Die letzte Panorama-Sendung brachte es an den Tag: Der Textildiscounter KiK hat systematisch die Vermögensverhältnisse seiner Mitarbeiter ausgespäht, um verschuldete Angestellte zu feuern. Zwar hegten Datenschützer schon längere Zeit Verdacht, doch nun liegen der NDR-Redaktion Panorama dazu brisante Aussagen und Dokumente vor.
Nach Panorama-Informationen hatte die Schuldenabfrage bei KiK-Mitarbeitern System. "Die Zentrale hat sich nach Neueinstellungen eine Creditreform-Auskunft online angeschaut. Und wir Bezirksleiter haben dann die Information bekommen, bei der oder der ist das und das im Argen", erzählte der ehemalige KiK-Bezirksleiter Guido Hagelstede in der Sendung. "Wir waren dann angehalten, diesen Mitarbeiterinnen zu kündigen oder einen befristeten Vertrag nicht zu verlängern." Dies ist eine bisher weitgehend unbekannt gebliebene Form von Mitarbeiterbespitzlung. Viel bekannter sind die Vorfälle bei Lidl. Nicht nur der Lebensmitteldiscounter Lidl überwachte gesetzeswidrig seine Mitarbeiter. Auch die Discounter Penny, Plus, Netto und Norma setzten systematisch versteckte Kameras und Detektive ein, um ihre Beschäftigten zu kontrollieren. Allein dem "Stern" lagen Protokolle aus 150 Einzelhandelsfilialen verschiedener Firmen vor, die ihre Mitarbeiter bespitzeln ließen. Dazu gehörten unter anderen auch die Unternehmen Rewe, Edeka, Tegut, Hagebau oder Famila. Dazu gesellten sich Bespitzelungsskandale bei Telekom, Bahn AG, Schlecker, Aldi etc. Die aufgedeckten Fälle, sind nur die bekannt gewordene Spitze des Eisbergs.
Überwachung ist RoutineFakt ist, tagtäglich wird in der Wirtschaft des real existierenden Kapitalismus in Deutschland überwacht, spioniert, abgehört und gelauscht und gefilmt. Doch die aufgezählten Beispiele zeigen nur einen Ausschnitt dessen, was sich hierzulande seit Jahren immer mehr in der betrieblichen Wirklichkeit abspielt. Bespitzelung von Mitarbeitern und Betriebsräten im Auftrag von Firmenleitungen gab es schon immer, aber nicht in dieser Intensität und Häufigkeit und nicht mit solchen Methoden. Dafür hat sich in Deutschland in den letzten Jahren ein neuer Wirtschaftszweig aufgebaut, der nicht nur jeden Beschäftigten eines Unternehmens oder mittelständischen Betrieb während der Arbeit, sondern auch noch nach Feierabend als Privatbürger mit hochprofessionellen Mitteln ausspionieren kann. Die offenkundig gewordene, alltägliche betriebsübliche Bespitzelung stößt immer mehr auf gewerkschaftlichen und öffentlichen Widerstand. Darauf reagiert Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit einem Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz. Damit setzte er nun um, was die Koalitionäre des Kapitals in ihrem Koalitionsvertrag schon vereinbart hatten.
Juristen schlagen AlarmDer Entwurf wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt (abrufbar unter www.datenschutzverein.de/materialien.html). In einer ersten Stellungsnahme schlägt die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) jetzt Alarm. Aus Sicht der VDJ wird dem Beschäftigtendatenschutz mit dem beabsichtigten Gesetz ein Bärendienst erwiesen Statt den Datenschutz am Arbeitsplatz zu stärken, würde das Gesetz hinter den jetzigen Datenschutz-Standard zurückfallen und die Arbeitgeber geradezu einladen, ihre Beschäftigten auszuspionieren. Eine institutionalisierte Überwachung von Beschäftigten am Arbeitsplatz sei aber mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zu vereinbaren.
Als besonders brisante Beispiele aus dem Entwurf werden genannt: Schon zum Beschäftigungsbeginn dürften nach dem neuen Gesetzentwurf die Arbeitgeber ohne besondere Voraussetzungen Daten sammeln. Sogar, man höre und horche auf, über die "rassische Herkunft", Behinderungen oder die "sexuelle Identität" (sexuelle Orientierung) des neuen Mitarbeiters. Außerdem lädt der Entwurf, indem er den rechtlichen Grundsatz der Direkterhebung durchbricht, dazu ein, zum Beispiel im Internet in sogenannten. sozialen Netzwerken wie "Facebook" über Bewerber umfangreiche Erkundigungen einzuholen. Der Gesetzentwurf würde, so die Meinung des VDJ, zu einer Art Freischein, die dem Arbeitgeber die Erhebung derjenigen Daten erlauben soll, die nötig sind, um "die bei der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses bestehenden Rechte einschließlich der Leistungs- und Verhaltenskontrolle wahrzunehmen".
