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II. Etappe 1918-1933: Rüstung zur Revanche

Der Wiederaufstieg des Geschlagenen


Der Erste Weltkrieg wird in den Geschichtsbüchern gerne als Folge des Attentats auf das österreichische Thronfolgerpaar durch einen serbischen Nationalisten dargestellt. Da Deutschland im Bündnis mit der Habsburger Monarchie (Österreich-Ungarn) stand, sei es verpflichtet gewesen, an dessen Seite in den Krieg zu ziehen. Das Wort von der „Nibelungen-Treue“ geistert bis heute durch die Medien, gerne greifen sie den Begriff auf, wenn es um die Einschätzung deutschen Bündnisverhaltens geht (seien sie historisch oder aktuell, z.B. die Beteiligung an Kriegen wie den Golfkriegen etc.). Und just zum hundertsten Jahrestag des Ersten Weltkriegs wird ein Buch hochgejubelt, das angeblich die deutsche Unschuld am Krieg nachweist.

[file-ebooks#123]Tatsächlich wollte das Deutsche Reich den Krieg. Bereits 1905 standen im preußischen Generalstab unter Generalfeldmarschall Graf Schlieffen die Kriegspläne fest: Noch in einem deutschen Geschichtsbuch von 1973 (!) als „Kriegsplan von herrlicher Kühnheit“ gepriesen, sah der sog. Schlieffen-Plan vor, zunächst das neutrale, von internationalen Verträgen geschützte Belgien zu überfallen und anschließend durch einen Zangengriff vom Norden her Frankreich einzunehmen. Nach sechs Wochen sollte dann gegen Russland marschiert werden, von dem man annahm, dass es durch einen Angriff gegen Österreich-Ungarn gebunden sein würde. Man ging davon aus, England bliebe neutral und würde ruhig zusehen, wie die junge deutsche Großmacht den europäischen Kontinent aufmischt.

„Das Deutsche Reich mußte in einem ihm besonders günstig erscheinenden Augenblick seinen beiden möglichen Hauptgegnern, Frankreich und Rußland, zuvorkommen. Deutschland durfte sich nicht auf einen gleichzeitig gegen beide Mächte geführten Kampf einlassen, sondern sie einzeln und nacheinander schlagen. Das Reich mußte seine Anfangsüberlegenheit voll ausnutzen, die vor allem darin bestand, daß es höher gerüstet war als Frankreich oder Rußland für sich genommen und daß das deutsche Feldheer schneller kriegsbereit gemacht und eingesetzt werden konnte als die Armeen seiner Gegner …“ (Bernt Engelmann, „Wir Untertanen“, 1981, S. 324)
Heute wissen wir, dass der Plan gänzlich in die Hose ging. Die mächtige Seemacht England griff ein, als sie deutsche Truppen und Panzer in Richtung Ärmelkanal auf sich zurollen sah und schloss sich mit Frankreich und Russland in der „Entente“ (deutsch: Übereinkunft) zusammen. Zur Entente hatten sich Frankreich und England 1904 vertraglich verbündet, 1907 kam Rußland dazu (sog. Triple-Entente). Seit Kriegsbeginn kämpften Serbien und Belgien an der Seite der Entente-Staaten. Später schlossen sich weitere Staaten diesem Bündnis an. Italien wechselte mit seinem Kriegseintritt 1915 zur Entente, und zwar vom - 1882 geschlossenen - Dreibund mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn. Des Weiteren schlossen sich an: Rumänien 1916, Portugal 1916 und Griechenland 1917. Nach der Kriegserklärung der USA an Deutschland am 6. April 1917 und einige Monate später an Österreich-Ungarn war der militärische Zusammenbruch der sog. Mittelmächte (Deutschland und Österreich-Ungarn) nur noch eine Frage der Zeit.

Der Erste Weltkrieg war ein Krieg um die Neuaufteilung der Welt, bei dem Deutschland als zu spät gekommene Großmacht die Welt zu ihren Gunsten neu verteilt haben wollte, während die etablierten Mächte England und Frankreich ihre Handels- und Kolonialmacht gegen den Nachwuchsräuber verteidigen mussten.

Insofern hatten „alle ein Interesse am Weltkrieg“, wie scheinbar salomonisch (d.h. alle Seiten abwägend) im heutigen Geschichtsunterreicht gerne geurteilt wird. Die Feststellung, so richtig sie sein mag, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass das Deutsche Reich einen größenwahnsinnigen Angriffskrieg geplant und durchgeführt hat und dass es diesen Krieg verloren und dafür auch die Konsequenzen zu tragen hatte.

