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Das neue "Kommando Cyber- und Informationsraum" (CIR) der Bundeswehr wird Fähigkeiten für deutsche Cyberangriffe entwickeln und bei Bedarf offensiv tätig sein. Dies hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am gestrigen Mittwoch bei der offiziellen Indienststellung des Kommandos CIR angekündigt. Demnach dürfe die Bundeswehr, sobald ihre "Funktions- und Einsatzfähigkeit" gefährdet werde, sich selbstverständlich "offensiv verteidigen". Bereits der "Aufbaustab" des Verteidigungsministeriums für die Gründung der Cybertruppe hatte erklärt, es sei unverzichtbar, "die gesamte Kette" an Handlungsoptionen bis hin zu "komplexen Angriffen zu beherrschen". Schwierigkeiten bereitet der Bundeswehr bislang allerdings noch die Gewinnung geeigneten Personals. Die Cybertruppe wird deshalb unter anderem die Anforderungen an die Fitness ihrer IT-Krieger senken - in der Hoffnung, dann "Nerds" besser als bisher für den Dienst in den Streitkräften gewinnen zu können. Darüber hinaus soll eine "Cyber-Reserve" aufgebaut werden, über die die Bundeswehr Zivilisten einbinden will. Nur so könne das gesellschaftlich verfügbare Wissen genutzt werden, um im schnelllebigen IT-Bereich Schritt zu halten, heißt es im Verteidigungsministerium.

Das Kommando CIR

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat am gestrigen Mittwoch das "Kommando Cyber- und Informationsraum" (CIR) der Bundeswehr in Dienst gestellt. Das Kommando CIR ist als eigene Teilstreitkraft neben Heer, Luftwaffe und Marine konzipiert und wird alle relevanten IT-Kapazitäten der deutschen Streitkräfte bündeln. Unter Rückgriff auf die IT-Personalbestände der anderen Teilstreitkräfte soll es von zur Zeit rund 260 Mitgliedern auf eine Stärke von rund 13.500 Soldaten und zusätzlich 1.500 zivilen Mitarbeitern wachsen; dieser Umfang soll spätestens 2021 erreicht sein. Zusätzlich werden der Einheit im Juli weitere Truppen unterstellt - das Kommando Strategische Aufklärung, das Kommando Informationstechnik sowie das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr. Geführt wird das Kommando CIR von Generalleutnant Ludwig Leinhos, der seine Karriere im Bereich der Elektronischen Kampfführung begonnen hat, später unter anderem im NATO-Hauptquartier in Brüssel für Cyber Defence zuständig war und im Jahr 2016 im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums die Leitung des Aufbaustabes Cyber- und Informationsraum übernommen hat. Leinhos erklärt zur Gründung seines Kommandos: "Wir stellen die nicht-kinetischen Mittel und Fähigkeiten zur Verteidigung Deutschlands bereit."1

"Offensiv verteidigen"

Tatsächlich geht der Auftrag des Kommandos CIR weit über reine Verteidigung hinaus. Dies hat Ministerin Ursula von der Leyen am gestrigen Mittwoch bekräftigt. Demnach dürfen deutsche Soldaten eigene Cyberattacken starten ("offensiv verteidigen"), "sobald ein Angriff die Funktions- und Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gefährdet".2 Dies entspricht zentralen Forderungen des von Generalleutnant Leinhos geführten "Aufbaustabs Cyber- und Informationsraum". In dessen vor einem Jahr erstellten Abschlussbericht hieß es, "die Grenze zwischen offensiver und defensiver Ausrichtung" sei im Cybersektor "fließender als sonst": "Hat ein Akteur die Fähigkeit zur Verteidigung, so kann er auch angreifen."3 Diese Angriffsfähigkeit müsse die Bundeswehr sich sichern: "Gemeinsam gilt es, die gesamte Kette von Prävention zu Reaktion sowie von einfachen bis komplexen Angriffen zu beherrschen". Der bekannteste bisherige Cyberangriff, die Zerstörung von Zentrifugen in der iranischen Atomanlage Natanz, zeigt, dass es bei solchen Attacken um viel mehr gehen kann als die Ausschaltung gegnerischer IT; tatsächlich sind Angriffe mit schwersten physischen Folgen möglich. Das Kommando CIR wird für die Durchführung von Cyberattacken eine eigene Einheit unterhalten; sie umfasst gegenwärtig 60 Personen und soll demnächst in einem ersten Schritt auf 80 Mitglieder aufgestockt werden.

