen Stand der Dinge trotzdem stellvertretender Premierminister bleiben. Das widerspricht offensichtlich der Tendenz des Urteils und könnte ein weiteres Gerichtsverfahren auslösen.

Sicher ist in jedem Fall, dass die Sonnabendsproteste in Tel Aviv und anderen Städten gegen die von der Ultrarechtskoalition geplante »Justizreform« fortgesetzt werden. Zahlenmäßig ist in den kommenden Wochen, wenn die Temperaturen steigen, noch Luft nach oben. Aber schon die Kundgebungen am Sonnabend waren vermutlich die größten, die jemals in Israel stattfanden.


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NEUER BEITRAG14.02.2023, 01:46 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung Hmm, wir werden sehen. Quantitativ scheint erstmal das dickeren Ende durch zu sein, qualitativ...?

jW heute:

Parlament blockiert

Pläne zur »Justizreform«: Landesweite Proteste und Streiks in Israel. Unternehmen befürchten Einbußen durch Ultrarechtsregierung

Von Knut Mellenthin

In Israel haben die wochenlangen Proteste gegen Benjamin Netanjahus Ultrarechtsregierung am Montag eine neue Qualität erreicht. Allein in Jerusalem drängte sich zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Obersten Gerichtshof eine unüberschaubare Menge von Menschen, deren Zahl am Nachmittag auf bis zu 100.000 geschätzt wurde. Zuvor war der erste Gesetzesvorschlag zur radikalen Umgestaltung des Justizwesens zur ersten Lesung in der Knesset zugelassen worden. Tausende waren seit den Morgenstunden in überfüllten Nahverkehrszügen, gecharterten Bussen und langen Autokonvois aus vielen Teilen des Landes, vor allem aus dem Großraum Tel Aviv, nach Jerusalem gekommen. Zahlreiche Politiker aller Oppositionsparteien richteten das Wort an die Protestierenden. Die Kundgebung bot am Montag einmal mehr das Bild eines Meeres blauweißer Nationalflaggen. Die Proteste der »Queer community«, die zu Beginn der Demonstrationen in Tel Aviv in großer Zahl mit Regenbogenflaggen aufgetreten waren, scheinen mittlerweile in den Hintergrund getreten.

Die Kundgebung in Jerusalem am Montag fiel zusammen mit einem erstmaligen Streikaufruf, der nach bisherigen Berichten hauptsächlich von Angestellten der Hightech-Branche getragen wurde, in der Israel international eine maßgebliche Stellung innehat. Nach Meldungen, die aus der Branche kommen, hatten fast 300 Unternehmen ihre Angestellten nicht nur für den Tag freigestellt, sondern geradezu ermutig und unterstützt, unter anderem durch das Anmieten von Bussen, zur Kundgebung nach Jerusalem zu fahren. Auch Zehntausende Ärzte und Wissenschaftler beteiligten sich an den Protesten. Dagegen steht die große Traditionsgewerkschaft Histadrut, die im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen von großer Bedeutung ist, einstweilen abseits.

Neben der Hightech-Branche haben sich dem politischen Protest auch Anwaltskanzleien und Banken angeschlossen. Es herrscht die Sorge, dass Netanjahus Regierungskoalition nicht nur dem allgemeinen Standing des zionistischen Staates großen Schaden zufügen, sondern auch die Chancen international tätiger israelischer Unternehmen zur geschäftlichen und finanziellen Kooperation nachhaltig verschlechtern wird. Schließlich strebt Netanjahu nicht nur eine umfassende »Justizreform« an, die Kritiker für den Untergang der israelischen Demokratie halten, sondern regiert zusammen mit ultrarechten Kräften, die ein totalitäres und rückwärtsgewandtes Religionsverständnis durchsetzen wollen.

Schon am späten Sonnabend – wie üblich nach dem Ende der Schabbat-Ruhe – hatten zum sechsten Mal große Protestkundgebungen gegen die Ul­trarechtsregierung stattgefunden. Nach Angaben der Organisatoren wurde mit 145.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Tel Aviv und weiteren 83.000 in anderen Städten ein neuer Rekord aufgestellt.

