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BERLIN/RIAD - Saudi-Arabien nutzt zur Kriegführung im Jemen deutsche Waffen und zählt ungeachtet seiner mutmaßlichen dortigen Kriegsverbrechen weiter zu den Top-Empfängern deutscher Rüstungsgüter. Wie berichtet wird, setzt die saudische Luftwaffe bei ihren Luftangriffen im Jemen, von denen ein erheblicher Teil zivile Ziele trifft, auch Tornado- und Eurofighter-Kampfjets ein, die partiell in der Bundesrepublik hergestellt wurden. Zur Zeit wird zudem über den Verkauf weiterer 48 Eurofighter an Saudi-Arabien verhandelt. Riad hat sich auch Luna-Drohnen aus Deutschland liefern lassen, wie sie im Afghanistan-Krieg eingesetzt wurden; mindestens eine von ihnen ist im jemenitischen Kampfgebiet abgefangen worden. Darüber hinaus nutzen die saudischen Streitkräfte Munition aus deutscher Produktion; die südafrikanische Firmentochter des Düsseldorfer Rheinmetall-Konzerns arbeitet eng mit einer neuen saudischen Munitionsfabrik zusammen, die auch Fliegerbomben produziert. Schließlich erhält Saudi-Arabien deutsche Patrouillenboote, die etwa für Seeblockaden genutzt werden können; mit einer solchen Seeblockade hat Riad den Jemen in eine gravierende Hungersnot getrieben, die unter anderem 1,5 Millionen unterernährte Kinder hervorgebracht hat. UN-Organisationen laufen Sturm.

Kampfjets für Saudi-Arabien

Saudi-Arabien wird voraussichtlich eine neue Lieferung Eurofighter erhalten. Dies berichten britische Medien. Demnach verhandelt Riad, das bereits im Jahr 2006 72 Stück des partiell in Deutschland produzierten Kampfjets bestellt und einen guten Teil davon inzwischen erhalten hat, zur Zeit über den Kauf von 48 weiteren Exemplaren. Das Geschäft wird über Großbritannien abgewickelt, das ebenfalls an der Eurofighter-Herstellung beteiligt ist und schon Mitte der 1980er Jahre den Verkauf der ebenfalls in der Bundesrepublik koproduzierten Tornado-Jets an Saudi-Arabien organisierte. Dem Eurofighter-Konsortium mit Sitz in Hallbergmoos bei München gelten die Verhandlungen als hochwillkommen. Da aktuell die Aufträge auslaufen, müsste nach heutigem Stand womöglich in zwei der vier Konsortialstaaten, in Deutschland und Spanien, bereits 2018 die Produktion eingestellt werden. Einzelne Zulieferer werden schon in diesem Jahr ihren Auftragsbestand für den Eurofighter abgearbeitet haben.1 Lange Zeit hatte das Konsortium sich Hoffnungen auf einen Großauftrag aus Indien gemacht; New Delhi hat sich jedoch für die französische Konkurrenz entschieden und wird Rafale-Kampfjets kaufen. Der zur Zeit diskutierte Auftrag aus Saudi-Arabien wäre ein erster Ersatz.

Zivile Todesopfer

Die Verhandlungen über neue Lieferungen sind auch deswegen von Interesse, weil die teils schon vor Jahren an Saudi-Arabien ausgelieferten Eurofighter - ebenso wie die Tornados - von den saudischen Streitkräften nicht nur im Krieg gegen den "Islamischen Staat", sondern auch für Luftangriffe im Jemen genutzt werden. Mehr als jedes dritte der dortigen Bombardements trifft zivile Ziele; mittlerweile sind dabei über 2.400 Zivilpersonen getötet worden. Zuletzt sorgte der saudische Luftangriff auf eine Trauergesellschaft mit mehr als 140 Todesopfern für Empörung.2 Die saudische Luftwaffe hat mehrmals gemeinsame Manöver mit der Bundeswehr abgehalten; dabei wurden komplexe multinationale Einsätze und der Aufbau und Betrieb eines Hauptquartiers für multinationale Operationen trainiert (german-foreign-policy.com berichtete3). Ob im Jemen auch die drei Tankflugzeuge des Modells Airbus A330 MRTT (Multi-Role Tanker Transport) eingesetzt werden, an deren Produktion deutsche Unternehmen beteiligt waren, ist nicht bekannt.

Schulung durch die Bundeswehr

Dokumentiert ist hingegen neben dem Einsatz der Tornados und der Eurofighter auch der Einsatz der in Deutschland produzierten Drohne Luna im Jemen. Bereits im April 2015 konnten Mitglieder der jemenitischen Huthi-Rebellenbewegung, gegen die sich Riads Krieg richtet, ein solches Fluggerät abfangen. Den Vertrag zur Lieferung von zehn Luna-Drohnen hatte die Firma EMT aus dem oberbayerischen Penzberg im Dezember 2010 geschlossen - in Verbindung mit einer Zusage des Bundesverteidigungsministeriums, Soldaten zur Ausbildung saudischer Militärs im Gebrauch der Drohne nach Saudi-Arabien zu entsenden. Tatsächlich reisten im Januar 2011 drei Soldaten der Bundeswehr in die Golfdiktatur, um dort etwa 20 saudische Kollegen rund neun Wochen lang zu schulen. Die "taktischen Missionsflüge", die Teil des Ausbildungsprogramms waren, wurden laut Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums "im grenznahen Bereich zum Jemen" durchgeführt - eine Tatsache, aus der das Ministerium ableitete, das Gerät werde "zu Aufklärungszwecken im Rahmen der Grenzsicherung" genutzt.4 Dass eine Luna-Drohne im April 2015 in der Provinz Saada abgefangen wurde, die damals von der saudischen Luftwaffe besonders massiv bombardiert wurde (german-foreign-policy.com berichtete5), belegt ihre Nutzung zu Aufklärungszwecken auch im Krieg.

