I.a) Arbeit und Kapital In diesem Kapitel analysieren wir die Produktion von Waren, und zwar spezifisch die kapitalistische Produktion als die höchstentwickelte Form der Warenproduktion.
Aus dem vorangegangenen Kapitel geht hervor, dass ein Kapital sich allgemein nur verwerten kann durch Ankauf und Ausbeutung von Arbeitskraft. Damit die kapitalistische Produktionsweise in der heutigen Größenordnung funktionieren kann, muss allerdings eine enorm große Menge an Arbeitskräften zum Ankauf verfügbar sein. Dazu gehören notwendigerweise noch die Bedingungen zur Nutzung dieser Arbeitskraft, die Produktionsmittel, also Rohstoffe, Maschinen, Werkzeuge, Gebäude etc. Diese Warensumme muss der Kapitalist in der Lage sein zu kaufen; d.h. sie müssen auf dem Markt zur Verfügung stehen und er benötigt eine Geldsumme, die groß genug ist für den Ankauf, die also groß genug ist, zu Kapital zu werden. Beide Voraussetzungen sind allgemein durch umfangreiche historische Prozesse bis Ende des 18. Jahrhunderts, besonders günstig in England, entstanden.
In England war die Textilverarbeitung traditionell weit verbreitet. Zunehmend wurden die zahlreichen Kolonien Englands mit Textilwaren beliefert und lieferten ihrerseits Tee, Gewürze, Gold und andere Kolonialwaren an England zurück. Die Städte wuchsen, und mit ihnen der Handel und die Seefahrt. Der Bedarf an Wolle wurde größer und größer. Zunehmend wurden arme Bauern in Mittelengland und Schottland von ihren Ländereien vertrieben, damit diese von ihren Besitzern in einträglichere Schafweiden umgewandelt werden konnten. Die ehemaligen Bauern hatten auf dem Land keine Zukunft mehr und versuchten sich in den Städten als Tagelöhner durchzuschlagen.
Mit dem Handel wuchs der Reichtum der englischen Händler rasant an. Die Nachfrage an Kleidung in den Kolonien war praktisch unbegrenzt, der Bau neuer Textilmanufakturen somit immer rentabel. Als schließlich die Dampfmaschine in der Textilindustrie eingeführt wurde und die Produktivität noch einmal enorm steigerte, wurde die Nachfrage nach Arbeitskräften schlagartig größer. Da kamen die verarmten Massen der Landbevölkerung gerade recht. Aus den bereits großen Manufakturen wurden noch größere Fabriken, gewaltige Industriestädte schossen wie Pilze aus dem Boden, deren massive Schlote der zahlreichen kohlehungrigen Dampfmaschinen den Himmel verfinsterten und über lange Strecken drohend verkündeten: hier entsteht eine kolossale neue Macht - die Macht des Kapitals.
1Es bildeten sich mehr und mehr zwei große, gesellschaftliche Klassen heraus: die Arbeiterklasse oder Proletarier, und die Kapitalistenklasse oder Bourgeoisie. Diese Klassen verschlangen zunehmend die Reste der Klassen und Schichten vorangegangener Gesellschaften. Der alte Grundbesitzer war gezwungen, seinen Landbesitz zu Geld zu machen, also darauf Kapital zu investieren und Arbeiter anzustellen oder gleich an Kapitalisten zu verkaufen. Die Bauern, schon im Feudalismus von drückenden Abgaben gebeutelt, wurden entweder vertrieben oder gingen unter im Konkurrenzkampf mit den Lebensmittelexporteuren der anderen Kontinente. Das gesellschaftliche Leben der Nation konzentrierte sich immer stärker in den Städten, die dadurch aus den Nähten platzten.
