Deutschland wird regelmäßig - wie unlängst von dem UN-Menschenrechtsinspektor Muñoz - wegen seiner mangelhaften Bildungspolitik gerügt. In kaum einem anderen Land sei ein Schulsystem - Haupt-, Realschule und Gymnasium - so festgeschrieben und undurchlässig wie in Deutschland. Diese Tatsache wirke extrem selektiv und benachteilige die unteren Schichten. In keinem anderen Land verließen so viele junge Menschen ohne Abschluss die Schulen. In keinem anderen Land hänge der Bildungserfolg so eng mit der sozialen Herkunft zusammen. In keinem anderen Land würden so wenige Arbeiterkinder studieren.
Dies ist offensichtlich in dem Land des Exportweltmeisters politisch gewollt. Trotz Protesten, trotz Geschwätz von Bildungsoffensive und Pisa - ändern tut sich nichts. Die konservativen Bildungspolitiker behalten die Oberhand. Die wenigen gut bezahlten Arbeitsplätze bleiben für den Nachwuchs der Reichen reserviert. Kinder aus den ärmeren Schichten habe da nichts verloren - so die Logik der Besitzenden. Für die Kinder der ärmeren Schichten bleibt das "Unterschichtenfernsehen", stundenlanges Videospielen, heruntergekommene Schulen, überforderte und frustrierte LehrerInnen. Dazu redet man ihnen noch ein, dass, wenn sie sich anstrengten sie auch einen Lehrplatz erhielten.
Auch der Schulsport findet kaum statt, Muße - neudeutsch Motivation - für Fuß- oder Handball, für Skateboarden in der Freizeit sind wenig vorhanden und werden auch nicht gezielt geweckt. Dabei sind die Defizite bewegungsarmer Kinder bekannt. Übergewicht, Krankheiten, Unzufriedenheit und Aggressivität gegenüber anderen sind die unausweichliche Folge.
Dieser Mangel trifft die Jüngsten am härtesten. In diesem Alter werden die Grundlagen für koordinierte Bewegungsabläufe geschaffen. Wer hier beim Kraulschwimmen richtig die Arme und Beine bewegen kann, hat es bei höheren Anforderungen im Sport später leichter. Auch die Chance über sportliche Erfolge das Selbstwertgefühl zu steigern, bleibt oft ungenutzt.
Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in der Statistik. 80 Prozent der Kinder und Eltern halten Sportunterricht für ganz wichtig. Zufrieden mit dem Ablauf sind dagegen nur ganz wenige. Ab 14 Jahre würden die meisten lieber Inlineskating oder Streetdance statt Turnen und Leichtathletik machen. Der Sportunterricht könnte zum Wohlbefinden und zur gesunden Entwicklung der Kinder beitragen, würde er von der Gesellschaft ernst genommen. Wenn er überhaupt stattfindet, richtet er sich oft am Leistungsprinzip aus und verkommt so zur Begabtenförderung ganz weniger. Doch allgemein gilt sowieso, dass er allzuoft ausfällt, weil es keine geeigneten Sportstätten gibt, zu wenige Sportlehrer vorhanden sind, der Sportlehrer erkrankt und die Unterrichtsvertretung der Englischlehrer ist.
Eigentlich sollte im Exportweltmeisterland mehr Geld für den Schulsport, hier speziell für die Breitenförderung, als für Auslandseinsätze der Bundeswehr geben. Zeigte uns nicht mal die DDR wie man das alles viel besser machen kann? Aktionen wie die Spartakiaden, wie "Jedermann an jedem Ort einmal in der Woche Sport" sorgten für mehr Sporttreibende als im heutigen vergleichbaren Deutschland. Breiten- und Spitzensport waren dort offensichtlich keine Gegensätze. In die Betriebssportgemeinschaften waren die Jugendliche voll integriert. Sport für alle hatte in der DDR einen weit höheren Stellenwert als im kapitalistischen Deutschland. Mit Aktionen wie "Ran an das Netz" oder "Jagt die Meister" wurden die Stubenhocker zum Mitmachen aktiviert.
Heute ist in Gesamtdeutschland nicht nur in diesem Punkt Tristesse angesagt. Hier steht die Eliteförderung im Vordergrund - wie aktuell beim Jugendfußball des DFB. Dort sprach ausgerechnet Matthias Sammer unlängst ganz offen aus, dass die DFB-Jugendförderung sich nur noch an Eliten im Alter von 10 bis 12 Jahre orientiere und das viel kritisierte DFB-Fördersystem - um Kosten zu sparen - mit weniger Jugendlichen auskommen müsse.
Diese Art der Sportförderung, dieser Kapitalismus haben nicht mehr an allen Jugendlichen Interesse und überlassen sie oft ihrem Schicksal. Ob in der Schule, ob beim Sport, ob im Arbeitsleben, ob in der (A)Sozial- oder in der Gesundheitspolitik.
Traurige Fakten im Land des Exportweltmeisters.