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Österreich: KPÖ-Durchmarsch in Graz
  [2 files] begonnen von FPeregrin am 27.09.2021  | 17 Antworten
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NEUER BEITRAG20.02.2022, 20:47 Uhr
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Das Fernziel stets im Blick?

Die KPÖ Graz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit einigen besonders hervorzuhebenden politischen Aktionen, Interventionen und Strategieelementen von sich reden gemacht und die Sympathien der Bevölkerung gewonnen, die den Gegenstand dieser Analyse bilden werden. Seit ihrer Neuorientierung Anfang der 90er-Jahre hat sich die KPÖ konsequent der Bekämpfung der Wohnungsnot verschrieben. Und so ist es kaum verwunderlich, dass ihre wichtigsten politischen Impulse sich um diese Problematik drehen.

Gehaltsspenden und Offenlegung der Konten

Die Mandatar:innen der KPÖ spenden zwei Drittel ihres Gehalts für einen Sozialfonds und behalten für sich selbst lediglich ein gutes Facharbeiter*innengehalt. Das war in der Vergangenheit einerseits strategisch sinnvoll, als die Partei in der Stadt noch am Aufstreben war, um finanzielle Ressourcen für eigene politische Initiativen und Akzente zur Verfügung zu haben. Andererseits kann darin der Versuch gesehen werden, den Lohnabhängigen trotz Mandatsgewinnen nicht als herrschende (Politiker*innen-) Klasse gegenüberzutreten, sondern mit ihnen gemein zu bleiben und zu signalisieren, dass man immer noch Teil einer gemeinsamen Klasse ist. Dieses Vorgehen widerspricht der gängigen Parteipraxis in parlamentarischen Demokratien und kann durchaus als Ansatz verstanden werden, über das bestehende System hinauszuweisen. Ähnlich lässt sich der „Tag der offenen Konten“ der KPÖ Graz einordnen, bei dem die Partei per Rechnungsoffenlegung Transparenz bezüglich der Verwendung von Parteigeldern schafft.

Mit den Gehaltsspenden finanzierte die KPÖ einen Rechtshilfefonds für Mieter*innen. Als sich im Zuge der Wohnungskrise immer mehr Immobilieneigentümer*innen unverfrorener Methoden bedienten, um Bewohner*innen aus den Häusern zu drängen und teuer neuvermieten zu können, richtete die KPÖ eine Mietrechtsberatung ein und sicherte den Ratsuchenden finanzielle Unterstützung aus dem Fonds für den Rechtsstreit mit den Vermieter*innen zu. „Wir sind ein Hilfsinstrument für den Kampf der Bevölkerung um ihr Recht“ postulierte der ehemalige Parteivorsitzende Ernest Kaltenegger in dem Youtube-Format Auf Augenhöhe. Diese Haltung entspricht damit dem, was das Konzept der Revolutionären Realpolitik als Aufgabe sozialistischer Parlamentsabgeordneter erachtet, nämlich eine Politik von unten zu unterstützen. Durch den finanziellen Rückhalt für Mieter*innen, die sich mit den Kapitalist*innen anlegten, wurde die Handlungsfähigkeit der Ersteren erweitert und es fand eine Machtverschiebung hin zu den Lohnabhängigen statt. Indem die Partei klar machte, dass es einen klaren Klassengegensatz zwischen Immobilieneigentümer*innen und Mieter*innen gibt, schärften sie außerdem das Klassenbewusstsein in der Bevölkerung, was für die Vorbereitung einer sozialistischen Umwälzung zentral ist.

Zugleich muss konstatiert werden, dass diese politische Maßnahme die dem Problem zugrundliegenden Eigentumsverhältnisse völlig unberührt lässt und die Kritik an den Klassenverhältnissen eher implizit ist. Eine strategische Ausrichtung zum Fernziel Sozialismus lässt sich hier schwerlich erkennen.