Kamerad Nerd

Schwierigkeiten bereitet der Bundeswehr gegenwärtig noch die Gewinnung geeigneten Personals: Wie zu hören ist, konnte bislang eine vierstellige Zahl an Stellen im IT-Bereich mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt werden. Als Ursache gilt, dass erstens jungen PC-sozialisierten Spezialisten ("Nerds") das autoritär-hierarchische Milieu der Bundeswehr lebensweltlich fremd ist, zweitens aber diejenigen IT-Experten, die möglicherweise bereit wären, sich auf die Bundeswehr einzulassen, in Unternehmen der Privatwirtschaft weitaus höhere Summen verdienen können als in der Truppe. Wie die Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium Katrin Suder kürzlich beim dritten "Medientag" der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) ankündigte, sei die militärische Führung zu Zugeständnissen bereit. So müsse man jetzt keinen Studienabschluss mehr vorweisen, wenn man als IT-Experte bei der Bundeswehr anheuern wolle; auch müssten "Nerds", die sich für den Dienst im Kommando CIR interessierten, künftig nicht mehr "die gesundheitlichen Anforderungen mitbringen, die Soldaten im Gelände" bräuchten.4 Sogar ein höherer Sold für IT-Experten ist im Gespräch. Unklar ist, ob die Lockmittel ausreichen; vergangene Werbekampagnen der Bundeswehr, die gezielt auf die entsprechende Klientel ausgerichtet waren, haben offenbar keinen ausreichenden Erfolg erzielt.


Die Cyber-Reserve

Ergänzend bemüht sich das Kommando CIR um den Aufbau einer neuen "Cyber-Reserve". Unter diesem Schlagwort sollen nicht nur Berufs- und Zeitsoldaten dafür gewonnen werden, auch nach dem Ende ihrer militärischen Karriere "weiterhin ihre Expertise in die Bundeswehr ein[zu]bringen".5 "Angesprochen" werden sollen auch "neue Zielgruppen" - etwa "Vorstände und Geschäftsführer aus einschlägigen IT-Unternehmen, aber auch Professoren", die "ihre Kompetenzen" von nun an "unkompliziert und aktiv einbringen" können müssten. "Als dritter Personenkreis" kämen auch "ungediente ... Personengruppen mit einschlägigem Cyber- und IT-Hintergrund in Betracht", teilt das Kommando CIR mit. Sie sollten in Zukunft "über etablierte Fachforen, Fachveranstaltungen oder vergleichbare Plattformen ... identifiziert und aktiv geworben werden" - als "Seiteneinsteiger", aber auch als "Freiwillige, die sich außerhalb der Reserve engagieren". In Frage kämen "Angehörige von Nicht-Regierungsorganisationen oder Freiwillige mit herausragenden Programmierfähigkeiten, die sich dann im Rahmen eines ehrenamtlichen oder bürgerschaftlichen Engagements ohne Soldatenstatus betätigen können". "Nur so" könne die "benötigte Fachexpertise in einem schnellen und sich ständig wandelnden Bereich aktuell gehalten" und "die Schlagfertigkeit der Bundeswehr im Cyber- und Informationsraum verbessert werden", heißt es beim Kommando CIR.6

Militarisierung ohne Grenzen

Mit der Aufstellung des Kommando CIR, ihren Bemühungen um Angriffsfähigkeit via Internet und ihrem Bestreben, das gesellschaftlich vorhandene IT-Wissen möglichst umfassend abzugreifen, will die Bundeswehr "die militärische Relevanz des CIR als eigene Dimension neben Land, Luft, See und Weltraum" angemessen würdigen - kurz nach Verabschiedung einer geheimen "strategischen Leitlinie" über die militärische Nutzung des Weltraums (german-foreign-policy.com berichtete7). Die Militarisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche kennt keine Grenzen mehr.



1 Die Führung des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum. cir.bundeswehr.de 05.04.2017.
2 Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, bei der Aufstellung des neuen militärischen Organisationsbereichs und des Kommandos Cyber- und Informationsraum (CIR) am 5. April 2017 im BMVg, Bonn.
3 Abschlussbericht Aufbaustab Cyber- und Informationsraum. April 2016.
4 Cyber-Abwehr: Bundeswehr ist Vorreiter in Europa. www.bmvg.de 04.04.2017.
5, 6 Neue Wege gehen. Die Cyber-Reserve. cir.bundeswehr.de 05.04.2017.
7 S. dazu Krieg im Weltraum.


 
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