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•NEUES THEMA16.03.2018, 13:08 Uhr
EDIT: FPeregrin
15.07.2020, 14:12 Uhr
15.07.2020, 14:12 Uhr
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• Israel: antifa.-dem. Stoßrichtung
Die KP Israels und Haddash veröffentlichten vor drei Tagen folgende Erklärung, die ich hier mal ganz einstelle:
Das Nationalitätengesetz legalisiert die Apartheid in Israel!
Die Kommunistische Partei Israels (KPI) und die „Demokratische Front für Frieden und Gleichheit“ (Haddash) warnen vor den Versuchen der regierenden Rechtskoalition in der Knesset die Gesetzgebung für das Nationalitätengesetz zu beschleunigen. Sie sehen es an als ein „rassistisches Gesetz, das die Apartheid offiziell und offen gesetzlich einführt“.
KPI und Haddash versichern, dass die arabisch-palästinensischen Bürger/innen Israels die nativen Einwohner dieses Lands sind – und ihre Rechte müssen auf dieser faktischen Grundlage respektiert werden. Außerdem gibt es angesichts dieses Angriffs eine Notwendigkeit der palästinensischen Minderheit in Israel volle Gleichheit ohne Diskriminierung in bürgerlichen und nationalen Rechtsfragen zuzusichern, besonders in Land- und Wohnungsangelegenheiten, sowie eine aufrichtige Anerkennung der arabischen Sprache, als eine offizielle Sprache im Staat.
Die neuerliche Realitätsflucht der Regierung, hier zur Verabschiedung dieser rassistischen Gesetzgebung, genau wenn Gespräche über vorgezogene Wahlen aufkommen, unterstreicht ihre tiefe politische Krise. Im Zusammenhang mit der Korruptionsuntersuchung gegen Netanyahu und seine Komplizen zeigt diese Gesetzgebung den faschistischen und antidemokratischen Charakter dieser Regierung.
KPI und Haddash sagen, dass Netanyahu den Versuch unternimmt, den Wahlkampf in eine Arena rassistischen und faschistischen Aufruhrs gegen die arabisch-palästinensische Minderheit zu verwandeln und die nationalistischen Tendenzen unter den rechtsgerichteten Siedler-Befürwortern anzufachen.
Die Kommunistische Partei und Haddash rufen zu einer Verstärkung der Kampfeinheit der arabischen Bevölkerung gegen diese rassistische Politik wie auch zur Kampfeinheit aller demokratischen, fortschrittlichen Kräfte der israelischen Gesellschaft auf – in Verteidigung der Prinzipien von Demokratie und Gleichheit gegen die anstehende faschistische Gefahr.
13. März 2018
Komitee für Internationale Beziehungen
Kommunistische Partei Israels
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Es ist m.E. evident, daß es eine Lösung des Nahostkonflikts nur dann geben kann, wenn eine gleichgerichtete fortschrittliche Massenbewegung entsteht, die beide (!) nationalen Gemeinschaften im historischen Mandatsgebiet Palästina erfaßt. Eine solchen von KP und Haddash vorgeschlagene antifaschistisch-demokratische Stoßrichtung wäre qualitativ dazu geeignet; ... ob quantitativ - d.h. auch in der nationalen Balance - wird sich zeigen. Zu hoffen wäre es!
Das Nationalitätengesetz legalisiert die Apartheid in Israel!
Die Kommunistische Partei Israels (KPI) und die „Demokratische Front für Frieden und Gleichheit“ (Haddash) warnen vor den Versuchen der regierenden Rechtskoalition in der Knesset die Gesetzgebung für das Nationalitätengesetz zu beschleunigen. Sie sehen es an als ein „rassistisches Gesetz, das die Apartheid offiziell und offen gesetzlich einführt“.
KPI und Haddash versichern, dass die arabisch-palästinensischen Bürger/innen Israels die nativen Einwohner dieses Lands sind – und ihre Rechte müssen auf dieser faktischen Grundlage respektiert werden. Außerdem gibt es angesichts dieses Angriffs eine Notwendigkeit der palästinensischen Minderheit in Israel volle Gleichheit ohne Diskriminierung in bürgerlichen und nationalen Rechtsfragen zuzusichern, besonders in Land- und Wohnungsangelegenheiten, sowie eine aufrichtige Anerkennung der arabischen Sprache, als eine offizielle Sprache im Staat.
Die neuerliche Realitätsflucht der Regierung, hier zur Verabschiedung dieser rassistischen Gesetzgebung, genau wenn Gespräche über vorgezogene Wahlen aufkommen, unterstreicht ihre tiefe politische Krise. Im Zusammenhang mit der Korruptionsuntersuchung gegen Netanyahu und seine Komplizen zeigt diese Gesetzgebung den faschistischen und antidemokratischen Charakter dieser Regierung.
KPI und Haddash sagen, dass Netanyahu den Versuch unternimmt, den Wahlkampf in eine Arena rassistischen und faschistischen Aufruhrs gegen die arabisch-palästinensische Minderheit zu verwandeln und die nationalistischen Tendenzen unter den rechtsgerichteten Siedler-Befürwortern anzufachen.
Die Kommunistische Partei und Haddash rufen zu einer Verstärkung der Kampfeinheit der arabischen Bevölkerung gegen diese rassistische Politik wie auch zur Kampfeinheit aller demokratischen, fortschrittlichen Kräfte der israelischen Gesellschaft auf – in Verteidigung der Prinzipien von Demokratie und Gleichheit gegen die anstehende faschistische Gefahr.
13. März 2018
Komitee für Internationale Beziehungen
Kommunistische Partei Israels
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Es ist m.E. evident, daß es eine Lösung des Nahostkonflikts nur dann geben kann, wenn eine gleichgerichtete fortschrittliche Massenbewegung entsteht, die beide (!) nationalen Gemeinschaften im historischen Mandatsgebiet Palästina erfaßt. Eine solchen von KP und Haddash vorgeschlagene antifaschistisch-demokratische Stoßrichtung wäre qualitativ dazu geeignet; ... ob quantitativ - d.h. auch in der nationalen Balance - wird sich zeigen. Zu hoffen wäre es!
•NEUER BEITRAG16.03.2018, 16:03 Uhr
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smersch | |
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Wenn ich Nationalitätengesetz Israels google, komme ich immer nur auf Artikel aus 2014 oder 2015.
Geht es darum, dass Israel ein "jüdischer Staat" sein soll?
PS: Im Interview mit der UZ hat der Generalsekretär der KP Israels zudem für meinen Geschmack ein etwas fragwürdig laxen Umgang was Begriffe wie "faschistisch" oder "Apartheid" angeht, demonstriert.
Apartheid als zu wenig Geld für "arabische Ratshäuser" (ist wohl ein Übersetzungsfehler, oder?) und nicht genug Industrieentwicklung in arabischen Vierteln?
Bei südafrikanischen Apartheid würden mir ja erstmal jede Menge ganz andere Dinge einfallen, bis ich irgendwann mal bei sowas lande. Mit der Begründung leiden Ostdeutsche ja auch unter einer Apartheid.
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•NEUER BEITRAG17.03.2018, 15:53 Uhr
EDIT: FPeregrin
03.10.2021, 19:17 Uhr
03.10.2021, 19:17 Uhr
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FPeregrin | |
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Unabhängig davon, daß der 'Apartheid'-Begriff in Anwendung auf israelische Politik ein alter Hut ist - ob immer zu recht oder zu unrecht, muß uns jetzt gar nicht interessieren -, trifft genau diese Bestimmung in Bezug auf das Nationalitätengesetz und die von Adel Amer im UZ-Interview erwähnten Beispiele aus etwa weiteren 70 weiteren, ab dem dem Gaza-Krieg 2014 verabschiedeten Gesetzen definitiv zu. Daß es immer noch schlimmer geht, kann kein Argument gegen die grundsätzliche Konstatierung ethnischer Segregation sein, "bei der die Staatsgewalt [...] zur Einschränkung der sozialen und bürgerlichen Rechte einer Gruppe missbraucht wird". Eine Laxheit in der Anwendung des Begriffes 'Apartheid' kann ich also hier nicht finden.
Ähnlich ist dies mit Adel Amers Verwendung des Begriffes 'Faschismus'. Ich zitiere mal: "Ich möchte das klarstellen. Ich habe gesagt, Israel entwickelt sich in eine faschistische Richtung. Es gibt Erscheinungen innerhalb der israelischen Gesellschaft, die in diese Richtung gehen. In Israel gibt es eine starke Diskriminierung auf Grundlage der Nationalität, die sich vor allem gegen die palästinensischen Araber richtet. Dies wird seit dem Tag der Gründung Israels praktiziert. In den letzten Jahren, nach so vielen Jahren israelischer Besatzung und mehreren wirtschaftlichen Krisen, haben sich Widersprüche in der israelischen Gesellschaft herauskristallisiert. Jene, die die Macht in Israel haben, können diese Widersprüche nicht auflösen. Sie begegnen den Widersprüchen mit zunehmender Diskriminierung gegen die arabische Minderheit, aber auch gegen andere Minderheiten in Israel." Und: "Israel ist ein Apartheidstaat, aber noch kein faschistischer Staat." - Dies ist analog zu dem, was hier bereits in anderen Threads in Bezug zu unserem imperialistischen Hauptfeind im eigenen Lande hinsichtlich zahlreicher Mißverständnisse gesagt worden ist: 'Faschistischer Staat' ist etwas anderes als 'drohender Faschismus' oder 'Vorbereitung einer faschistischen Option'. Trotzdem ist letzteres notwendige Bedingung für ersteres und muß daher bekämpft werden. Adel Amer konstatiert hier Israel nichts anderes, als was u.a. in diesem Forum oder in der KAZ andere in Bezug auf die BRD kostatieren: eine akute faschistische Gefahr. Es wäre m.E. auch sehr erstaunlich, wenn sich nun ausgerechnet das kleine Israel entgegen einem wahrnehmbaren allgemeinen Trend verhalten würde! Abgesehen davon, daß wir vielleicht noch einmal klären müssen, was 'Faschismus' in Bezug auf abhängige und nicht-imperialistische Länder heißt - insbesondere, wer hier die treibende Monopol-Bourgeoisie ist -, kann ich auch einen laxen Umgang mit dem Begriff 'Faschismus' nicht erkennen.
P.S.: Daß Israel (noch?) kein faschistischer Staat ist, kann man u.a. daran erkennen, daß solche Debatten, wie die in der Knesset im Oktober letzten Jahres über das Nationalitätengesetz geführt wurden, (noch?) möglich sind. Ich verlinke nicht ohne Grund auf die bürgerlich-zionistischen ynetnews:
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•NEUER BEITRAG18.03.2018, 00:45 Uhr
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smersch | |
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Also als jemand, für den der Untschie zwischen Wesen und Erscheinung einer der wesentlichen Fundamente einer marxistischen Analyse ist, ist es für mich:
a, schon wesentlich ob etwas zutrifft oder nicht (!?)
b, sollten wir schon an der Speerspitze derer sein, die eben versuchen wesentlichen(!) Gemeinsamketien von unwesentlichen zu trennen, statt der bürgerlichen Trend der Beliebigkeit hinterherzutrotten
Insofern finde ich das Begriffe wie Rassimus, Faschismus und Apartheid schon halbwegs gut ausgearbeit sein sollen und da sie ihre Wirkmächtigkeit zu bestimmten historischen Zeiträumen (bzw. gar Orten) hatten, sind sie nicht Begriffe die sich im Lauf der Zeit ändern sollten, weil sich die Zeit ändert. Dann brauchen wir eben neue Begriffe. Denn ansonsten können wir uns einen historischen Materialismus gleich sparen, da dann niemand mehr durchblickt.
"Heute wird der Begriff auch im Sprachgebrauch für jegliche Arten von ethnisch bzw. rassistisch motivierter Segregation verwendet, bei der die Staatsgewalt in einem Land zur Einschränkung der sozialen und bürgerlichen Rechte einer Gruppe missbraucht wird."
Der Hinweis, dass mit dieser Definition Apartheid herrscht ist natürlich tautologisch, da diese Definition ja sagt, das "jede"(!) Diskriminierung die auf "Ethnie" oder "Rasse" abspielt Apartheid ist. Ich hingegen finde, dass das wesentliche an der Apartheid aber nicht war, dass sie diskriminierend war, sondern einerseits, dass sie es bis in die 1990er beibehalten haben und andererseits wie sie diskriminiert haben.
Nicht nur, dass sie rassistisch im eigentlichen - also biologischen - Sinne waren, sondern sie haben ja tatsächlich sie die Mühe gemacht verschiedene Untergrupen zu gründen. Noch dazu mit so bizarren Phänomen wie die Eingliederung von JapanerInnen als Weiße. Ebenso hatten sie ein recht ausgeklügeltes System von Rechten und Priviliegien. Sie waren zynisch gesagt, die StreberInnen unter den RassistInnen, da sich die meisten RassistInnen nicht so ein Mühe machen würden.
Einer der ersten Maßnahmen im Rahmen der Apartheid war das Verbot von Sexualbeziehungen zwischen Weißen und Nicht-Weißen (mit Gefängnisstrafe die tatsächlich Tausende von SüdafrikanerInnen betraf) sowie dem Verbot der Mischehe.
Beides gab und gibt es in Israel nicht (ab es allerdings in den USA).
Ebenso wurde jede Kritik oder Opposition gegen die Apartheid unter Strafe gestellt.
Schwarze hatten weiße Vorsteher die sich für ihre Belange einsetzten sollten und wurden weitesgehen aus dem Parlament ausgeschlossen.
Man hat ihnen bestimmte Arten der Schulbildung verwehrt mit dem Hinweis, sie sind eh zu blöd für Mathematik o.ä.
Und noch vieles, vieles mehr.
Selbst die Rassentrennung in den USA hat sich ja selbst verpflichtet "separate but equal" zu sein. Das war zwar in der Praxis ein schlechter Witz, aber die Südafrikaner haben sich ja noch nicht mal für ihren Rassismus geschämt, du sie also nicht über den Widerspruch der Gewährung bürgerlicher Gleichheit packen konntest, wie viele Diskriminierungen heutzutage. Diesen Widerspurch hättest du auch in Israel, da sie selbst als "jüdischer Staat" die Gleichheit der Staatsbürger garantieren sollen.
Das ist schon wesentlich und nicht die Diskriminierung.
Ebenso sollten wir schon aufpassen, was wir meinen, wenn wir PalästinenserInnen sagen. Meinen wir damit die arabischstämmigen Israelis (die ja selbst noch mal untergliedert werden können in Palästinener oder Drusen, die sich nicht als Palsästinenser sehen und relativ geschlossen zu Israel stehen) oder meinen wie die BewohnerInnen der besetzten Gebiete.
Den die BewohnerInnen der besetzen Gebiete sind keine Staatsbürger, wollen aber auch kein sein. Und Nicht-Staatsbürger sind leider überalle auf der Welt schlechter gestellt. Wir sollten das aus Gründen der Klarheit nicht vermischen.
Der Konflikt dreht sich ja anders als in Südafrika oder den USA nicht um den Status der eigenen Bevölkerung auf dem eigenen Territorium ab, sondern er dreht sich primär um den Status einer fremden Bevölkerung auf einen fremden Territorium, das leider militärische Besetzt ist, mit einer unklaren Zukunft und einem Besatzungsregime, dass offensichtlich gerne noch den ein oder anderen Teil dieses Territoriums gerne in sich eingliedern möchte, bevor es irgendwann mal unabhängig wird - was verältnismäßig unwahrscheinlich wirkt, da die palästinensichen Gruppen die bisherigen Bedingungen ihrer Unabhägigkeit ablehnen, Israel aber wenig entgegensetzen können.
Das ist eine sehr spezielle Situation.
Das Begriffe wie Apartheid, Faschismus und Rassismus so gerne benutzt werden hat aber auch wenig damit zu tun, dass ständig ergebnisoffene Untersuchungen mannigfaltig Wesensgemeinheiten entdecken, sondern weil die harten aber erfolgreichen Kämpfe dazu geführt haben, dass diese Begriffe allgemein akzeptiere Worst-Case-Szenarien geworden sind und daher dirty words sind. Und nun wollen viele AktivistInnen offensichtlich den Weg abkürzen und gleich mal darauf aufbauen. Das ist zwar verständlich, aber auch fatal.
Nicht nur, dass damit der eigene Standard der Wissenschaflichkeit verletzt wird und man dann irgendwann nicht mehr allzu glaubwürdig und überlegen agieren kann, so hat das auch für die politische Praxis höchst problematisch Züge.
Je mehr ich diese Begriffe erweitere, kann es sein, dass es sich ins gegenteil verkehrt. Wenn jede politische unkorrektheit bereits als Rassismus gewertet wird, jeder Verschäftung von Polizeigesetzten als Faschismus und jede ethnische Diskriminierung als Apartheid, braucht man sich nicht wundern, wenn der Haupteffekt des ganzen ist, dass immer mehr Leute diese Begriffe nicht ernst nehmen und dann war die ganz Arbeit umsonst. Und das ist ein sehr reales Problem, siehe die Strategie der Aktuere des aktuellen Rechtsrucks. Sie setzten an Phänomen großteils nicht nachvollziehbarer poltical correctness in der Bevölkerung an und versuchen dann gleich noch den NS mit Rehabilitieren.