Am Sonntag hielt Staatspräsident Isaac Herzog eine Fernsehansprache, in der er kritisierte, dass Netanjahus Vorhaben »negative Auswirkungen auf Israels demokratische Grundlagen« haben werde und in der er zugleich für ein Zurückstellen der geplanten Vorhaben warb, um ein »Kompromissabkommen« zwischen Regierung und Opposition aushandeln zu können. In eine ähnliche Richtung geht anscheinend eine gemeinsame Initiative von mehr als 70 örtlichen Autoritäten, die vor die praktische Durchsetzung der »Justizreform« eine Dialogphase schalten wollen.


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NEUER BEITRAG16.02.2023, 20:31 Uhr
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arktika

"Hmm, wir werden sehen. Quantitativ scheint erstmal das dickeren Ende durch zu sein, qualitativ...?"
... sieht es mir - nach diesem Artikel - eher so aus, als ob mal wieder die in diesem Staat eh "Gekniffenen", sprich die PalästinenserInnen u. die ArbeiterInnenklasse (egal aus welchen Nationalitäten/Religionen zusammengesetzt) weder Objekt noch Subjekt dieser Proteste sind, oder zumindest nur marginal als "Feigenblättchen".
Es scheinen sehr nationalistische Proteste zu sein, deren TrägerInnen in der Masse eher "hippe", gut und in florierenden Branchen ausgebildete u. gut verdienende Menschen sind, darunter sehr viele Selbständige ... Und die sich eher um das Bild Israels in der Welt sorgen (da "schlecht für 's Geschäft") und weniger (bzw. nur aus vorgenanntem Grunde) um Faschismus, Ausbeutung u. Unterdrückung.
"Dagegen steht die große Traditionsgewerkschaft Histadrut, die im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen von großer Bedeutung ist, einstweilen abseits."
Auch dies hat ja eine gewisse Aussagekraft. Wobei ich aber nicht weiß, wie diese Gewerkschaft politisch einzuordnen ist.

Vielleicht wird ja trotzdem was draus, daß sich eine Eigendynamik (die von den derzeitigen TrägerInnen der Proteste sicher nicht gewünscht ist) entwickelt und in die richtige Richtung geht. Wie FPeregrin oben schreibt: wir werden sehen.
NEUER BEITRAG17.02.2023, 01:38 Uhr
EDIT: FPeregrin
17.02.2023, 01:44 Uhr
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FPeregrin

Oh, die Histadrut: Das ist die "gewerkschaftliche" Kampforganisation des sog. "Arbeiterzionismus".

Ich zitiere einfach mal die Fischer-Weltgeschichte, Bd. 15 (Verfasser Dan Diner), S. 374: "Kurze Zeit nach der Balfour-Deklaration riefen die damals schon organisierten Zionisten die Jewish Agency for Palestine unter dem Vorsitz von Chaim Weizmann, dem Präsidenten der Zionistischen Organisation, ins Leben. Die Jewish Agency wurde zur Vorstufe einer Regierung. Sie sammelte Gelder, kaufte in Palästina Land auf, um jüdischen Einwanderern die Niederlassung zu ermöglichen, gründete kollektive landwirtschaftliche Siedlungen, die kibbuzim, machte Hebräisch zu einer neuen Landessprache, rief die Histadrut, den Allgemeinen Gewerkschaftsverband, ins Leben, dem bald 90 Prozent aller jüdischen Arbeiter angehörten – mit einem Wort, sie war nicht nur eine wirtschaftliche, sondern im Grunde auch eine politische Institution. Schon 1939 verfügten die Zionisten über eine militärische Geheimorganisation, die Haganah, und später sollten sich etliche Terrororganisationen herausbilden, von denen vor allem der Irgun Zewa’i Le’umi und die Sternbande Bedeutung erlangen sollten." Dies zum Gründungszusammenhang.

