Die Medienbranche stiftet sich gerne selber Preise: es gibt die "Grimme-Awards", Designpreise, die "Babelsberger Medienpreise", Werbepreise, den "Medienpreis der Kindernotstiftung", und so weiter.
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Titelbild 46/2005 |
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Einer fehlt noch: der Ehrenpreis für den "dümmsten SPIEGEL-Titel des Jahres". Und ich habe auch gleich einen ganz heißen Kandidaten zur Hand: Ausgabe 46/2005, "
Die Erben von Gandhi und Guevara - Europas friedliche Revolutionäre".
Ãœber den (nicht vorhandenen) Sinngehalt dieses Titel mag ich mich gar nicht auslassen - wo
Gandhi "revolutionär" war oder der Revolutionär Guevara "friedlich", muss mir der leitende Redakteur mal in einem ausführlichen persönlichen Gespräch erklären. Wahrscheinlich finden sich die beiden Personen auf dem Titelbild auch nur, weil ihre Namen eine nette kleine Alliteration bilden.
Wirklich interessant wird der Artikel dann aber selbst: "
die Revolutions-GmBH" bringt in Osteuropa Autokraten und Diktatoren, wie zum Beispiel den demokratisch gewählten jugoslawischen Präsidenten Milosevic, "friedlich und ohne einen Tropfen Blutvergießen" zu Fall. Und vor's NATO-Gericht. Von "Tulpenrevolution" zu "orangener Revolution" hasten die jungen, der "
Gewaltfreiheit verschriebenen Aktivisten" durch's politisch unangenehme Osteuropa. Und räumen ein Regime nach dem anderen aus dem Weg: Jugoslawien. Georgien. Ukraine. "Sie sind der Alptraum der Diktatoren", und ihr neuestes Ziel wird Weißrußland sein: im nächsten Heft kommt "
Codewort: 'Wisent'", raunt der SPIEGEL; das Zentralorgan jugendlicher Umstürzler weit weg von Deutschland.
Klingt poppig, riecht nach Revolte, wilder Jugend und lustiger Demokratie zum Anfassen und Mitmachen. Und der SPIEGEL ist ganz vorn dabei, wenn "
die Kinder von Gandhi, Gates und Coca-Cola" wieder mal den Menschenrechten zum Triumphe verhelfen. Und danach nur noch Frieden ist: "
'Er ist fertig', flüstern die Menschen auf den Marktplätzen - und verlieren ihre Angst".
Demokratie und "Revolution" kann Spaß machen - vor allem, wenn sie rein zufällig genau die Regierungen, die dem Westen im Wege stehen beim großen Run auf Osteuropa, durch willfährige Regimes ersetzt. Von der CIA und dem Milliardär "und Revolutionsfreund" George Soros schreibt auch der SPIEGEL; von in Deutschlands Thinktanks - Stichwort "Gesellschaft für bedrohte Völker" - ausgebrüteten Theorien über "Volksgruppen" und "Menschenrechte schweigt er lieber.
Da ist es die freie Jugend, die unter den "Autokraten" leidet: "
sie können nicht ins Ausland reisen und keine Konzerte mit internationalen Popstars besuchen", also müssen sie halt Revolution machen. Und alles besser. Besser?!
Es ist wieder mal der SPIEGEL, diesmal in der
Online-Ausgabe, der just sechs Tage später ein zweites Mal über die "orangene Revolution" berichtet, die in der Printausgabe eine Woche vorher noch theatralisch und hymnisch besungen wurde: "
Die Orangen-Revolution verrottet", ließt man da:
Ganz Kiew trug Orange. Vor einem Jahr löste der Wahlbetrug des Kutschma-Regimes eine friedliche Revolution aus, an der Ende die Helden Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko als die neuen Hoffnungs- und Verantwortungsträger hervorgingen. [...] Es war eine Massenbewegung, die für eine demokratischere, freiere und gerechtere Gesellschaft demonstrierte.
Doch die euphorischen Zeiten sind vorbei. Der triste Alltag holte die Sehnsüchtigen und Hoffnungsfrohen ein.Die "Helden", vor einem guten Jahr noch unter anderem vom SPIEGEL in einer ekelhaft klebrigen PR-Kampagne zu Demokratie-Pop-Stars aufgebauscht und Adressaten schwülstiger Solidaritäts-Bekundungen im deutschen Bundestag, haben sich heillos verkracht; "das Volk", dass noch vor einem Jahr "Tag und Nacht bei Schneefall und klirrender Kälte ausharrte", mag die beiden nicht mehr.