Ebenso haben diese Diskussion meisten das Problem, dass statt Worst-Case-Szenarios zu bleiben, sie irgendwann zu Mindesvoraussetzungen werden sich überhaupt zu engagieren. Wenn kein Faschist, ist es nicht zu schlimm.
Was wir tun sollten ist den Standard immer weiter rauf zusetzen.
Nicht erst Rassismus oder Apartheid ist schlimm, sondern jede Art der Spaltung der Arbeiterklasse.
Nicht erst Faschismus, sondern jeder Regierungsform unterhalb des Sozialismus.
Ich will nicht erst mit Holocaust, Lagern, Stacheldraht und Toten kommen müssen um Leute zu agitieren.
Ich will, dass sie sich bereits empören, dass ihre Arbeit irgendeine Privatperson reicht macht.
Dazu müssten wir aber erst mal mit unserer Vorliebe für die Big Dirty Words brechen.
•NEUER BEITRAG19.03.2018, 16:13 Uhr
EDIT: FPeregrin
19.03.2018, 16:14 Uhr
19.03.2018, 16:14 Uhr
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FPeregrin | |
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Also abgesehen von der putzigen Zitierweise, mit der Du Dir selbst suggerieren kannst, als wäre es mir egal, ob eine Aussage sachlich zutrifft oder nicht...
Was ist das für ein metaphysisches Verständnis von Benennungsvorgängen?! "[...] sind sie nicht Begriffe die sich im Lauf der Zeit ändern sollten, weil sich die Zeit ändert. Dann brauchen wir eben neue Begriffe." In einem marxistischen Verständnis von Erkenntnisprozessen ist der 'Begriff' (= 'Bedeutung' in Bezug auf Wörter oder Termini; die Lautgestalt = 'Bezeichnung' interessiert uns hierbei in aller Regel nicht) gleichermaßen Abbild wie Werkzeug, d.h. er ist immer auch Instrument der Veränderung der Wirklichkeit, die er erfaßt. Wäre das anders, hätte sich nicht nur Hermann Paul die Arbeit an seinem Dt. Wb. sparen können, sondern könnten wir gar nicht sinnvoll kommunizieren, da nicht möglich ist, für jede - in der Regel fließende - begriffliche Veränderung eine neue 'Bezeichnung' zu besorgen, die ja auch noch kommunikativ sein muß. Das gilt nicht nur für den Wortschatz des Alltags, sondern auch für den der Wissenschaft. Ein harmloses Beispiel: mittellat. planeta (aus gr. πλανήτης), dt. Planet, engl. planet 'Planet' zeigt eine Begriffsentwicklung, in der sich sehr schön das Ineinander der Abbild- und der Werkzeugfunktion dingfest machen lassen.
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Historizität und Veränderung von Begriffen ist nicht bürgerliche Beliebigkeit!
Und tautologisch wäre die hier zugrundegelegte Definition von 'Apartheid' auch nicht, wenn sie wirklich ganz (!) zur Kenntnis genommen würde: "[...] jegliche Arten von ethnisch bzw. rassistisch motivierter Segregation verwendet, bei der die Staatsgewalt in einem Land zur Einschränkung der sozialen und bürgerlichen Rechte einer Gruppe missbraucht wird." - Hier ist des Pudels Kern: Nicht nur die faktische Diskriminierung, sondern deren juristische Sanktioniertheit. Ich möchte gern hinzufügen - es scheint auch so gemeint zu sein -: "in formal demokratischen Systemen" - dann hätten wir Ähnliches in offen terroristischen Diktaturen (z.B. Nürnberger Rassegesetze) ausgeschlossen und könnten uns entsprechende Gleichsetzungsunterstellungen sparen. Tatsächlich bleiben ja dann auch nicht wirklich viele historische Beispiele übrig: Südafrika in der Apartheid-Zeit, Rhodesien unter der Herrschaft der Rhodesian Front, die USA in der Zeit der Segregation, Nord-Irland in der Zeit des Stormont-Regimes, Israel. Es ist sicher kein Zufall, daß dies alles Staatsbildungen sind, in deren Geschichte Siedlerkolonialismus eine bestimmende Rolle gespielt hat.
"Nicht erst Rassismus oder Apartheid ist schlimm, sondern jede Art der Spaltung der Arbeiterklasse. / Nicht erst Faschismus, sondern jeder Regierungsform unterhalb des Sozialismus."
Aber ist das von den Kampf- und Überlebensbedingungen her für Dich wirklich alles éine Wichse - Faschismus oder demokratische Republik, Shoa oder israelische Nationalitätengesetz? Wer ist hier unscharf?
Was rätst Du also der KP Israels? Daß sie dabei zusehen sollte, wie eine formale bürgerliche Demokratie in eine faschistische Diktatur abrutschen könnte, weil es egal ist, wie und durch wen die Bourgeoisie regiert? Wie es in der BRD einen Unterschied macht, ob die SPD oder die AfD regiert, so auch in Israel den, ob es haAwoda oder Jisra'el Beitenu tun, sowohl für die jüdische wie die arabische Arbeiterklasse!
P.S.: Ach, weil auch da Unklarheit bestand: Erklärung und Interview bezogen sich erkennbar auf die 48er Gebiete, für die eben diese formal-bürgerlichen Zustände (noch?) Geltung haben, nicht für de facto unter Besatzungsrecht (+ "Autonomie"-Zirkus) stehenden 67er Gebiete. Es geht mithin um die Rechte der arabischen Bürger Israels und nicht um die Frage, wer denn 'Palästinenser' ist.
•NEUER BEITRAG20.03.2018, 23:43 Uhr
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joe123 | |
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Ansonsten heiklige Sache - falls jemanden Bekenntnisse intressieren, neig ik eher dazu, Smersch hiers Recht zu geben, würd aber auch nicht zu viel dran fiseln, obs nu dort eine Apartheid ist oder nicht im 48er oder 67er Israel.
Ik sehs dort anyway alles bissel als Kriegsgebiet - eben seit 1967 spätestens. Da unten die da unten die
Aber höllisch weit weg die Sache. Höllisch weit weg. Nahostalarm – Antrag Debattenende – lieber beschweigen und verdrängen als Austragen bis zur theoretischen Endlösung
•NEUER BEITRAG21.03.2018, 11:34 Uhr
EDIT: FPeregrin
21.03.2018, 20:59 Uhr
21.03.2018, 20:59 Uhr
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FPeregrin | |
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"Bekenntnisse": Darauf wollte ich nicht hinaus, und das sollten wir uns auch nicht leisten, in diesen Foren den Nahostkonflikt - nur éiner von leider sehr sehr vielen internationalen Konflikten - auf die Ebene des Bekenntnistums hochzukochen - Schalke vs. Hannover 96. Das passiert leider sehr schnell - und ist offenbar ansatzweise auch hier passiert, ohne das es intendiert war - und führt zu nichts, nichts, nichts! - Oder besser: Das führt zu irreparablen Schäden!
"Nahostalarm – Antrag Debattenende – lieber beschweigen und verdrängen als Austragen bis zur theoretischen Endlösung
M.E.: Entscheidend: Eine KP wählt in einer konkreten Situation - nennen wir sie "Rechtsentwicklung", damit es niemandem Begriffsprobleme bereitet - eine Strategie mit einer klar antifaschistisch-demokratischen Stoßrichtung. Auch wenn dies unter den komplizierten Bedingungen des Nahostkonflikts geschieht - die diese Festlegung vielleicht sogar erleichtern -, enthält dies Entscheidung der KP Israels etwas Verallgemeinerbares. Darum ging es mir, nicht um den großen und ganzen Nahostkonflikt und seine "Lösung" als Fan-Randale. Aber: Meine Bekenntnis-Reflexe muß ich da auch unterdrücken - schadet auch nicht! -; ich bitte andere, das aber auch zu tun. Aus irgendeiner alten Primär-Solidarisierung kommen wir leider alle.
Dies als Peaceline?

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FPeregrin | |
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"Entscheidend: Eine KP wählt in einer konkreten Situation - nennen wir sie "Rechtsentwicklung", damit es niemandem Begriffsprobleme bereitet - eine Strategie mit einer klar antifaschistisch-demokratischen Stoßrichtung."
So sieht es jetzt aus - jW morgen -:
Land ohne Linke
Israels Sozialdemokraten auf tiefstem Punkt seit Staatsgründung. Meretz nicht mehr im Parlament
Von Knut Mellenthin
Bei der vorgezogenen Neuwahl des israelischen Parlaments am vorigen Dienstag konnte Benjamin Netanjahus langjähriger Unterstützerblock die Zahl seiner Abgeordneten in der Knesset von 52 auf 64 steigern. Auf der anderen Seite verzeichnete die Arbeitspartei mit nur vier Mandaten – drei weniger als bei der vorangegangenen Wahl vom 23. März 2021 – das schlechteste Ergebnis seit ihrer Formierung unter diesem Namen im Jahre 1968. Die links von der Arbeitspartei stehende Meretz scheiterte an der 3,25-Prozent-Sperrklausel. Lediglich die fast ausschließlich arabische Chadasch, die im Rahmen der Vereinigten Liste antrat, blieb mit drei Mandaten stabil. An diesem Bündnis ist unter anderem die Kommunistische Partei beteiligt.
Die Arbeitspartei, hebräisch meist nur kurz »Awoda« (Arbeit) genannt, ist jetzt die kleinste der zehn Fraktionen im neuen Parlament. Mit 3,69 Prozent der Stimmen musste sie während der Auszählung sogar um ihren Wiedereinzug bangen. Das ist der vorläufige Tiefpunkt in der Geschichte der traditionsreichen Partei, die – früher unter dem Namen Mapai – von der Staatsgründung 1948 bis 1977 die israelische Gesellschaft dominiert und alle Regierungskoalitionen geführt hatte. Damals stürzte sie von 44 Mandaten bei der vorangegangenen Wahl 1973 auf nur noch 28 ab. Der rechte Likud unter Menachem Begin wurde mit 33,4 Prozent der Stimmen und 43 Abgeordneten erstmals stärkste Fraktion und Regierungsführer.
In der Folgezeit erholte sich die Arbeitspartei zunächst und erreichte bei der Wahl 1992 mit 44 Mandaten noch einmal ihre alte zahlenmäßige Stärke, aber bei weitem nicht ihren früheren gesellschaftlichen Einfluss. Nach der Ermordung des von ihr gestellten Premierministers Jitzchak Rabin durch einen ultrarechten Attentäter am 4. November 1995 ging es mit den Wahlergebnissen der Awoda nur noch gradlinig bergab, von 34 Abgeordneten 1996 auf 18 Mandate bei der Wahl 2006.
Es folgten Listenverbindungen mit anderen Parteien oder Parteiabspaltungen. 2009 trat die Arbeitspartei zusammen mit früheren Likud-Politikern als Kadima, 2015 als Zionistische Union an. Als sie 2019 wieder unter ihrem eigenen Namen kandidierte, kam sie nur noch auf 4,43 Prozent, was gerade mal für sechs Abgeordnetensitze reichte.
Die Linkspartei Meretz hatte sich vor der Wahl am vorigen Dienstag aufgrund ihrer schlechten Umfrageergebnisse um eine Listenverbindung mit der Awoda bemüht. Das lehnte deren Vorsitzende Merav Michaeli jedoch ab – und wird dafür nachträglich auch in ihrer eigenen Partei kritisiert. Mit 3,16 Prozent scheiterte Meretz knapp an der Sperrklausel, ihre rund 150.000 Stimmen gingen dem »Anti-Netanjahu-Block« verloren. Es ist das erste Mal seit ihrer Formierung vor 30 Jahren – damals zunächst noch als Listenverbindung dreier Parteien –, dass Meretz nicht mehr in der Knesset vertreten ist. Ihr bestes Ergebnis erreichte sie bei ihrem ersten Antreten 1992 mit zwölf Mandaten. Nach der letzten vorausgegangenen Wahl am 23. März 2021 hatte sie immerhin noch sechs Abgeordnete gestellt.
Von ihrer Entstehung her vereinigt Meretz unterschiedliche Herkunftsmilieus, die sich 1997 zu einer gemeinsamen Partei zusammenschlossen. Dominierend war in der Anfangszeit die couragierte Politikerin Schulamit Aloni, Mitglied der Mapai seit 1959. Die 1973 unter ihrer Führung gegründete Ratz (Bewegung für Bürgerrechte und Frieden) lehnte die 1967 erfolgte Besetzung der Westbank und des Gazastreifens ab und trat von Anfang an für Verhandlungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ein. Ein anderes Element der Vereinigung war die aus der Arbeiterbewegung kommende, 1948 gegründete Mapam. Nach ihrem eigenen Verständnis war das zunächst eine sozialistische Partei mit einem ausgesprochen freundschaftlichen Blick auf die Sowjetunion, von der sie sich aber in der Folgezeit immer weiter entfernte.
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Es ist sicher nicht ganz unwichtig, ob eine antifaschistisch-demokratische Stoßrichtung einer marginalisierten KP in einer - ich sag's mal vorsichtig! - 'Ethnokratie' überhaupt eine Chance hatte. Wenn es eine gewesen sein sollte, scheint es vorerst die letzte gewesen zu sein. Die Hauptstützen-Funktion der Sozialdemokratie kann für die Gründung und Geschichte Israels wohl kaum ernstlich bestritten werden. Wer in der gegenwärtigen Entwicklung innerhalb dessen, was sich hier als Staatsgebilde versteht, progressive Aspekte sehen will, macht besser die Augen ganz, ganz fest zu!
•NEUER BEITRAG08.11.2022, 22:56 Uhr
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Kahane mit am Tisch
Israel: Regierungsbeteiligung öffnet Ultrarechten Tür zur internationalen Anerkennung. Annektion der besetzten Gebiete droht
Von Knut Mellenthin
Benjamin Netanjahu, Premierminister vom 18. Juni 1996 bis zum 6. Juli 1999 und vom 31. März 2009 bis zum 13. Juni 2021, wird voraussichtlich in wenigen Wochen die nächste israelische Regierung bilden. Seine zu erwartende Mehrheit von 64 der 120 Abgeordneten in der Knesset verdankt der 73jährige dem Wahlerfolg der Religiös-Zionistischen Partei: Diese Listenverbindung dreier ultrarechter und ultraorthodoxer Parteien konnte bei der Wahl am 1. November die Zahl ihrer Mandate von sechs auf 14 steigern. Davon entfallen sieben auf die Partei gleichen Namens, sechs auf Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) und eines auf Noam. Damit sind die Ultrarechten die drittstärkste Fraktion hinter Netanjahus Likud und der liberalen Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) von Oppositionsführer Jair Lapid, der zur Zeit noch als Premierminister amtiert.
Aus Kach hervorgegangen
Israel bekommt nun die rechteste Regierungskoalition seit der Staatsgründung 1948. Für diesen Fall, der sich in den Meinungsumfragen schon seit einigen Wochen abzeichnete, hatten Politiker und ehemalige Militärs aus dem »Anti-Netanjahu-Lager« während des Wahlkampfs das Ende der Demokratie und sogar die Möglichkeit eines Bürgerkriegs beschworen. Aber nachdem die befürchtete Situation wirklich eingetreten ist, werden die meisten Vertreter dieses Lagers die Gefahr vermutlich herunterspielen und die US-Regierung ebenso wie die außerhalb Israels lebenden Jüdinnen und Juden zur »Respektierung« des Wahlergebnisses drängen. Staatspräsident Isaac Herzog, der aus der sozialdemokratischen Arbeitspartei kommt, hat das wenige Tage vor der Wahl bei einem Besuch in Washington schon getan.
Durch ihre Regierungsbeteiligung, an der praktisch kaum noch ein Weg vorbeiführt, steht Israels Ultrarechten erstmals die Tür zu einer international anerkannten Gesellschaftsfähigkeit offen. Das unterscheidet die Religiös-Zionistische Partei wesentlich von der Kach, aus der sie hervorgegangen ist und zu deren Weltanschauung, Politik und Methoden sich viele ihrer Politiker und Anhänger immer noch bekennen. Die 1971 von Meir Kahane gegründete Kach galt weithin als faschistisch. Sie erreichte nur einmal, 1984, einen einzigen Sitz in der Knesset, den Kahane selbst einnahm. Während seiner Reden verließen regelmäßig alle anderen Abgeordneten den Sitzungssaal. Wegen »Aufstachelung zum Rassismus« wurde die Partei 1988 und 1992 von der Wahl ausgeschlossen und schließlich 1994 aufgrund der Antiterrorgesetzgebung verboten. Den letzten Anstoß dazu gaben Stellungnahmen, in denen Kach die Mordtat ihres Anhängers Baruch Goldstein unterstützte. Dieser hatte am 25. Februar 1994 während eines Morgengebets in Hebron 29 Palästinenser durch Schüsse getötet und weitere 150 verletzt.
Keine Einwände
Der Vorsitzende der Otzma Jehudit, Itamar Ben-Gvir, schloss sich schon als 14jähriger der Kach an. Später hing in seinem Wohnzimmer jahrelang ein Foto Goldsteins, das er erst entfernte, als eine öffentliche Karriere näher rückte. Der heute 46jährige gilt unter den Anhängern der Religiös-Zionistischen Allianz, bei denen es sich überwiegend um junge Männer handelt, als charismatischer Anführer und rangiert im Ansehen noch vor deren formalem Chef, dem vier Jahre jüngeren Bezalel Smotrich.
