Anmerkung der Redaktion: In der Kategorie „neue Götter“ soll es nicht um Götter gehen. Beschäftigen wollen wir uns mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung; einem Paradigmenwechsel hin zu irrationalen Welterklärungsmustern. Wir erleben in unserem Land und unserer Gesellschaft tief greifende ökonomische und soziale Verschiebungen; dies schlägt sich zwangsläufig nieder auf die jeweils favorisierten Weltanschauungssysteme, die tatsächlich oftmals mehr umnebeln als erklären.
Dies alles ist nichts Neues. Seit Beginn der Moderne, also technischer Revolution, Ende des Feudalismus und Erstarken des Kapitalismus, wird alles zur Ware, wird auch der religiöse „Markt“ liberalisiert. Nach jahrhundertelanger Dominanz der Kirche und rigoroser Verfolgung sog. „Ketzer“ stehen die Menschen seit hundertundfünfzig Jahren vor einem wahren „Supermarkt“ der Heilsversprechen; das Angebot wird immer größer, schriller und aufdringlicher. Und mit dem steten Niedergang der institutionell mit dem Staat verzahnten „Volkskirche“, die längst einen Großteil integrativer und disziplinierender Fähigkeiten eingebüßt hat und weiterhin einbüßt, nimmt nicht etwa Religiosität oder Sinnsuche an sich ab zugunsten eines materialistischen Atheismus – die idealistische Verklärung des Bestehenden verlagert sich und bietet dem Suchenden bereitwillig jeweils passend scheinende neue Erklärungsmuster aus den Regalmetern der Weltanschauungen.
Gemein ist all diesen – ob nun christlichen, buddhistischen, esoterischen, pseudowissenschaftlichen oder okkulten – Glaubenssystemen eine idealistische, irrationale Grundhaltung. Analog zum begrenzten Erkenntniswillen und –Fähigkeit positivistischer Weltanschauung im Kapitalismus gründet auch jegliche Religion in allererster Konsequenz auf einer mehr oder weniger kaschierten Ablehnung des Materialismus als Denkens- und Erkenntnisprinzip und Negation vernunft- und forschungsbasierter Welterkenntnis.
In loser Reihenfolge sollen verschiedene Ausprägungen dieser Erscheinung untersucht werden - beginnen werden wir mit einem schon beinahe „traditionellen“, weil lange existenten und breit akzeptierten, Vertreter: der Anthroposophie Rudolf Steiners.Die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ (AAG) ist die mit ungefähr 20.000 Mitgliedern (in Deutschland; weltweit sind es ca. 60.000) größte, am längsten kontinuierlich existierende und auch gesellschaftlich am tiefsten verankerte esoterische Organisation Deutschlands.
„Anthroposophische Gesellschaft? Nie gehört“, mag sich manch einer denken. Begriffe wie „Waldorf“, „Demeter“, „biologisch-dynamischer Landbau“ oder „Weleda“ hingegen dürften allgemein bekannt sein. Sie alle gehören zur Anthroposophie.
Das esoterische Weltbild Rudolf Steiners, das die Basis der anthroposophischen Weltsicht bildet, habe ich anhand der Lehrinhalte der Waldorfschulen bereits untersucht und kritisiert; dies will ich hier nicht wiederholen. In dieser weiterführenden Betrachtung soll die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Relevanz der Anthroposophie von Interesse sein.
I. Sonderling, Hellseher, „Menschheitsführer“ – wer war Rudolf Steiner?
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Rudolf Steiner |
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Rudolf Steiner wurde am 27.2.1861, sechs Jahre vor Bildung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, als Sohn eines Eisenbahnarbeiters im ungarischen Kraljevec in die dort lebende deutschsprachige Minderheit geboren. Im Alter von viereinhalb Jahren, so gibt Steiner in seiner Autobiographie „Lebenswege“ an, habe er das erste hellseherische Erlebnis gehabt, das ihm den nahenden Tod seiner Tante ankündigte.
Nach der Matura in Wien studierte er an der dortigen Technischen Hochschule Naturwissenschaften. Einer seiner Professoren vermittelte ihm eine Mitarbeiterstelle bei der Herausgabe der 133-bändigen gesammelten Werke Goethes (die sog. „Sophienausgabe“), zu deren Realisierung er nach 1890 Weimar übersiedelte. Dort allerdings wurde er nicht glücklich; 1897 zog er nach Berlin um.