Juschtschenko und Konsorten kamen durch massive deutsche Unterstützung an die Macht; ihr Programm forcierter Privatisierung rechtfertigte deutsche Hoffnungen auf eine reiche Dividende. Deutschlands Investitionen in der Ukraine, lediglich an vierter Stelle, mögen doch auf Platz Eins steigen, ließ der "Held" bei seinem Besuch in der BRD im März dieses Jahres wissen. Dieser Prozess ist nach wie vor im Gange; die Unterstützung der Bevölkerung kühlt freileich mehr und mehr ab. Warum bloß?!
Ganz ähnlich geht es den anderen von "jugendlichen Revolutionären auf den Spuren Gandhis und Guevaras" an die Macht gebrachten "Demokraten": Korruption, Selbstherrlichkeit, nationaler Ausverkauf und knallharter Neoliberalismus sind die Resultate der "friedlichen Revolutionen"; die einstigen Helden des Umsturzes entpuppen sich gegenüber den gestürzten "Autokraten" oftmals als viel schlimmer.
Den "Spiegel" freilich ficht das wenig an; das Blatt, das ich mir einst als bestes deutsches Satiremagazin abonnierte, hat längst eine unrühmliche Spitzenposition unter den verlogensten, heuchlerischsten neugroßdeutschen Propagandamultiplikatoren ergattert.
Die Tricks der aggressiven Mittelmacht BRD sind vielfältig, wenn es um Interessensphären geht: Separationismus, Atomisierung irgendwelcher "Volksgruppen", penetrante Einforderung selbstdefinierter allgemeingültiger "Menschenrechte", Unterstützung "demokratischer" Oppositionsparteien. Wo militärische Macht (noch) fehlt, wird mit Finten und "sanften" Methoden operiert. Friedlicher sind sie deswegen nicht: schon Anfang der 90er Jahre ließ sich erkennen, wohin deutsche Separatanerkennung abtrünniger "Völker" führen kann. Im ehemaligen Jugoslawien im Extremfall in zehn Jahre Bürgerkrieg. Ironie der Geschichte: es ist dann unter anderem die deutsche Armee, die dort ein "Friedensmandat" erhält - und zunächst die D-Mark, dann der Euro als offizielle Währung einführen darf.
Keine der vom "Spiegel" so hochgejubelten "Revolutionen" hat auch nur einem der betroffenen Länder wenigstens ein Stückchen mehr Wohlstand oder gar "Demokratie" gebracht. Gemein haben sie dennoch alle etwas: es war in jedem Fall der russische Einfluß, der zugunstens US-amerikanischer und deutscher Einmischung zurückgeschlagen wurde. In manchen Fällen ist Deutschland kaum bis wenig involviert; in anderen schmeisst die BRD das Ding beinahe alleine und die USA haben das Nachsehen.
Hauen und Stechen um Absatzmärkte, Rohstoffe und strategische Einflußsphären - das Nachsehen hat die "revolutionäre Jugend" und das "Volk, das wochenlang bei Tag und Nacht in Eiseskälte" ausharrt. Und dann gibt es genau zwei Möglichkeiten, wie die Geschichte weitergehen kann:
- entweder bleibt der neue "demokratische Held" bei seinem bedingungslos deutsch- bzw. us-freundlichen Kurs eiskalter Privatisierung und nationalen Ausverkaufs und pfeift auf die Unterstützung der Bevölkerung. Er kann sich in diesem Falle zumindest der weiteren Sympathie solcher Blätter wie dem "Spiegel" sicher sein, auch wenn die Zustimmungswerte sinken wie neuerdings in der Ukraine: nur noch 17 % der Bevölkerung bringt dort dem einstigen Strahlemann Juschtschenko Vertrauen entgegen;
- oder der soziale Unmut gegenüber den Ausverkäufern nimmt sosehr zu, dass der heutige "Held" umkippt und zu einem neuen "Autokraten" von morgen wird: genauso geschah es mit Milosevic, der zunächst tüchtig mithalf, Jugoslawien zu zersplittern und später dennoch der NATO trotzte, oder den Totengräbern der UdSSR wie dem Georgier Schewardnadse, der lange Jahre des Westens bester Freund war und plötzlich, als er zauderte und zögerte und Anlehnung an Russland suchte, zum "Diktator" wurde.
Dann wird es bald wieder Zeit für eine "Coca-Cola-Revolution". Wir alle können live dabei sein - im "Spiegel" natürlich; dem Zentralorgan der Demokraten, Aufständischen und Hobby-Gandhis.