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ein "aufgepepptes" Göttinger Ortsschild |
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Am 29.10.2005 - Ausnahmezustand in Göttingen. Die faschistische NPD mobilisiert zu einem Aufmarsch, antifaschistische Gegeninitiativen unter breiter Einbeziehung des bürgerlichen Lagers beteiligen sich an Gegenveranstaltungen.
Alle Versuche, die Nazidemo bereits im Vorfeld zu verhindern, scheiterten - maßgeblich an der Nachgiebigkeit der Stadt Göttingen unter dem CDU-Bürgermeister Danielowski, die auf eine Klage gegen die Nazidemo großzügig verzichteten. Am 29.10. kommen die Faschisten also und werden von einem riesigen Polizeiaufgebot vor mindestens 5000 Gegendemonstranten geschützt. Wie es im Verlauf der Demo weiter lief, berichten verschiedene Teilnehmer der Etappen der Demonstration.
Bericht 1:Hallo zusammen, wollte mal eine kleine Zusammenfassung aus meiner Sicht des heutigen Tages in Göttingen geben. Da auch einige ehemalige Göttinger mitlesen, füge ich ein paar Straßenangaben ein, die natürlich Ortsfremde nicht interessieren. Ich muss vorweg schicken, dass ich mit meiner Familie nur am sogenannten friedlichen Teil teilgenommen habe und den Rest aus anderen Quellen zusammengesucht habe. Aber dennoch, das NDR-Regionalfernsehen hat es gerade auch nochmal bestätigt: Insgesamt ein voller Erfolg !
Aber der Reihe nach:
Die nazis sind erst spät zu sehen (12-19 Uhr war angemeldet). maximal 300 nazis, 4000 bullen aus 9 Bundesländer (besonders eklig, die ihre wanne mit bayern-, und thürigenfahnen ausgekleidet hatten). und insgesamt bestimmt mindestens 4000 unterschiedliche Antifaschistinnen und antifaschisten.
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© by R. Neubauer |
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Große Bündnisdemo in der Göttinger Innenstadt |
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Gegen halb zwölf vereinigen sich die bis dahin zwei demos (eine vom DGB+vielen anderen gruppen und eine "autonome", die in der goetheallee schon ein paar stunden mehr oder weniger rumstand (autonom in anführungszeichen, weil so autonom wie vor jahren ist das ja klassischerweise auch nicht mehr). also einmal durch die innenstadt, gemeinsam und groß. Am ende der fußgängerzone (weender str., Gothaer Haus), teilt man sich dann, ein teil nach links zum DGB zur kundgebung (vielleicht 1500), der rest über den botanischen garten und seitenstrassen zum weender tor. Die nazis hatten ja eine route von 7 kilometern genehmigt bekommen, vorbei unter anderem am platz der bücherverbrennung usw., eine riesen-runde quer durchs ostviertel (was natürlich andererseits auch fast schon wieder etwas hat, wenn man überlegt, das sie letztes mal vor drei jahren durch die weststadt (Arbeiter- und ausländerviertel) wollten und so wenigstens die bürger und kleinbürger mal den anblick hätten erleben können. will damit eigentlich nur sagen, dass ich diese route der nazis nicht verstanden habe, hängt wohl immer noch mit dem ihrer ansicht nach status der "roten frontstadt" göttingens zusammen. gegen 12.00Uhr müssen sie also losgegangen sein und kamen eben vielleicht 400 meter bis zum weender tor. dort sitzblockade von 1.000 leuten, die immer wieder bedroht wird mit räumung, wasserwerfereinsatz usw. nun ist es mindestens schon 13.00 Uhr. während diese blockade die polizeikräfte offensichtlich komplett bindet, werden in kurzer zeit in humboldtallee und kreuzbergring (die nächsten straßen, durch die die nazis wollten), an insgesamt 6 stellen mindestens 30-50 mülleimer, biotonnen (viel trockenes laub zur zeit), altpapiercontainer, bauholz usw. angesteckt, offensichtlich wird niemand dabei verhaftet, die polizei erklärte jedenfalls, sie wäre davon total überrascht worden. hat wohl nicht wenig gequalmt.