Volksbefragung zum Verkauf von Gemeindewohnungen

Im Jahr 2004 plante die Grazer Rathausmehrheit aus ÖVP, SPÖ und FPÖ den Verkauf von Gemeindewohnungen, wogegen die KPÖ eine „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ organisierte. Bei dem Referendum stimmten über 13.000 Grazer*innen ab und eine überwältigende Mehrheit sprach sich gegen den Verkauf aus. Dadurch konnte genug Druck auf die amtierende Stadtregierung erzeugt werden und die Wohnungen verblieben in Gemeineigentum – eine äußerst weitsichtige Aktion, bedenkt man, mit welchen Schwierigkeiten sich Städte wie Berlin, die große Teile des städtischen Wohneigentums in der Vergangenheit verkauften, derzeit bezüglich der Wohnungsfrage konfrontiert sehen.
Doch nicht nur aus rein pragmatischen Gründen ist der Verbleib der Wohnungen in kommunalem Eigentum zu begrüßen. Die KPÖ verhinderte dadurch auch, dass Wohnraum und Wohnen der kapitalistischen Verwertung preisgegeben werden und stellte damit den Vorrang des Privateigentums in Frage. Das Fernziel Sozialismus ist darin erkennbar, ebenso wie ein über die bestehende, auf dem Privateigentum gegründete, Ordnung hinausweisendes Moment.

Eingewandt werden kann hingegen, dass durch die Abwendung des Verkaufs lediglich der ohnehin vorhandene Zustand konserviert wurde. Erreicht wurde damit lediglich eine Abschwächung der sich zuspitzenden kapitalistischen Widersprüche, womit die KPÖ hier im von Luxemburg scharf kritisierten Reformismus verbleibt.

Was aber ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf ist, dass sich die lohnabhängige Klasse ihrer eigenen Wirkmächtigkeit bewusst werden konnte. Die Volksbefragung kann als Teil ihres Kampfes um würdige Lebensbedingungen und als Organisations- und Mobilisierungsmaßnahme betrachtet werden. Ernest Kaltenegger betont daher, dass dies „ein wichtiger Politikgrundsatz“ gewesen sei. Im Gespräch bei Auf Augenhöhe fährt er fort: „Wenn man Politik machen will, darf sich das nicht alles nur in den Parlamenten abspielen. Also man muss rausgehen mit dem Anliegen. Wenn sich das nur in einer Partei, einem Gemeinderat oder einem Landtag abspielt, dann hat das nur sehr eingeschränkte Wirkung“.

Belastungsobergrenze für Mieten

Eines der wohl bedeutendsten Mittel im Kampf um eine soziale Lösung der Wohnungsfrage ist die sogenannte Belastungsobergrenze für Mieter*innen. Diese setzte die KPÖ ebenfalls gegen den Widerstand der Stadtregierung mithilfe einer „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ durch. 20.000 Unterschriften konnten gesammelt werden, woraufhin der Beschluss zur Obergrenze doch noch im Rat gefasst wurde. Die Belastungsobergrenze sah vor, dass die Mietkosten in Kommunalwohnungen ein Drittel des Haushaltseinkommen nicht überschreiten durften. Lag die Miete über dieser Grenze, wurde der Betrag, um den sie überschritten wurde, von der Stadt übernommen.

Die Maßnahme erweiterte die Handlungsfähigkeit der Lohnabhängigen insofern, als sie freiere Lebensentwürfe durch soziale Sicherung ermöglicht. Die Betroffenen sind somit zum Beispiel nicht mehr gezwungen, jeden Job anzunehmen, nur um die horrende Miete zu bezahlen. Dadurch wird die Abhängigkeit der besitzlosen von der besitzenden Klasse relativiert und darin hat der Beschluss ein über die kapitalistische Ordnung hinausweisendes Moment.

Wiederum stellt die Maßnahme aber nicht das Privateigentum infrage. Statt Mieten wirksam und in der Breite zu kappen und das Recht auf Wohnen zu stärken, werden überzählige Beträge vom Staat gezahlt und das auch nur für Kommunalwohnungen, wodurch nichts am ausbeuterischen Profit der privaten Immobilieneigentümer*innen geändert wird. Insofern ändert sich nichts an der Marktmacht der Eigentümer*innen und ihrer Freiheit zum Mietwucher.