Ben-Gvir wird in der demnächst zu bildenden Regierung das Amt des Ministers für Innere Sicherheit beanspruchen, das in Israel vom Innenministerium getrennt ist. Netanjahu hat schon angedeutet, dass er keine grundsätzlichen Einwände dagegen hat. Wie weit die Ultrarechten damit auch ihre »sicherheitspolitischen« Vorstellungen durchsetzen können, wird sich jedoch erst künftig von Fall zu Fall entscheiden. Grundsätzlich fordern sie unter anderem, den Schusswaffengebrauch der Polizei gegen die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete zu erleichtern und dienstliche Einsätze von der Strafverfolgung auszuschließen. Israelische Staatsbürger arabischer Herkunft, die sich »illoyal« verhalten, sollen ausgewiesen werden. Als Teil der nächsten Regierung werden die Ultrarechten außerdem auf schnelle Annektion der besetzten Gebiete drängen.
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•NEUER BEITRAG21.11.2022, 00:18 Uhr
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Kahanismus reloaded
Nach Wahlen in Israel: Rechtsruck gefährlich, aber nicht wirklich überraschend
Von Wieland Hoban
Hilflose Linksliberale
Abgesehen von dem guten Abschneiden der Kahanisten war am Wahlergebnis auch bemerkenswert, wie schlecht es für die Mitte-links-Parteien ausfiel. Die Arbeitspartei, so etwas wie die israelische SPD, bekam nur vier Sitze – drei weniger als 2021. Meretz, die sich als links verkauft, aber klar zionistisch ist, scheiterte mit 3,1 Prozent der Stimmen knapp an der geltenden 3,25-Prozent-Hürde. Dafür behielt das jüdisch-arabische kommunistische Bündnis Chadasch seine fünf Sitze, und die Islamisten von Raam erhöhten ihren Anteil von vier auf fünf Sitze.
Während manche Prominente schon vom Auswandern sprachen, reagierte Meretz auf das eigene parlamentarische Ausscheiden mit Vorwürfen gegen Linke und Palästinenser. Hätten sie doch für sie gestimmt, nicht für die palästinensisch-nationalistische Balad, die ohnehin den Einzug in die Knesset verpasste. Man fühlte sich an die Reaktion mancher US-Demokraten nach der Wahl Trumps 2016 erinnert. Statt sich zu fragen, warum wirkliche Linke und Palästinenser nicht für eine zionistische Partei stimmen, suchen die Linksliberalen die Verantwortung bei anderen. Balad wiederum gab Chadasch-Wählern die Schuld. Die verhältnismäßig hohe Wahlbeteiligung von Palästinensern – viele boykottieren die Wahlen, da sie kein Vertrauen in die parlamentarische Politik haben – war ihnen nicht zugute gekommen. Chadasch schoss zurück und konnte sich darüber freuen, die Arbeitspartei überholt zu haben. Insgesamt deutet das Wahlergebnis eine weitere Polarisierung an, deren Tragweite noch schwer absehbar ist. Wie in anderen Ländern ist auch hier zu beobachten, wie der Vormarsch der Rechten mit der Spaltung der Linken einhergeht. Bei allen Unterschieden hinsichtlich politischer Tischmanieren lässt die Stärke des rechten Blocks – sofern die angestrebte Koalition tatsächlich gebildet wird – eine stabilere Regierung als in der letzten Legislaturperiode erwarten. Die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu konnten ihm bisher wenig anhaben, er wurde vom Präsidenten Isaac Herzog mit der Regierungsbildung beauftragt. Das endgültige Ergebnis dürfte bis Jahresende feststehen. (wh)
Wieland Hoban, Komponist und Übersetzer, ist Vorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Im November hat die Bevölkerung in Israel zum fünften Mal in vier Jahren gewählt – oder zumindest haben es diejenigen Menschen, die wahlberechtigt sind. Die israelische parlamentarische Politik ist berüchtigt für ihre Instabilität, die zum Teil an der niedrigen Hürde für einen Eintritt in das Parlament liegt (bis 2014 zwei Prozent, ab 2014 3,25 Prozent). Diese führt zu brüchigen Koalitionen aus Parteien, die keinen großen Stimmanteil haben. 2021 wurde das besonders deutlich bei einer Koalition, die nach der Devise »alles, nur nicht Netanjahu« das Spektrum von links nach rechts abdeckte. Zum ersten Mal war eine palästinensische Fraktion beteiligt, die konservativ islamische Raam-Partei. Letztere Tatsache hat zusammen mit der Beteiligung der linksliberalen Meretz-Partei manche zu dem Irrglauben verleitet, es würde sich etwas öffnen in der israelischen Gesellschaft. Auf die Gutgläubigen wirkte der Hinweis zynisch, dass Raam das politische System eben nicht in Frage stelle und vor allem Lokalpolitik betreibe, wodurch sie keine Gefahr für die vom nationalreligiösen Naftali Bennett und dem liberalen Jair Lapid geführte Regierung darstellte.
Raam hatte sogar das Gesetz durchgewinkt, welches das Zusammenleben palästinensisch-israelischer Paare in Israel verbietet. Letztlich war für die Partei im April dieses Jahres aber doch die Schmerzgrenze erreicht, als es immer mehr Aggressionen durch Siedler und Polizei gegen Moscheebesucher auf dem Tempelberg gab. Es wurde dann bald absehbar, dass es noch vor Jahresende Neuwahlen geben würde. Und obwohl es knapp gelungen war, Netanjahu 2021 von der Macht fernzuhalten, war seine Beliebtheit in der Bevölkerung noch groß. Die Unstimmigkeit der »Anti-Netanjahu«-Regierung hat zu ihrem Niedergang geführt und ließ erahnen, dass es ein Comeback geben würde. Und Netanjahu hatte bereits in den Wahlen davor gezeigt, dass er dazu bereit war, mit den rechtesten Parteien Israels zusammenzuarbeiten.
Netanjahus Likud-Partei war am 1. November klarer Wahlsieger und errang 32 von 120 Sitzen. Jesch Atid unter der Führung des amtierenden Premierministers Jair Lapid bekam 24 Sitze. Drittstärkste Kraft wurde mit 14 Sitzen die Partei Religiöser Zionismus, ein Zusammenschluss der Parteien Religiöser Zionismus, Jüdische Macht und Noam, die sich zusammentaten, um nicht einzeln an der Hürde zu scheitern. Diese drei Parteien vertreten Positionen, die man als rechtsaußen bis faschistisch bezeichnen kann: von offenen Forderungen nach Ausweisung aller palästinensischen Bürger über noch mehr Freiheit zur Gewalt seitens der Armee und die Bezeichnung von Homosexualität als Krankheit mit Zustimmung zu Konversionstherapien bis hin zu einer Verschärfung religiöser Gesetze, die letztlich das Ziel eines Gottesstaats mit offensichtlichen Parallelen zu fundamentalistischen islamischen Vorstellungen verfolgen.
Die Koalition mit Likud und kleineren Parteien ist noch nicht beschlossenen. Aber das starke Abschneiden der Extremisten, die unter Soldaten sogar 20 Prozent aller Stimmen bekommen haben, bleibt unabhängig von der Regierungsbildung aussagekräftig.
Im westlichen Mainstream gab es Erschrecken über das Wahlergebnis. In den USA drückte die Anti-Defamation League, eine wichtige proisraelische Antidiskriminierungsorganisation, in ihrer offiziellen Stellungnahme zur Wahl »Besorgnis« über die erwartete Regierungsbeteiligung der Extremisten in der Regierung aus und schrieb: »Als Organisation, die sich für die Sicherheit und das Wohlsein Israels als jüdischer und demokratischer Staat einsetzt, glauben wir, dass die Teilnahme dieser rechtsextremen Personen und Parteien Israels Grundprinzipien widersprechen würde.« Derweil tweetete Anna Staroselski, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland: »Ich mache mir ernsthaft Sorgen um mein geliebtes Israel. Die liberale Demokratie, auf die ich so stolz bin, droht in die Brüche zu gehen.«
Wer die Entwicklungen in Israel mit seiner Demokratie für Juden bei ungleicher Behandlung palästinensischer Bürger über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt hat, wusste bereits, wie stark rechte Kräfte dort sind. Nicht nur die Mordphantasien des neuen rechten Stars Itamar Ben-Gvir, der die Partei Jüdische Macht anführt und gerne mit Pistole in der Hand öffentliche Drohungen gegen Palästinenser ausspricht, sind brutal, auch die Staatsideologie des politischen Zionismus, der zwischen Ende 1947 und Mitte 1948 zur Vertreibung von rund 750.000 Palästinensern mit etlichen Massakern geführt hat, ist gewaltvoll.
Insofern könnte man den vermeintlichen Rechtsruck als Illusion bezeichnen, ähnlich wie der Rassismus in den USA nicht erst mit der Wahl von Donald Trump aufkam; es wurde lediglich offen ausgesprochen, was viele schon immer dachten. Der palästinensische Premierminister Mohammed Schtaja verglich den Unterschied zwischen israelischen Parteien mit dem zwischen Pepsi und Cola, viele linke Kritiker quittierten das Wahlergebnis mit einem Achselzucken.
Beide Reaktionen – die entsetzte sowie die eher gleichgültige – sind verfehlt. Natürlich haben viele Liberale die Augen vor dem strukturellen Rassismus in der israelischen Gesellschaft seit Jahrzehnten zugedrückt und Apartheidvorwürfe empört zurückgewiesen. Dennoch übersehen diejenigen Kritiker, die sich nur auf die ideologische Kontinuität des Zionismus konzentrieren, die Auswirkungen dieser politischen Entwicklung auf den Alltag von Palästinensern sowohl innerhalb Israels als auch in den besetzten Gebieten, wo militante Siedler sich sogar von der Armee schwer bändigen lassen.
Die Trumpsche Bigotterie war zwar nicht neu, aber ihre Legitimierung durch seine Wahl hat zu einem deutlichen Anstieg der Hasskriminalität und einer Verrohung des gesellschaftlichen Klimas geführt, wie es auch in Israel zu befürchten ist. Nicht, dass es dort nicht davor schon roh zuging; gerade Itamar Ben-Gvir begab sich gerne in palästinensische Viertel Jerusalems, um Bewohner zu schikanieren und zu bedrohen, und in der Knesset rief Bezalel Smotrich, der Vorsitzende der Formation Religiöser Zionismus, dass David Ben Gurion damals die Vertreibung der »Araber« hätte zu Ende führen sollen. Ben-Gvir selbst versucht sich seit der Wahlkampagne etwas moderater zu geben – er spricht nicht mehr von »Tod den Arabern«, sondern von »Tod den Terroristen«. Dennoch lässt sich der Mob seiner Anhänger nicht unbedingt auf solche kosmetischen Maßnahmen ein. Das Verhalten jener, die nach der Wahl sofort Palästinenser mit Steinen beworfen haben, lässt vermuten, dass es für diese noch gefährlicher werden könnte.
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Gewalt gegen Palästinenser
Ideologie des Kahanismus begründet Unterdrückung nicht nur rassistisch, sondern auch theologisch
Von Wieland Hoban
Im Zusammenhang mit dem Erstarken der israelischen extremen Rechten wird oft vom Kahanismus gesprochen, mit dem Hinweis, dass mit dem Einzug von Kahanisten in die Regierung eine rote Linie überschritten werde. Namensgeber dieser Bewegung war Meir Kahane, ein orthodoxer New Yorker Rabbiner, der 1968 die Jewish Defense League gründete. Diese Gruppe, die 2001 vom FBI als terroristische Vereinigung eingestuft wurde, stellte sich selbst als Bürgerwehr für Juden dar, die sich nur gegen Antisemitismus verteidigen wollten. In Wahrheit ging sie aber viel weiter: Sie verübte Bombenattentate auf arabische und sowjetische Einrichtungen, Einzelpersonen sowie Neonazis. Kahane wurde wegen der Angriffe mehrfach verurteilt, verbrachte allerdings kaum Zeit hinter Gittern.
1971 zog Kahane nach Israel, wo er im selben Jahr die Kach-Partei gründete. Auch dort wurde er immer wieder verhaftet, schaffte es aber in die Knesset. Im Parlament war er aktiv, bis er und Kach von der Wahl im Jahr 1988 aufgrund seines extremen Rassismus ausgeschlossen wurden.
Kahane wurde 1990 bei einem Attentat getötet. Sein Anhänger Baruch Goldstein, ein Siedler aus New York, verübte 1994 ein Massaker in der Stadt Hebron im Westjordanland. Im muslimischen Teil der Grotte der Patriarchen erschoss er 29 Betende und verletzte mindestens 150 Personen, bevor er von Anwesenden überwältigt und getötet wurde. Während die Tat im israelischen Mainstream klar verurteilt wurde, wurde Goldstein zu einer Ikone der Kahanisten. Bis heute steht ein Denkmal in Hebron, und Itamar Ben-Gvir, der in der Kach-Jugendorganisation aktiv war, hatte jahrelang ein Porträt Goldsteins zu Hause.
Was Figuren wie Kahane, den Siedleranführer Baruch Marzel oder Ben-Gvir von arrivierten Politikern wie Netanjahu oder dem ehemaligen General Benjamin Gantz unterscheidet, die 2014 gemeinsam für die Bombardierung von Gaza und somit das Töten von etwa 2.000 palästinensischen Zivilisten verantwortlich waren, ist ihr soziales Milieu. Die Kahanisten gehören nicht dem wohlhabenden Establishment an, sondern zur Straße. Ihre Gewalt ist nicht die der Armee, sondern die der Graswurzelterroristen und Schlägertrupps. Auch Ben-Gvir wurde mehrfach verurteilt, und seine Ansichten galten als so extrem rechts, dass er vom Militärdienst ausgenommen wurde. Hinzu kommt der religiöse Fanatismus. Im Vergleich zur herrschenden säkularen politischen Klasse begründet er die Gewalt nicht nur rassistisch, sondern auch theologisch. Während Tel Aviv sich als queeres Partyparadies verkauft, würden diese Politiker Homosexualität am liebsten verbieten. Somit stellt ihr Aufstieg nicht nur eine Steigerung der Gefahr für Palästinenser und ihre Unterstützer dar, sondern birgt auch das Potential für einen Kulturkrieg in der israelischen Gesellschaft.
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EDIT: FPeregrin
21.11.2022, 12:25 Uhr
21.11.2022, 12:25 Uhr
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Kahanes Traum
Zur Herkunft, Ideologie und Erfolgsgeschichte der radikalsten Form zionistischer Herrschaft
Von Susann Witt-Stahl
uf keinem ihrer Aufmärsche dürfen »Tötet alle Araber!«-Rufe fehlen. Wie jüngst in Hebron, als 30.000 ihrer fanatisierten Anhänger bewaffnet durch die Palästinenserviertel zogen, brüllen sie sich regelmäßig selbst in Rage – bevor sie marodieren, Häuser besetzen und die Bewohner auf die Straße prügeln. Seit einem halben Jahrhundert stehen die Kahanisten an der Spitze der militanten Rechten Israels, die sich vorwiegend aus der Siedlerbewegung rekrutiert.
Auf ihr Konto geht eine Reihe von Terroranschlägen. 1994 erschoss der ehemalige Militärarzt Baruch Goldstein 29 betende Palästinenser und verletzte weitere 150. 1995 ermordete der Student Jigal Amir den damaligen Premierminister und Architekten des Osloer Friedensabkommens Jitzchak Rabin. 2002 konnte nur knapp die Explosion eines mit 200 Litern Benzin befüllten Fahrzeuganhängers vor einer arabischen Mädchenschule in Ostjerusalem verhindert werden, mit der Kahanisten ein Blutbad anrichten wollten. Unzählige weniger spektakuläre, aber nicht vereitelte Verbrechen, die zu Toten und Verletzten führten, sollten folgen.
Amerikanische Werte
Gründer der Ideologie und Bewegung war der Rabbiner Meir Kahane, der 1932 in Brooklyn, New York geboren wurde. Sein Vater Charles war ein Freund und Anhänger Wladimir Jabotinskys. »Der militante revisionistische Zionist war zu Gast in meinem Haus. Wir organisierten ein Treffen in unserem Wohnzimmer für ihn«, erinnerte er sich später. Der junge Kahane wurde Mitglied in Jabotinskys Jugendorganisation Betar. Als ihm diese nicht mehr radikal genug war, wechselte er 1952 zu den national-religiösen »Kindern Akiwas«, einer Keimzelle der Siedlerbewegung.
1968 rief Kahane die jüdische Bürgerwehr Jewish Defense League (JDL) ins Leben – »um unerhörte Dinge zu tun«, wie er sagte. Das hieß zunächst, erklärte Feinde mit Baseballschlägern, Ketten und Molotowcocktails zu bearbeiten. Die JDL, die nach eigenen Angaben schnell auf 12.000 Mitglieder anwuchs und Ableger unter anderem in Frankreich und Großbritannien unterhielt, war anfangs von den Ideen der Selbstverteidigungsbewegungen ethnischer Minderheiten beeinflusst und bekämpfte auch Neonazis. Bald richtete sich ihre Wut aber zunehmend gegen das assimilierte jüdische Establishment, noch mehr gegen jüdische Linke, die sie als »Verräter« und »selbsthassende Juden« verächtlich machte.