1.000-Pfund-Bomben

Auch Munition, die die saudischen Streitkräfte im Jemen-Krieg verschießen, stammt aus deutscher Produktion oder zumindest aus Fabriken, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind. So hat schon im Mai 2015 ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem von Riad bombardierten Gebiet eine nicht zur Explosion gelangte 1.000-Pfund-Bombe gefunden, deren Code, wie berichtet wird, "auf die Munitionsfabrik der italienischen Rheinmetall-Tochter RWM Italia auf Sardinien" hinwies.6 RWM Italia und Rheinmetall Italia führten in den Jahren 2014 und 2015 Rüstungsgüter im Wert von 71,5 Millionen Euro nach Saudi-Arabien aus. Darüber hinaus ist der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern über die südafrikanische Rheinmetall Denel Munition (RDM) in den Bau einer Munitionsfabrik in Al Kharj südöstlich von Riad eingebunden gewesen. RDM arbeitet dem Werk, das offiziell von der staatlichen saudischen Military Industries Corporation betrieben wird, auch weiterhin zu, laut eigenen Angaben als Zulieferer. In der Fabrik, die Ende März 2016 offiziell eingeweiht wurde, werden Artilleriegeschosse sowie Fliegerbomben mit einem Gewicht von 500 bis 2.000 Pfund hergestellt, wie sie auch im Jemen-Krieg eingesetzt werden.7

Seeblockade mit Folgen

Aus Deutschland beliefert wird schließlich auch die saudische Marine. Ende Mai ist das erste von insgesamt 48 für Riad bestimmten Patrouillenbooten in der Wolgaster Peene-Werft der Bremer Lürssen-Gruppe fertiggestellt worden und zur Endausrüstung in den werfteigenen Hafen überstellt worden. Anfang Juli wurde dann bekannt, dass die Bundesregierung die Lieferung der Boote genehmigt hat. Die Patrouillenboote sind unter anderem zum Schutz von Offshore-Anlagen sowie zur Eindämmung von Piraterie und Schmuggel geeignet; sie können damit auch zur Realisierung einer Seeblockade genutzt werden. Eine solche Seeblockade hat Riad schon im März 2015 gegen den Jemen verhängt - mit fatalen Folgen: Das Land, das rund 80 Prozent seiner Lebensmittel importieren muss, leidet unter gravierendem Nahrungsmangel; von seinen gut 26 Millionen Einwohnern haben 14,4 Millionen nicht genügend zu essen, 7,6 Millionen sind von schwerstem Mangel betroffen. 1,5 Millionen Kinder sind unterernährt, 370.000 von ihnen in höchstem Maß.8

Unter den Top Ten

Ungeachtet seiner mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Jemen und seiner völkerrechtswidrigen Seeblockade ist Saudi-Arabien im Jahr 2015 der siebtgrößte Abnehmer deutscher Rüstungsgüter überhaupt gewesen. In der Bundesrepublik kaufte es unter anderem Teile für gepanzerte Fahrzeuge und Lkws, Zieldarstellungsdrohnen mit diversem Zubehör, Luftbetankungsausrüstung sowie Munition unter anderem für Handfeuerwaffen, Mörser und Haubitzen ein. Auch im ersten Halbjahr 2016 zählte es laut Angaben der Bundesregierung zu den zehn größten Empfängerstaaten deutschen Kriegsgeräts. Als Berlin die entsprechenden Liefergenehmigungen erteilte, waren die gravierenden Vorwürfe wegen mutmaßlicher saudischer Kriegsverbrechen im Jemen längst bekannt.

Anmerkungen:
1 Gerhard Hegmann: Eurofighter droht vorzeitiges Produktionsende. www.welt.de 03.10.2016.
2 S. dazu Ignorierte Kriege (I).
3 S. dazu Deutsch-arabische Manöver und Mit Diktatoren in den Krieg.
4 Deutscher Bundestag. Stenografischer Bericht. 164. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2012. Plenarprotokoll 17/164.
5 S. dazu Ignorierte Kriege (I).
6 Hans-Martin Tillack, Luisa Brandl: Rheinmetall ist Zulieferer für Munitionsfabrik in Saudi-Arabien. www.stern.de 18.05.2016.
7 Saudi Arabia opens munitions factory built by Rheinmetall Denel Munition. www.defenceweb.co.za 04.04.2016.
8 S. dazu Ignorierte Kriege (I).


 
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