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Heute, am 8. Mai*, versammeln wir uns anlässlich des 74. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus, um all derer zu gedenken, die gegen den deutschen Faschismus gekämpft haben und dabei ihr Leben ließen. Ohne ihren Einsatz stünden wir heute nicht hier. Wir gedenken auch all der Millionen, die durch den Terror des Nationalsozialismus, durch die Konzentrations- und Vernichtungslager sowie das deutsche Besatzungsregime ermordet wurden.


Deutscher Besatzungsterror in Griechenland

Eines der Länder, das besonders hart unter dem Besatzungsterror der Deutschen gelitten hat, war Griechenland. Am 6. April 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht Griechenland und warf das Land in einem dreiwöchigen "Blitzkrieg" nieder. Es folgte eine militärische Besatzungszeit, die über 3 ½ Jahre bis zum 3. November 1944 andauerte. 3 ½ Jahre, die von Beginn an geprägt waren von der Anwendung systematischer Terrormaßnahmen und Greueltaten gegen die griechische Bevölkerung. Hunderte von Dörfern wurden von der Wehrmacht zerstört, die Dorfbevölkerung im Rahmen von sog. „Vergeltungsaktionen“ ausgelöscht. Insgesamt kamen rund 15% der damaligen griechischen Bevölkerung unter der deutschen Besatzungspolitik ums Leben, darunter allein 58.000 Juden, die in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurden. So wurden 83% der jüdischen Bevölkerung Griechenlands ausgelöscht.

Auch ökonomisch wurde das Land nach der griechischen Kapitulation systematisch von Wehrmacht und deutschen Unternehmen ausgeplündert und faktisch zu einem deutschen Protektorat mit regelmäßigen Tributzahlungen gemacht: Sämtliche Devisenreserven sowie der Staatsschatz des Landes wurden geraubt, ebenso Maschinen, Fahrzeuge, Gebrauchsgüter und Lebensmittel. Schon im Mai und Juni 1941, also unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen, wurden in einer großangelegten Aktion Raubgüter nach Deutschland geschafft: In den vor Ort erbeuteten 111 Eisenbahnwaggons und auf zwei ebenfalls erbeuteten Schiffen transportierte die Speditionsfirma Schenker (heute im Besitz der Deutschen Bahn AG) von Thessaloniki aus das Raubgut nach Deutschland. Um die jährlichen Tribute i.H.v. über 70 Mio. RM sicherzustellen wurde die „Deutsch-Griechische Warenausgleichsgesellschaft“ gegründet, die von den exportierten Gütern des Landes zuerst die Besatzungskosten abzog. Diese Besatzungskosten (von den Deutschen euphemistisch als „Aufbaukosten“ betitelt) betrugen Anfang 1943 pro Kopf und Monat 78 RM und waren damit die höchsten in allen von Deutschland besetzten Gebieten. Desweiteren nahm sich Deutschland das Recht zur unbeschränkten Ausbeutung und Ausfuhr der Bodenschätze und der landwirtschaftlichen Güter heraus.

Die Folgen dieser Ausplünderung waren für die griechische Bevölkerung katastrophal: In den Wintermonaten 1941/42 und 1942/43 starben allein im Athener Großraum über 100.000 Menschen den Hungertod, da die deutschen Besatzungstruppen sämtliche Nahrungsvorräte konfiszierten. Insgesamt verhungerten über 300.000 Menschen in Griechenland, und das bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von etwa 7 Mio.


Antifaschistischer Widerstand gegen die Besatzer

Es ist nicht verwunderlich, dass sich in Griechenland eine starke antifaschistische Widerstandsbewegung bildete. Am 27. September 1941 konstituierte sich die Nationale Befreiungsfront (EAM) als linke, antifaschistische Widerstandsorganisation. Im Dezember 1941 rief sie zum bewaffneten Widerstand gegen die Deutschen auf und gründete die Griechische Volksbefreiungsarmee (ELAS), die in ihren Hochzeiten etwa 120.000 Kämpferinnen und Kämpfer umfasste und in den Städten sowie in den Dörfern Aktionen gegen die Besatzer durchführte. Sie fügte den Besatzungstruppen von 1941 bis 1944 erhebliche Verluste an Menschen und Material zu. Zur ELAS liefen auch mehrfach Angehörige der in Griechenland eingesetzten italienischen und deutschen Soldaten über, so beispielsweise der Kommunist (und spätere Marburger Professor) Wolfgang Abendroth; er war von den Nazis als Kanonenfutter in die Strafdivision 999 gepresst worden – das war eine Wehrmachtseinheit aus zwangsrekrutierten ehemaligen politischen Häftlingen; es gelang ihm zu desertieren und zum griechischen Widerstand überzulaufen. Oder auch Falk Harnack, der Mitglied des Münchner Widerstandskreises Weiße Rose war und ab Winter 1943 in den Reihen der ELAS mitkämpfte.