Früh fokussierte die JDL ihre Aktionen auf den »schwarzen Antisemitismus« von Afroamerikanern, der zwar existierte, aber im Verhältnis zum vom rechten Lager propagierten Judenhass marginal blieb. James Baldwin betrachte ihn in seinem Essay »Negroes Are Anti-Semitic Because They’re Anti-White« von 1967 als Reaktion auf den Konformismus bürgerlicher Juden gegenüber dem noch in der US-amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft des 19. Jahrhunderts verankerten Rassismus, der eine Solidarität der Unterdrückten verhindere. Kahanes Biograph Shaul Magid hebt hervor, dass der JDL-Führer wie viele privilegierte weiße Amerikaner die schwarze Bevölkerung »zynisch und instrumentell behandelt« habe.
Kahane stellte sich mit seinen »Chayas« (Tieren), wie er seine Schlägertruppe nannte, teils mit finanzieller Unterstützung der CIA, auf die Seite des US-Imperialismus gegen die antikolonialen Befreiungskämpfe und das Friedenslager. »Ich war besonders alarmiert durch das Übergewicht der Juden in der Antikriegsbewegung«, sagte Kahane der New York Times 1971, vier Jahre nachdem er in seinem Buch »The Jewish Stake in Vietnam«, das er mit seinem Mitstreiter Joseph Churba, dem späteren Berater des US-Präsidenten Ronald Reagan, geschrieben hatte, von jungen Juden die Teilnahme am »Milchemet mitzvah« (Krieg, der geführt werden muss) verlangt hatte. Er forderte vehement mehr Engagement gegen die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien und der sogenannten Dritten Welt. »Hätten die USA einen größeren Kampfeswillen gehabt, dann würden jetzt vermutlich nicht 20.000 sowjetische Soldaten in Ägypten stehen.«
Kahane hielt jüdisches Leben in einer sozialistischen Gesellschaft für ausgeschlossen. »Der Kommunismus ist für die jüdische Seele das, was der Nazismus für den Körper war«, schrieb er in der Wochenzeitung Jewish Press. Bald profilierte sich Kahane als Advokat vorwiegend rechtsgerichteter oppositioneller Juden in der UdSSR, die keine Ausreisegenehmigung bekommen hatten. Als strikter Gegner der Entspannungspolitik von Richard Nixon startete er eine »Kampagne für einen kompletten Zusammenbruch der sowjetisch–amerikanischen Beziehungen«, wie es in einem FBI-Report heißt. JDL-Aktivisten griffen Kultureinrichtungen der UdSSR, ihre Fluggesellschaft Aeroflot, ihr UN-Büro, aber auch sowjetische Diplomaten und deren Familien an. Dabei wurden auch Schusswaffen und Sprengstoff eingesetzt.
»Hört zu, Sowjetjuden!«
Kahanes Hass auf die Sowjetunion wurzelte in der antibolschewistischen Matrix des revisionistischen Zionismus, den der aus Odessa stammende Journalist Wladimir Jabotinsky zu Beginn der 1920er Jahre begründet hatte. Jabotinsky richtete seine Ideologie »diametral« gegen den Internationalismus. Dieser widersprach seinen schon Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten metaphysischen Vorstellungen vom Individualismus als einem jüdischen Wesenszug und der Besonderheit des »jüdischen Blutes«.
Der Rat der Volkskommissare wies 1918 alle Sowjets an, »die antisemitische Bewegung an den Wurzeln effektiv zu zerstören«. Lenin hatte bereits 1913 in seinen »Kritischen Bemerkungen zur nationalen Frage« als einen der »großen universal-fortschrittlichen Züge« der diasporajüdischen Kultur den Internationalismus hervorgehoben. Und so wurden in der Kommunistischen Partei Jewsekzijas gebildet, jüdische Sektionen, die den Zionismus als »ideologischen Nationalismus« bekämpften, aber die Entwicklung der »jüdischen proletarischen Kultur« fördern sollten. Die »bolschewistische Doktrin«, die viele Juden zum Eintritt in die Rote Armee bewog, sei »unglaublich kühn und von einem echt demokratischen Geist erfüllt« gewesen, schrieb Alfredo Bauer in seiner »Kritischen Geschichte der Juden« – sie sollte den Zionismus als Spaltpilz der Arbeiterklasse historisch überwinden und gleichzeitig die emanzipatorischen Errungenschaften des Judentums bewahren.
Jabotinsky begriff die bolschewistische Doktrin als Kriegserklärung, wollte eine antisowjetische jüdische Militäreinheit gründen und schreckte nicht einmal vor einem Zweckbündnis mit dem ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Simon Petljura zurück, der für Pogrome mitverantwortlich war, denen rund 40.000 Juden zum Opfer fielen. Jabotinsky fürchtete, dass die Oktoberrevolution bis nach Palästina Wellen schlagen und der Klassenkampf das jüdische und das arabische Proletariat vereinen könnte. Arbeiterstreiks »kollidieren mit den obersten Interessen des Zionismus«.
Nach dem Holocaust, dem Beginn des Kalten Kriegs und der Gründung des Staates Israels, den die Sowjetunion zunächst – nicht zuletzt aus strategischen Interessen – als Errungenschaft des nationalen Befreiungskampfs gegen den britischen Kolonialismus unterstützte, bekam die zionistische Bewegung Zulauf. Als Golda Meir, damals Botschafterin Israels in Moskau, 1948 offen zur Auswanderung der Juden aufrief, zeigten sich Risse im jüdisch-bolschewistischen Projekt. Die antizionistische Agenda der Sowjetunion sei »von Staatsfunktionären mit geringem Verstand, die es offenbar zahlreich gab, nicht selten antisemitisch ausgelegt« worden, so Bauer. Während des »Verknöcherungsprozesses« bis zum Zusammenbruch des Realsozialismus in der UdSSR sei tatsächlich ein »Wiedererstarken des Antisemitismus« zu beobachten gewesen. Dieser regressive Prozess der Schwächung der bolschewistischen Doktrin sollte rechten Ideologien wie dem Kahanismus den Weg ebnen.
Meir Kahane behauptete, die in der UdSSR lebenden Juden seien »versklavt« und einem »nationalen und kulturellen Genozid« ausgesetzt. Er fand aber nicht die gewünschte Resonanz eines Massenexodus ins Heilige Land. In den 1970er und 1980er Jahren verließen nur 290.000 der rund 2,1 Millionen Juden die UdSSR. Die Mehrheit dachte nicht an die Alija, sondern suchte lieber ihr Glück in den USA und Westeuropa. Als sich 1975 abzeichnete, dass die Zahlen hinter seinen Erwartungen zurückblieben, reagierte Kahane mit einem wütenden offenen Brief: »Hört zu, Sowjetjuden, die ihr im Exil geboren seid, ihr seid immer geflohen, und ihr werdet immer fliehen, bis zu dem Tag, an dem ihr gefangen und vernichtet werdet« – eine Dystopie, die die Realität der jüdischen Erfahrung in der UdSSR in wesentlichen Punkten widerlegt hatte: Mit dem Sieg der Roten Armee über den Hitlerfaschismus war bewiesen worden, dass Juden mit dem internationalistischen Projekt und einer Erkenntnis wehrhaft sein können, die Ilja Ehrenburg 1948 in der Prawda pointiert und gegen die »zionistischen Mystiker« in Stellung gebracht hatte: Es gibt kein »jüdisches Blut«, das durch die Adern fließt und Juden zur Nation verbindet – es gibt nur das Blut von Juden, das von Antisemiten vergossen wurde und Juden in einer »Solidarität der Erniedrigten und Beleidigten« verbindet.
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»Araberfreies« Israel
Als Kahane 1971 seinen Hauptsitz nach Israel verlegte – nicht zuletzt, weil er mehr und mehr unter Druck der US-Strafjustiz geriet – und in Jerusalem ein Büro der JDL eröffnete, hatte sich der Judenstaat bereits als »starker antisowjetischer Alliierter« der USA, wie er ihn charakterisierte, bewährt. Der Sieg im Sechstagekrieg 1967 gab den revisionistischen Zionisten mit ihrer Cherut-Partei, die später im Likud aufging, enormen Auftrieb. Die von ihnen gestützte rechtsnationalistische Großisrael-Bewegung und nationalreligiöse Kräfte strebten die Annexion aller eroberter Gebiete an.
Kahane definierte mit seiner frisch gegründeten Partei Kach – benannt nach dem Motto von Jabotinskys paramilitärischer Organisation Irgun »Rak Kach!« (Nur so!) – das Judentum als religiöse Nation mit einer auf der Halacha basierenden Grundordnung. »Es gibt keine Demokratie im Judentum.« Sein Ziel: »ein absolut araberfreies« Israel. »Wir haben die Wahl, Araber zu schlagen, zu töten oder sie für immer rauszuschmeißen«, sagte er in einem Interview. 1981 stellte er in einer Anzeige in der Tageszeitung Maariv das Kach-Wahlprogramm vor: Darin fand sich das Verbot der »Abscheulichkeit der Assimilation und der Gemeinschaft mit Nichtjuden«, Gefängnisstrafe für jeden Araber, der sexuelle Beziehungen mit einer Jüdin hat, und perspektivisch der Entzug der Staatsbürgerschaft von allen israelischen Arabern. Wenige »Fremde«, Palästinenser, sollten bleiben dürfen, aber sie müssten in einem Apartheidsystem nach dem Vorbild Südafrikas leben. Legitimiert sah Kahane seine Forderungen durch die Bibel – »Gott hat uns das Land Israel gegeben« –, sein Prinzip »Juden zuerst!« und das Recht des militärisch Stärkeren: »Wer ist der Eroberer und wer ist der Eroberte hier!«
Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner extremen Gewaltbereitschaft konnte Kahane 1984 für Kach einen Sitz in der Knesset erringen. Als seine Bewegung auch gegen Vertreter des Staates vorging, ihr Einfluss im bürgerlichen Milieu wuchs und die Partei gute Chancen hatte, zur drittstärksten Kraft Israels aufzusteigen, wurde Kach wegen »Anstiftung zum Rassismus und Gefährdung der Sicherheit« von der Parlamentswahl 1988 ausgeschlossen.
Die Kahanisten bildeten die Sturmtruppen des »Amerika-Zion-Prozesses« im Nahen Osten, wie ihn der Gewerkschafter Michael Assaf bereits 1952 beschrieben hatte. Für aus den USA eingewanderte jüdische Rechte ist das zionistische Projekt besonders attraktiv, weil es an den Siedlerkolonialismus des 18. und 19. Jahrhunderts in Nordamerika anknüpft – als »Leute aus Europa kamen und das Land der indianischen Ureinwohner besetzten«, wie Rabbiner Daniel Cohen, einer ihrer Sprecher, erklärt. Ein großer Unterschied zwischen den Siedlern in Amerika und in Palästina bestehe allerdings darin, dass letztere »nach Hause gekommen« und »Pioniere im eigenen Land« seien.
»Wilder Westen« Westjordanland
Bis die »rechte Zeit« für eine ethnische Säuberung mit einem großen Krieg oder anderem Ausnahmezustand gekommen sei, wolle man die arabische Bevölkerung »in selbstverwalteten Nischen« halten, erläutert Moshé Machover, Gründer der Sozialistischen Organisation in Israel (Matzpen), die Strategie der Siedlerbewegung. Die Palästinensergebiete »ähneln den Indianerreservaten in den USA«. Und so betrachten nicht wenige Kahanisten das Westjordanland als »wilden Westen«. Dort können sie nicht nur ungehindert, sondern stets beschützt von den israelischen Sicherheitskräften ihrem Credo »Nur ein toter Araber ist ein guter Araber« – in Anlehnung an die Devise des Indianerschlächters General Philip Sheridan – nachgehen.
Dabei werden sie bis heute von sehr einflussreichen US-amerikanischen Institutionen unterstützt, beispielsweise vom Jewish Heritage Movement, ebenso von den evangelikalen Christians United for Israel, die alle Steuerfreiheit genießen. Viele führende Köpfe der Kahanisten und militante Aktivisten stammen aus den USA: nicht nur Baruch Goldstein, der wie Kahane aus Brooklyn eingewandert ist, auch Baruch Marzel, Kahanes einstige rechte Hand und Nachfolger in Kach, später Chef der Jüdischen Nationalen Front, die 2012 in der Partei von Michael Ben-Ari, Otzma Jehudit (Jüdische Stärke), aufging. Baruch Ben-Jossef, Vorsitzender einer der zahlreichen Organisationen, die die Errichtung des dritten Tempels auf dem Tempelberg in Jerusalem durchsetzen wollen, stammt ebenfalls aus New York.
Ben-Jossef ist wie alle kahanistischen Führer glühender Verfechter des »totalen Krieges«: das einzige, was »uns Erlösung bringen wird«, sagte er vor knapp 20 Jahren, als er seine Anhänger gegen die linkszionistische »Peace Now«-Bewegung mobilisierte, die immer mehr zur Zielscheibe von »Preisschild«-Attacken, Vandalismus als Revanche für zivilgesellschaftliche Projekte zum Schutz der arabischen Bevölkerung, wurde. »Wenn wir die Armee nicht dazu bringen können, wieder in die Offensive zu gehen, wieder eine Armee der Rache zu sein, eine Armee, die sich mehr um Juden kümmert als um jeden anderen, dann werden wir die absolute Befreiung nur auf diesem einzig möglichen Weg finden. Krieg jetzt!« – ein Weltbild, das perfekt zugeschnitten ist für den »Rottweiler des US-Imperialismus«, wie Moshé Machover die Funktion Israels beschreibt.
Shaul Magid nennt ein Problem, das seit der Trump-Ära mit dem Vormarsch von »White Supremacy« enorm befeuert wird: Kahane hat »die Rassenfrage« in den Nahen Osten exportiert, »sehr energisch« in den israelisch-palästinensischen Konflikt eingebracht und diesen damit »übermäßig amerikanisiert«.
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Mussolinis Schüler
Nicht unterschätzt werden darf allerdings der ideologische Einfluss des historischen Faschismus an der Macht in Europa, besonders in Italien – vermittelt durch den revisionistischen Zionismus: Wladimir Jabotinsky verband mit Benito Mussolini nicht nur die Begeisterung für Nationalchauvinismus und Militarismus. Der »Duce« und er teilten auch die Auffassung, dass die Araber in Palästina niemals friedlich mit den Juden zusammenleben können und deshalb segregiert werden müssen. »Die zionistische Kolonisation« könne nur »hinter einer eisernen Mauer« aus »Bajonetten« stattfinden, die »die einheimische Bevölkerung nicht durchbrechen kann«, heißt es in einem 1923 in der zionistischen Zeitschrift Rasswjet erschienenen Aufsatz von Jabotinsky. Die Vertreter des revisionistischen Maximalismus, einer von dem Historiker Abba Ahimeir geführten radikalen Strömung in Jabotinskys Bewegung, traten in den 1930er Jahren für einen offenen Schulterschluss mit Mussolini ein, wollten in Palästina einen faschistischen jüdischen Staat gründen – schließlich sogar den »antikommunistischen Kern« Hitlerdeutschlands unterstützen und dessen »antisemitische Schale« wegwerfen.
1934 ermöglichte Mussolini Jabotinsky die Einrichtung einer Betar-Marineakademie für jüdische Kadetten in der italienischen Hafenstadt Civitavecchia. »Die Revisionisten stimmten absolut mit der faschistischen Doktrin überein«, war damals in einem Magazin der italienischen Marine zu lesen. »Deshalb werden sie als unsere Schüler die italienische und faschistische Kultur nach Palästina bringen.«
Diese Mission hat die zionistische Rechte erfüllt. Im gelobten Land national-religiöser Eiferer, aber auch Armageddon in spe für gefährlich irre Endzeitchristen aus den USA und der westlichen Welt, konnte der Kahanismus wesentliche Elemente des Faschismus ausbilden. Wie der israelische Politikwissenschaftler Ehud Sprinzak bereits 1985 belegte, gilt das ebenso für sekundäre Merkmale: etwa einen demagogischen Populismus, der permanent Hass gegen die Araber als »Krebsgeschwür der Nation« schürt und zu deren Ausmerzung aufruft, verarmte sephardische Juden gegen eine angebliche »Verschwörung des aschkenasischen Establishments« mobilisiert oder die Exekution aller Soldaten verlangt, die den Wehrdienst in den besetzten Gebieten verweigern. Sprinzak verwies auch auf die Bedeutung des Führerprinzips der bevorzugt in gelben Hemden aufmarschierenden »Kachniks«: Kahane hat seine Gefolgschaft mit autoritärem Auftreten und Selbstinszenierungen, die auf Personenkult setzten, sowie streng hierarchischen Organisationsstrukturen zu »einem monolithischen Körper« geformt, »in dem keine Spaltungen oder Abspaltungen möglich sind«.
Meir Kahane starb vor 32 Jahren in New York bei einem Attentat durch einen Islamisten. Aber sein Traum, der Jugend Israels den Universalismus und die »internationalistische Orientierung« auszutreiben, war noch zu seinen Lebzeiten wahr geworden – laut einer Studie sympathisierten damals schon 42 Prozent der 15- bis 18jährigen jüdischen Gymnasiasten mit seinen Ansichten.