Deutschland wird Republik

Der Weltkrieg wurde nicht nur durch die hoffnungslose militärische Niederlage unvermeidlich beendet, sondern nach Waffenstillstandsgesuchen der deutschen Obersten Heeresleitung durch die Novemberrevolution 1918 besiegelt: Ende August 1918 berieten führende Industriechefs, der Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie, Albert Ballin, und der Großindustrielle Hugo Stinnes die nächsten Schritte zur Erreichung eines Friedens. Damit einverstanden war der Chef der Obersten Heeresleitung, General Ludendorff, der den Leiter des Chemie-Trusts Carl Duisberg und den Kanonenkönig Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hinzuzog. Dabei kam man überein, dass eine gewisse Demokratisierung, die auch das Vertrauen der Sozialdemokratie genieße, zur Begünstigung von Friedensverhandlungen nötig sei.

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Der Krieg hatte die Völker ausgehungert, die Soldaten an den Fronten waren unterernährt und kriegsmüde. Die ersten Revolutionen fanden im Februar und Oktober 1917 in Russland statt: Friede und Brot konnten schließlich nur die Bolschewiki bieten, denn sie versprachen nicht nur die Beendigung des Krieges und die Neuaufteilung von Grund und Boden, sie taten es auch – gegen den erbitterten Widerstand des Zarentums und der sich mit ihm verbündenden 14 Interventionsmächte, die in Russland einmarschierten – kaum dass die Waffen, die sie gerade noch gegeneinander jahrelang erhoben hatten, schwiegen.
Im Deutschen Reich folgten die Arbeiter und Soldaten dem russischen Vorbild und errichteten in einer Lawine, die von den Nordseehäfen des Reichs bis zu den Alpen nach Bayern rollte, Arbeiter- und Soldatenräte. Deren blutige Niederschlagung erfolgte durch das Bündnis der Industrie und der Großgrundbesitzer mit der Sozialdemokratie.

Die SPD hatte um die Jahrhundertwende eine Wandlung durchgemacht: Der Sturz der kapitalistischen Eigentumsordnung stand nicht länger im Mittelpunkt, sondern vielmehr die „sozialistische“ Unterminierung der Gesellschaft. Durch alternative Eigentumsformen wie Genossenschaften und zunehmende Beteiligung an Parlament und Regierung hoffte die in Gewerkschaften und Partei organisierte Sozialdemokratie, die Gesellschaft durch Reformen kontinuierlich hin zu einer sozialistischen Gesellschaft zu verändern. Dadurch wurde die Bourgeoisie vom Feind zum anerkannten Wettbewerber um die politische Macht – und schließlich sogar zum Verbündeten im Krieg, denn es galt den Sozialdemokraten, das „Vaterland zu verteidigen“ und damit zu beweisen, dass der Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ auf sie nicht zutraf. Sie stimmte den Kriegskrediten zu und verhandelte bei großen Streiks immer wieder mit den Arbeitgebern zur Streikbeendigung. Parteichef Friedrich Ebert ließ sich am 9.11.1918 inmitten der Novemberrevolution zum Reichskanzler machen und ging am 10.11.1918 einen Pakt mit General Groener ein zur blutigen Zerschlagung der Revolution mit Hilfe von der Front zurückkehrender Reichswehrverbände und versprengter Freikorps-Soldaten.

Verhindert werden konnte somit die Revolution in Deutschland, nicht verhindert werden konnte jedoch, dass auch hier die Kronen von den Adelshäuptern fallen, allerdings – anders als in England und in Frankreich – die Köpfe darunter nicht gleich mit.
Deutschland hatte aufgehört, als Monarchie zu existieren. War es aber deshalb schon eine Demokratie? Die rechtliche Verfassung der Weimarer Republik , aus der Taufe gehoben am 11.8.1919, war formal demokratisch, im Sinne des Code Napoleon, der Gleichheit aller vor dem Gesetz (Art. 109), des Weiteren gab es Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, gleiches Wahlrecht (nun auch für Frauen!), Meinungsfreiheit etc. Allerdings konnte der Reichspräsident diese Rechte jederzeit und mit Waffengewalt außer Kraft setzen (Art. 48). Derselbe Reichspräsident konnte auch nach Art. 25 jederzeit den Reichstag auflösen und Neuwahlen erzwingen. Damit war die Republik bereits nach ihrem Rechtscharakter eine Demokratie auf Abruf.