Bildungsverein der KPÖ

Der Bildungsverein der KPÖ Steiermark wurde 2005 gegründet und organisiert seitdem Seminare für Partei-Funktionär*innen und Aktivist*innen sowie politische und kulturelle Veranstaltungen für eine breitere Öffentlichkeit. Inzwischen verwaltet er auch den Kulturbetrieb des Grazer Volkshauses. Der Verein ermöglicht damit politische Bildungsarbeit in der Arbeiter*innenschaft und unter Lohnabhängigen, bietet Raum für die Organisierung und die Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit. Auch für Rosa Luxemburg war Bildungsarbeit ein bedeutender Teil der politischen Basisarbeit, lehrte sie doch über Jahre hinweg an einer Parteischule der SPD Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie.

Dennoch ist eine solche Form der Wissensweitergabe und -herausbildung nicht ganz die von Luxemburg im Konzept der Revolutionären Realpolitik intendierte. Ihr ging es vielmehr um ein Lernen im und durch den Kampf, ein Lernen aus Rückschlägen, nach denen man sich immer wieder neu sammelt, um mit größerer Stärke erneut gegen das krankende kapitalistische System anzugehen. Sie wollte nie auf einer abstrakten Theorieebene verbleiben, sondern das Wissen gezielt im praktischen Kampf um den Sozialismus einsetzen. Ein solcher Ansatz lässt sich zwar in der Organisation von Seminaren für politisch Aktive durchaus ausmachen. Entscheidend ist am Ende aber, ob die Lohnabhängigen ein solches Wissen auch außerhalb der Lehrräume einsetzen, um für den Sozialismus zu streiten. Und obwohl der Wahlerfolg der KPÖ durchaus auch der Bildungsarbeit geschuldet sein kann, bleibt er dennoch auf der parlamentarischen Ebene und übersetzt sich nicht in eine außerparlamentarische sozialistische Bewegung.


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NEUER BEITRAG20.02.2022, 20:49 Uhr
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Zwischen den Stühlen

Wie die Analyse zeigen konnte, lässt sich bei der KPÖ in all ihren wichtigen politischen Aktionen und Initiativen die sozialistische Linie ebenso erkennen wie der Versuch, den Kapitalismus auszuhöhlen und das Primat des Privateigentums in Frage zu stellen. Dadurch kann schließlich eine menschenwürdigere Organisation der Wirtschaft vorbereitet werden. Was aber folgt nun aus dieser Erkenntnis? In erster Linie wirft sie die Frage auf, ob andere sozialistische und kommunistische Parteien von der KPÖ lernen können. Eine Antwort darauf zu finden hat zum Beispiel durch das desaströse Wahlergebnis von der Partei Die Linke bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland gewisse Relevanz. Es lässt sich schnell einsehen, dass eine unmittelbare Übertragung der politischen Praxis der KPÖ Graz als einer Lokal-Partei mit engem regionalem Bezug und Wirkungsradius auf bundesweite Zusammenschlüsse nur bedingt möglich ist. Dennoch erlauben die Ergebnisse der politischen Analyse die Schlussfolgerung auf einige politische Implikationen für andere Parteien.

Die KPÖ hat die existenziellen Ängste der Lohnabhängigen und Eigentumslosen in einer Zeit der sich verschärfenden Klassengegensätze ernst genommen und konkrete Schritte zu ihrer sozialen Absicherung unternommen. Dabei hat sie direkt die Hilf- und Machtlosigkeit, die die Menschen gegenüber der – über das Privateigentum verfügenden und dadurch mit Machtmitteln ausgestatteten – herrschenden Klasse empfinden, angesprochen und die auf sie einwirkenden Zwänge vermindert. Bei der immer weiter wachsenden sozialen Ungleichheit und der zunehmendem Abstiegsangst immer größerer Teile der Bevölkerung, ist das eine politische Agenda, die Wähler*innen anspricht. Die KPÖ war stets bestrebt, den unteren Klassen mehr Handlungsfähigkeit zu ermöglichen – was nicht nur eine Grundlage sozialistischer Politik ist, sondern ganz praktisch das Leben vieler Menschen verbessert, ihnen Eigenständigkeit verleiht und ihnen das Gefühl zurückgibt, nicht nur ein Rädchen im System, sondern ein*e selbstbestimmte*r Akteur*in zu sein. Dazu haben vor allem die Volksbefragungen beigetragen, die die KPÖ organisiert hat.