Das Kahane-Syndrom
Heute bezeugen die Brandanschläge der von Kahanes Enkel Meir Ettinger angeführten Noar HaGvaot (Hügeljugend), der wachsende Zuspruch für die Organisation Lehava des Ex-Kach-Aktivisten Ben-Zion Gopstein, die »Töchter Israels« vor Beziehungen mit Männern von nicht »göttlicher Rasse« bewahren will, ebenso das hetzerische »Linke in den Ofen!«-Gebrüll bei den Siedlerkundgebungen, dass sich das Kahane-Syndrom in der Mitte der israelischen Gesellschaft festgesetzt hat. Und zwar bis hinein in die Sozialdemokratie und Histadrut, die als zionistische Gewerkschaft, wie es Jabotinsky, inspiriert von Mussolinis »Carta de Lavoro«, gefordert hatte, einen nationalen Pakt mit dem Kapital geschlossen hat und zum Vehikel des Besatzungsregimes und der Disziplinierung der überausgebeuteten palästinensischen Arbeiter verkommen ist. Netanjahus Likud und die anderen bürgerlichen Parteien haben – beispielsweise mit den Nationalstaatsgesetz von 2018 – längst die Grundlagen für ein Apartheidregime geschaffen, das in den besetzten Gebieten seit vielen Jahren Realität ist. Die Durchsetzung eines »jüdischen Kapitalismus«, ein »totaler Krieg gegen Israels Feinde«, Zwangsumsiedlung aller illoyalen Araber – allein diese Programmpunkte von Otzma Jehudit verheißen noch Schlimmeres.
»Der Faschismus ist hier, um zu bleiben«, verkündete Haaretz nach dem Erfolg von Parteichef Itamar Ben-Gvir mit seinem Rechtsbündnis bei der 25. Knessetwahl. Bald wird der Kachnik Minister für Nationale Sicherheit sein, und mit dem mittlerweile siebten Netanjahu-Kabinett, das nun die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird der Kahanismus als radikalste Form zionistischer Herrschaft wirkmächtig.
Unterdrückte Wahrheiten
Die Kahanisten haben den katastrophischen Zionismus, der Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, von einem »ewigen Antisemitismus« ausgegangen, dessen Prinzip die »Negation der Diaspora« und dessen Ideal der »Muskeljude« war, zur Religion erhoben. Der von Nazideutschland verbrochene Völkermord und das Versagen vor allem der westlichen Welt, die den verfolgten und schließlich in die Todesfabriken getriebenen Juden nicht beigestanden hatte, schien ihre Thesen unwiderruflich belegt zu haben. Aber ihr »Nie wieder!«, das sich unter jedem Bekennerschreiben der JDL zu Terroranschlägen fand, erwies sich nicht als Ausdruck des welthistorischen kategorischen Imperativs, den Hitler der Menschheit auferlegt hatte, sondern als dessen heteronome Instrumentalisierung – und letztlich Unterminierung. Denn indem sie Jabotinskys kolonialistisches »jüdisches Eisen« fetischisiert, sozialdarwinistischen Ideologemen und einer Post-Holocaust-Version des revisionistischen Maximalismus zum Durchbruch verholfen haben, tragen sie dazu bei, dass die Möglichkeit neuer Menschheitsverbrechen nicht nur aufrechterhalten, sondern auch vergrößert wird.
Die Geburtsstunde des Kahanismus schlug nicht zufällig in der Ära des Kalten Krieges: In dieser Zeit wurde das Ende der jüdischen Moderne, die in Auschwitz weitgehend ausgelöscht worden war, in den USA und im Westen durch eine Versöhnung von Juden mit den Rechten besiegelt, die sie mit Konformismus bezahlt haben. Das ebnete den Weg für eine »philosemitische Reaktion«, die den Antiantisemitismus und das Holocaustgedenken »in das Wertesystem einer ideologischen Strömung integrierte, die, historisch gesehen, den Juden feindlich gesinnt war« und deren »Universalismus in Okzidentalismus« verwandelte – wie Enzo Traverso es mit Verweis auf Thesen des Philosophen Ivan Segré in seiner Studie über die »konservative Wende« in der jüdischen Gemeinschaft beschreibt. Mit dieser Entwicklung wurden nicht nur die Antisemiten von gestern exkulpiert und ihnen eine »narzisstische Anteilnahme« an dem Leiden der Juden, das sie und ihre ideologischen Vorgänger produziert hatten, ermöglicht. Sie förderte auch die ideologische Ausschlachtung der jüdischen Katastrophe für die Konservierung von Elementen des Antisemitismus: Die kritischen jüdischen Intellektuellen, die schon von den Begründern des Zionismus als »Nervenjuden« verächtlich gemacht worden waren, werden heute, besonders wenn sie Kommunisten sind, von Rechten als mit den Palästinensern und anderen kolonisierten »Feinden« des »Wertewestens« verschworene »Verräter« der kapitalistischen »Zivilisation« dämonisiert.
Dem Kahanismus war es nicht zufällig ein Anliegen, »Bolschewist« als eines der schlimmsten Schimpfwörter in der politischen Kultur Israels zu etablieren (was ihm gelungen ist). Den Vertretern der zionistischen Erscheinungsform des Faschismus ist kaum etwas verhasster als das Pariajudentum, dem Max Horkheimer einst eine »unendliche Zartheit« und »Weigerung, Gewalt als Argument der Wahrheit anzuerkennen«, bescheinigt hatte. Indem der Kahanismus allen den Krieg erklärt, die Marx’ Erkenntnis, dass die Befreiung der Juden nur mit dem Kampf für die »menschliche Emanzipation« erreicht werden kann, erweist er sich der westlichen Bourgeoisie, die gegenwärtig wieder besonders aggressiv imperiale Ziele verfolgt, als überaus nützlich. Ebenso wenn es darum geht, eine unterdrückte historische Wahrheit endgültig auszulöschen, die Isaac Deutscher 1969 ausgesprochen hat und die als Stachel in ihrem fauligen Fleisch steckt: »Das europäische Judentum hat den Preis für (…) den Erfolg des Kapitalismus in der Verteidigung gegen eine sozialistische Revolution bezahlt. Diese Tatsache ruft bestimmt nicht zu einer Revision der klassischen marxistischen Analyse auf – sie bestätigt sie eher.«
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Und ist nicht wirklich beruhigend. Eine zunehmende Faschisierung des militärischen Apparats - und möglicherweise oder sogar vermutlichen nicht nur von diesem, sondern auch von denen der Bullerei und der Geheimdienste - zeigt (analog zu ähnlichen Entwicklungen in der BRD, oder s. auch die "Eingliederung" der faschistischen Kampftruppen in die 'reguläre' ukrainische Armee oder Polizei) die Fahrtrichtung des Zuges an. Sowohl in Richtung der Staatsentwicklung als auch in Richtung der immer besseren Aufrüstungsmöglichkeiten der FaschistInnen.
•NEUER BEITRAG23.12.2022, 15:28 Uhr
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Natürliche Verbündete
Netanjahu bildet rechts-religiöse Regierung
Von Moshe Zuckermann
Benjamin Netanjahu hat am Mittwoch dem israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog den Bescheid überbracht, dass es ihm gelungen sei, eine Regierungskoalition zu bilden. Es gibt Journalisten, die das anzweifeln, denn nicht alle Verträge mit den Koalitionspartnern sind bis dato unterschrieben worden, aber das ist unerheblich. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass der Kitt, der diese Koalition zusammenhält, jetzt noch auflösbar sei. Zu fragen bleibt lediglich, was es mit diesem Kitt auf sich hat.
Die Koalitionspartner Netanjahus sind vier religiöse Parteien: Die Schas-Partei, Otzma Jehudit, HaTzionut HaDatit und Jahadut HaTorah – sie alle zeichnen sich durch eine orthodox-klerikale Grundlage aus. Netanjahu bezeichnet sie als seine »natürlichen Verbündeten«. Und man fragt sich: Ist das sein Ernst? Netanjahu im Verbund mit fundamentalreligiösen Parteien, von denen zwei traditionell anti- und heute zumindest nichtzionistisch sind? Er, der sich als gewandten, westlich ausgerichteten Staatsmann ausgibt und einen säkularen, hedonistischen Lebenswandel unterhält? Er hat eine Koalition errichtet mit Parteien, von denen Teile bestrebt sind, Israel in eine Theokratie zu verwandeln.
Mehr noch: Die Ideologie dieser Parteien (in verschiedener Couleur) besteht aus einer Melange von faschistischen, rassistischen, autoritär-reaktionären, letztlich dezidiert rechtsradikalen Gesinnungskoordinaten. Sie sind darauf aus, den bereits bestehenden Apartheidstaat zu festigen und auszubauen, die barbarische Besatzungsrealität noch durch Erweiterung des Siedlungsbaus und noch härtere Maßnahmen gegen die Palästinenser im Westjordanland (gegebenfalls auch im Innern Israels) zu steigern. Sie legen es darauf an, bislang konsensuelle Normen der israelischen Zivilgesellschaft und unantastbar geglaubte Grundfeste in den Erziehungs- und Kulturbereichen auszuhebeln und umzukrempeln. Vergangene Woche ging gar die Nachricht durch die Medien, dass die israelische Energieindustrie künftig keinen Strom am Sabbat produzieren werde. Netanjahu sah sich genötigt zu dementieren.
Es erwies sich nämlich, dass sich die »natürlichen Verbündeten« in den Koalitionsverhandlungen als gefräßig-unersättliche Polit- und Interessenkörper gebärdeten. Damit man den Ansprüchen der Parteiengeier nachkommen konnte, ist ein Großteil der israelischen Ministerien dermaßen zerstückelt und zerfasert worden, dass man die Übersicht über das Netz der parlamentarischen Kompetenzbereiche kaum noch wahren kann. Netanjahu erwies sich bei den Verhandlungen als schwach und erpressbar, ja nachgerade als Opfer seiner eigenen Bestrebungen. Weil nur noch wenig für seine eigene Partei übriggeblieben ist, waren in der letzten Woche bereits kritische Stimmen aus Likud-Reihen zu hören. Des Rätsels Lösung ist relativ einfach. Netanjahu hat sich nicht zum orthodoxen Juden gewandelt, auch hängt er nicht dem Kahanismus an (der traditionelle Rechtsradikalismus reicht schon aus). Netanjahu ging es einzig darum, eine Koalition zu bilden, die es ihm potentiell ermöglichen würde, seinem Prozess und einer eventuellen Gefängnisstrafe zu entkommen. Genau dafür benötigte er seine »natürlichen Verbündeten«, die selbst von korrupten, gewaltbereiten und vorbestraften Politikern geführt werden.
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•NEUER BEITRAG30.12.2022, 01:13 Uhr
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Apartheid als Programm
Neue Regierung in Israel vereidigt
Von Nick Brauns
In Jerusalem wurde am Donnerstag die neue israelische Regierung unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vereidigt. Neben dessen schon sehr weit rechts stehender Likud-Partei gehören der Koalition fünf teils offen faschistische und religiös-fundamentalistische Parteien an.
Vor der Knesset erklärte Netanjahu die Beendigung des Konflikts zwischen Israel und den Arabern zur obersten Priorität. Gemeint ist die weitere Normalisierung der Beziehungen zu arabischen Staaten, um Teheran zu isolieren. Mit den Palästinensern dagegen wird keine Lösung angestrebt. So hatte Netanjahu bereits am Mittwoch die in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten Grundlinien seiner »Nationalregierung« bekanntgegeben: »Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle Teile des Landes Israel. Diese Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen des Landes Israel, in Galiläa, der Negev, auf dem Golan, in Judäa und Samaria fördern und entwickeln.«
In Galiläa im Norden Israels lebt ein Großteil der Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit. Diese sind bereits heute Bürger zweiter Klasse des »jüdischen Staates«. In der Negev-Wüste sind die Beduinen seit Jahrzehnten mit Verdrängung konfrontiert, während jüdische Einwanderer etwa aus der ehemaligen Sowjetunion und Äthiopien gezielt dort angesiedelt wurden. Die Golanhöhen sind syrisches Territorium, sie wurden 1967 von Israel besetzt und 1981 annektiert. Und Judäa und Samaria ist die israelische Bezeichnung für das besetzte und von völkerrechtlich illegalen Siedlungen überzogene Westjordanland. Nur Gaza fehlt in dieser Vision von Großisrael – den faktischen Status des schmalen Landstreifens als dichtbesiedeltes Freiluftgefängnis für Palästinenser will die neue Rechtsregierung nicht antasten.
Apartheid und jüdischer Vorherrschaftsanspruch »from the river to the sea«: So lässt sich das Regierungsprogramm zusammenfassen. Dabei täte man einigen Koalitionären Unrecht, würde man sie als überzeugte Apartheidbefürworter bezeichnen. So machen etwa die Kahanisten, zu denen der Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir gehört, kein Geheimnis daraus, dass sie am liebsten alle Palästinenser gewaltsam vertreiben wollen.
Das Vorantreiben des Siedlungsbaus, die Entrechtung der Palästinenser und die Verhinderung eines lebensfähigen palästinensischen Staates gehörten zur Praxis jeder israelischen Regierung der letzten Jahrzehnte, egal ob diese im zionistischen Kontext eher links oder rechts zu verorten war. Es ist das Verdienst von Netanjahu und seiner klerikal-faschistischen Koalitionäre, der »einzigen Demokratie im Nahen Osten« die Maske heruntergerissen zu haben. Das neue Kabinett ist nicht nur die am weitesten rechts stehende, sondern auch die ehrlichste Regierung Israels, denn sie macht aus ihren kolonialistischen Zielen kein Geheimnis.
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Israel verbietet palästinensische Flaggen im öffentlichen Raum
Der frisch ernannte israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hat das Aufhängen palästinensischer Flaggen an öffentlichen Orten verboten. Der Beamte geht davon aus, dass sie den "Terrorismus fördern".
Israels neuer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, erklärte, er habe die Polizei angewiesen, gegen alle Versuche, palästinensische Flaggen auf den Straßen des Landes zu zeigen, vorzugehen. Dem Minister zufolge sei das öffentliche Zeigen des Symbols, das seit 1964 von der Palästinensischen Befreiungsorganisation verwendet wird, mit Sympathiebekundungen für den Terrorismus verbunden:
"Es ist unfassbar, dass Gesetzesbrecher Terrorflaggen schwenken, zum Terrorismus aufrufen und ihn fördern."
Ben-Gvir wies dabei Bedenken zurück, dass sein Flaggen-Verbot die bürgerlichen Freiheiten verletzen könne. Er argumentierte, dass sich die Freiheit der Meinungsäußerung "nicht darauf erstreckt, sich mit Terroristen zu identifizieren ...", "... die versuchen, israelischen Soldaten zu schaden". In einem Tweet fügte er hinzu:
"Wir werden den Terrorismus und die Ermutigung zum Terrorismus mit aller Kraft bekämpfen."
Nach israelischem Recht ist das Aufhängen und Zeigen der palästinensischen Flagge nicht illegal, aber das Militär und die Strafverfolgungsbehörden sind befugt, sie zu entfernen, wenn sie als Bedrohung der öffentlichen Ordnung angesehen wird.
Der neue Minister erhielt das Amt, nachdem die nationalistische Partei Otzma Yehudit (Jüdische Stärke), zu der er gehört, der Koalitionsregierung des kürzlich wiedergewählten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu beigetreten war. Die Koalitionsvereinbarung sah unter anderem vor, palästinensische Flaggen aus staatlich finanzierten Einrichtungen zu entfernen. Die Anordnung von Ben-Gvir scheint noch einen Schritt weiter zu gehen und verbietet die Flaggen an allen öffentlichen Orten.
Vergangene Woche waren bei Feierlichkeiten zur Freilassung des Palästinensers Karim Younis im Norden Tel Avivs palästinensische Flaggen geschwenkt worden. Der Mann war 1983 wegen des Mordes an einem israelischen Soldaten verurteilt worden. Younis selbst schwenkte die palästinensische Flagge, als er nach Hause kam. Überdies waren am Wochenende bei einer Demonstration gegen die neue Regierung in Tel Aviv vereinzelt palästinensische Flaggen zu sehen.
Netanjahus Regierung kündigte am 6. Januar bereits eine Reihe von Strafmaßnahmen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde an, weil diese ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen über die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete eingeholt hatte. Unter anderem sollen die Maßnahmen Israels den Entzug des Reisepasses des palästinensischen Außenministers Riyad al-Maliki vorsehen.
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•NEUER BEITRAG08.01.2023, 20:13 Uhr
EDIT: FPeregrin
08.01.2023, 23:06 Uhr
08.01.2023, 23:06 Uhr
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Ultras kriegen Kontra
Tel Aviv: Proteste gegen fundamentalistisch-rechte Regierung. Breites Bündnis demonstriert
Von Knut Mellenthin
Israels extrem rechte und ultrareligiöse neue Regierungskoalition bekommt Gegenwind. Zum ersten Mal, seit Langzeitpremier Benjamin Netanjahu am 29. Dezember für seine sechste Amtszeit vereidigt worden war, gab es am späten Sonnabend in Tel Aviv Proteste mit mehreren tausend Teilnehmern. Bei der zentralen Kundgebung füllte die Menschenmenge nicht nur den großen Platz am traditionsreichen Habima-Theater, sondern verteilte sich auch auf die Zugangsstraßen. Von dort aus formierten sich mehrere, von unterschiedlichen politischen Kräften organisierte Demonstrationszüge. Neben der blau-weißen Staatsflagge, die in Israel zum gewohnten Bild aller politischen Aktionen gehört, war auch die Regenbogenfahne der LGBTI-Community zu sehen. Queere Personen sind von den zu erwartenden Maßnahmen der neuen Regierung besonders betroffen und hatten als erste schon in den vergangenen Tagen Demonstrationen mit mehreren hundert Menschen organisiert.