Dort sollte sich seine Begegnung mit Marie von Sivers, einer Schauspielerin, als schicksalhaft erweisen: die Baltendeutsche führte Steiner in esoterische Kreise ein, wo er mit seinen spekulativen und mystischen Ansichten auf ein begeistertes Publikum stieß. 1902 gründete er mit von Sivers den deutschen Zweig der sog. „Theosophischen Gesellschaft“.
Die „Theosophische Gesellschaft“, eine Gründung der ukrainischstämmigen Esoterikerin und Rassetheoretikerin Helena Petrowna Blavatski, beschäftigte sich mit „moderner“ Esoterik, einem Konglomerat aus alteuropäischen Mysterien, ostasiatischen und indischen Religionen und (nicht nur) damals breitgesellschaftlich rezipierten sozialdarwinistischen Rassevorstellungen.
Steiner wurde 1906 zum Vorsitzenden des deutschen Zweigs der Theosophen; ausgedehnte Vortragsreisen durch Europa und die Mitgliedschaft in verschiedenen weiteren okkulten Geheimbünden machten ihn tief vertraut mit dem Gedankengut der Esoteriker, Mystiker und Irrationalisten jeglicher Couleur.
Verschiedentlich wurde Steiner von Historikern und Autoren eine Führungsposition im deutschen Zweig des O.T.O. („Ordo Templi Orientis“, der sog. „orientalische Templerorden“, in dem auch der Satanist Alister Crowley wirkte) unterstellt; nach heutigem Wissensstand kann der Umstand als gesichert gelten.
1II. „Goetheanum“, Dornach, Schweiz: die Zentrale der AAG
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das "Goetheanum" |
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1913 kam es zum Bruch mit den Theosophen (Streitpunkt war die Frage, ob der indische Knabe Krishnamurti tatsächlich der neue Buddha, für den ihn die Blavatski und andere hochrangige Vertreter der Theosophen hielt, sei - Steiner hingegen hielt das westliche Christentum den ostasiatischen Religionen gegenüber für überlegen und verließ die Gesellschaft mit 90% ihrer deutschen Mitglieder.) Steiner machte sich an die Gründung seiner eigenen Organisation, der „Anthroposophischen Gesellschaft“. In Dornach/Schweiz errichtete er auf dem durch Schenkung eines sympathisierenden Großindustriellen erworbenen Grundstück das sog. „erste Goetheanum“ als Zentrum seiner Bewegung. Nach einem Brand 1923 wurde mit dem Bau des „zweiten Goetheanums“, einem monumentalen Betonklotz, begonnen, dass noch heute als Zentrale der AAG dient.
Nach einer Auflösung und Neugründung der „Anthroposophischen Gesellschaft“ im Jahr 1923 wurde die AAG, die so noch heute existiert, gegründet. Steiner selbst übernahm die Leitung.
Das weitläufige Gelände der AAG in Dornach dient als Verwaltungssitz, Zentrale und Veranstaltungsort in einem, auch die sog. „Freie Hochschule für Geisteswissenschaften“, die Kaderschmiede und Schulungsstätte für Führungskräfte der AAG, hat dort ihren Sitz. Wer nun in einer „Hochschule“ für „Geisteswissenschaften“ auch Wissenschaft erwartet, wird sich getäuscht sehen:
„Die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft – als Mittelpunkt der AAG – ist ein freier Zusammenschluss derjenigen Persönlichkeiten, die diese esoterische Vertiefung wünschen und erstreben. Sie bildet das Zentrum einer zeitgemäßen christlich-esoterischen Geistesschulung, durch die der Mensch auf vollbewusstem Weg zur Erkenntnis und Erforschung übersinnlicher Welten gelangen kann.“[aus den anthroposophischen „Flensburger Heften“ 15/89]
Mit „Wissenschaft“ hat dies nun freilich nichts zu tun, eher mit der schon den Theosophen gepflegten Tradition einer okkulten esoterischen „Eingeweihtenschule“, in der einem äußerst begrenzten Kreis unter Geheimhaltung „höhere Einsichten“ in den „Weltverlauf“ nahe gebracht wurden. So bemerken selbst Anthroposophen, das nur von „einer kleinen Gruppe, Anthroposophen, zumeist ‚Insider’, über die Freie Hochschule gesprochen werde“. Auch für „Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft hängt ein geheimnisvoller Schleier um diese Hochschule“.