Die Partei unterstrich dabei stets die Ursache für das Elend der Menschen – Kapitalismus und Ausbeutung – und kam so zu einer authentischen, zugewandten und an praktischen Fragen orientierten Sozialpolitik, die das Gewand des autoritären Schreckgespensts, das die bürgerlichen Kräfte der kommunistischen Bewegung übergeworfen hatten, erfolgreich abstreifen konnte und sich all den Unkenrufen, Kommunismus sei utopische Fantasterei zum Trotz, als politische Kraft etablieren konnte. „Die KPÖ hier, hat sich sehr bewusst dafür entschieden am „K“ im Parteinamen festzuhalten und eine Politik zu entwickeln, die sich an den alltäglichen Sorgen der Menschen orientiert“ konstatiert auch Max Zirngast, neugewähltes Grazer KPÖ-Gemeinderatsmitglied und re:volt magazine-Autor. Daran können sich westliche linke Parteien durchaus ein Beispiel nehmen.

Indem die Mandatar*innen der KPÖ Graz einen Großteil ihres Gehalts spenden, generieren sie nicht nur einen Geldpool zur Umsetzung ihrer politischen Ziele, sondern zeigen auch, dass es nicht nur politisches Palavern ist, ein Mittel der Bevölkerung im Kampf um ihr Recht zu sein. Sie bleiben mit der lohnabhängigen Klasse gemein, anstatt sich in die herrschende Klasse zu erheben, wie es das parlamentarische System bei Mandatsübernahmen eigentlich impliziert. Die KPÖ könnte hier mit einem ganz konkreten Praxiselement Vorbild für anderen linke Parteien sein.

Andererseits sind über die bestehende Ordnung hinausweisende Elemente in der Parteiarbeit nicht immer leicht auszumachen. Dabei ist natürlich zu beachten, dass die KPÖ Graz eine Regionalpartei ist und ihr Spielraum, in das institutionelle Gefüge einzugreifen, damit eng begrenzt ist. Dennoch ist es durchaus irritierend, dass die KPÖ im Nachklang ihres Wahlerfolgs auch ganz bewusst eine Flanke hin zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP öffnete. Auf ihrer Homepage schrieb die Partei dazu unter anderem: „Die Zusammenarbeit zwischen ÖVP und KPÖ in den Jahren 2015–17 hat ja bewiesen, dass wir in vielen Punkten, in denen es um die ganz konkrete Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Graz geht, zusammenfinden können“ und „Wir wollen keine Partei ausgrenzen, nichts und niemanden auseinanderdividieren“. Mit dieser Konsensorientierung ohne Abgrenzung zu reaktionären Kräften steht die Partei der „Realpolitik“ jedenfalls um Einiges näher als dem „Revolutionären“ in Luxemburgs Konzept, auch wenn (oder gerade weil) schließlich eine rot-grün-rote Koalition geschlossen wurde. Auch der Rest des Artikels, in dem die KPÖ Antworten auf 30 Fragen des ÖVP-Stadtrats Hohensinner gibt, liest sich wie ein solide sozialdemokratisches Programm ohne sozialistische Ambitionen.

Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die KPÖ macht Klassenpolitik, insofern sie in ihrer politischen Praxis zuverlässig auf Seiten der Lohnabhängigen steht und bewegt sich dabei in einem Spannungsverhältnis zwischen reformerischer Konsensorientierung und lebensnaher revolutionärer Praxis. Ihre Politik entspricht nicht einwandfrei dem theoretischen Konzept der Revolutionären Realpolitik. Allerdings weist sie viele Charakteristika sozialistischer Politik auf, was zu dem Schluss führt, dass sie Luxemburgs theoretisches Konzept in eine den regionalen Gegebenheiten angepasste politische Praxis überführt. Damit stellt sich die KPÖ Graz einer der bedrohlichsten politischen Entwicklungen unserer Zeit entgegen. Im Angesicht der fortschreitenden Neoliberalisierung und des Erstarkens neuer faschistischer Kräfte ist ein Festhalten am Fernziel Sozialismus heute wichtiger denn je in der Nachkriegsgeschichte. Schon Rosa Luxemburg wusste, „daß die sozialistische Arbeiterbewegung eben heute die einzige Stütze der Demokratie ist und sein kann, und daß nicht die Schicksale der sozialistischen Bewegung an die bürgerliche Demokratie, sondern umgekehrt die Schicksale der demokratischen Entwicklung an die sozialistische Bewegung gebunden sind“ (Luxemburg 2019: 65).