In israelischen Medien hieß es, während die Aktionen in Tel Aviv noch in Gang waren, »die Veranstalter« hätten von mehr als 10.000 Teilnehmenden gesprochen. Allerdings war bei der Vielzahl aufrufender Gruppen nicht auszumachen, wer genau die Veranstalter waren. Ganz sicher war es nach israelischen Maßstäben überwiegend das linke Spektrum der Opposition. Unter den Aufrufen und Stellungnahmen standen bekannte Zusammenschlüsse und Initiativgruppen, von denen mehrere auch schon 2020 bei den großen Versammlungen gegen die damalige Netanjahu-Regierung hervorgetreten waren: »Bewegung für eine Qualitätsregierung«, »Schwarze-Fahnen-Bewegung«, »Zusammenstehen«, »Das Schweigen brechen« und »Crime Minister« – ein Wortspiel mit der englischen Bezeichnung für den Premierminister (»Prime Minister«) und dem Wort »Crime« (Verbrechen). Zumindest einige dieser Gruppen haben schon angekündigt, dass sie künftig an jedem Sonnabend – immer nach dem Ende der Schabbat-Ruhe – auf die Straße gehen wollen.
Etliche prominente Politiker liefen bei den Protesten mit, einige hielten auch Reden, prägten aber nicht das Gesamtbild. Unter ihnen waren Parteichefin Merav Michaeli und der Abgeordnete Gilad Kariv von der Arbeitspartei, ebenso Aiman Odeh, der Vorsitzende des maßgeblich von der Kommunistischen Partei beeinflussten Bündnisses »Demokratische Front für Frieden und Gleichheit«, kurz Chadasch genannt. Auch die frühere Außenministerin und Vizepremierministerin Tzipora »Tzipi« Livni, die sich im Februar 2019 offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, wurde von den Medien gesichtet.
Mehrere der beteiligten Gruppen hoben in ihren Aufrufen und Ansprachen Ziel und Absicht hervor, ein möglichst breites Bündnis aller Teile der Gesellschaft »gegen den Staatsstreich« der »kriminellen Regierung« aufzubauen, »die allen Bürgern, wer immer sie auch sind, zu schaden droht«. Jael Lotan und Avner Gvarjahu, die Chefs von »Das Schweigen brechen«, wandten sich an die Menge mit den Worten: »Heute Abend, liebe Freunde, haben wir ein neues demokratisches Lager geschaffen. Es schließt Juden und Araber, Männer und Frauen, ›straight people‹ und ›LGBTQ people‹, Säkulare und Religiöse ein. Vereinigt gegen eine üble Regierung und zugunsten einer besseren Zukunft an diesem Ort.« Menschenrechte, sagten die beiden weiter, stünden nicht nur jüdischen Menschen zu, sondern müssten auch auf die arabische Bevölkerung ausgeweitet werden – einschließlich der Menschen, die in den von Israel 1967 besetzten Gebieten leben.
Der Kampf hat gerade erst begonnen, das ist offenbar das allgemeine Verständnis. In einer gemeinsamen Erklärung von »Zusammenstehen« und »Crime Minister« hieß es: »Wir werden nicht Däumchen drehend zu Hause sitzen, und wir werden uns nicht in Verzweiflung und Frustration verlieren. Wo gekämpft wird, da ist Hoffnung. Wir gehen auf die Straße und kämpfen für unsere Heimat.«
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Hmm, ... wäre das der Anfang einer antifa.-dem. Volksfront? Ich bleibe
skeptisch, daß das so einfach funktioniert. Weniger weil eine Tzipi Livni - unvergessen aus dem Gaza-Krieg 2008/09 - hier mitläuft - Volksfronten schließt man mit Kotzbrocken -, sondern weil ich nicht sehe, daß hier mehr auf die Straße geht als "Breite", mithin nicht unbedingt die fortschrittlichste Kräfte die Reiter sein müssen. ... kennen wir von hier. - Wir werden sehen.
•NEUER BEITRAG22.01.2023, 20:21 Uhr
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Druck auf Netanjahu wirkt
Israel: Größte Kundgebung in Geschichte des Landes. Premier entlässt vorbestraften Minister
Von Knut Mellenthin
Der Druck auf die seit dem 29. Dezember amtierende Ultrarechtsregierung in Israel wächst. Am Sonntag vormittag musste Premierminister Benjamin Netanjahu aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofs seinen wichtigsten Partner in der Regierung Arje Deri entlassen, der die Posten des Innen- und des Gesundheitsministers besetzt hatte. Er tue das »mit schwerem Herzen, mit großer Sorge und mit dem denkbar schlechtesten Gefühl«, betonte Netanjahu bei der Bekanntgabe dieser Maßnahme in der allwöchentlichen Kabinettssitzung.
Zuvor hatte es am späten Sonnabend nach dem Ende der Schabbatruhe in Tel Aviv die bisher größten Proteste gegen die neue Regierung gegeben. An zwei verschiedenen Orten der Stadt versammelten sich nach Polizeiangaben insgesamt 110.000 Menschen, während die Organisatoren sogar von 150.000 Teilnehmern sprachen. Die Verteilung auf zwei Kundgebungsplätze war nötig geworden, weil voraussehbar war, dass der Habima-Platz, auf dem sich am vorigen Sonnabend bei strömendem Gewitterregen 80.000 Menschen versammelt hatten, diesmal die Menge der Protestierenden nicht mehr fassen würde. Weitere Demonstrationen gab es in Jerusalem, Haifa, Beerscheba, Herzlija und anderen Städten. In Jerusalem protestierten mehrere tausend Menschen in der Nähe von Netanjahus Residenz.
Diesmal hatten auch die Politiker des Zentrums und der moderaten Rechten zu den Kundgebungen in Tel Aviv aufgerufen. Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) hielt eine der zahlreichen Reden und verkündete den allgemeinen Konsens der Protestierenden: »Wir geben nicht auf, bis wir gewonnen haben.« Der frühere Chef der israelischen Streitkräfte und ehemalige Verteidigungsminister Mosche Jaalon, seit Jahren ein populärer Gegenspieler Netanjahus, bezeichnete die gegenwärtige Regierung als »Diktatur von Verbrechern«.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen Deri, den Vorsitzenden der orthodoxen Schas-Partei, wird laut einer Umfrage, die am Sonntag bekannt wurde, von 70 Prozent der Bevölkerung begrüßt. Sogar bei den Wählern von Netanjahus Likud-Partei stimmen 57 Prozent der Entscheidung zu. Der Logik des Gerichts ist in der Tat schwer zu widersprechen. Deri, der 1999 schon einmal wegen Annahme von 150.000 Dollar Bestechungsgeld zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, stand im vorigen Jahr erneut vor Gericht, diesmal wegen Steuerhinterziehung. Er kam mit einer zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe davon, und das Gericht verzichtete darauf, sein Verhalten als »moralische Verkommenheit« – ein Begriff aus dem US-amerikanischen Recht – einzustufen, was eine siebenjährige Ämtersperre zur Folge gehabt hätte. Als Gegenleistung versprach Deri, er werde sich aus der Politik zurückziehen. Folglich dürfe er jetzt nicht Minister sein, ordnete am Mittwoch der Oberste Gerichtshof an.
Deri wird beim aktuellen Stand der Dinge trotzdem stellvertretender Premierminister bleiben. Das widerspricht offensichtlich der Tendenz des Urteils und könnte ein weiteres Gerichtsverfahren auslösen.
Sicher ist in jedem Fall, dass die Sonnabendsproteste in Tel Aviv und anderen Städten gegen die von der Ultrarechtskoalition geplante »Justizreform« fortgesetzt werden. Zahlenmäßig ist in den kommenden Wochen, wenn die Temperaturen steigen, noch Luft nach oben. Aber schon die Kundgebungen am Sonnabend waren vermutlich die größten, die jemals in Israel stattfanden.
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•NEUER BEITRAG14.02.2023, 01:46 Uhr
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jW heute:
Parlament blockiert
Pläne zur »Justizreform«: Landesweite Proteste und Streiks in Israel. Unternehmen befürchten Einbußen durch Ultrarechtsregierung
Von Knut Mellenthin
In Israel haben die wochenlangen Proteste gegen Benjamin Netanjahus Ultrarechtsregierung am Montag eine neue Qualität erreicht. Allein in Jerusalem drängte sich zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Obersten Gerichtshof eine unüberschaubare Menge von Menschen, deren Zahl am Nachmittag auf bis zu 100.000 geschätzt wurde. Zuvor war der erste Gesetzesvorschlag zur radikalen Umgestaltung des Justizwesens zur ersten Lesung in der Knesset zugelassen worden. Tausende waren seit den Morgenstunden in überfüllten Nahverkehrszügen, gecharterten Bussen und langen Autokonvois aus vielen Teilen des Landes, vor allem aus dem Großraum Tel Aviv, nach Jerusalem gekommen. Zahlreiche Politiker aller Oppositionsparteien richteten das Wort an die Protestierenden. Die Kundgebung bot am Montag einmal mehr das Bild eines Meeres blauweißer Nationalflaggen. Die Proteste der »Queer community«, die zu Beginn der Demonstrationen in Tel Aviv in großer Zahl mit Regenbogenflaggen aufgetreten waren, scheinen mittlerweile in den Hintergrund getreten.
Die Kundgebung in Jerusalem am Montag fiel zusammen mit einem erstmaligen Streikaufruf, der nach bisherigen Berichten hauptsächlich von Angestellten der Hightech-Branche getragen wurde, in der Israel international eine maßgebliche Stellung innehat. Nach Meldungen, die aus der Branche kommen, hatten fast 300 Unternehmen ihre Angestellten nicht nur für den Tag freigestellt, sondern geradezu ermutig und unterstützt, unter anderem durch das Anmieten von Bussen, zur Kundgebung nach Jerusalem zu fahren. Auch Zehntausende Ärzte und Wissenschaftler beteiligten sich an den Protesten. Dagegen steht die große Traditionsgewerkschaft Histadrut, die im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen von großer Bedeutung ist, einstweilen abseits.
Neben der Hightech-Branche haben sich dem politischen Protest auch Anwaltskanzleien und Banken angeschlossen. Es herrscht die Sorge, dass Netanjahus Regierungskoalition nicht nur dem allgemeinen Standing des zionistischen Staates großen Schaden zufügen, sondern auch die Chancen international tätiger israelischer Unternehmen zur geschäftlichen und finanziellen Kooperation nachhaltig verschlechtern wird. Schließlich strebt Netanjahu nicht nur eine umfassende »Justizreform« an, die Kritiker für den Untergang der israelischen Demokratie halten, sondern regiert zusammen mit ultrarechten Kräften, die ein totalitäres und rückwärtsgewandtes Religionsverständnis durchsetzen wollen.
Schon am späten Sonnabend – wie üblich nach dem Ende der Schabbat-Ruhe – hatten zum sechsten Mal große Protestkundgebungen gegen die Ultrarechtsregierung stattgefunden. Nach Angaben der Organisatoren wurde mit 145.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Tel Aviv und weiteren 83.000 in anderen Städten ein neuer Rekord aufgestellt.
Am Sonntag hielt Staatspräsident Isaac Herzog eine Fernsehansprache, in der er kritisierte, dass Netanjahus Vorhaben »negative Auswirkungen auf Israels demokratische Grundlagen« haben werde und in der er zugleich für ein Zurückstellen der geplanten Vorhaben warb, um ein »Kompromissabkommen« zwischen Regierung und Opposition aushandeln zu können. In eine ähnliche Richtung geht anscheinend eine gemeinsame Initiative von mehr als 70 örtlichen Autoritäten, die vor die praktische Durchsetzung der »Justizreform« eine Dialogphase schalten wollen.
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... sieht es mir - nach diesem Artikel - eher so aus, als ob mal wieder die in diesem Staat eh "Gekniffenen", sprich die PalästinenserInnen u. die ArbeiterInnenklasse (egal aus welchen Nationalitäten/Religionen zusammengesetzt) weder Objekt noch Subjekt dieser Proteste sind, oder zumindest nur marginal als "Feigenblättchen".
Es scheinen sehr nationalistische Proteste zu sein, deren TrägerInnen in der Masse eher "hippe", gut und in florierenden Branchen ausgebildete u. gut verdienende Menschen sind, darunter sehr viele Selbständige ... Und die sich eher um das Bild Israels in der Welt sorgen (da "schlecht für 's Geschäft") und weniger (bzw. nur aus vorgenanntem Grunde) um Faschismus, Ausbeutung u. Unterdrückung.
"Dagegen steht die große Traditionsgewerkschaft Histadrut, die im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen von großer Bedeutung ist, einstweilen abseits."
Auch dies hat ja eine gewisse Aussagekraft. Wobei ich aber nicht weiß, wie diese Gewerkschaft politisch einzuordnen ist.
Vielleicht wird ja trotzdem was draus, daß sich eine Eigendynamik (die von den derzeitigen TrägerInnen der Proteste sicher nicht gewünscht ist) entwickelt und in die richtige Richtung geht. Wie FPeregrin oben schreibt: wir werden sehen.


EDIT: FPeregrin
17.02.2023, 01:44 Uhr
17.02.2023, 01:44 Uhr
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Ich zitiere einfach mal die Fischer-Weltgeschichte, Bd. 15 (Verfasser Dan Diner), S. 374: "Kurze Zeit nach der Balfour-Deklaration riefen die damals schon organisierten Zionisten die Jewish Agency for Palestine unter dem Vorsitz von Chaim Weizmann, dem Präsidenten der Zionistischen Organisation, ins Leben. Die Jewish Agency wurde zur Vorstufe einer Regierung. Sie sammelte Gelder, kaufte in Palästina Land auf, um jüdischen Einwanderern die Niederlassung zu ermöglichen, gründete kollektive landwirtschaftliche Siedlungen, die kibbuzim, machte Hebräisch zu einer neuen Landessprache, rief die Histadrut, den Allgemeinen Gewerkschaftsverband, ins Leben, dem bald 90 Prozent aller jüdischen Arbeiter angehörten – mit einem Wort, sie war nicht nur eine wirtschaftliche, sondern im Grunde auch eine politische Institution. Schon 1939 verfügten die Zionisten über eine militärische Geheimorganisation, die Haganah, und später sollten sich etliche Terrororganisationen herausbilden, von denen vor allem der Irgun Zewa’i Le’umi und die Sternbande Bedeutung erlangen sollten." Dies zum Gründungszusammenhang.
Zur Funktion in diesem Zusammenhang., Ebd. Bd. 36 (ebenfalls Dan Diner), S. 170f. "Faßt man die Bedingungen der jüdischen Nationalstaatsbildung im arabisch besiedelten Palästina zusammen, dann bedurfte es, der bis 1948 noch fehlenden jüdischen Staatsgewalt wegen, ökonomischer Maßnahmen, die in Wirklichkeit kaum wirtschaftliche Bedeutung, sondern mehr eine staatsbildende Funktion hatten: Bodenkauf und agrarische Bearbeitung, die den jüdischen Menschen als zukünftigen national- staatstragenden Bürger durch Selbstarbeit mit dem Boden verbindet, seine Beweglichkeit einschränkt und die Rückkehr der Araber als Lohnarbeiter verhindert. Deshalb also das Übergewicht der kollektiven Siedlungsformen bei der zionistischen Landnahme in Palästina. / Im industriellen Bereich ging die Spaltung der Wirtschaft Palästinas, entlang der nationalen Unterschiede als Bedingung der Nationalstaatsgründung, vor allem mit der Bildung des zionistischen Gewerkschaftsverbandes »Histadruth« einher. Da die Histadruth nur jüdische Arbeitskräfte aufnahm, was Zvi Sussman als »institutionelle Diskriminierung« kennzeichnet, und sie im Vergleich zu den arabischen Arbeitern besser stellte, wurde auf die jüdischen Unternehmer Druck ausgeübt, der höheren Löhne wegen, die sie zu zahlen gezwungen wurden, mehr Maschinen einzuführen, als die billigere arabische Arbeitskraft es erforderlich gemacht hätte. Die Folge davon war, daß die jüdischen Arbeiter die gelernten und die arabischen die ungelernten Arbeitskräfte stellten. Der Arbeitsmarkt spaltete sich also derart, daß das soziale Element mit dem nationalen einherging. Nationale Konflikte brachten damit soziale mit sich – und umgekehrt. / Es waren vor allem die zionistischen Arbeiterorganisationen, die sogenannten Linkszionisten, die jene Nationalisierung der Ökonomie betrieben. Dies stand in schroffem Gegensatz zu ihrem sozialistischen Selbstverständnis. Jener Widerspruch wird von einem bedeutenden Vertreter des Arbeiter-Zionismus artikuliert, wenn er sich erinnert, wie er nach dem Ersten Weltkrieg anderen Sozialisten aus Commonwealth- Ländern den zionistischen Sozialismus zu erklären hatte: »Ich mußte mit meinen Freunden über den jüdischen Sozialismus [in Palästina] streiten, mußte die Tatsache verteidigen, daß ich keine Araber in meiner Gewerkschaft, der Histadruth, akzeptierte; daß wir an Obstplantagen Wache hielten, um arabische Arbeiter zu hindern, dort Arbeit zu finden; daß wir Benzin auf arabische Tomaten schütteten; daß wir jüdische Hausfrauen attackierten und arabische Eier, die sie gekauft hatten, vernichteten; daß wir den jüdischen Nationalfonds bejubelten, der Hankin [einen zionistischen Bodenkäufer] nach Beirut schickte, um Land bei abwesenden Großgrundbesitzern zu kaufen, und die arabischen Fellahen vom Boden vertrieb; daß es erlaubt ist, Tausende Dunam von Arabern zu kaufen, aber verboten, einen einzigen jüdischen Dunam an einen Araber zu verkaufen .... All das zu erklären, war nicht leicht.«"
Und nach der Staatsbildung eben die staatstragende aschkenasisch-sozialdemokratische Einheitsgewerkschaft, ... unter den zusätzlichen Bedingungen eines Regimes, für das die Charakterisierung 'Apartheid' bereits früh Verwendung fand. ... es ist eben auch die Frage, wo etwas anfängt, das man dann noch steigern kann ... (Dies zu einem Teil der Ausgangsdebatte, mit Leuten, die sie offenbar hier nicht mehr führen wollen.)