Massaker gegen die griechische Zivilbevölkerung

Auf den Partisanenkrieg des griechischen Widerstands reagierten die Deutschen umgehend mit systematischen Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung. Mindestens 130.000 griechische Zivilisten fielen sogenannten „Vergeltungsaktionen“ der deutschen Besatzungstruppen zum Opfer, hunderte von Dörfern wurden zerstört, tausende wurden als Geiseln erschossen oder starben in Gefängnissen und Konzentrationslagern.
Bereits am 31. Mai 1941, also wenige Wochen nach der griechischen Kapitulation erhielt die 5. Gebirgsjägerdivision, der auch Fallschirmjäger unterstellt worden waren, einen umfassenden Befehl zur Ausführung von Terrormaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung auf Kreta. Der Grundsatzbefehl von General Student folgte dem Prinzip, Rache für deutsche Truppenverluste zu nehmen sowie durch Terror möglichen Widerstand im Keim abzuwürgen. In dem Befehl heißt es wörtlich:
"Es ist einwandfrei festgestellt, dass sich die Bevölkerung von Kreta (auch Frauen u. Jugendliche) im weitesten Umfange am direkten Kampfe beteiligt hat. […] Jetzt ist die Zeit gekommen, Vergeltung zu üben und Strafgerichte abzuhalten, die auch als Abschreckungsmittel für die Zukunft dienen sollen. […] Als Vergeltungsmaßnahmen kommen in Frage:
1.) Erschießungen
2.) Kontributionen
3.) Niederbrennen von Ortschaften (vorher Sicherstellung aller Barmittel)
4.) Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete
".

Diese Maßnahmen sollten "mit größtmöglicher Beschleunigung" durchgeführt werden, und zwar "unter Beiseitelassung aller Formalien u. unter bewusster Ausschaltung von Gerichten". Auf Grundlage dieses Befehls kam es auf Kreta massenhaft zu Tötungsaktionen und zu großflächigen Zerstörungen. Nach griechischen Schätzungen wurden innerhalb von drei Monaten mindestens 2.000 Zivilisten Kretas ermordet.

Am 16. September 1941 erließ der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, folgende Richtlinien für die sog. „Partisanenbekämpfung“ in Griechenland und dem Balkan:
"Um die Umtriebe im Keime zu ersticken, sind beim ersten Anlass unverzüglich die schärfsten Mittel anzuwenden, um einem weiteren Umsichgreifen vorzubeugen. Dabei ist zu bedenken, dass ein Menschenleben in den betroffenen Ländern vielfach nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann. Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muss im allgemeinen die Todesstrafe für 50 bis 100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muss die abschreckende Wirkung noch erhöhen." (Dabei ist anzumerken, dass jeder, der in Verdacht stand die Partisanen zu unterstützen, in den Augen der Wehrmacht als Kommunist galt.)

Am 16. Dezember 1942 erließ das Oberkommando der Wehrmacht einen Befehl, in dem folgendes angeordnet wurde: Der Kampf gegen Partisanen solle "mit den allerbrutalsten Mitteln" geführt werden. Die Truppe sei "berechtigt und verpflichtet, ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, was zum Erfolg führt. Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front. […] Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsgerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden."
Der Chef des Wehrmachtsführungsstabes General Alfred Jodl versicherte zudem, die Wehrmacht unterläge keinerlei Beschränkungen. Die Soldaten könnten auch mit Frauen und Kindern "machen, was sie wollen". Jodl hob hervor: "Sie dürfen sie aufhängen, verkehrt aufhängen oder vierteilen."

Ich möchte im folgenden auf zwei dieser deutschen Kriegsverbrechen gesondert eingehen, den Orten des Schreckens einen Namen geben, nämlich Kalavrita und Distomo:

Dezember 1943, ein kalter klarer Wintermorgen. Die 117. deutsche Jägerdivision war mit der Bergbahn auf dem Weg nach Kalavrita. Der Befehl im Marschgepäck der faschistischen Truppen: das Städtchen dem Erdboden gleichmachen und alle männlichen Bewohner umbringen.
Anlass dieser sog. „Vergeltungsaktion“ war, dass es griechischen Widerstandskämpfern gelungen war, 81 deutsche Soldaten in der Bergregion von Kalavrita in ihre Gewalt zu bringen, um sie später gegen griechische Freiheitskämpfer auszutauschen. Doch der Plan scheiterte, denn am 8. Dezember schickten sich die deutschen Besatzer an, ihre gefangenen Kameraden zu befreien. Doch als die deutschen Truppen anrückten, erschossen die Partisanen ihre Geiseln.

Dem ersten Vergeltungsschlag der deutschen Gebirgsjäger fielen im Kloster Mega Spileon auf dem Weg nach Kalavrita 17 Kinder und Mönche im Alter von 14 bis 88 Jahren zum Opfer. Am 13. Dezember 1943 schlugen die Gebirgsjäger ein zweites Mal zu: Fast die gesamte Bevölkerung von Kalavrita, über 1.900 Menschen, von Kindern bis zu Greisen, wurden zusammengetrieben und hingerichtet. Fünf Stunden dauerte es, bis alle umgebracht waren. Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, alles Brauchbare mit der Bergbahn weggeschafft. Am Tag dieses Kriegsverbrechens wurde die Kirchturmuhr angehalten. Sie zeigt bis zum heutigen Tag die Todesstunde an. Der Name Kalavrita ist in Deutschland kaum ein Begriff - doch in Griechenland gilt er als ein Symbol des Leids, das nicht vergessen werden kann.