Hinzu kamen die fehlenden Voraussetzungen für eine Demokratie in der deutschen Gesellschaft: Was 1948/49 in der bürgerlichen Revolution verpasst wurde, nämlich eine Bodenreform, die staatliche Neuaufteilung des Großgrundbesitzes, dazu die Beseitigung des Militarismus und die Säuberung des Staatsapparates von kaiserlichen Beamten, schließlich die für den Krieg verantwortlichen Adels- und Industrieherren zur Rechenschaft zu ziehen, blieb auch in der Weimarer Republik uneingelöst. Die Monarchie war gestürzt, die Monarchisten aber blieben in Amt und Würden, behielten Grundbesitz und militärische Macht; der Krieg war vorbei, die Kriegsverbrecher aber blieben unbehelligt.

Der Versailler Vertrag

Der Versailler Vertrag gilt gemeinhin als „Diktat der Siegermächte“ des Ersten Weltkriegs, als „Raubfrieden“ o.ä. Tatsächlich gingen die Entente-Mächte mit der deutschen Niederlage nicht gerade zimperlich um: Das Deutsche Reich wurde territorial verkleinert, zunächst um sämtliche Kolonien; des weiteren ging Elsaß-Lothringen an Frankreich zurück, von dem es im deutsch-französischen Krieg 1870/71 genommen und dem Deutschen Reich zugeschlagen worden war; Polen bekam einen Großteil seiner Gebiete (Posen und große Teile von Westpreußen) zurück, die Preußen bei den sog. polnischen Teilungen in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts eingeheimst hatte; dadurch wurde Ostpreußen vom deutschen Territorium abgetrennt, Danzig eine von Deutschland unabhängige Stadt (siehe Karte II.1). Das Saarland mit seinen Kohlegruben ging für 15 Jahre an Frankreich und hatte die Option, mittels Volksabstimmung an das Deutsche Reich wieder angegliedert zu werden. Die linksrheinischen Gebiete wurden von alliierten Truppen besetzt und sollten in drei Etappen bis 1935 wieder geräumt werden. Schließlich wurden hohe Reparationszahlungen gefordert, außerdem die Lieferung von Kohle und Koks an Frankreich zur Verhüttung der französischen Eisenerze.

England strebte vor allem danach, Deutschland als Konkurrenten in der Seefahrt und auf dem Weltmarkt auszuschalten und sich die deutschen Kolonien anzueignen. Wenn außerdem England Reparationszahlungen forderte, so war es doch nicht an einer allzu weitgehenden Schwächung Deutschlands interessiert, sondern brauchte Deutschland als Gegengewicht gegen französische Vorherrschaftsbestrebungen auf dem europäischen Festland und als zahlungskräftigen Abnehmer englischer Waren. Die neue Weltmacht USA suchte besonders ihre finanzielle Stärke durch die Ausnutzung ihrer Kreditgeberstellung gegenüber den Entente-Mächten auszuspielen und zu festigen (England und Frankreich, finanziell durch den Krieg erschöpft, mussten sich für den Wiederaufbau ihrer Länder viel Geld von den USA leihen). Für die USA war Deutschland ein wichtiges Investitionsfeld - in die 1920er Jahre fiel die Opel-Übernahme von General Motors sowie die Investitionen von Ford und die Übernahme von Bankenanteilen der Morgan-Bank in Deutschland -, aber vor allem auch ein Gegengewicht gegen England und Frankreich in Europa und der Stoßkeil gegen die junge Sowjetunion.

Es hatten also alle Siegermächte ihr eigenes Interesse an und gegenüber Deutschland. Aber nur Frankreich wollte seinen „Erbfeind“ nachhaltig geschwächt sehen.

