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© by secarts |
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Blick über den nächtlichen Li-Fluß, Guilin |
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Heute ist mein vorerst letzter Tag in Suedchina - heute Abend um 17:30 faehrt mein Zug in Richtung Xi'An ab. Die Zugfahrt fuehrt mich einmal quer durch Zentral-China, aus der Provinz Guangxi in die Provinz Shaanxi. Das wird knapp 30 Stunden dauern - und das ist ein riesiger Fortschritt, denn noch vor wenigen Jahren fuhren die Zuege deutlich laenger. Wie schon auf meiner Fahrt nach Guilin werde ich wieder in der "harten Klasse" Schlafabteil fahren, welche im Vergleich mit normalen europaeischen Schlafwagen immer noch sehr komfortabel ist. Wie ich die dreissig Stunden ueberstehen werde, weiss ich noch nicht genau; zumindest mit Instant-Nudeln, Teeblaettern und Kochgeschirr habe ich mich schon ordentlich eingedeckt. Und wenn ich nicht gerade esse, werde ich die Landschaft bewundern, mit Chinesen kauderwelschen oder versuchen, zu schlafen...
Noch bin ich in der Jugendherberge in Guilin - mein dritter und letzter Tag in der Stadt, die ein wenig eitel von sich behauptet, die "erste und einmaligste Landschaft Chinas" zu besitzen. Man kann sagen, was man will: ein bisschen Recht haben sie auf jeden Fall. Wer die letzten beiden Photogallerien anschaut, bekommt einen kleinen Ueberblick ueber die Umgebung der Stadt: malerische Terassenfelder, kuehne und einzigartige Berglandschaften, ganz erstaunliche Leistungen menschlicher Zivilisation. Guilin ist wirklich jedem China-Reisenden zu empfehlen - wer einmal hier war, versteht klassische chinesische Landschaftsgemaelde nicht mehr als utopische Paradieslandschaften, sondern als Naturalismus, wie der amerikanische Praesidentenberater und Staatssekretaer Henry Kissinger nach einem Besuch der Gegend einmal feststellte. Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig...
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© by secarts |
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Guilin selbst, laut chinesischer Auskunft, wie ich bereits schrieb, "sehr, sehr klein", verfuegt immerhin ueber 4,8 Millionen Einwohner, wie ich heute weiss - und schlaegt damit saemtliche deutsche Staedte locker. Warum die Stadt den Chinesen selbst als Kleinstadt erscheint, wurde mir dennoch ein wenig verstaendlich, wenn ich einen direkten Vergleich zum Beispiel mit Guangzhou ziehen sollte: die Haeuser sind niedriger, die Strassen nicht so riesig und ueberfuellt, das Leben insgesamt langsamer und ruhiger. Dennoch erscheint mir auch Guilin, das waehrend der Ming-Dynastie als Sitz des Bruders des Kaisers diente und ueber praechtige Palastanlagen aus dieser Zeit verfuegt, als eine nach chinesischen und auch europaeischen Vererhaeltnissen recht wohlhabende Stadt:
Moderne Einkaufsstrassen, viele neue Wohnsiedlungen, eine idyllisch ausgebaute Flusslandschaft mitten in der Stadt - hier laesst es sich durchaus nicht nur als Tourist aushalten, aber auch gerade als solcher: obwohl auch Guilin dank seiner schoenen Landschaft ein Touristenmagnet ist, scheint mir die Zeit der doch recht aufdringlichen Verkaeufer hier vorbei zu sein. Keine Frauen irgendwelcher nationaler Minderheiten, die unbedingt gegen Geld fuer ein Bild posieren wollen, keine Andenkenverkaeufer und keine Lastentraeger, die die Unnoetigkeit ihrer Dienstleistung nicht einsehen wollen. Nach meinen Erfahrungen in Ping'An und Yangshuo war das wirklich eine richtige Wohltat - abgesehen von einem jungen Chinesen, der mit mir unbedingt die Renditemoeglichkeiten fuer Textilexport nach Deutschland und die momentanen Gewinnspannen auf dem Erdoelmarkt diskutieren wollte, hatte ich hier wirklich mal im positiven Sinne meine Ruhe.
Ich habe nun von Suedchina in meiner verhaeltnismaessig kurzen Zeit der ersten drei Reisewochen doch eine ganze Menge gesehen, sage ich mir selbst. Obwohl all dies natuerlich nur Ausschnitte waren aus einem Land, in dem fast alle der ueber 50 Provinzen annaehernd so gross oder noch groesser sind als mein Heimatland insgesamt, ist die Aufnahmefaehigkeit des Menschen doch begrenzt. Wer keinen Charterurlaub mit dem Bus machen will, der alle zehn Minuten kurz fuer's Photo-shooting stoppt und dann mit zugezogenen Vorhaengen und vollklimatisiert weiterrasst, muss sich entscheiden, was er sehen will. Die Auswahl ist dabei zwangslaeufig immer nur ein kleiner Ausschnitt - mehr gesehen als ein Pauschaltourist, der hoechstens ueber einen Zigarettenverkaeufer mal Kontakt zur oertlichen Bevoelkerung bekommt, habe ich auf jeden Fall:
- ob in ueberfuellten Bussen, die Bauern von Markt zu Markt bringen;
- ob in kleinen chinesischen Garkuechen, in denen die oertliche Bevoelkerung isst und trinkt;
- oder in ganz normalen chinesischen Bauernhaeusern, in denen das Klo nur aus einem Loch im Boden besteht...
Ich habe alles gut ueberstanden und eine Menge gelernt - ueber Wohlstand und auch Armut, ueber grosse Veraenderungen in der menschlichen Gesellschaft und ueber den Optimismus, mit dem die grosse Mehrheit des chinesischen Volkes die Zukunft erobert.
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Blick über Guilin |
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Heute Abend geht es nun also in den Norden: fuer wiederum ungefaehr drei Wochen werde ich Xi'An, die alte chinesische Kaiserstadt; Beijing, die chinesische Hauptstadt und Grossmetropole; Yenan, die Wiege und das Zentrum der chinesischen Revolution bereisen. All diese Staedte, die ich seit meiner Kindheit aus den Buechern und Photobaenden ueber China kenne, in Realitaet zu erleben; selbst ueber die grossen historischen Staetten, von denen aus mehr als nur chinesische Geschichte gemacht wurde zu gehen; auf dem riesigen Tiananmen-Platz zu stehen; Maos Wohnhoehle in Yenan, dem Stuetzpunkt der chinesischen Roten Armee, zu besuchen - China ist auf jeden Meter spannend und ein umwerfendes Erlebnis!
Damit verabschiede ich mich zunaechst von Suedchina: bis Ende des Monats, wenn ich nach Guangzhou zurueckkehre, werde ich noch eine ganz andere und neue Welt erleben... Was mich in Nordchina alles erwarten wird, weiss ich selbst noch nicht. Zumindest meine Hoffnung, dass das Wetter dort fuer mich klimatisch verwoehnten Mitteleuropaeer ertraeglicher wird, duerfte nicht ganz unrealistisch sein...
Spaetestens in Xi'An werde ich mich sicherlich wieder melden koennen!
Bis dann, euer Secarts