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NEUER BEITRAG21.08.2024, 21:57 Uhr
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arktika

"Dennoch ist es durchaus irritierend, dass die KPÖ im Nachklang ihres Wahlerfolgs auch ganz bewusst eine Flanke hin zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP öffnete. Auf ihrer Homepage schrieb die Partei dazu unter anderem: „Die Zusammenarbeit zwischen ÖVP und KPÖ in den Jahren 2015–17 hat ja bewiesen, dass wir in vielen Punkten, in denen es um die ganz konkrete Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Graz geht, zusammenfinden können“ und „Wir wollen keine Partei ausgrenzen, nichts und niemanden auseinanderdividieren“."

... Das war Anfang 2022! Heute ist Spätsommer 2024! Und eine gewisse Rechtsoffenheit der KPÖ Graz ist immer weniger von der Hand zu weisen.
Die neueste Entwicklung: Der KPÖ-geführte Stadtrat von Graz hat eine Projektpartnerschaft mit der Banderisten-Hochburg Lwiw geschlossen. Was er verschwiegen hat: Mit den 75.000 Euro, die die KPÖ-Bürgermeisterin dafür bereitstellt, werden u.a. antirussische Säuberungsaktionen in einer Stadtbibliothek und die Unterstützung der Neonazi-Brigade Asow finanziert. (Leider treffen die von der jW-Redaktion gewählte Schlagzeile und Subline nicht so ganz das Thema, wie die Autorin des Artikels selber meint; arkt.) Eine inhaltlich klare Linie scheint also ganz und gar nicht vorzuliegen ...

Der Artikel von Susann Witt-Stahl in der jW vom 21.08.

Ukrainischer Nationalismus
Kunst im Gleichschritt
Antirussische Aktion von Kunstbibliothek in westukrainischer Stadt: Projektpartner KPÖ Graz schaut weg


Die Kunstbibliothek Lwiw wird von Helden der Ukraine geehrt. »Würdigung der Kunstbibliothek. Die Kämpfer und der Kommandeur der Brigade ›Asow‹ in der Nationalgarde drücken ihre Dankbarkeit für die Unterstützung, Hilfe und öffentliche Positionierung für die Einheit aus«, heißt es auf einer eingerahmten Urkunde, die in der Einrichtung bewundert werden kann. Der Dank von »Asow« hätte auch an die KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr und den Stadtrat von Graz adressiert sein können. Denn diese hatten am 12. Januar einstimmig eine Projektpartnerschaft mit der Stadt Lwiw beschlossen und 75.000 Euro aus den Ressortmitteln der Bürgermeisterin für den Neuaufbau der Kunstbibliothek zur Verfügung gestellt.

Kurz nach ihrer Eröffnung im November 2023 hat die Bibliothek, die auch ein Kulturzentrum ist, in ihren Räumen eine Reihe von Benefizlesungen zur Unterstützung der »Asow«-Brigade in der Nationalgarde veranstaltet – einer Neonazieinheit, deren Truppenkennzeichen bis heute das Wolfsangel-Symbol von Waffen-SS-Einheiten und deren Panzer das Balkenkreuz der deutschen Wehrmacht zieren. Auch für den Freiwilligenfonds »April«, der den Mitgründer der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), Jewgen Konowalez, feiert, hat die Kunstbibliothek eine Spendenveranstaltung abgehalten – zwecks Anschaffung von Kampfdrohnen.