Konkret: Ein institutionell wesentlicher, ökonomisch konstituierender Bestandteil des Zionismus' als System beteiligt sich eben nicht an den gegenwärtigen Protesten gegen die Einschränkungen von demokratischen und Freiheitsrechten. Es ist - böse gesagt - ein Hipster-Aufstand. Aber immerhin: Pink- & Rainbow-Washing des Zionismus wird von jetzt an nicht mehr so einfach möglich sein! Das ist nicht nichts!



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Ich kann mich erinnern, das schon mal in einer autonomen Seminarreihe zu Palästina, die auf sehr hohem Niveau stattfand, gehört oder gelesen zu haben; war damals von einer lokalen Palästina-Soligruppe organisiert worden. Hatte ich leider mittlerweile vergessen, ist ja auch schon über 30 Jahre her.
•NEUER BEITRAG21.02.2023, 22:24 Uhr
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Durchmarsch der Rechten
Israelisches Parlament stimmt für »Justizreform«, Opposition soll eingehegt werden. UN-Sicherheitsrat verurteilt Siedlungsbau
Von Knut Mellenthin
Die israelische Regierung ist am Dienstag mit ihrer »Justizreform« einen großen Schritt vorangekommen. Das Parlament stimmte nach stundenlanger Debatte am frühen Morgen kurz nach Mitternacht in erster Lesung einem wichtigen Gesetz zu. Zuvor hatten Zehntausende rund um das Knessetgebäude in Jerusalem gegen die reaktionärste Regierung in der Geschichte Israels protestiert. Sie skandierten hauptsächlich die Parole »Demokratie«, viele trugen die blau-weiße Staatsfahne. Schon am späten Sonnabend waren nach Angaben der Veranstalter fast 250.000 Demonstranten in rund 40 Orten auf der Straße gewesen. Die wichtigsten Proteste hatten mit 135.000 Teilnehmern in Tel Aviv, 22.000 in Kfar Saba und 18.000 in Haifa stattgefunden.
Die Abstimmung am frühen Dienstag ergab eine klare Mehrheit von 63 gegen 47 Stimmen ohne Enthaltungen. Allerdings blieben einige Abgeordnete dem Votum fern. Das Gesetz besteht im wesentlichen aus zwei Punkten. Zum einen wird die Rolle der jeweiligen Regierungskoalition bei der Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs, der dem deutschen Bundesverfassungsgericht entspricht, gestärkt. Außerdem wird der Gerichtshof weitgehend entmachtet: Er würde, wenn das Gesetz wirklich durchkommt, das Recht verlieren, neue Gesetze außer Kraft zu setzen, die nach Meinung seiner Mehrheit den Basic Laws – dem israelischen Äquivalent einer dort nicht existierenden Verfassung – widersprechen. Zusätzlich erregt Empörung, dass diese Regelung ab sofort gelten soll. Der Oberste Gerichtshof könnte also das auf dem Weg befindliche Gesetz nicht aufheben.
Nach dem hektischen Dienstag, der im Zeichen der hochgradigen Polarisierung der israelischen Gesellschaft stand, soll voraussichtlich im Parlament eine Pause eintreten: Die zweite und dritte Lesung des Gesetzes sind erst für etwa Ende März geplant. Das vorgegebene Ziel ist, einen »Dialog« zwischen Regierung und Opposition zu eröffnen, der zu Kompromissen führen soll. Dafür setzt sich an oberster Stelle Staatspräsident Isaac Herzog ein, der ursprünglich aus der oppositionellen Arbeitspartei kommt, aber in Ausübung seines Amtes unangenehm versöhnlerisch auftritt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die heterogene Opposition, deren Koalitionsregierung 2022 nach nur etwa einem Amtsjahr gescheitert war, im Zuge des angestrebten »Dialogs« spalten lässt.
Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass 66 Prozent der Israelis gegen die geplante »Justizreform« sind. Aber rund 70 Prozent insgesamt und sogar 83 Prozent der Oppositionswähler sprechen sich für einen »Dialog« aus.
Ungefähr gleichzeitig mit der Knessetdebatte gab es Montag nacht eine ungewöhnliche Entscheidung im UN-Sicherheitsrat: In einer sogenannten Präsidentenstellungnahme sprach das Gremium seine »tiefe Sorge und Bestürzung« über Israels Ankündigung vom 12. Februar aus, die zionistischen Siedlungen im besetzten palästinensischen Westjordanland noch mehr auszudehnen und mehrere provokatorisch angelegte »Außenposten« nachträglich zu legalisieren. Trotz offen erklärtem Unwillen der israelischen Regierung stimmten die USA überraschend der Stellungnahme zu. Diese hat allerdings keine praktischen Auswirkungen. Washington konnte damit die Vereinigten Arabischen Emirate veranlassen, einen Resolutionsantrag zurückzuziehen, den sie für die Palästinensische Nationalbehörde eingebracht hatten.
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EDIT: FPeregrin
22.02.2023, 10:42 Uhr
22.02.2023, 10:42 Uhr
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a) "rassistisch im eigentlichen - also biologischen - Sinne" . Gibt es für historische Materialisten 'Rassen' (!) in einem biologischen Sinne jenseits der sozialen Konstruktion entlang bestimmer und zu bestimmender Unterdrückungsstrukturen? Nein! - Anderenfalls wäre ganz sicher der deutsche Antislawismus im 2. WK sonstwas, aber nicht rassistisch, ... der Antisemitismus bis zur Gaskammer im übrigen auch nicht!
b) "Einer der ersten Maßnahmen im Rahmen der Apartheid war das Verbot von Sexualbeziehungen zwischen Weißen und Nicht-Weißen (mit Gefängnisstrafe die tatsächlich Tausende von SüdafrikanerInnen betraf) sowie dem Verbot der Mischehe. / Beides gab und gibt es in Israel nicht" - Das stimmt nicht und ist eine dreiste Lüge! Das israelische Familienrecht - und nicht nur das - ist religiös und nicht zivil. Es läßt keine Ehen von Juden und Nicht-Juden zu bzw. setzt ein religiöse (!) Konversion voraus. Es gibt also keine jüdischen Mischehen in Israel qua Staatsräson. - Soviel zur Auffassung, Israel sei der Staat der jüdischen Überlebenden des Holocaust an den durch die Nürnberger Rassegesetze aussortierten! Soll ich das wirklich glauben?
P.S.2: Ich räume auf mit den Dingen, die ich mal taktisch unwidersprochen durchgelassen habe. Man halte es mir zugute.
•NEUER BEITRAG03.03.2023, 00:16 Uhr
EDIT: FPeregrin
03.03.2023, 00:18 Uhr
03.03.2023, 00:18 Uhr
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Tränengas und Todesstrafe
Israel: Unübliche Härte gegen Antireformproteste. Ökonomen warnen vor Krise bei Justizschwächung. Debatte zu »Terroristen«
Von Knut Mellenthin
Hunderte israelische Ökonomen haben am Donnerstag bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr eine dringende Warnung vor den Folgen der »Justizreform« veröffentlicht. Zügig vorangetrieben wird diese von der ultrarechten Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu. Unter den Beteiligten sind mehrere ehemalige Regierungsberater und der zweimalige Gouverneur der Bank of Israel, Jacob Frenkel.
Mit dem ersten Appell waren die Unterzeichner am 25. Januar an die Öffentlichkeit gegangen. Jetzt haben sie ihre Warnung verschärft: Das »finanzielle Abschmelzen« der israelischen Wirtschaft könne »noch stärker und schneller« passieren, als sie es erwartet hatten. »In den vergangenen Wochen beobachten wir die ersten Anzeichen von Kapitalflucht, die die Bank of Israel dazu nötigt, die Anhebung der Zinssätze in raschem Tempo fortzusetzen«.
Der Mittwoch hatte als »Tag der Störung« erneut im Zeichen großer Straßenproteste gestanden, vor allem in Tel Aviv und Jerusalem, die von den ganz frühen Morgenstunden bis Mitternacht andauerten. Am Abend konzentrierte sich das Geschehen auf den Versuch von mehreren Tausend Demonstranten, zur Residenz Netanjahus in Jerusalem vorzudringen. Das Vorhaben wurde von der Polizei mittels weiträumiger Blockaden verhindert. Dabei ging sie stellenweise mit einer Härte vor, die in Israel gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger unüblich ist und als schockierend empfunden wurde. Zum Einsatz kamen erstmals seit Beginn der Proteste Anfang Januar Wasserwerfer, berittene Einheiten, Tränengas, Blend- und Schockgranaten.
Während die Polizei den Einsatz dieser Mittel mit Übergriffen der Demonstranten begründet, sagten anonym bleibende hochrangige Polizeioffiziere gegenüber einzelnen Medien, dass von solchen Auslösern nicht gesprochen werden kann. Vielmehr habe Polizeichef Kobi Schabtai sich beim ultrarechten Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, ein gutes Standing verschaffen wollen.
Ebenfalls am Mittwoch stand erstmals die von der Regierung angestrebte Einführung der Todesstrafe gegen arabisch-palästinensische »Terroristen« auf der Tagesordnung des Parlaments. Eine rechtlich bedeutungslose Vorabstimmung passierte der entsprechende Gesetzentwurf mit 55 gegen neun Stimmen. Die Opposition hatte die Abstimmung weitgehend boykottiert. Viele Politiker verließen die Knesset, um den draußen versammelten Demonstranten ihre Unterstützung zu versichern.
Das Gesetz muss nun durch die regulären drei Lesungen gehen. Die Todesstrafe kann demnach gegen Personen verhängt werden, die absichtlich oder aus Gleichgültigkeit den Tod eines israelischen Bürgers verursachen, wenn die Tat aus rassistischen Motiven begangen wird und »dem Staat Israel und der Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Heimatland« schaden soll. Aus dieser Formulierung wird plausibel gefolgert, dass das Gesetz nicht gegen Juden anzuwenden ist, die aus politischen Gründen arabische Bürger oder Palästinenser ermorden.
Das Gesetz soll auch in den besetzten Gebieten Anwendung finden. Die »Rechtsprechung« werde dort durch Militärtribunale erfolgen. Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, eine Gegnerin der »Justizform«, wandte dagegen ein, dass israelisches Recht – zumindest bislang – in den besetzten Gebieten keine Geltung hat.
Ein politisches Problem für die Regierungskoalition könnte sich daraus ergeben, dass die ihr angehörende Partei Schas, die sephardische orthodoxe Juden vertritt, die Todesstrafe aus religiösen Gründen ablehnt. Nicht ganz so weit geht die zweite orthodoxe Partei, Vereinigtes Torah-Judentum, die die Juden westlicher Herkunft repräsentiert: Sie würde sich bei der Abstimmung vermutlich enthalten. Die laizistische, aber extrem rechte Oppositionspartei Jisrael Beitenu hingegen fordert schon lange ein solches Gesetz.
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Jisrael Beitenu hat in dieser Runde in der Tat noch gefehlt!
•NEUER BEITRAG03.03.2023, 00:22 Uhr
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Hetzer des Tages: Bezalel Smotrich
Von Jakob Reimann
Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich brüstete sich im Januar voller Stolz in einem Gespräch, das der Radiosender Kan veröffentlichte: »Ich bin ein faschistischer Homophober.« Doch, so versicherte der Chef der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus: »Ich werde Schwule nicht steinigen.« Nett von ihm. Weniger Glück haben hingegen die knapp fünfeinhalb Millionen Palästinenser, die im besetzten Westjordanland und dem Freiluftgefängnis Gaza leben: Das israelische Militär solle »palästinensische Städte mit Helikoptern und Panzern angreifen«, forderte er am Mittwoch beim Wirtschaftsmagazin The Marker. Und das, für einen religiösen Fanatiker selbstverständlich, »ohne Erbarmen«.
Auch für Huwara, jener Kleinstadt bei Nablus, die am Sonntag Schauplatz hassgeladener Angriffe wurde, hat Smotrich eine Lösung parat: Die Stadt »sollte ausradiert werden«. Sicher, Smotrich ist ein herausragend abscheulicher Zeitgenosse, doch was wollen wir schon erwarten von einer Koalition, in der Netanjahu und sein reaktionärer Likud den linken Flügel stellen? In Sachen von Massakern und Zwangsaussiedlung herrscht bei den Ultrarechten Arbeitsteilung: Der zweite Faschist im Bunde, Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, versprach im Wahlkampf, sich für ein »Deportationsgesetz« starkzumachen. Und er lieferte bereits: Im Januar wurde das menschenverachtende Gesetz in erster Lesung mit 89 zu acht Stimmen von der Knesset durchgewunken. Wie Smotrichs Plan für palästinensische Gebiete aussieht, legte er bereits 2017 dar. Palästinenser hätten demnach die Wahl: Unterwerfung, Emigration oder Tod.
Mit diesen Rassisten an den Schalthebeln offenbart die israelische Apartheid ihre wohl hässlichste Fratze, und eines wird klar: Diese Regierung aus Fanatikern ist angetreten, die Palästinenser endgültig aus dem historischen Palästina zu vertreiben. Die Nakba hat nie aufgehört.
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mischa | |
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Angesichts der schrecklichen Ereignisse in dem palästinensischen Dorf Huwara erklären wir als Internationalist*innen unsere Solidarität mit den Angegriffenen und der unterdrückten Bevölkerung Palästinas.
Am 26. Februar zündeten über Stunden hinweg hunderte israelische Siedler:innen unter den Augen des israelischen Militärs Autos und bewohnte Häuser an. Ein palästinensischer Dorfbewohner wurde erschossen, etwa 100 Menschen wurden verletzt, mehrere von ihnen erlitten schwere Verletzungen durch Schüsse, Messerstiche und Eisenstangen.
Auf der einen Seite lässt sich dieser jüngste Ausbruch der Gewalt einordnen in die sich beständig erneuernde Eskalation des historischen Konflikts. Zuvor kam es zu einem Mord an zwei israelischen Siedlern, davor zu einem Angriff des israelischen Militärs auf die palästinensische Stadt Nablus, der 11 Tote und über 100 Verletzte hinterließ. Die Suche nach einem Ursprung der Dynamik von Aktion und Reaktion, das Aufrechnen der Toten und Verletzten, droht in den Hintergrund treten zu lassen, was diesen Konflikt strukturiert: Die Jahrzehnte andauernde Besatzung Palästinas und die Vertreibung, Enteignung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung.
Gleichzeitig sollten wir nicht übersehen, dass sich in diesem Konflikt gerade etwas verschiebt. In der neuen israelischen Regierung sitzen Minister die sich selbst als faschistisch bezeichnen, die die Annexion der besetzten Gebiete in der West Bank und die vollständige Vertreibung der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung anstreben. Auf dem Weg dorthin liegt die Übertragung der sogenannten Ziviladministration über die West Bank vom Militär an das Ministerium eines extrem rechten Siedlerpolitikers, die Zwangsausbürgerung und die Verhängung der Todesstrafe für unter Terrorgesetzen Verurteilte. Letztere Punkte betreffen ausdrücklich nicht jüdische Verurteilte. Die Zusammenarbeit von israelischer Regierung, Militär und radikalen Siedler:innen ist nichts Neues. Aber in der heutigen politischen Konstellation findet dieses Bündnis zu seiner organischen Einheit. Die Gewalt der Siedler:innen wird nicht mehr nur gedeckt, der Terror der Siedler:innen droht zum Motor der Regierungspolitik zu werden. So erklärte Finanzminister Bezalel Smotrich, auch zuständig für die Siedlungspolitik in der Westbank, der Staat Israel müsse Huwara ausradieren.
Doch nicht nur in Palästina regt sich dagegen Widerstand. In Israel demonstrieren seit Regierungsantritt Hunderttausende gegen den Rechtsruck und die undemokratischen Gesetzesreformen der Regierung. Nach dem terroristischen Angriff der Siedler:innen in Huwara gingen Israelis aus dieser Bewegung in 16 Städten auf die Straße. Unter der Parole “Unser Herz ist in Huwara” solidarisierten sie sich mit den Angegriffenen und sammelten Geld für den Wiederaufbau des Dorfes. Wir sind berührt von dieser Geste und solidarisieren uns weiterhin mit der israelischen Linken und ihrem mutigen Kampf gegen ihre Regierung. In der Solidaritätsarbeit der israelischen Linken liegt das Potenzial, einen in den Anti-Regierungsprotesten oftmals verdrängten Aspekt aufzugreifen:
Es gibt keine Gerechtigkeit ohne ein Ende der Besatzung. Und es wird kein Ende der Besatzung geben ohne einen sozialen Prozess, der Bewegungen in Israel und Palästina schafft, die gegen ihre autoritären, korrupten Herrschenden kämpfen und für ihre gemeinsame Befreiung.