Zur Funktion in diesem Zusammenhang., Ebd. Bd. 36 (ebenfalls Dan Diner), S. 170f. "Faßt man die Bedingungen der jüdischen Nationalstaatsbildung im arabisch besiedelten Palästina zusammen, dann bedurfte es, der bis 1948 noch fehlenden jüdischen Staatsgewalt wegen, ökonomischer Maßnahmen, die in Wirklichkeit kaum wirtschaftliche Bedeutung, sondern mehr eine staatsbildende Funktion hatten: Bodenkauf und agrarische Bearbeitung, die den jüdischen Menschen als zukünftigen national- staatstragenden Bürger durch Selbstarbeit mit dem Boden verbindet, seine Beweglichkeit einschränkt und die Rückkehr der Araber als Lohnarbeiter verhindert. Deshalb also das Übergewicht der kollektiven Siedlungsformen bei der zionistischen Landnahme in Palästina. / Im industriellen Bereich ging die Spaltung der Wirtschaft Palästinas, entlang der nationalen Unterschiede als Bedingung der Nationalstaatsgründung, vor allem mit der Bildung des zionistischen Gewerkschaftsverbandes »Histadruth« einher. Da die Histadruth nur jüdische Arbeitskräfte aufnahm, was Zvi Sussman als »institutionelle Diskriminierung« kennzeichnet, und sie im Vergleich zu den arabischen Arbeitern besser stellte, wurde auf die jüdischen Unternehmer Druck ausgeübt, der höheren Löhne wegen, die sie zu zahlen gezwungen wurden, mehr Maschinen einzuführen, als die billigere arabische Arbeitskraft es erforderlich gemacht hätte. Die Folge davon war, daß die jüdischen Arbeiter die gelernten und die arabischen die ungelernten Arbeitskräfte stellten. Der Arbeitsmarkt spaltete sich also derart, daß das soziale Element mit dem nationalen einherging. Nationale Konflikte brachten damit soziale mit sich – und umgekehrt. / Es waren vor allem die zionistischen Arbeiterorganisationen, die sogenannten Linkszionisten, die jene Nationalisierung der Ökonomie betrieben. Dies stand in schroffem Gegensatz zu ihrem sozialistischen Selbstverständnis. Jener Widerspruch wird von einem bedeutenden Vertreter des Arbeiter-Zionismus artikuliert, wenn er sich erinnert, wie er nach dem Ersten Weltkrieg anderen Sozialisten aus Commonwealth- Ländern den zionistischen Sozialismus zu erklären hatte: »Ich mußte mit meinen Freunden über den jüdischen Sozialismus [in Palästina] streiten, mußte die Tatsache verteidigen, daß ich keine Araber in meiner Gewerkschaft, der Histadruth, akzeptierte; daß wir an Obstplantagen Wache hielten, um arabische Arbeiter zu hindern, dort Arbeit zu finden; daß wir Benzin auf arabische Tomaten schütteten; daß wir jüdische Hausfrauen attackierten und arabische Eier, die sie gekauft hatten, vernichteten; daß wir den jüdischen Nationalfonds bejubelten, der Hankin [einen zionistischen Bodenkäufer] nach Beirut schickte, um Land bei abwesenden Großgrundbesitzern zu kaufen, und die arabischen Fellahen vom Boden vertrieb; daß es erlaubt ist, Tausende Dunam von Arabern zu kaufen, aber verboten, einen einzigen jüdischen Dunam an einen Araber zu verkaufen .... All das zu erklären, war nicht leicht.«"

Und nach der Staatsbildung eben die staatstragende aschkenasisch-sozialdemokratische Einheitsgewerkschaft, ... unter den zusätzlichen Bedingungen eines Regimes, für das die Charakterisierung 'Apartheid' bereits früh Verwendung fand. ... es ist eben auch die Frage, wo etwas anfängt, das man dann noch steigern kann ... (Dies zu einem Teil der Ausgangsdebatte, mit Leuten, die sie offenbar hier nicht mehr führen wollen.)

Konkret: Ein institutionell wesentlicher, ökonomisch konstituierender Bestandteil des Zionismus' als System beteiligt sich eben nicht an den gegenwärtigen Protesten gegen die Einschränkungen von demokratischen und Freiheitsrechten. Es ist - böse gesagt - ein Hipster-Aufstand. Aber immerhin: Pink- & Rainbow-Washing des Zionismus wird von jetzt an nicht mehr so einfach möglich sein! Das ist nicht nichts!
NEUER BEITRAG17.02.2023, 21:15 Uhr
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arktika

Danke für die Hintergrundinformationen.
Ich kann mich erinnern, das schon mal in einer autonomen Seminarreihe zu Palästina, die auf sehr hohem Niveau stattfand, gehört oder gelesen zu haben; war damals von einer lokalen Palästina-Soligruppe organisiert worden. Hatte ich leider mittlerweile vergessen, ist ja auch schon über 30 Jahre her.
NEUER BEITRAG21.02.2023, 22:24 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung Ich weiß, ich bin ein Drecksack, und zitiere einfach mal kontextfrei und sinnentstellend smersch aus seinem Post vom 18. März 2018. "Das ist eine sehr spezielle Situation." - jW morgen:

