Wir leben in gefährlichen Zeiten, die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten spitzen sich erheblich zu. Nach der Konterrevolution in den sozialistischen Staaten des Warschauer Vertrages gerät der Imperialismus in eine neue, aggressivere Phase. Die NATO, die beginnend mit den Irak-Krieg eine Krise erlebt, schlittert unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump in einen verschärften Konflikt zwischen den in ihr zusammengefassten Mächten. Von US-Seite wurde das Bündnis in letzter Zeit teilweise ganz in Frage gestellt, in Deutschland lässt die Bourgeoisie ihre Feuilletons und Politikspalten ihrer Blätter mit Debatten um "die deutsche Bombe" füllen. Die EU erlebt spätestens seit dem sogenannten Brexit ebenfalls eine existentielle Krise, doch bereits ihr Umgang mit den südosteuropäischen Staaten, abschätzig "PIGS" (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) genannt, offenbarte tiefe Ungleichmäßigkeiten innerhalb dieser "Union". Von wenigen Wahlen in den nächsten Monaten hängt vermutlich die gesamte Existenz des imperialistischen Projektes EU ab.
Beide Projekte, NATO wie EU, sind für den deutschen Imperialismus von zentraler Bedeutung für die bisherige, ziemlich gewinnbringende eigene Strategie.Dazu kommt ein neues, zur Zeit noch kleineres Problem, das allerdings das Potential hat, weitaus größere Dimensionen anzunehmen. Das Verfassungsreferendum in der Türkei ist nicht nur eine Bedrohung für die Werktätigen in der Türkei, es wird auch mit einer rassistischen, antimuslimischen und antitürkischen Kampagne in der EU und in Deutschland begleitet. Die kapitalistische Wirtschaftskrise wird mit ungebremster Wucht von rechts beantwortet.
Seit Monaten erleben wir eine massive Kampagne zur rassistischen Spaltung der Werktätigen in diesem Land. Sowohl aus den Regierungsbänken unter Anleitung der bayerischen CSU als auch auf der Straße unter Führung von Pegida und AfD.
Von den Unionsparteien wird die Abschaffung des Doppelpasses bzw. der doppelten Staatsbürgerschaft vorbereitet. Das unverkennbare Ziel sind die in der BRD lebenden Deutsch-Türken. Hunderttausende müssten sich dann entscheiden, ob sie staatsbürgerschaftslos im eigenen Land werden, auf die enge Bindung (und die reibungslose Besuchsmöglichkeit!) zur Familie verzichten oder in einen Staat auswandern wollen, in dem sie oft nicht einmal geboren wurden. Dabei ist es nicht nur ein Angriff nach Innen, bei dem deutsche Staatsbürger zahlreiche Rechte verlieren werden, falls Sie sich für eine andere Staatsbürgerschaft entscheiden. Es ist auch ein Angriff auf andere Staaten, denn diese – insbesondere die Türkei – könnten plötzlich hunderttausende Staatsbürger verlieren, wenn sich die so zur Wahl gezwungenen Menschen für den deutschen Pass aussprechen.
In Bayern wurde ein sogenanntes Integrationsgesetz durchgepeitscht, das nicht nur Menschen, die hier geboren wurden, die deutsche Staatsangehörigkeit haben und seit Jahrzehnten in diesem Land leben, sondern auch die Nachkommen (!) von nach 1950 eingewanderten Menschen unter anderem in "Integrationskurse" zwingen möchte. Verweigerung wird unverhältnismäßig bestraft. Es ist ein Disziplinierungsgesetz gegen Migranten mit rassistischer Motivation, denn die Eingrenzung verrät: auch dieses Gesetz ist "maßgeschneidert" auf die türkischsprachige Minderheit in der BRD. Dazu kommen zahlreiche antidemokratische Maßnahmen, die im deutschen Innenministerium ausgebrütet wurden: Abschiebungen von Menschen, die keinerlei Straftaten begangen haben ("Gefährder"), Ausweitung der Überwachung von Migranten.
Auf der Straße wird dies mit brennenden Sammelunterkünften und der antimuslimischen Hetze von Pegida und die AfD, durch körperliche Angriffe auf Migranten begleitet. Auch Kleinkinder werden von den Faschisten nicht verschont.
In diese gesellschaftliche und politische Atmosphäre stößt die eskalierende EU-Türkei-Krise. In der Türkei wird in den kommenden Wochen ein Referendum abgehalten, das dem Präsidenten erheblich mehr Macht geben soll. Die KP der Türkei gibt die Parole aus: "
Dieses Nein reicht zwar nicht, aber trotzdem Nein!" Das neue Präsidialsystem würde die willkürliche Ausbeutung festigen. Und die KP der Türkei schätzt ein: "
Gemeinsam mit der politischen Macht in Deutschland infizierten sie Staatsbürger der Türkei mit rassistischen, reaktionären und konfessionellen Ideen. Nun suchen sie auch für das Präsidialsystem dieselbe Unterstützung."