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© by R. Neubauer |
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Bündnisdemo |
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so werden die nazis von ihrer ursprünglich geplanten route abgebracht über die weender landstrasse abgeführt. die polizei erklärt, dass die strecke nicht durchführbar ist und sie die nazis über die güterbahnhofstrasse zum schützenplatz bringen will. also insgessamt waren die da noch keinen kilometer gelaufen. an der kreuzung weender landstrasse/ Kreuzbergring standen die nazis dann wohl ewig, von polizei stark und dicht geschützt, viele antifas in der nähe, es fliegen flaschen, steine, eier, aus den häusern auch wasserbomben, scheiße (!) und was so rumliegt. die nazis fordern dann die polizei auf härter gegen die antifas vorzugehen und -zumindest im zeitlichen zusammenhang- tut sie das dann auch. es gibt so einige prügelorgien, aber dann beruhigt es sich wieder. die nazis lösen verärgert die demo "aus protest" auf und gehen dann aber über güterbahnhofstrasse, am idunazentrum (also eine kleine seitenstrasse) vorbei wieder zurück zur berliner strasse, wo sie vor zwei stunden herkamen und ab und zurück zum bahnhof nach hause !
Angesichts dessen, dass sie nur wenige hundert meter in göttingen bis zur umkehr geschafft haben und von 7 kilometer route nur 400 meter, kann man wohl sagen, dass der aufmarsch praktisch verhindert wurde. Auch wollte der aufällig reaktionäre CDU-Innenmister hier offensichtlich für göttingen ein zeichen setzen. Es gab keinerlei formale juristische versuche der Stadtverwaltung, hier irgendwie einzuschränken und statt dessen hatten sie diese riesenroute genehmigt. Das alles wurde durch den protest verhindert. Warum allerdings knapp 4.000 Bullen nicht mitkriegen, wenn auf der geplanten Demoroute 50 mülleimer angesteckt werden, bleibt etwas rätselhaft, es war aber so!
Bericht 2:
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© by secarts |
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eine brennende Barrikade |
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Nach einigen Unklarheiten im Vorfeld (insb. das zunächst am Bahnhof geplante und später verschobene "Frühstück gegen Rechts" betreffend) startete die Demo verspätet - am Bahnhof, und nicht am "Platz der Synagoge". Dort sollten die Faschisten sich am Bahnhofsvorplatz sammeln und auch mit ihrer Kundgebung starten; bis 12 tat sich allerdings nichts dergleichen. Anscheinend bereits in Hannover wurden sie am Bahnhof von starken antifaschistischen Kräften blockert und konnten erst eine Stunde später als geplant nach Göttingen einrücken.
Als die Nazis dort ankamen, hatte sich der große Gegendemonstartionszug bereits auf den Weg gemacht, und zwar in Richtung Süden. Eine kleinere Gruppe von ca. 500 Leuten ging nicht mit und blockierte stattdessen das Weender Tor, dort führte die Naziroute lang und sollte auch die erste Nazikundgebung stattfinden.
Aus dem großen Demonstrationszug lößten sich immer wieder kleinere Grüppchen, die nach dem umgehenden Gerücht der Blockierung des Weender Tores lieber dort teilnehmen wollten - von dieser Absetzbewegung sowie der Teilung der Demo war die Polizei augenscheinlich völlig überfordert. Das Weender Tor wurde geräumt, wobei die Polizei ihre "Deeskalationstaktik" mehr und mehr in den Hintergrund rücken ließ; die Nazis marschierten bis zum Weender Tor und hielten sich dort längere Zeit auf und brüllten durch ihre Lautsprecher.
Gleichzeitig gingen entlängs der weiter geplanten Route der Nazidemo in beinahe 50-Meter-Abständen mehr oder weniger große Barrikaden in Flammen auf - Polizei war dort keine zu sehen, anscheinend gab es massivste Konfusion unter den Freunden und Helfern. Stück für Stück arbeitete sich die Polizei dann gegen die nun immer heller und größer brennenden Barrikaden vor; da hinter diesen nicht einmal Zivilpolizisten oder Streifen unterwegs waren, hatten sie ganz eindeutig null Informationen über die Vorgänge hinter den brennenden Barrikaden und mussten zunächst mit Spähtrupps, die rollkommandoartig hinter die Barrikaden stürmten, die Lage klären. Ihnen folgten Feuerlöscher, Wasserwerfer und Hundertschaften. Das alles erfordert so seine Zeit - bei ca. 30 Barrikaden dauerte dies gehörig.