Durchmarsch der Rechten

Israelisches Parlament stimmt für »Justizreform«, Opposition soll eingehegt werden. UN-Sicherheitsrat verurteilt Siedlungsbau

Von Knut Mellenthin

Die israelische Regierung ist am Dienstag mit ihrer »Justizreform« einen großen Schritt vorangekommen. Das Parlament stimmte nach stundenlanger Debatte am frühen Morgen kurz nach Mitternacht in erster Lesung einem wichtigen Gesetz zu. Zuvor hatten Zehntausende rund um das Knessetgebäude in Jerusalem gegen die reaktionärste Regierung in der Geschichte Israels protestiert. Sie skandierten hauptsächlich die Parole »Demokratie«, viele trugen die blau-weiße Staatsfahne. Schon am späten Sonnabend waren nach Angaben der Veranstalter fast 250.000 Demonstranten in rund 40 Orten auf der Straße gewesen. Die wichtigsten Proteste hatten mit 135.000 Teilnehmern in Tel Aviv, 22.000 in Kfar Saba und 18.000 in Haifa stattgefunden.

Die Abstimmung am frühen Dienstag ergab eine klare Mehrheit von 63 gegen 47 Stimmen ohne Enthaltungen. Allerdings blieben einige Abgeordnete dem Votum fern. Das Gesetz besteht im wesentlichen aus zwei Punkten. Zum einen wird die Rolle der jeweiligen Regierungskoalition bei der Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs, der dem deutschen Bundesverfassungsgericht entspricht, gestärkt. Außerdem wird der Gerichtshof weitgehend entmachtet: Er würde, wenn das Gesetz wirklich durchkommt, das Recht verlieren, neue Gesetze außer Kraft zu setzen, die nach Meinung seiner Mehrheit den Basic Laws – dem israelischen Äquivalent einer dort nicht existierenden Verfassung – widersprechen. Zusätzlich erregt Empörung, dass diese Regelung ab sofort gelten soll. Der Oberste Gerichtshof könnte also das auf dem Weg befindliche Gesetz nicht aufheben.

Nach dem hektischen Dienstag, der im Zeichen der hochgradigen Polarisierung der israelischen Gesellschaft stand, soll voraussichtlich im Parlament eine Pause eintreten: Die zweite und dritte Lesung des Gesetzes sind erst für etwa Ende März geplant. Das vorgegebene Ziel ist, einen »Dialog« zwischen Regierung und Opposition zu eröffnen, der zu Kompromissen führen soll. Dafür setzt sich an oberster Stelle Staatspräsident Isaac Herzog ein, der ursprünglich aus der oppositionellen Arbeitspartei kommt, aber in Ausübung seines Amtes unangenehm versöhnlerisch auftritt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die heterogene Opposition, deren Koalitionsregierung 2022 nach nur etwa einem Amtsjahr gescheitert war, im Zuge des angestrebten »Dialogs« spalten lässt.

Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass 66 Prozent der Israelis gegen die geplante »Justizreform« sind. Aber rund 70 Prozent insgesamt und sogar 83 Prozent der Oppositionswähler sprechen sich für einen »Dialog« aus.

Ungefähr gleichzeitig mit der Knessetdebatte gab es Montag nacht eine ungewöhnliche Entscheidung im UN-Sicherheitsrat: In einer sogenannten Präsidentenstellungnahme sprach das Gremium seine »tiefe Sorge und Bestürzung« über Israels Ankündigung vom 12. Februar aus, die zionistischen Siedlungen im besetzten palästinensischen Westjordanland noch mehr auszudehnen und mehrere provokatorisch angelegte »Außenposten« nachträglich zu legalisieren. Trotz offen erklärtem Unwillen der israelischen Regierung stimmten die USA überraschend der Stellungnahme zu. Diese hat allerdings keine praktischen Auswirkungen. Washington konnte damit die Vereinigten Arabischen Emirate veranlassen, einen Resolutionsantrag zurückzuziehen, den sie für die Palästinensische Nationalbehörde eingebracht hatten.


