Wählt einig, für das einige Votum (el voto unido) - unter diesem Slogan fanden am 20. Januar die Wahlen zur kubanischen Nationalversammlung und zu den Provinzparlamenten statt. Trotz widriger klimatischer Bedingungen in Form einer (Wetter-) Kaltfront mit heftigen Regenschauern aus den USA erreichte die Wahlbeteiligung zu den alle fünf Jahre stattfindenden Parlamentswahlen auch dieses Mal wieder einen Wert, von dem bundesdeutsche Politiker nur träumen können. Und mit mehr als 90 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen wurden nicht nur alle vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlvorschlages in die Parlamente gewählt, sondern vor allem wurde damit von der übergroßen Mehrheit der kubanischen Bevölkerung ein eindrucksvolles Zeichen zur Unterstützung der Revolution und ihrer sozialistischen Regierung gegeben.
Diesem eindrucksvollen Ergebnis vorausgegangen war ein Wahlkampf, der in keiner Weise mit den uns bekannten Show-Wahlkämpfen der westlichen "Demokratien" zu vergleichen ist und der schon im Oktober letzten Jahres mit der Nominierung der Delegierten und Deputierten für die Parlamente begonnen hatte. Über diese Nominierten, die basisdemokratisch vorgeschlagen und gewählt wurden und die weder Parteimitglied noch Angehörige der Massenorganisationen sein müssen, konnten nun am 20. Januar alle Kubanerinnen und Kubaner über 16 Jahre in freier, geheimer und direkter Wahl entscheiden. Trotz nicht vorhandener Wahlpflicht folgten dem Aufruf zur Wahl mehr als 8 200 000 Kubanerinnen und Kubaner, was einer Quote von 96,89 Prozent entspricht und somit ähnlich hoch war wie bei den vergangenen Parlamentswahlen. Von den 95,24 Prozent der gültigen Stimmen entfielen dann 91 Prozent (7 125 752) auf den Wahlvorschlag für die 614 Kandidaten der Nationalversammlung und die 1 201 Kandidaten für die Provinzparlamente, während die übrigen 9 Prozent für Kandidaten außerhalb der Vorschlagsliste stimmten.
Die Annahme des Wahlvorschlages (Voto Unido) der zukünftigen Abgeordneten, die auch als Deputierte den gleichen Lohn wie in ihrem eigentlichen Beruf beziehen, ist jedoch nicht als lediglich passives Einverständnis und als Billigung der Einheitsliste zu werten, sondern unter Berücksichtigung der Geschichte und der Bedeutung des Voto Unido vor allem als aktive Zustimmung zum sozialistischen Gesellschaftssystem einzuschätzen. So schrieb Fidel Castro im Februar 1993 inmitten der schwersten Wirtschaftskrise in einer Botschaft an das kubanische Volk, dass das Votum für eine gemeinsame Wahlliste weder ein rein technischer Akt noch eine inhaltsleere Losung sei, sondern vielmehr eine revolutionäre Strategie darstelle, die ein Ausdruck des Bewusstseins und unabdingbar für das Überleben der Revolution sei. Zwar ist die Situation im Kuba von heute nicht mehr mit der Krisenzeit der "Spezialperiode" vergleichbar, aber ohne ein einiges Volk wäre das Land auch heute noch den ständigen Aggressionen und Angriffen aus dem Norden wesentlich schutzloser ausgesetzt und so war das diesjährige Votum für die Einheitsliste gleichbedeutend mit einem entschiedenen Ja zur "Einheit, zum Vaterland, zur Unabhängigkeit, zur Revolution und zum Sozialismus".
Diese Wahl zu den Provinzparlamenten und der Nationalversammlung war jedoch trotz ähnlicher Wahlergebnisse wie in den vorangegangenen Jahren keine Wahl wie jede andere auch. Vielmehr war es die erste Wahl zum höchsten Organ der Staatsmacht seit der Erkrankung Fidels und seinem zumindest vorläufigen Rückzug aus seinen bisherigen Ämtern und ist trotz dessen erneuter Kandidatur und Wahl für die Nationalversammlung ein Indikator für die Stabilität des sozialistischen Kuba auch für die Zeit nach Fidel und der ersten Garde der Revolution. Gerade vor diesem Hintergrund des Wechsels an der Spitze des Staates ist das Ergebnis umso höher einzuschätzen und zeugt trotz nach wie vor vorhandener Probleme von der Stabilität des revolutionären Kuba und der Unterstützung des sozialistischen Weges durch die absolute Mehrheit der kubanischen Bevölkerung.
Steffen Niese, Havanna