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© by secarts |
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brennende Barrikaden Kreuzbergring/Goslerstraße |
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Über den Stand und die Vorgänge in der Nazidemo war nur wenig mitzukriegen; irgendwann drang das Gerücht durch, die Nazis hätten endgültig ihre (nicht mehr zu sichernde, weil rechtsfreier Raum gewordene) Route verlassen.
Die Polizei versuchte nun mit sich steigernder Härte, die Barrikaden aus dem Weg zu räumen und drückte mit immer mehr Kräften vor - gleichzeitig versuchten die Antifaschisten, zu den vermuteten neuen Strecken der Nazidemo zu gelangen.
Die Nazis selbst hatten - ob auf eigene Bitte oder Drängen der überforderten Polizei, weiß ich nicht - ihre Demonstration unterdessen abgeblasen. Ein "geordneter Rückzug" setzte über den "Bartholomäus-Friedhof" und die Weender Landstraße, hinter dem Idunazentrum bis zum Bahnhof ein - um 16 Uhr waren die Faschisten wieder aus Göttingen verschwunden; die Jagd der Polizei auf Antifaschisten hielt noch einige Stunden an.
Das Ende vom Lied:
- Die Nazis kamen zu spät, schafften nur einige hundert Meter und haben wohl einen ganz anständigen Hagel aus den Fenstern der Anwohner abbekommen; der Gegendemonstration gelang es, die Faschisten wenn schon nicht im Vorfeld ganz zu hindern, so doch immerhin kurz nach Beginn ihrer Veranstaltung aus Göttingen zu vertreiben.
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© by secarts |
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die Polizei greift an |
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- ca. 230 Faschisten, ca. 4000 Polizeibeamte, über 5000 (so das "Göttinger Tageblatt"; andere Quellen sprechen von über 6000) Gegendemonstranten - die Zahlen sprechen für sich!
- Sichtlich überfordert waren die massiv vorhandenen Polizeikräfte, die wohl keine solche Gegenwehr mehr aus Göttingen erwartet hatten. Die Polizei hat Gebiete der Stadt, die bereits um 08.00 Uhr morgens völlig kontrolliert wurden, binnen weniger Stunden völlig geräumt, um sie später mühsam Barrikade für Barrikade zurückzuerkämpfen.
- die Polizei ging schnell von ihrer "Deeskalationsstrategie" ab, das Resultat des streckenweise brutalen Polizeieinsatzes mit Hundestaffeln, Wasserwerfern und Reizgas: über 60 Verletzte (davon laut Polizeiangaben 14 Beamte und 14 Unbeteiligte), 44 Verhaftungen (bis jetzt; die Rollkommandos sind noch unterwegs).
- und last, but not least: noch nach 19 Uhr soll es zur vollständigen "Entglasung" zweier faschistischer Burschenschaften in Göttingen (u.a. der "Holzminda") gekommen sein - als eine Art "after-Demo-Party"...
Bericht 3:
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© by secarts |
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und es brennt schon wieder... |
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Dann will auch ich mal meine Eindrücke und Gedanken zur NPD-Demo beschreiben. Erstmal ist die Demo auf alle Fälle als Erfolg zu werten, die Göttinger haben nicht nur den Faschos, sondern auch der Stadtregierung gezeigt auf welcher Seite das politische Allgemeininteresse steht, ganz in der göttinger Tradition. Dass die Demo überhaupt anlaufen konnte ist jedoch schon als Armutszeugnis zu werten; eine Stadtregierung, die so unverantwortlich entscheidet, und sei es noch so sehr "im Einklang mit dem Grundgesetz", gehört von einem Großteil der göttinger Bewohnerschaft aufs Stärkste kritisiert und am besten sofort des Amtes enthoben. Nun, es gab zumindest Klagen, diese verliefen wie zu erwarten im Sand; es wurden minimale Zugeständnisse gemacht und die Demo wurde auf eine sieben Kilometer langen Strecke durch Unigelände und Wohngebiete gelegt. Dass dies NICHT im Interesse der Bewohner war, hat Göttingen entsprechend gezeigt; brennende Barrikaden auf den Straßen, größere Sitzblockaden, Stürme auf die Einsatzfarhzeuge, ein gigantischer Menschenstrom mit provokativen Fahnen, Plakaten und sogar einem lautsprecherbewehrten Wagen symbolisierten die Unzufriedenheit. Und das mit Erfolg! Trotz eines enormen Polizeiaufgebotes musste die NPD zähneknirschend ihre Demo nach gerademal einer von Pfiffen und Buhrufen unhörbar gemachten Kundgebung und einer 800 Meter kurzen Kriecherei innerhalb des grünen Kessels der Staatsgewalt abbrechen; die Rechtsextremen zogen den Schwanz ein, verkrümelten sich zum Bahnhof und verschwanden dahin wo sie herkamen, die Niederlage jedem einzelnen schmachvoll ins Gesicht geschrieben.