Die Krise zwischen der von Deutschland geführten EU sowie Deutschland selbst auf der einen Seite und dem türkischen Regime auf der anderen ist eine Show, um die demokratischen Rechte der Werktätigen auf beiden Seiten abzubauen. Kaum einer glaubt ernsthaft, dass die "Auftrittsverbote" für türkische Regierungspolitiker in der BRD eine Schwächung der antidemokratischen Vorhaben der AKP bewirken. Vielmehr dienen diese einkalkulierten "Verbote" zur Mobilisierung nationalistischer Stimmen für das AKP-Vorhaben. In der BRD sollen sie den Unmut der Bevölkerung gegenüber dem Kurs der deutschen Regierung auf die schutz- und rechtlose türkische Minderheit projizieren. Deutschtürken stehen unter dem Zwang, sich zum Verhalten der Regierung eines anderen Landes positionieren zu müssen; unabhängig davon, ob sie eine Verbindung zur Heimat ihrer Vorfahren haben. In der BRD betrifft dies rund drei Millionen Menschen, die vom Auswärtigen Amt als "türkischstämmig" klassifiziert werden. Ob sie deutsche Staatsbürger und eventuell auch hier geboren sind, spielt dabei für die Bundesregierung überhaupt keine Rolle. Es gibt also höher- und geringerwertige Arten des deutschen Passes - schon jetzt.
Diese Show wird von deutscher Seite - bei allem zu Tage tretenden "demokratischen" Moralismus gegenüber der autoritären Türkei - zudem mit Angriffen auf die Gegner des AKP-Regimes begleitet: Durch Verschärfung der Angriffe auf die kurdischen politischen Kräfte und die Ausweitung des PKK-Verbotes in Deutschland auf die syrische PYD und die Frauenkampfverbände der YPG, die eine erhebliche Last im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) tragen. Der unter deutscher Regie zustande gekommene sogenannte Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei steht genauso wenig zur Disposition wie die Militärkooperation – selbst dann, wenn moderne deutsche Panzer vom Typ "Leopard" in Hände des IS "fallen". Die Türkei selbst ist und bleibt Mitglied der NATO. Keine Rede ist mehr davon, dass die neuen Gegner des Militärpaktes, die islamistischen Rebellen in Syrien, insbesondere durch die Türkei aufgebaut und finanziert wurden. Selbst das deutsche Innenministerium hatte den Staat Erdogans als Schuldigen bei der Unterstützung islamistischer Terroristen benannt ("Aktionsplattform für Islamisten"). An diesen Verbündeten werden auch weiterhin Waffen geliefert, die letztlich bei Islamisten landen – und gegen Kurden, Syrer und Türken eingesetzt werden.
In dieser Hinsicht leiden also die deutsch-türkischen Beziehungen keineswegs, da sie im Interesse des imperialistischen Deutschland in seinem Streben nach der Weltmacht liegen. Die türkische Bourgeoisie um die AKP nützt dieser nur scheinbare deutsch-türkische Streit. Die deutsche Bourgeoisie benutzt ihn ebenfalls zum Abbau demokratischer Rechte der Werktätigen, gleichzeitig wird die in Deutschland lebende Arbeiterklasse rassistisch, religiös und kulturalistisch gespalten.
Das ganze Theater um die faktischen Auftrittsverbote für türkische Minister in Deutschland soll medial den "Unwillen" der in Deutschland lebende Türken, an der heiligen Integration der Migranten teilzunehmen, vermitteln. Es wird ein Bild von Muslimen oder Türken, die unfähig seien, sich "westlichen Werten" und bürgerlichen Freiheiten anzupassen, transportiert. Die Türken, so reden uns "Bild" und "FAZ" ein, neigten zu autoritären Vaterfiguren wie Erdogan. Doch der deutsche Imperialismus war es, der Erdogans Regime seit seiner ersten Regierungszeit unterstützt und geformt hat. Die AKP und die Türkei unter Erdogan galten mehr als zehn Jahre lang als eng befreundete religiös-konservative Partei wie als Aufnahmekandidat für die EU.
Der Kursschwenk folgt umso brutaler. Über das Vehikel der Religonskritik und die Agitation gegen vermeintliche Assimilationsverweigerer werden Millionen Werktätige isoliert. Dabei werden unsere Klassenbrüder und -schwestern mit türkischem und/oder muslimischem Hintergrund vom Rest der Klasse mehrheitlich fallen gelassen. Die jahrzehntelange Diskriminierung türkischer Proleten in Deutschland, auch die noch lange nicht verheilte (weil nicht aufgeklärte) NSU-Mordserie an mehrheitlich türkischen Mitbürgern sind schon wieder in Vergessenheit geraten. Nun kommen neue Vorwürfe gegen "die Türken" in diesem Land dazu.
Wir stehen in einer Reihe mit unseren türkischen Klassenbrüdern und -schwestern und sagen:
NEIN! Hayir zum antitürkischen und antimuslimischen Rassismus!
Hayir! Hayir zum bayerischen „Integrationsgesetz“ und zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft!
Hayir! Hayir zum PKK-Verbot und zu deutschen Waffenexporten in der Türkei! Deutschland ist Partner beim Massaker an der kurdischen Bevölkerung in der Türkei!
Hayir! Hayir zum Bundeswehreinsatz gegen Syrien von türkischem Boden aus!Wir rufen die demokratischen und fortschrittlichen Kräfte in Deutschland zur Unterstützung der demokratischen und Arbeiterbewegung der Türkei auf. Organisiert Räume für die Verfolgten und die progressiven türkischen Kräfte in Deutschland, für das uneingeschränkte Recht auf Asyl und für gleiche Rechte aller hier lebenden Menschen!
Kein Frieden mit unserem Hauptfeind, dem deutschen Imperialismus!