Vergleicht man hingegen die ursprünglichen Kriegsziele Deutschlands mit dem Versailler Ergebnis, so fiel dies alles in allem doch recht glimpflich aus – trotz des wütenden Geschreis von Adel und Industrie und ihrer medialen Lohnschreiber, das bis heute nicht verstummt ist. Man sehe sich zunächst die deutschen Kriegsziele an:
Man wollte sich Luxemburg einverleiben, die Provinz Lüttich (Belgien) und das französische Erzrevier von Longwy und Briey, Westbelgien als „Vasallenstaat“ in das deutsche Wirtschaftsgebiet eingliedern sowie Stützpunkte an der belgischen und französischen Kanalküste militärisch besetzen. Besonders reaktionäre Kreise um den Alldeutschen Verband wollten ganz Belgien und Frankreich im Norden und Osten bis zur Höhe von Belfort, Charleville, Amiens und Dieppe haben und den Rest von Frankreich tributpflichtig machen. Im Osten wollte man aber so richtig loslegen: ganz Russisch-Polen (also den Teil der Beute, den Ende des 18. Jahrhunderts bei den polnischen Teilungen Katharina die Große erhalten hatte), Litauen, Kurland (heute zu Lettland gehörend), die Ukraine, die Krim – und als Vasallenstaaten Livland (heute teilweise Lettland und teilweise Estland), Estland und Finnland, Bessarabien (heute: Moldawien), das russische Kuban-Gebiet, Georgien, Armenien und Aserbeidschan bis zum Kaspischen Meer, außerdem Weißrußland, das Donezbecken und die östlichen Gebiete bis nahe an die Wolga (heute: Russland).

Bei den überseeischen Kolonien wollte man auch heftig zulegen: Zu Deutschafrika sollte der Senegal, Guinea, Obervolta (heute: Burkina Faso), Dahomey, Nigeria, die Elfenbeinküste, Französisch-Äquatorialafrika, Belgisch-Kongo (heute: Demokratische Republik Kongo), Uganda, Kenia, Katanga (heute zur DR Kongo gehörig), Nordrhodesien (heute: Sambia), Angola und Nord-Mosambik gehören, dazu noch die Azoren, Madeira, die Kanarischen und Kapverdischen Inseln, Sansibar, die Komoren und Madagaskar – Kolonien, die damals hauptsächlich Frankreich (Westafrika), aber auch England (Nigeria, Uganda, Kenia, Nordrhodesien), Belgien (DR Kongo) und Portugal (Azoren, Kapverden, Angola und Mosambik) gehörten.

Statt dessen verlor das Deutsche Reich in Afrika Kamerun, Togo, Deutschsüdwest (Namibia) und Deutschsüdost (Tansania und Ruanda-Urundi, heute: Ruanda und Burundi) sowie Kiautschou in China, Deutsch-Neuguinea (heute: Papua-Neuguinea) und eine Reihe von Miniinseln im Pazifik, auf die Bismarck einst die kaiserliche Fahne gesteckt hatte. Diesen Verlust beschreibt Bernt Engelmann so konkret wie drastisch: „Ein paar steinreiche Aristokraten, Großindustrielle, Bankiers, Reeder und Schnapsgroßhändler verloren - gegen angemessene Entschädigung aus der Reichskasse, versteht sich – ihre auf Kosten der Masse der Steuerzahler jahrzehntelang ausgebeuteten Monopole; ein paar hundert Kolonialbeamte mußten ihr afrikanisches Herrenleben mit einem erheblich bescheideneren Dasein in der Deutschen Provinz vertauschen, und einige tausend rauschebärtige Oberlehrer und Biertisch-Strategen betrauerten das Ende germanischer Weltherrschaft.“ (Engelmann, „Einig gegen Recht und Freiheit“, 1981, S. 49).

Die Rüstungsbeschränkungen Deutschlands nach dem Versailler Vertrag waren allerdings empfindlich. Schließlich wollten Deutschlands Nachbarn so bald nicht wieder überfallen werden:
- Reduzierung der Armee auf 100.000 Mann bei Abschaffung der Wehrpflicht;
- Verbot schwerer Waffen, keine Panzer, keine Flugzeuge, keine Schlachtschiffe oder U-Boote;
- Reduzierung der Kriegsmarine auf den Küstenschutz.
Last not least beliefen sich die Reparationsforderungen auf 270 Milliarden Goldmark, zahlbar in halbjährlichen Raten bis 1963. Allerdings ließen sich schon bald die Siegermächte immer weiter herunter handeln, bis sie schließlich 1924-31 nicht mehr erhielten, als sie ihrerseits Deutschland in derselben Zeit geborgt hatten.