Die Bourgeoisie akkumulierte auch das Eigentum in ihren Händen. Neben das bisher dominante Grundeigentum traten nun das rasant wachsende industrielle und kommerzielle Eigentum, später noch die mächtiger werdenden Banken. Mit der Herrschaft über die Fabriken und Produktionsanlagen festigte sich auch die Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiter. Die Arbeiter waren zwar jetzt im Gegensatz zum teils leibeigenen Bauern des Feudalismus frei, doch frei im doppelten Sinn: frei als juristisch souveräne Individuen und damit vollständig verantwortlich für die eigene Person, doch auch frei von jeglichen Mitteln der Existenzsicherung. Um zu überleben mussten sie ihre Freiheit gegen die Ketten des Fabriksystems eintauschen; für Hungerlöhne rackerten sie sich von nun an Tag für Tag in den Industriehallen der Kapitalisten ab, um Dinge zu schaffen, die sie selbst nicht gebrauchen und sich auch nicht leisten konnten. Das Kapital erwuchs als gesellschaftliche Macht; denn nicht die Tatsache, dass es materiell u.a. aus Produktionsmitteln zusammengesetzt ist, macht es zum Ausbeutungswerkzeug der Arbeitskraft, sondern die soziale Lage, in der die Arbeiter sich befinden - mickriges Eigentum, keine eigenen Produktionsmittel, Familie zu ernähren - macht es für sie zu einer Überlebensfrage, sich an das Kapital zu ketten und seinen Verwertungshunger zu stillen.
I.b) Einzelne ProduktionKapitalkreislauf der Produktion
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der Kreislauf des produktiven Kapitals |
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Betrachten wir nun den Prozess der kapitalistischen Produktion im Einzelfall. Grundlegend dafür ist, dass sich der Kapitalkreislauf erweitert. Die Waren, die er kauft, um sie teurer wieder verkaufen zu können, sind Produktionsmittel (Pm) und Arbeitskräfte (Ak). Die Verwandlung der Produktionsmittel durch die Arbeit ist die Produktion, sie hat als Resultat die Ware, die verkauft wird.
G - W - G' wird zu G - Pm+Ak - W - G'.Unser Kapitalist stelle also beispielsweise Schrauben her. Dazu kauft er dünne Eisenstangen an, die mit verschiedenen Werkzeugen in kleinere Stücke zerteilt und dann mit einem Gewinde versehen werden. Danach wird der Kopf ab- und ausgeschliffen, die Schraube gehärtet, poliert und in Tüten verpackt. Er kauft also ein:
Ware | Preis |
Rohmaterial (Eisenstangen) | 50.000€ |
Werkzeug | 20.000€ |
Hilfsmaterial (Tüten, Strom etc.) | 10.000€ |
5 Arbeitskräfte (bzw. deren Löhne) | 20.000€ |
Vorschuss gesamt | 100.000€ |
Nun lässt er an 20 Werktagen je 5 Stunden arbeiten.
Nach einem Monat sind seine Produktionsmittel restlos verbraucht; dafür besitzt er 1.000 Tüten mit je 10.000 Schrauben, die er zu insgesamt 100.000€, oder 100€ pro Tüte, verkauft.
Unser Kapitalist stutzt.2 Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Das aber sollte Sinn der ganzen Aktion sein, und so beschließt unser Kapitalist, den nächsten Monat seine Schrauben für 110.000€ zu verkaufen. Doch er hat Pech; er findet nicht genug Käufer für seine überteuerten Schrauben und bleibt auf Schrauben zum Preis von 10.000€ sitzen. Was hat er bloß falsch gemacht?
ProduktwertDer gesellschaftlich durchschnittliche Wert von 1.000 Tüten zu je 10.000 Schrauben ist offenbar 100.000€. Das Wertgesetz verhindert, dass er sie zu einem anderen Preis verkauft.
3Gesellschaftlich durchschnittlicher Wert von 100.000€ ist allerdings nichts anderes als der Geldausdruck für die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die für eine solche Menge Schrauben verausgabt wurde. Oder, was das gleiche ist: es ist der Anteil am Gesamtwert der Gesamtmasse der Schraubenproduktion der Gesellschaft (sagen wir 0,1%), der unserem Kapitalisten zufällt entsprechend der anteiligen Menge Arbeit, die in seinem Produkt enthalten ist, im Verhältnis zur Gesamtarbeit, die die Gesellschaft für Schrauben verausgabte (entsprechend auch 0,1%). An diesem Verhältnis kann er auf dem Markt nicht rütteln.
Doch wieviel Arbeit steckt nun in der produzierten Menge Schrauben? Schauen wir uns die Sache näher an:
Die Arbeiter haben an den 1.000 Tüten insgesamt 5 * 5 * 20 = 500 Stunden gearbeitet. Doch sie hatten bereits Material und Werkzeug fertig zur Verfügung. Auch in diesen steckt aufgespeicherte Arbeit. Diese Arbeit, bzw. ihr Wert, bleibt natürlich erhalten - obwohl ihre materielle Form komplett in das neue Produkt eingeht und somit verschwindet - während der Produktion, da es keinen Unterschied macht (zumindest theoretisch), ob die Arbeiter diese bereits fertig erhalten, oder sie erst selbst herstellen müssen.