2Was wird dort gelehrt? Und um was geht es in Steiners Ideologie überhaupt? Ein kurzer Überblick soll, so weit dies denn überhaupt möglich ist, Klarheit schaffen:
III. Karma, Schicksal, Volksgemeinschaft –
die „Geheimwissenschaft“ der „Anthroposophie“.
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Steiners "Akasha-Chronik" |
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Steiners Werk ist ohne eine gewisse Vorkenntnis der Geschichte europäischer Esoterik kaum verständlich zu machen, denn trotz seines ungemein umfangreichen literarischen Nachlasses (über 350 Bücher, mehr als 6000 mitstenographierte Reden und Vorträge) ist seine Weltanschauung in allererster Linie ein Gemisch verschiedener Versatzstücke anderer okkulter, mystischer und esoterischer Theorien.
Steiner übernahm von der bereits erwähnten Helena P. Blavatski die so genannte „Wurzelrassentheorie“, allerdings in modifizierter Form. Steiner geht von sieben „Urrassen“ aus, die einst von fremden Gestirnen, u. a. Mond und Sonne, die Erde bevölkerten und dabei von allerlei Wesenheiten, Geistern, Engeln und Göttern gelenkt und geführt wurden. Ohne jetzt im einzelnen auf diese vollkommen krause, dennoch äußerst umfangreiche Theorie eingehen zu wollen, seien einige für den Charakter der Anthroposophie relevante Kerngedanken vorgestellt:
Steiner, hier ganz in Tradition der Blavatski, nahm die Existenz des mythischen, versunkenen Kontinents Atlantis als Realität. Eben jenes Atlantis sei der Ursprung der „arischen Rasse“ gewesen, die nach dem Untergang des Kontinents Teile der Welt besiedelt hätte. Nach Steiners „Drei-Welten-Theorie – schwarze, gelb-braune und weiße Welt“ (Afrika, Asien, Europa), sei die „schwarze Rasse“ die niederste und die arische, weiße Rasse die am Höchsten entwickelte. Dem jüdischen Volk, das nach Steiner zu keiner dieser Rassen gehöre, weißt er eine Sonderstellung zu – sie seien unter den Völkern eine Ausnahmeerscheinung.
„Daher kann der Europäer, weil ihn Seele und Geist am meisten in Anspruch nimmt, Seele und Geist am meisten verarbeiten. […] Die weiße Rasse ist die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse.“ [Rudolf Steiner, Gesamtausgabe, "Vortrag vom 3. März 1923"] Auch folgende Ideen sind uns nicht unbekannt – die zeitliche Reihenfolge muss allerdings berücksichtigt werden. Fragt sich, wer hier was von wem hat: „die Menschen würden ja, wenn die Blauäugigen und Blondhaarigen aussterben, immer dümmer werden, wenn sie nicht zu einer Art Gescheitheit kommen würden, die unabhängig ist von der Blondheit. Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit.“ [Rudolf Steiner, "über Gesundheit und Krankheit"] "Wir verstehen die Rassenfrage aber nur, wenn wir das geheimnisvolle Wirken des Blutes und der Blutmischung unter den Völkern verstehen. [...] Die Frage, auf die hier eingegangen wird, ist die Kolonisationsfrage. [...] Derjenige, der nicht weiß, unter welchen Bedingungen ein Volk steht, ob in auf- oder absteigender Linie der Entwicklung, ob dies oder jenes durch sein Blut bedingt ist, der vermag nicht den richtigen Weg finden, um irgendeine Kultur bei irgendeinem Volke einzuführen."[Rudolf Steiner, "Blut ist ein ganz besonderer Saft"] Doch Steiner wäre nicht Steiner, wenn er nicht auch karmische Milde walten lassen würde: „Denn selbst die Neger müssen wir als Menschen ansehen, und in ihnen ist ja die menschliche Gestalt ganz anders verwirklicht als in uns, zum Beispiel.“ |
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Die von Steiner in seine Theorie eingebauten christlichen Elemente – dies ist wesentlicher Kritikpunkt der traditionellen christlichen Strukturen an der Anthroposophie – scheinen auch zunächst gewöhnungsbedürftig: Steiner geht von der Existenz gleich zweier Jesuskinder, die nicht nur in zwei Krippen nebeneinander lagen, sondern zufällig auch gleichnamige Eltern hatten, aus. Diese verschmolzen im Alter von zwölf Jahren zum Christus Jesus. Steiners Verständnis des Christentums wird in einer eigenen Kirchengründung, der sog. „Christengemeinschaft“, nach wie vor gepflegt – die personellen Strukturen dieser Art „Freikirche“ sind teilidentisch mit der AAG; insofern kann durchaus von einer anthroposophischen „Filiale“ gesprochen werden.