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NEUER BEITRAG21.02.2023, 22:57 Uhr
EDIT: FPeregrin
22.02.2023, 10:42 Uhr
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FPeregrin

P.S.: ... und weiter im vollen Bewußtsein meines Drecksacktums, hier Leute anzugreifen, die längst die Segel gestrichen haben, weil es mir um die sachliche Richtigstellung geht - im og. Post:

a) "rassistisch im eigentlichen - also biologischen - Sinne" . Gibt es für historische Materialisten 'Rassen' (!) in einem biologischen Sinne jenseits der sozialen Konstruktion entlang bestimmer und zu bestimmender Unterdrückungsstrukturen? Nein! - Anderenfalls wäre ganz sicher der deutsche Antislawismus im 2. WK sonstwas, aber nicht rassistisch, ... der Antisemitismus bis zur Gaskammer im übrigen auch nicht!

b) "Einer der ersten Maßnahmen im Rahmen der Apartheid war das Verbot von Sexualbeziehungen zwischen Weißen und Nicht-Weißen (mit Gefängnisstrafe die tatsächlich Tausende von SüdafrikanerInnen betraf) sowie dem Verbot der Mischehe. / Beides gab und gibt es in Israel nicht" - Das stimmt nicht und ist eine dreiste Lüge! Das israelische Familienrecht - und nicht nur das - ist religiös und nicht zivil. Es läßt keine Ehen von Juden und Nicht-Juden zu bzw. setzt ein religiöse (!) Konversion voraus. Es gibt also keine jüdischen Mischehen in Israel qua Staatsräson. - Soviel zur Auffassung, Israel sei der Staat der jüdischen Überlebenden des Holocaust an den durch die Nürnberger Rassegesetze aussortierten! Soll ich das wirklich glauben?

P.S.2: Ich räume auf mit den Dingen, die ich mal taktisch unwidersprochen durchgelassen habe. Man halte es mir zugute.
NEUER BEITRAG03.03.2023, 00:16 Uhr
EDIT: FPeregrin
03.03.2023, 00:18 Uhr
Nutzer / in
FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung jW heute:

Tränengas und Todesstrafe

Israel: Unübliche Härte gegen Antireformproteste. Ökonomen warnen vor Krise bei Justizschwächung. Debatte zu »Terroristen«

Von Knut Mellenthin

Hunderte israelische Ökonomen haben am Donnerstag bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr eine dringende Warnung vor den Folgen der »Justizreform« veröffentlicht. Zügig vorangetrieben wird diese von der ultrarechten Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu. Unter den Beteiligten sind mehrere ehemalige Regierungsberater und der zweimalige Gouverneur der Bank of Israel, Jacob Frenkel.

Mit dem ersten Appell waren die Unterzeichner am 25. Januar an die Öffentlichkeit gegangen. Jetzt haben sie ihre Warnung verschärft: Das »finanzielle Abschmelzen« der israelischen Wirtschaft könne »noch stärker und schneller« passieren, als sie es erwartet hatten. »In den vergangenen Wochen beobachten wir die ersten Anzeichen von Kapitalflucht, die die Bank of Israel dazu nötigt, die Anhebung der Zinssätze in raschem Tempo fortzusetzen«.

Der Mittwoch hatte als »Tag der Störung« erneut im Zeichen großer Straßenproteste gestanden, vor allem in Tel Aviv und Jerusalem, die von den ganz frühen Morgenstunden bis Mitternacht andauerten. Am Abend konzentrierte sich das Geschehen auf den Versuch von mehreren Tausend Demonstranten, zur Residenz Netanjahus in Jerusalem vorzudringen. Das Vorhaben wurde von der Polizei mittels weiträumiger Blockaden verhindert. Dabei ging sie stellenweise mit einer Härte vor, die in Israel gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger unüblich ist und als schockierend empfunden wurde. Zum Einsatz kamen erstmals seit Beginn der Proteste Anfang Januar Wasserwerfer, berittene Einheiten, Tränengas, Blend- und Schockgranaten.

Während die Polizei den Einsatz dieser Mittel mit Übergriffen der Demonstranten begründet, sagten anonym bleibende hochrangige Polizeioffiziere gegenüber einzelnen Medien, dass von solchen Auslösern nicht gesprochen werden kann. Vielmehr habe Polizeichef Kobi Schabtai sich beim ultrarechten Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, ein gutes Standing verschaffen wollen.