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© by secarts |
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die Hundertschaften nahen |
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Die Polizei, selbst zahlreich doch meist ortsfremd, war der Situation organisatorisch nicht gewachsen; ihre Deeskalationsstrategie entpuppte sich als völlig an der Wirklichkeit vorbei. Die Polizei brauchte unendlich lange Herr der Lage zu werden; bis Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, von friedlichen Sitzblockaden behindert, die man grimmig zu Seite schubste und drängte, zur Stelle waren, sammelte sich ein großer Haufen Gegendemonstranten direkt an der "Front" der NPD-Kundgebung und zwangen diese zur Einsicht, dass weiterer Fortschritt auf der geplanten Route nur noch auf dem Papier gegeben war. Auch die Ausweichroute über die Weender war alles andere als ein Ausweg; es flogen Obst, Gemüse, Flaschen, Steine und die Ziele sahen hilflos zu. Daraufhin wurden die Nazis nach Hause geschickt und die Situation beruhigte sich. Die Polizei übernahm endlich die Oberhand über die Stadt und kontrollierte - was? Nichts; die Nazis waren weg, die übrigen (nun wieder) friedlichen Bürger wurden kontrolliert, misstrauisch beäugt und mit mittlerweile überflüssig gewordenen Absperrungen schikaniert.
Anfangs waren zahlreiche Gruppen des Protests vertreten, bei weitem nicht nur der Linke Flügel, sondern auch Kirche, Regierungsparteien und Jugendorganisationen, anders spiegelte sich der Ablauf in den Medien wider: kurzer Blick auf friedlich einherschreitende Kahlköpfe, dann stürmende Polizeitruppen, schwarz vermummte Gestalten die sich hinter einer in Flammen gesteckten Barrikade in die nachbarlichen Gärten und über Zäune in Sicherheit retten, ein die Polizisten angröhlender Punk mit rosa Irokesenfrisur der von den Sicherheitskräften abgeführt wird. So steht also der antifaschistische Widerstand in den Medien, und damit vor dem Großteil der Bevölkerung dar! Sachbeschädigung, antiautoritäre Pöbeleien und zu allem Unglück kommunistische Parolen auf flatternden Fahnen.
Mittlerweile beschäftigen sich nicht nur "die üblichen" linken Seiten, sondern auch bürgerliche Medien breit mit der "Krawalle in Göttingen" - hier mal 'ne kleine Linkauswahl aller möglichen Seiten, die was dazu sagen:
- "Autonome zünden Barrikaden an" - N.TV-Website
- nette Photogallerie bei N.TV
- Texte zum Thema auf Indymedia
- Bilder zum Thema auf Indymedia
- Goettinger Stadtinfo GoeSt vor der Demo
- Goettinger Stadtinfo GoeSt nach der Demo
- Infos zum Verlauf auf der Seite von A.L.I.
- und hier das "Göttinger Tageblatt" dazu.
- ...und selbst die gute, alte "Rheinische Post" sagt was dazu!
- auch in Österreich ist's angekommen: www.networld.at
- Springers "Bild" für Intellektuelle: die Welt zur Sache!
- "Tausende erzwingen Abbruch von NPD-Aufmarsch" - die Website der ARD
- ...nur die Polizei Göttingen braucht mal wieder etwas länger...