Vielleicht wird dann eine politische Vision zurückkehren, an die einst viele Linke innerhalb und außerhalb Israels geglaubt haben. Die Idee eines einzigen Staates mit gleichen Rechten für alle Menschen, die dort leben unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft oder einer ethnischen Identität. Vielleicht wird diese Idee erneuert und inspiriert werden von den Kämpfen in Rojava, wo das Projekt eines multiethnischen demokratischen Konföderalismus mehr von kollektiver Autonomie als von Staaten spricht.
Bis dahin bleiben wir solidarisch mit der israelischen und palästinensischen Linken und dem Widerstand gegen Krieg und Besatzung!
Interventionistische Linke Düsseldorf [see red!], März 2023


EDIT: arktika
05.03.2023, 16:56 Uhr
05.03.2023, 16:56 Uhr
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Und eine, in der auch Schluß gemacht wird mit der - zwischendurch u. teilweise immer noch - von vielen, nicht nur von Linken, propagierten 2-Staaten-"Lösung"!!:
"Es gibt keine Gerechtigkeit ohne ein Ende der Besatzung. Und es wird kein Ende der Besatzung geben ohne einen sozialen Prozess, der Bewegungen in Israel und Palästina schafft, die gegen ihre autoritären, korrupten Herrschenden kämpfen und für ihre gemeinsame Befreiung.
Vielleicht wird dann eine politische Vision zurückkehren, an die einst viele Linke innerhalb und außerhalb Israels geglaubt haben. Die Idee eines einzigen Staates mit gleichen Rechten für alle Menschen, die dort leben unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft oder einer ethnischen Identität. {Hervorhebung von mir, arkt.} Vielleicht wird diese Idee erneuert und inspiriert werden von den Kämpfen in Rojava, wo das Projekt eines multiethnischen demokratischen Konföderalismus mehr von kollektiver Autonomie als von Staaten spricht."

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Jedenfalls werden diese Äußerungen einige Antideutsche in der BRD in Freudentaumel versetzen, ist es doch etwas, was sie selbst propagieren, und das z. T. auch in kommunistische Zusammenhänge hinein.
•NEUER BEITRAG05.08.2023, 14:40 Uhr
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Ambivalenter Protest
Israels Staatskrise
Von Moshe Zuckermann
Israels Parlament hat sich in die Sommerpause verabschiedet. Die Erweiterung der sogenannten Justizreform ist somit auf den Herbst vertagt. In der Zwischenzeit wird man vorgeblich zu Einigungen mit der Opposition kommen, welche die Rigorosität der »Reform« entschärfen sollen. Entsprechend wird vermutlich auch die Protestbewegung eine gewisse Ruhepause einlegen. Es ist ja Sommer. Es ist heiß. Es ist auch Urlaubszeit.
Zur Frage, welchen weiteren Verlauf die Staatskrise immer nehmen wird, lässt sich schon jetzt einiges feststellen. Zum einen ist die »Justizreform« lediglich ein Deckname für den ernstzunehmenden Versuch der gegenwärtigen Regierungskoalition, einen Staatsstreich zu vollziehen, bei dem das israelische Justizsystem so geschwächt werden soll, dass die Judikative objektiv der Exekutiven und Legislativen unterstellt wird. Dies läuft auf eine Auflösung der Gewaltenteilung hinaus, mit der realen Aussicht, eine »demokratisch« sich gerierende Diktatur zu bilden. Interesse daran haben alle Koalitionspartner mit ihren jeweiligen Partikularinteressen, vor allem aber Benjamin Netanjahu, der mit dieser »Reform« die Annullierung seines Prozesses wegen Korruption, Betrugs und Veruntreuung erreichen könnte. Das Kollektivinteresse wird somit seinem Privatinteresse untergeordnet; seine Anhänger stören sich daran nicht, Verschwörungserzählungen folgend sind sie der Meinung, dass die Anklage gegen ihn nichts als ein »politischer Prozess« sei, der ihm angehängt worden ist, um ihn zu stürzen.
Zum anderen muss aber auch gefragt werden, worum es der zweifellos beeindruckenden, seit Monaten gegen den Staatsstreich mit großer Emphase agierenden Protestbewegung geht. Eine schwer zu beantwortende Frage, wenn man bedenkt, aus welch heterogenen Gruppen sie sich zusammensetzt. Eines ist gleichwohl klar: Wie bei den vorangegangenen großen Protestwellen (2011 gegen die Lebenshaltungskosten und 2020 gegen Netanjahu) ist ein Thema tabu – die Okkupation der palästinensischen Gebiete. Der Vorwand lautet, man möchte die Bewegung nicht politisch spalten. Aber um welche Demokratie wird dann gekämpft, wenn die entscheidende Manifestation ihrer Unterwanderung, die staatlich praktizierte Knechtung eines anderen Volkes, mit Vorbedacht ignoriert wird? Es mag der Verdacht aufkommen, dass es den allermeisten Demonstrierenden darum geht, den Status quo ante wiederherzustellen: to have the cake and eat it, die Barbarei der Besatzung fortzusetzen und sich dennoch als »die einzige Demokratie im Nahen Osten« zu wähnen. Es ist unzweifelhaft wichtig, die Vollendung des Staatsstreichs, der jetzt schon großen Schaden angerichtet hat, zu vereiteln. Aber der wünschenswerte Erfolg dieser Mission wird von Vergeblichkeit und Verlogenheit gezeichnet sein, wenn er nur das Davor und nicht ein längst fälliges Darüberhinaus zeitigen wird.
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Ebend! Das ist der entscheidende Punkt: Wer dieses Thema ausklammert, will (bzw. wird) bestenfalls eine "Demokratie" für die "weiße" Bevölkerung schaffen; der Rest bleibt außen vor. D. h. weiter wie gehabt, nur etwas eleganter. Macht sich propagandistisch besser ...


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•NEUER BEITRAG06.08.2023, 21:13 Uhr
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Schlecht fürs Geschäft
Die sogenannte Justizreform der israelischen Regierung torpediert die eigene Wirtschaft. Tech-Branche sieht Existenz bedroht und wandert ab
Von Shir Hever
Hintergrund: Verlorenes Vertrauen
Die israelische Regierung muss die »Unvernünftigkeitsklausel« abschaffen, denn sie ist keine vernünftige Regierung. Bezalel Smotrich (Foto), der sich selbst als »faschistischer Homophober« bezeichnet, wurde zum Finanzminister und zum Gouverneur der Siedlungen ernannt.
Daraufhin warnten über 250 jüdische amerikanische Wirtschaftsführer vor der »Zerstörung der israelischen Wirtschaft« und dass sie »ihre Abhängigkeit von Israel als strategisches Investitionsziel neu bewerten« müssten. Eine Umfrage ergab im Februar, dass 17 Prozent der Israelis, also eine Million Menschen, erwägen, ihr Geld ins Ausland zu verlagern. Für die israelische Wirtschaft könne dies »entweder mit einem Herzinfarkt oder mit Krebs« enden, sagte Eugene Kandel, ehemaliger Vorsitzender des israelischen Nationalen Wirtschaftsrates.
All dies war vor der Verabschiedung des Gesetzes. Nach seiner Verabschiedung gab die Ratingagentur Moody’s eine dringende und ungewöhnliche Warnung heraus, dass Israel ein erheblicher Schaden für seine Wirtschaft drohe. Die Kreditagenturen S & P und Morgan Stanley schlossen sich dieser Warnung an und sprachen ebenfalls negative Anlageempfehlungen aus. Es scheint, dass das, was palästinensische Menschenrechtsaktivisten als Shutdown-Nation bezeichnet haben, sich jeden Tag als zutreffender erweist. Shir Hever
Das Scheitern der Antiregierungsproteste in Israel, die ersten Schritte der sogenannten Justizreform der Regierung zu stoppen, hat bei Investoren, Managern und Marktbeobachtern Illusionen über die Zukunft der israelischen Wirtschaft zerstört. Kapitalistisches Wachstum setzt Vertrauen in stabile (liberale) Verhältnisse voraus. Ist es gebrochen, winkt die Wirtschaftskrise. Die US-Investmentbank Morgan Stanley stufte die Kreditwürdigkeit Israels Ende Juli herab. Sowohl die US-Bank J. P. Morgan als auch die Citibank warnten ihre Kunden nach der Verabschiedung des jüngsten Gesetzes vor Investitionen in Israel. Die Finanzagentur Moody’s sprach von einem »erheblichen Risiko«.
Nachdem das Motto »From startup nation to shutdown nation« (»Von der Startup-Nation zur Shutdown-Nation«) im Februar von der palästinensisch geführten Bewegung für Boykott, Deinvestition und Sanktionen gegen Israels Apartheidregime, Siedlerkolonialismus und Besatzung geprägt wurde, erschien der Slogan wenig später auch abgewandelt auf den Protestdemos gegen die Reform. Die Financial Times überschrieb im März einen Bericht zum schleichenden Niedergang der israelischen Wirtschaft mit der Warnung vor der drohenden »Shutdown-Nation«. Der Begriff »Startup-Nation« soll Israel hingegen als führenden Technologie- und Innovationsstandort darstellen.
Tatsächlich sind es derzeit Technologieunternehmen, die die aufziehende Wirtschaftskrise des Landes am stärksten zu spüren bekommen. Denn die Investitionen in den Sektor sind drastisch zurückgegangen. Unternehmen verlagern ihren Standort und entlassen massenhaft Beschäftigte. Die Kapitalflucht aus Israel ist in vollem Gange.
Ausländische Investoren genießen seit Jahrzehnten großzügige Steuerbefreiungen, wenn sie in israelische Technologieunternehmen investieren. Doch ein Mangel an Kapital ist derzeit nicht das Problem der Technologiefirmen, berichtete das israelische Finanzportal The Marker: Laut einer Umfrage des israelischen Statistikamtes von Anfang Juli kürzen die Unternehmen, weil ihnen Kunden und Absatz fehlen. Zusätzlich zu den Entlassungen verlassen Techarbeiter in großer Zahl von sich aus das Land, weil sie unter einer »messianischen Diktatur« – wie viele Antiregierungsdemonstranten es nennen – keine Zukunft für den israelischen Techsektor sehen.
Der Europäische Startup-Preis setzte Ende Juli seine Beziehungen zu Israel mit der Begründung aus, man werde nur Länder besuchen, in denen »demokratische Werte respektiert werden und eine unabhängige Justiz gewährleistet ist«. Auch die Präsidenten des Max-Planck-Instituts, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leopoldina, der Helmholtz-Gemeinschaft und des Wissenschaftsrats formulierten Ende Juli angesichts der »Justizreform« in einer gemeinsamen Erklärung ihre »Sorge um die akademische Freiheit in Israel«. Nach 15 Jahren ist Israel zudem aus dem Eurostars-Programm des EUREKA-Netzwerks ausgeschieden, dem größten internationalen Förderprogramm für kleine und mittlere Unternehmen.
Gleichzeitig ist die Krise nicht auf den Hightechsektor beschränkt. Internationale Unternehmen würden bei Investitionen in Israel künftig ein enormes Risiko eingehen. Sollte sich ein Unternehmen etwa unter Beachtung völkerrechtlicher Pflichten weigern, Niederlassungen in illegalen israelischen Siedlungen auf besetztem palästinensischen oder syrischen Gebiet zu eröffnen, könnte die Regierung ihm künftig schwere Probleme bereiten.
Zur Illustration dieses Problems sei die Situation der in Israel marktführenden französischen Supermarktkette Carrefour skizziert: Carrefour hatte 2022 mit der israelischen Electra Consumer Products einen Franchisevertrag über die Einrichtung von 150 Filialen unterzeichnet. Er hat eine Laufzeit von 20 Jahren, mit einer Option auf weitere 20 Jahre, berichtete die Times of Israel Anfang Mai. Nachdem die Ankündigung des Unternehmens, Filialen in Israel zu eröffnen, Boykottaufrufe von Menschenrechtsaktivisten und -gruppen ausgelöst hatte, erklärte Carrefour-Generalsekretär Laurent Vallée auf der Jahreshauptversammlung des Konzerns Ende Mai, das würde nicht in den besetzten palästinensischen Gebieten erfolgen. Die israelische Rechte rief daraufhin ihrerseits zum Boykott auf, da sie mit der Regierung und dem Großteil der öffentlichen Meinung die Ansicht teilt, »Israel« umfasse auch das gesamte besetzte Gebiet.
Carrefour hat in Israel laut Times of Israel bereits 250 Millionen Schekel (rund 62 Millionen Euro) investiert. Sollte das Unternehmen angesichts der Auseinandersetzungen über den Ladenbetrieb in von Israel besetzten Gebieten von diesem Vertrag zurücktreten wollen, müsste die israelische Gerichtsbarkeit über mögliche Ansprüche und Entschädigungszahlungen über 20 Jahre Laufzeit entscheiden. Israelische Richter werden künftig aber nicht mehr die Möglichkeit haben, der Regierung zu widersprechen.
Diese Bedingungen setzen internationale Unternehmen unter Stress. Drei US-Unternehmen haben Israel bereits verlassen: Der Softwareentwickler Electronic Arts, der Onlinespeicherdienst Dropbox und der Glashersteller Corning. Die israelische Zentralbank warnt vor einem Wachstumsverlust, der israelische Haushaltsüberschuss hat sich mittlerweile in ein Defizit verwandelt. Da der Schekel im Verhältnis zu US-Dollar und Euro stark an Wert verliert, schicken Bankkunden ihre Ersparnisse »in einem noch nie dagewesenen Ausmaß« ins Ausland, berichtete Haaretz bereits im Februar. Zudem sehen sich immer mehr Israelis im Ausland nach Arbeit oder Studienmöglichkeiten um, auch um etwa einen ausländischen Pass zu erhalten.
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Für den Status quo
Die von israelischen Militärs geführten und geprägten Proteste gegen die Justizreform folgten militaristischer und zionistischer Logik
Von Shir Hever
Überbordender Optimismus befiel deutsche Zeitungen und internationale Wirtschaftsmedien, angesichts der Versuche der Protestbewegung in Israel, die sogenannte Justizreform der am weitesten rechts stehenden Regierungskoalition in der Geschichte Israels zu verhindern. Es ist ein absurdes und oft geäußertes Argument, allein die Existenz von Protesten beweise, dass Israel eine Demokratie sei.
Als der erste Teil der Justizreform die Knesset ohne Gegenstimmen passierte, weil die Opposition die Abstimmung boykottiert hatte, wurde das Scheitern der Antiregierungsprotestbewegung unbestreitbar. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Demonstranten wurden überwiegend von Ehemaligen des israelischen Sicherheits- und Militärapparats angeführt. Ihr Hauptargument war die Dienstverweigerung, und sie beharrten auf einer zionistischen, militaristischen Botschaft, die Palästinenser und ihre Rechte ausschloss.
Ihr vorgeblicher Kampf für die israelische Demokratie zielte in Wirklichkeit auf den Schutz des Status quo, ihre Arbeitsplätze und Investitionen ab, die auf der Unterdrückung von Millionen Palästinensern beruhen, deren von der UNO festgelegte Rechte verweigert werden. Wie Peter Beinart im Februar in der New York Times kommentierte, kann ein jüdischer Staat, wie er der israelischen Politik vorschwebt, nicht demokratisch sein. Jeder Staat, der Menschen aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Identität ihre Rechte verweigert, ist per definitionem nicht demokratisch.
Die Knesset hat die »Unvernünftigkeitsklausel« gestrichen, die es den Gerichten erlaubte, zu beurteilen, ob eine Regierungsentscheidung angemessen ist oder nicht. Jetzt, da der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Regierung nicht mehr kontrollieren kann, sind der Regierungspolitik keine Grenzen mehr gesetzt. Viele Israelis fühlen sich derzeit an die Geschichte des römischen Kaisers Caligula erinnert, der sein Pferd zum Konsul ernennen wollte.
Die Reform untergräbt die Rechte der Palästinenser. Mit der Ernennung von Bezalel Smotrich zum Gouverneur der Siedlungen hat die Regierung das besetzte Westjordanland de jure annektiert. Das war von Anfang an die erklärte Absicht der Regierung, doch das Justizsystem kann sie jetzt nicht mehr aufhalten.
Im Südafrika der Apartheid reichte die moralische Entscheidung zum Boykott von Millionen von Menschen allein nicht aus, um das System der Unterdrückung zu Fall zu bringen. Als internationale Unternehmen erkannten, dass Investitionen in einen Apartheidstaat keine gute Idee für ihren Ruf und letztlich auch nicht für ihre längerfristigen Gewinne sind, zogen sie sich zurück – die Apartheid wurde unhaltbar. Wir beobachten den gleichen Prozess in Israel: Boykott und Desinvestitionen sind nicht mehr bloß durch ethische Gründe und Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser motiviert, sondern folgen einer einfachen kapitalistischen Logik.
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Einige KPF-GenossInnen in Göttingen haben sich mal die Mühe gemacht, zwei Erklärungen der schwedischen Linkspartei zur NAT...mehr




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– auch als Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit
Läßt da etwa wer die Mieze aus dem Sack?!?!