Ebenfalls am Mittwoch stand erstmals die von der Regierung angestrebte Einführung der Todesstrafe gegen arabisch-palästinensische »Terroristen« auf der Tagesordnung des Parlaments. Eine rechtlich bedeutungslose Vorabstimmung passierte der entsprechende Gesetzentwurf mit 55 gegen neun Stimmen. Die Opposition hatte die Abstimmung weitgehend boykottiert. Viele Politiker verließen die Knesset, um den draußen versammelten Demonstranten ihre Unterstützung zu versichern.

Das Gesetz muss nun durch die regulären drei Lesungen gehen. Die Todesstrafe kann demnach gegen Personen verhängt werden, die absichtlich oder aus Gleichgültigkeit den Tod eines israelischen Bürgers verursachen, wenn die Tat aus rassistischen Motiven begangen wird und »dem Staat Israel und der Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Heimatland« schaden soll. Aus dieser Formulierung wird plausibel gefolgert, dass das Gesetz nicht gegen Juden anzuwenden ist, die aus politischen Gründen arabische Bürger oder Palästinenser ermorden.

Das Gesetz soll auch in den besetzten Gebieten Anwendung finden. Die »Rechtsprechung« werde dort durch Militärtribunale erfolgen. Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, eine Gegnerin der »Justizform«, wandte dagegen ein, dass israelisches Recht – zumindest bislang – in den besetzten Gebieten keine Geltung hat.

Ein politisches Problem für die Regierungskoalition könnte sich daraus ergeben, dass die ihr angehörende Partei Schas, die sephardische orthodoxe Juden vertritt, die Todesstrafe aus religiösen Gründen ablehnt. Nicht ganz so weit geht die zweite orthodoxe Partei, Vereinigtes Torah-Judentum, die die Juden westlicher Herkunft repräsentiert: Sie würde sich bei der Abstimmung vermutlich enthalten. Die laizistische, aber extrem rechte Oppositionspartei Jisrael Beitenu hingegen fordert schon lange ein solches Gesetz.


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Jisrael Beitenu hat in dieser Runde in der Tat noch gefehlt!
NEUER BEITRAG03.03.2023, 00:22 Uhr
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FPeregrin

Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung Und ebd.:

Hetzer des Tages: Bezalel Smotrich

Von Jakob Reimann

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich brüstete sich im Januar voller Stolz in einem Gespräch, das der Radiosender Kan veröffentlichte: »Ich bin ein faschistischer Homophober.« Doch, so versicherte der Chef der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus: »Ich werde Schwule nicht steinigen.« Nett von ihm. Weniger Glück haben hingegen die knapp fünfeinhalb Millionen Palästinenser, die im besetzten Westjordanland und dem Freiluftgefängnis Gaza leben: Das israelische Militär solle »palästinensische Städte mit Helikoptern und Panzern angreifen«, forderte er am Mittwoch beim Wirtschaftsmagazin The Marker. Und das, für einen religiösen Fanatiker selbstverständlich, »ohne Erbarmen«.

Auch für Huwara, jener Kleinstadt bei Nablus, die am Sonntag Schauplatz hassgeladener Angriffe wurde, hat Smotrich eine Lösung parat: Die Stadt »sollte ausradiert werden«. Sicher, Smotrich ist ein herausragend abscheulicher Zeitgenosse, doch was wollen wir schon erwarten von einer Koalition, in der Netanjahu und sein reaktionärer Likud den linken Flügel stellen? In Sachen von Massakern und Zwangsaussiedlung herrscht bei den Ultrarechten Arbeitsteilung: Der zweite Faschist im Bunde, Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, versprach im Wahlkampf, sich für ein »Deportationsgesetz« starkzumachen. Und er lieferte bereits: Im Januar wurde das menschenverachtende Gesetz in erster Lesung mit 89 zu acht Stimmen von der Knesset durchgewunken. Wie Smotrichs Plan für palästinensische Gebiete aussieht, legte er bereits 2017 dar. Palästinenser hätten demnach die Wahl: Unterwerfung, Emigration oder Tod.

Mit diesen Rassisten an den Schalthebeln offenbart die israelische Apartheid ihre wohl hässlichste Fratze, und eines wird klar: Diese Regierung aus Fanatikern ist angetreten, die Palästinenser endgültig aus dem historischen Palästina zu vertreiben. Die Nakba hat nie aufgehört.


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NEUER BEITRAG03.03.2023, 12:34 Uhr
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mischa

Huwara – Über Solidarität und Gewalt

Angesichts der schrecklichen Ereignisse in dem palästinensischen Dorf Huwara erklären wir als Internationalist*innen unsere Solidarität mit den Angegriffenen und der unterdrückten Bevölkerung Palästinas.