Die enge Zweckbindung, die typisch für das bisherige Datenschutzrecht ist, soll hier geschleift werden. Alles, was nur irgendwie zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses beitragen könnte, soll als Zweck der Datenerhebung ausreichen. Die ausdrückliche Erwähnung der Leistungs- und Verhaltenskontrolle schränkt die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte auf unerträgliche Weise ein. Dass die Datenerhebung und -Verarbeitung nach dem beabsichtigten Gesetz unter dem Vorbehalt steht, dass sie nicht unverhältnismäßig sein darf, ist als Schutzmechanismus für die Beschäftigten völlig unzureichend. Ein solcher Gummiparagraph schafft Freiräume, die im Zweifel immer vom Arbeitgeber zu weit ausgelegt werden würden.
Heimliche ÜberwachungDer Bundesvorstand des VDJ warnt ebenfalls vor einer weiteren gravierenden Verschlechterung gegenüber dem derzeit gültigen Datenschutz: "Erlaubte die bisherige Regelung die Datenerhebung im Zusammenhang mit Straftaten nur zum Zweck der Aufdeckung und nur, wenn ein begründeter Verdacht bestand, soll nun schon der Wille ausreichen, Straftaten zu verhindern - übrigens auch solche, die mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun haben. Soll der Arbeitgeber zum Ermittlungsbeamten der Nation werden?"
Weiter, so der VDJ, sei eine " heimliche Überwachung nach dem Gesetzesentwurf zu befürchten: Das Gesetz enthält keine Verpflichtung, dem Betroffenen heimliche Datenerhebungen wenigstens im Nachhinein mitzuteilen. Eine solche heimliche Überwachung soll zwar nur beim Verdacht schwerwiegender Vertragsverletzungen oder von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zulässig sein. Doch lehren die unter großer Medienaufmerksamkeit behandelten Fälle von Kündigungen wegen Bagatelldelikten (wie etwa im bekannten "Pfandbon-Fall"), wie leicht die Beschäftigten in den Verdacht einer Straftat geraten können. Für Straftaten sieht das Gesetz keine Bagatellgrenze vor.
Überschritte ein Unternehmer doch einmal die weiten Grenzen des Gesetzes, müsste er nicht einmal befürchten, die rechtswidrig erlangten Informationen nicht gegen den Betroffenen verwenden zu dürfen - denn ein Verwertungsverbot sieht der Entwurf nicht vor. Der Gesetzentwurf erlaubt die Videoüberwachung, und "vergisst" konkrete, praktisch anwendbare Einschränkungen zu formulieren. Auch die elektronische Ortung mittels GPS trägt die Gefahr der persönlichkeits-rechtswidrigen Totalüberwachung in sich.
Der Gesetzesentwurf lässt völlig offen, wie die Gefahr der persönlichkeits-rechtswidrigen Totalüberwachung durch die elektronische Ortung mittels GPS gebannt werden soll, wenn das Gesetz doch erlaubt, dass die Ortungssysteme zum Schutz von Sachen eingesetzt werden dürfen. Der Gesetzentwurf ermögliche auch "großen Lausch- und Leseangriff": im Bereich der betrieblichen Telekommunikation. Zwar herrscht auf Betriebsebene in Unternehmen mit einem starken Betriebsrat ein gewisser Standard an Datenschutz, doch das Erreichte ist nun erneut in Gefahr. Es droht eine umfassende, gesetzlich ermöglichte Leistungs- und Verhaltenskontrolle.
Ohne Information des Beschäftigten sollen künftig Telefongespräche überwacht werden dürfen. Da die private Kommunikation jedoch nie ganz von der dienstlichen getrennt werden kann, ist es erforderlich, dass gesetzlich dem Arbeitgeber untersagt wird, die Inhalte aller am Arbeitsplatz geschriebenen und erhaltenen E-Mails ohne konkrete Voraussetzungen zur Kenntnis nehmen zu dürfen. Die Kritik des VDJ an dem geplanten Gesetz gipfelt in der Feststellung: "Das Ganze liest sich wie eine nachträgliche gesetzgeberische Weihe für die bekannten Datenschutzskandale der letzten Jahre. Die VDJ lehnt den Gesetzesentwurf deshalb ab."