4 Was auf der einen Seite der Produktion an Zeit gespart würde, müsste ja an Geld wieder ausgegeben werden.
Da sich ein Teil der vorgeschossenen Werte unverändert im neuen Produkt widerspiegelt, nennen wir ihn konstantes Kapital. Das konstante Kapital umfasst Rohstoffe, Maschinen, Werkzeuge, Hilfs- und Betriebsmittel - ja eigentlich alles, was nicht die lebendige Arbeit, die Arbeitskraft selbst ist. Das konstante Kapital besteht aus sämtlichen Produkten vergangener Arbeit, die gewissermaßen als tote Arbeit, als Ware der lebendigen Arbeit im Produktionsprozess gegenüberstehen.
Der Rest des Warenwerts entsteht natürlich dadurch, dass die Arbeiter durch Vernutzung ihrer Arbeitskraft die Produktionsmittel in die gewünschte Ware umwandeln, dass sie arbeiten. Die Zeit, die sie hier verbringen, und die Zeit, die bereits in den Produktionsmitteln steckte, machen den Produktwert der fertigen Ware aus.
WertproduktWie sieht es mit den Löhnen der Arbeiter aus? Gehen diese in den Wert der produzierten Ware ein?
Die Arbeiter setzen in unserem Beispiel dem Produkt 500 Stunden Arbeit zu, um es fertigzustellen. Diese notwendigen 500 Stunden Arbeit sind allerdings völlig unabhängig von dem Lohn, den sie dafür bekommen; der Kapitalist hätte sie ja auch statt mit 20.000€ mit 25.000€ oder nur 15.000€ bezahlen können. Die Tatsache, dass die angefallene Arbeit 500 Stunden zu ihrer Fertigstellung braucht, ist davon nicht betroffen.
Die 20.000€, die die angeworbenen Arbeitskräfte im Monat kosten, sind schlicht der Preis der Arbeitskraft. Dieser Preis
5 setzt sich, wie bei allen anderen Waren der Gesellschaft, aus den durchschnittlichen Reproduktionskosten zusammen; also die Lebensmittel, Kleidungsstücke, Wohnkosten, Bildungskosten etc., die die Arbeiter im Durchschnitt benötigen, um durchschnittlich weiterzuleben.
Es unterscheidet sich also bereits der Sache nach das Wertprodukt, das durch die Anwendung von Arbeit in den Waren verwirklicht wird, von den dafür aufgewandten Kosten.
6 Der Wert, den die Arbeiter schaffen, ist unterschiedlich vom Wert, „der sie geschaffen hat“, also vom Geld, das sie dafür bekommen. Daher nennen wir den Lohn, den die Arbeiter vom Kapitalisten bekommen, das variable Kapital.
MehrwertUnser Kapitalist versucht sich noch ein drittes Mal an der Schraubenproduktion. Er lässt nun statt 5 Stunden 6 Stunden täglich arbeiten, und schafft auch entsprechend mehr Material und Werkzeug heran. Die Arbeiter bekommen allerdings den gleichen Lohn, schließlich hat er ihre Arbeitskraft ja für den ganzen Werktag gekauft. Die neue Produktionsrunde beginnt also mit:
Ware | Preis |
Rohmaterial (Eisenstangen) | 60.000€ |
Werkzeug | 24.000€ |
Hilfsmaterial (Tüten etc.) | 12.000€ |
5 Arbeitskräfte (bzw. deren Löhne) | 20.000€ |
Vorschuss gesamt | 116.000€ |
Sein Produktionsergebnis sind 1.200 Tüten mit je 10.000 Schrauben. Jede Tüte bringt ihn nach wie vor 100€ ein, und so macht er einen Umsatz von 120.000€. Nach Abzug seiner Kosten also endlich ein stolzer Gewinn von 4.000€!
Wert | Kosten |
konstantesKapital (sich erhaltender Wert) + Wertprodukt (Neuwert) | konstantes Kapital (Produktionsmittel) + variables Kapital (Arbeitskraft) |
alter Wert 96.000€ + neuer Wert 24.000€ | Rohmaterial 60.000€ + Werkzeug 24.000€ + Hilfsmaterial 12.000€ + Löhne 20.000€ | 120.000€ | 116.000€ |
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