Am 26. Februar zündeten über Stunden hinweg hunderte israelische Siedler:innen unter den Augen des israelischen Militärs Autos und bewohnte Häuser an. Ein palästinensischer Dorfbewohner wurde erschossen, etwa 100 Menschen wurden verletzt, mehrere von ihnen erlitten schwere Verletzungen durch Schüsse, Messerstiche und Eisenstangen.

Auf der einen Seite lässt sich dieser jüngste Ausbruch der Gewalt einordnen in die sich beständig erneuernde Eskalation des historischen Konflikts. Zuvor kam es zu einem Mord an zwei israelischen Siedlern, davor zu einem Angriff des israelischen Militärs auf die palästinensische Stadt Nablus, der 11 Tote und über 100 Verletzte hinterließ. Die Suche nach einem Ursprung der Dynamik von Aktion und Reaktion, das Aufrechnen der Toten und Verletzten, droht in den Hintergrund treten zu lassen, was diesen Konflikt strukturiert: Die Jahrzehnte andauernde Besatzung Palästinas und die Vertreibung, Enteignung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung.

Gleichzeitig sollten wir nicht übersehen, dass sich in diesem Konflikt gerade etwas verschiebt. In der neuen israelischen Regierung sitzen Minister die sich selbst als faschistisch bezeichnen, die die Annexion der besetzten Gebiete in der West Bank und die vollständige Vertreibung der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung anstreben. Auf dem Weg dorthin liegt die Übertragung der sogenannten Ziviladministration über die West Bank vom Militär an das Ministerium eines extrem rechten Siedlerpolitikers, die Zwangsausbürgerung und die Verhängung der Todesstrafe für unter Terrorgesetzen Verurteilte. Letztere Punkte betreffen ausdrücklich nicht jüdische Verurteilte. Die Zusammenarbeit von israelischer Regierung, Militär und radikalen Siedler:innen ist nichts Neues. Aber in der heutigen politischen Konstellation findet dieses Bündnis zu seiner organischen Einheit. Die Gewalt der Siedler:innen wird nicht mehr nur gedeckt, der Terror der Siedler:innen droht zum Motor der Regierungspolitik zu werden. So erklärte Finanzminister Bezalel Smotrich, auch zuständig für die Siedlungspolitik in der Westbank, der Staat Israel müsse Huwara ausradieren.

Doch nicht nur in Palästina regt sich dagegen Widerstand. In Israel demonstrieren seit Regierungsantritt Hunderttausende gegen den Rechtsruck und die undemokratischen Gesetzesreformen der Regierung. Nach dem terroristischen Angriff der Siedler:innen in Huwara gingen Israelis aus dieser Bewegung in 16 Städten auf die Straße. Unter der Parole “Unser Herz ist in Huwara” solidarisierten sie sich mit den Angegriffenen und sammelten Geld für den Wiederaufbau des Dorfes. Wir sind berührt von dieser Geste und solidarisieren uns weiterhin mit der israelischen Linken und ihrem mutigen Kampf gegen ihre Regierung. In der Solidaritätsarbeit der israelischen Linken liegt das Potenzial, einen in den Anti-Regierungsprotesten oftmals verdrängten Aspekt aufzugreifen:

Es gibt keine Gerechtigkeit ohne ein Ende der Besatzung. Und es wird kein Ende der Besatzung geben ohne einen sozialen Prozess, der Bewegungen in Israel und Palästina schafft, die gegen ihre autoritären, korrupten Herrschenden kämpfen und für ihre gemeinsame Befreiung.

Vielleicht wird dann eine politische Vision zurückkehren, an die einst viele Linke innerhalb und außerhalb Israels geglaubt haben. Die Idee eines einzigen Staates mit gleichen Rechten für alle Menschen, die dort leben unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft oder einer ethnischen Identität. Vielleicht wird diese Idee erneuert und inspiriert werden von den Kämpfen in Rojava, wo das Projekt eines multiethnischen demokratischen Konföderalismus mehr von kollektiver Autonomie als von Staaten spricht.

Bis dahin bleiben wir solidarisch mit der israelischen und palästinensischen Linken und dem Widerstand gegen Krieg und Besatzung!

Interventionistische Linke Düsseldorf [see red!], März 2023
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