Die Republik bereitet die Revanche vor

Die Herrschenden in der Weimarer Republik hatten vor allem ein Ziel: die Ergebnisse von Versailles zu revidieren und Deutschland wieder weltmachtfähig zu machen. Die Industrieherren hatten im Bündnis mit den Grundbesitzern ihre Macht behauptet. Aber die reaktionärsten Vertreter sahen sich gezwungen, in den Hintergrund zu treten. An die Stelle der halbabsolutistischen Monarchie, in der das Parlament praktisch nur die Funktion des Abnickens der vom Reichskanzler mit dem Kaiser ausgehandelten Beschlüsse - vor allem in den zentralen Bereichen Militär und Finanzen - hatte, war die Republik getreten, allerdings mit einem nach wie vor kaiserlichen Beamtenapparat, Richtern und Staatsanwälten. Schriftsteller wie Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und Heinrich Mann schrieben unermüdlich gegen den undemokratischen Geist in Deutschlands Institutionen an.
Industrie, Banken und Adel, die die Ergebnisse des Weltkriegs so schnell wie möglich wieder rückgängig machen wollten, fanden in ihnen allerdings eine verlässliche Stütze ihres Revanchefeldzugs.

Dabei gab es unterschiedliche Auffassungen über die Strategie und Taktik der Revanche. Ein Teil der deutschen Industrie sah in der bürgerlich-parlamentarischen Republik und in der Zusammenarbeit mit der Führung der Sozialdemokratie die geeignetste Form der Machtausübung. Hinter ihr stand vor allem die Elektro- und Chemieindustrie. Vertreter der rheinisch-westfälischen Kohle-, Eisen- und Stahlmonopole (Schwerindustrie) waren ebenso wie die ostelbischen Grundbesitzer und die führenden Militärs grundsätzlich Gegner der Demokratie. Sie strebten eine Regierung ohne Beteiligung der Sozialdemokratie an und lehnten eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsführern ab. Angesichts des im Frühjahr und im Sommer 1919 herrschenden Kräfteverhältnisses stellten sie jedoch notgedrungen ihre Forderungen zunächst zurück.
Danach richtete sich auch der im Frühjahr 1919 neugegründete Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI), zu dem sich der Zentralverband deutscher Industrieller und der Bund der Industriellen zusammengeschlossen hatten. Ähnlich schlossen sich auch die landwirtschaftlichen Organisationen, die unter der Führung der Großgrundbesitzer standen, zusammen. Es entstanden militaristische Organisationen wie der Stahlhelm, der Werwolf und der Jungdeutsche Orden. Zum großen Teil gingen sie aus den immer noch bewaffneten Truppenverbändern hervor und standen mit der Reichswehr in Verbindung. Sie waren Kampforgane gegen die Arbeiterorganisationen und alle demokratischen Kräfte und zugleich ein Reservoir für die Reichswehr. Finanziert wurden sie besonders von der Schwerindustrie und von Großgrundbesitzern – den größten Gegnern der Republik. Auch der offen chauvinistische Alldeutsche Verband konnte seine Tätigkeit wieder aufnehmen.

Die Mittelschichten sahen ihre schlechte Lage in erster Linie als Folge der Kriegsniederlage und nicht als Ergebnis der deutschen Kriegsschuld an. Noch größer als in der Stadt war der Einfluss der Reaktion auf dem Lande, obgleich sich auch hier eine gewisse Veränderung abzuzeichnen begann, besonders dort, wo – wie in Mitteldeutschland – Kleinbauern und Industriearbeiter eng zusammenlebten. Während der Novemberrevolution und danach hatten Kleinbauern und Siedler in einigen Gebieten Forderungen nach Grund und Boden erhoben. Die Landarbeiter begannen, sich in großer Zahl gewerkschaftlich zu organisieren. Jedoch verstanden es die Großgrundbesitzer, den Klein- und Mittelbauern vorzugaukeln, die Landbevölkerung habe mit ihnen mehr gemeinsame Interessen gegenüber der Stadt als mit den städtischen Arbeitern. Sie nutzten dabei berechnend den Hass der Bauern auf die bürokratische Zwangswirtschaft der Kriegsjahre aus und forderten im Interesse der Großagrarier und auf Kosten der Arbeiter in den Städten – und schließlich auch auf Kosten der schwächeren landwirtschaftlichen Betriebe – die Beseitigung aller preisbindenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Lage auf dem Lande wurde auch dadurch beeinflusst, dass sich hier die Kriegsfolgen, vor allem der Hunger, weniger bemerkbar machten, obgleich die Klein- und Mittelbauern unter den hohen Preisen für Düngemittel und landwirtschaftliche Maschinen und Geräte zu leiden hatten und die Steuergesetze den Großgrundbesitz begünstigten. Insgesamt besaßen die nationalistischen und in den katholischen Gebieten die klerikalen (kirchlichen) Parteien und Organisationen auf dem Lande starken Anhang.


...Ausschnitt aus dem Buch "Heute Europa, morgen die Welt", edition ost, 2014.

 
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