Rostislaw Kuzik, Direktor der Kunstbibliothek, findet es wichtig, dass Büchereien sich als Anlaufstellen für Freiwillige aktiv an der Unterstützung der Armee beteiligten. »Die Kultur muss mit der Zeit gehen«, so Kuzik am 18. April in einem Interview mit der Zeitschrift Posestry für ukrainische und polnische Literatur. »Eine breite Beteiligung an der Unterstützung der ukrainischen Armee ist ein wesentliches Element des Schaffens unserer Kultur.«

Als ein zentrales Ziel des Neuaufbaus der Kunstbibliothek nennt Kuzik die restlose Beseitigung russischsprachiger Literatur. Ukrainische Büchereien, deren Regale mit russischen Büchern gefüllt sind, betrachtet er als »Barbarei«. So müssten auch »schädliche Elemente« wie der russische Nationaldichter Alexander Puschkin und der Satiriker Michail Bulgakow aus »unserer geistigen Landkarte entfernt« werden. Sowjetische Literatur fände sich nur noch in einem Depot der »totalitären Lektüre« in der Lwiwer Stadtbücherei – mit der die Kunstbibliothek verbunden ist –, extra gekennzeichnet und ausschließlich für Forschungszwecke zugänglich, versichert Kuzik und verspricht: Die Bestände der ukrainischen Bibliotheken »sind zwar noch nicht zu hundert Prozent sauber, aber sie werden gereinigt«.

Alle Fragen der jW-Redaktion an die Pressereferenten von Bürgermeisterin Kahr, etwa warum eine Politikerin einer kommunistischen Partei Mittel für antirussische »Säuberungsaktionen« und die Unterstützung einer Neonazibrigade bereitstellt, blieben bis dato unbeantwortet. Bereits im Januar hatte Robert Krotzer, KPÖ-Stadtrat in Graz, als Reaktion auf einen jW-Artikel über die fragwürdige Projektpartnerschaft u. a. angegeben, dass seine Partei diese »ohne Wissen« über die in dem Beitrag thematisierten »politischen Haltungen und Verbindungen« des Bürgermeisters von Lwiw, Andrij Sadowij, befürwortet habe. Sadowij ist ein Verehrer des Hitlerkollaborateurs und ehemaligen Führers des radikalen Flügels der OUN, Stepan Bandera.

»Mit dem (neuen) Wissen um die Rolle und Haltung dortiger politischer Akteure werden wir selbstverständlich auf jeden repräsentativen Akt verzichten«, hatte Krotzer als Konsequenz angekündigt. Wie diese konkret aussieht, demonstrierte vor knapp zwei Monaten hoher Besuch aus der Projektpartnerstadt Lwiw: Statt Elke Kahr stellte sich Vizebürgermeisterin Judith Schwentner von den Grünen, statt Lwiws Bürgermeister sein Stellvertreter Andrij Moskalenko fürs »freundschaftliche Händeschütteln« ins Blitzlicht der Pressefotografen. Was bisher im Dunkeln bleibt, ficht offenbar auch einen KPÖ-geführten Grazer Stadtrat nicht an: Moskalenko ist ebenfalls Banderist und wiederholt als Redner auf Kundgebungen u. a. der OUN-B aufgetreten, die 1941 das Judenpogrom in Lemberg angezettelt hatte. In einem Facebook-Post zum 113. Geburtstag des »Prowidnik« (Führers), den Moskalenko am 1. Januar 2022 zusammen mit Gesinnungsfreunden veröffentlicht hat, heißt es: »Lass Stepan Bandera in jedem von uns leben!!!«

Auch das sieben Meter hohe Bandera­-Denkmal, die Bandera-Straße, die regelmäßig stattfindenden Banderisten-Aufmärsche, das Rekrutierungszentrum des Banderisten-»Heldenbataillons« des »Rechten Sektors« übersehen die KPÖ-Bürgermeisterin und -Stadträte bis heute. Ebenso, dass Lwiws gesamter Stadtrat aus Banderisten und anderen Ultranationalisten (u. a. von der faschistischen »Swoboda«-Partei) besteht. Kein Wunder: Alle sozialistischen Parteien sind in der Ukraine verboten, linke Oppositionelle werden brutal verfolgt. Seit der Grazer Stadtrat 2022 beschlossen hatte, die Partnerschaft mit St. Petersburg wegen des »Kriegs Putins« einzufrieren, ist der Weg frei, eine neue »Freundschaft« weiter auszubauen. Bereits für Oktober hat die Vizebürgermeisterin den Besuch einer Delegation in der Hauptstadt der Bandera-Bewegung angekündigt.


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