Auch Distomo, ein Dorf am Fuße des Parnassos-Gebirges, ist für immer gezeichnet. Am Nachmittag des 10. Juni 1944 stürmte Waffen-SS das Dorf. Der Großteil der Bevölkerung von Distomo, nur wenigen gelang es in die Berge zu flüchten, wurde von der SS öffentlich misshandelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt und schließlich 218 Menschen auf unbeschreibliche Art niedergemetzelt. Keine Familie in Distomo blieb verschont. Männer, Frauen, Greise, Kinder - das jüngste Opfer war gerade einmal zwei Monate alt. Bis heute blieb das Verbrechen ungesühnt.

Kalavrita, Distomo, Komeno, Thessaloniki Â… die Liste griechischer Ortschaften, in denen Kriegsverbrechen deutscher Truppen stattfanden ist lang, sehr lang.


Entschädigungszahlungen stets verweigert

Die Bluttaten der deutschen Truppen in Griechenland sind bis heute nicht gesühnt oder wiedergutgemacht. Vor bundesdeutschen Gerichten wurde nicht ein einziger der Täter verurteilt. Die meisten Opfer wurden niemals entschädigt. Die bundesdeutschen Nachkriegsregierungen taten alles, um die Kriegsverbrecher vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen, denn die ehemaligen Wehrmachtsoldaten wurden ab 1956 zum Aufbau der Bundeswehr gebraucht. Im April 1956 übergab eine Delegation des griechischen Büros für Kriegsverbrechen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesjustizministerium 167 Akten über 641 Kriegsverbrecher. Das Bundesjustizministerium stellte jedoch umgehend klar, dass es keinerlei Interesse an einer Aufklärung oder Strafverfolgung habe. Gleichzeitig widersetzte sich die Bundesrepublik vehement den griechischen Forderungen nach Entschädigungsleistungen. Bis heute behauptet die Bundesregierung, mit einer einmaligen, sog. „freiwilligen Zahlung“ von 115 Mio. DM im Jahr 1961 sei alles erledigt.


Entschädigungszahlungen - jetzt!

Die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der faschistischen Besatzungstruppen ist auch nach über 70 Jahren in Griechenland lebendig geblieben, hat doch fast jede Familie ein Opfer zu beklagen. Die griechischen Opfer der Massaker und ihre Familien haben bis heute keinerlei Entschädigung vom deutschen Staat erhalten. Sie fordern von der deutschen Regierung die historische Anerkennung der Verbrechen und eine angemessene Entschädigungsleistung.

Vor wenigen Tagen, am 17.04.2019, wurde im griechischen Parlament ein Antrag beschlossen, in welchem Entschädigungszahlungen für den erlittenen Besatzungsterror i.H.v. etwa 270 Mrd. EUR von Deutschland eingefordert werden. Die Greuel der deutschen Besatzungszeit, so der Beschluss, seien eine „unverjährbare Schuld, die unverrückbar moralische, historische und juristische Gerechtigkeit verlangt“. Getragen wurde diese Resolution gemeinsam von allen im griechischen Parlament vertretenen Parteien – mit Ausnahme der neofaschistischen „Goldenen Morgenröte“. Hier zeigt sich: Die an Deutschland gerichtete Forderung nach Eingeständnis der begangenen Schuld und nach Wiedergutmachung des erduldeten Leids wird über Parteigrenzen hinweg von breiten Schichten der griechischen Gesellschaft unterstützt.

Die zuständigen Stellen der Bundesrepublik Deutschland haben bereits signalisiert, dass sie sich der historischen, politischen und moralischen Verantwortung weiterhin entziehen wollen. Sie möchten auch in Zukunft Äußerungen vermeiden, die als rechtliches Schuldanerkenntnis gewertet werden könnten, um auch weiterhin nicht auf Entschädigungsforderungen eingehen zu müssen.

Gerade wegen dieser deutschen Schlussstrichmentalität hinsichtlich der Wehrmachtverbrechen in Griechenland, einer Politik des Vergessens und Verdrängens, ist es wichtig, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass das Thema der Reparationen auch in der deutschen Öffentlichkeit seinen angemessenen Platz erhält. Letztlich wird sich nur durch spürbaren politischen Druck aus dem In- und Ausland etwas Bewegung in die Verweigerungshaltung bringen lassen.

Wir sind es den Opfern und ihren Angehörigen in Griechenland schuldig.


* Wir dokumentieren diese Rede, die am 8. Mai 2019, dem 74. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus, im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) in Göttingen gehalten wurde, im Wortlaut.
secarts.org Redaktion.


 
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  Kommentar zum Artikel von Hennes:
Donnerstag, 16.05.2019 - 23:02

Hervorragende Faktensammlung und Aufarbeitung. Verdient weite Verbreitung!