Durchaus in den Trend seiner Zeit, des räuberischen, kolonialistischen Imperialismus, passt seine postulierte Überlegenheit der „Weißen“ und das karmisch determinierte Schicksal aller „Volksseelen“, die ihren vorgezeichneten Gang zu gehen hätten. Die Europäer würden durch die Unterwerfung anderer Völker nur ihr karmisches Schicksal vollziehen; die unterworfenen Völker hätten diesen vorherbestimmten Akt ebenfalls hinzunehmen, denn: „jedes Volk hat seine besondere Aufgabe“.
Interessant wäre nun noch die Frage, wie Rudolf Steiner zu seinen Ansichten gekommen ist. Er selbst hat darauf die einzig passende Antwort: durch Intuition. Steiner gab vor, in anderen Bewusstseinslagen (Umnachtung?) Erkenntnisse höherer Welten verstehen zu können – z.B. aus der „Akasha-Chronik“, einem sog. „geistigen“, „lebendigen“ Buch, dass das Wissen der Menschheit vereine und okkulte Wahrheiten enthalte. In der „Akasha-Chronik“ tummeln sich „Weisheitswesen“, „Pflanzen- und Tiermenschen“, „Söhne des Feuers“, „Eimenschen“, die ausgebrütet werden müssen, „Lemurier“, „Mondwesen“ und „Geister des Zwielichts“; sie soll Einblick geben über „lenkende Erzengel“ - von denen Steiner ganze Heerscharen und rigide Hierarchien postuliert - und “menschliche Eingeweihte“, sogenannte „Meschheitsführer“, die in langen Abständen auf die Erde entsannt werden, um dem karmischen Schicksal auf die Sprünge zu helfen. Als eine solche Figur sieht Steiner sich übrigens auch selbst – eine Reinkarnation des mythischen „Manu“, der in der Waldorfschule wiederum als historische Realität gelehrt wird - der modernen Religionswissenschaft und Geschichtsforschung ist er allerdings unbekannt.
Lesen wir einmal selbst, was Rudolf Steiner in der "Akasha-Chronik" so alles enddeckte:
"Die Vorfahren der Atlantier wohnten auf einem verschwundenen Landesteil, dessen Hauptgebiet südlich vom heutigen Asien lag. [...] Nachdem diese durch verschiedene Entwicklungsstufen durchgegangen waren, kam der größte Teil in Verfall. Er wurde zu verkümmerten Menschen, deren Nachkommen heute noch als sogenannte wilde Völker [Steiner meint die Schwarzafrikaner, Anm. von mir] gewisse Teile der Erde bewohnen. Nur ein kleiner Teil der lemurischen Menschheit war zur Fortentwicklung fähig. [...] Die große Masse der atlantischen Bevölkerung kam in Verfall, und von einem kleinen Teil stammen die so genannten Arier ab, zu denen unsere gegenwärtige Kulturmenschheit gehört."[Rudolf Steiner, "aus der Akasha-Chronik"]
Nun gibt es Untersuchungen, die des Freiburger Psychiaters Wolfgang Treher zum Beispiel, die anhand von Steiners Äußerungen, seinen „Visionen“ und „Stimmen aus höheren Welten“, Anzeichen einer Geisteskrankheit - Schizophrenie - erkennen wollen. Es mag müßig erscheinen, über den geistigen Gesundheitszustand eines seit achtzig Jahren toten Mannes zu spekulieren – über den seiner nach wie vor zahlreichen Anhänger sollte man sich aber getrost Gedanken machen. Denn diese Leute sind keineswegs allesamt gesellschaftlich unbedeutend, wie wir später sehen werden. Doch zunächst einmal zu den ganz weltlich-praktischen Resultaten des Steinerschen Denksystems:
IV. von Medizin bis Landwirtschaft: der Anthro-Konzern