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© by secarts |
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eigentümliche Berge in der Gegend um Guilin |
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Wie im letzten Artikel schon erwaehnt, bin ich in Yangshuo in der tiefsten Provinz gelandet - die naechste groessere Stadt, Guilin, ist 70 Kilometer entfernt und ringsum gibt es lediglich mehr oder weniger kleine Doerfer. Der Ort Yangshuo ist bekannt fuer seine unglaublich schoene Landschaft: viele chinesische Gemaelde benutzen das Motiv der nebelverhangenen steil aufragenden Berge entlaengs des Li-Flusses; ein bekanntes chinesisches Sprchwort lautet: "lieber Buerger des Gebiets um Guilin, als unsterblich zu sein".
Eine so reizvolle Umgebung lockt natuerlich Besucher an; direkt hier im Ort bin ich wohl derzeit Zeuge eines Umbruches, der in den meisten europaeischen Laendern schon sehr lange zurueckliegt: das Gebiet um Yangshuo wird touristisch erschlossen. Jing, die vor sechs Jahren bereits einmal hier war, kann diese Entwicklung natuerlich genauer verfolgen; wo einst ein reines Bauerndorf mit Uebernachtungsmoeglichkeiten fuer auswaertige Gaeste stand, ist heute eine Kleinstadt, die zum guten und wachsenden Teil von den Touristen lebt: Bootsvermietungen, Fahrradverleih, kleine Hotels, Restaurants, Abendprogramm. Das alles noch in kleinem Stil, die Betonburgen von zehnstoeckigen Hotels gibt es hier noch nicht - es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis auch das passeren wird...
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© by secarts |
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Die Touristen hier sind ganz ueberwiegend Chinesen, vor allem Jugendliche, die ihre Schul- und Semesterferien nutzen oder ueber's Wochenende verreisen. Auch ein paar auslaendische Rucksacktouristen haben sich hierher verirrt - ich bin einer davon; das Programm und der Zuschnitt des Angebots ist dennoch fast ueberwiegend chinesisch.
Dieser Trend ist ganz sicher neu: solange die ueberwaeltigende Mehrheit der Bevoelkerung selbst in der Landwirtschaft taetig ist, wird das Interesse am Besuch von Bauerndoerfern in der Freizeit sehr gering sein; welcher Automobilarbeiter zum Beispiel besucht im Urlaub schon Fliessbaender? Landwirtschaft wird genau dann zur Attraktion, wenn der gesamte Sektor kleiner wird - Stadtkinder freuen sich ueber den Anblick von Wasserbueffeln und Bauernhaeusern, Touristen geniessen auf einmal die Ruhe und Besinnlichkeit des Dorflebens, aus der die Vorfahren vor einer oder zwei Generationen noch unbedingt entfliehen wollten.
Das alles hatten wir in Deutschland und vielen Teilen Europas schon vor ein paar Jahrzehnten; in China ist es meines Erachtens Ausdruck einer grossen Umschichtung, die nach und nach die Landbevoelkerung verringert und die Staedte mehr und groesser werden laesst - im Fachjargon waere das die beruehmte "Urbanisierung", de in China jaehrlich ueber 100 Millionen Menschen vom Land in die Stadt ziehen laesst.
Und noch etwas wird ersichtlich an diesem Phaenomen: die Chinesen werden durchschnittlich immer vermoegender. Wenn sich einkommenslose Jugendliche tage- und wochenlang Urlaub in einem fuer chinesische Verhaeltnisse teurem Ort leisten koennen, muss das Einkommen durchschnittlicher Familien in den letzten Jahren merkbar gestiegen sein.
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© by © by secarts [01.01.1970] | |
Ohne all die negativen Begleiterscheinungen, die mit Massentourismus nun einmal einhergehen, ist freilich auch hier nichts zu haben: die Dienstleister, die einem Bambusboot-Touren oder geliehene Fahrraeder aufschwatzen wollen, sind an Dreistigkeit kaum zu ueberbieten: wir wurden von einer Fahrradverleiherin sage und schreibe zwei Stunden verfolgt, die sich selbst von ruedesten chinesischen Beschimpfungen nicht in die Flucht schlagen liess.
Auch mit der laendlichen Ruhe ist es vorbei, wenn stuendlich neuer Party-Nachschub herangekarrt wird: ueber die Flussufer plaerrt Techno-Musik; keine Strasse mehr ohne Verkaufsstaende, Zettel-Verteiler oder Werbeschilder.
Das Eine ist ohne das Andere eben nicht zu haben...
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© by secarts |
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das alte Dorf Xingping |
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Trotzdem: immer noch ist es mit verhaeltnismaessig geringem Zeitaufwand moeglich, den touristisch erschlossenen Gebieten zu entfliehen: Mit dem Fahrrad oder auch zu Fuss schafft man es in einigen Stunden, in wirklich typische chinesische Doerfer zu gelangen: kein Schild auf Englisch; niemand, der einem etwas verkaufen will, sondern traditionelle Dorfatmosphaere: in der Dorfmitte ist Markt, auf dem vom lebenden Schwein bis zum Motorrad, das sich bei der chinesischen Dorfjugend einer ganz besonderen Beliebtheit erfreut, alles zu haben; kleine Kinder schauen erstaunt beim Anblick von "fremden Teufeln" mit seltsamen Gesichtszuegen; in der Mittagshitze doesen die Bauern vor ihren Haeusern...
Die Doerfer, die ich bisher gesehen habe, sind ganz sicher allesamt nicht als reich zu bezeichnen. Die Haeuser sind klein, die Menschen arbeiten haeufig altmodisch anmutend per Hand und mit Nutztieren, der taegliche Wasserbedarf wird oftmals noch aus dem Dorfbrunnen geholt. Doch: Ueberall gibt es Strom, Telefon, Fernsehgeraete noch und noecher. Die Menschen sind motorisiert, zumindest mit Motorraedern und Traktoren, und an billigen und vielfaeltigen Lebensmitteln besteht keinerlei Mangel - vielfach sind in den Gaerten Sattelitenschuesseln und an den Hauswaenden Klimaanlagen zu finden.
Man merkt: den Menschen geht es viel, viel besser als noch vor wenigen Jahrzehnten. Und es geht ihnen unvergleichlich besser gegenueber ihren Klassengenossen z. B. in Indien, dass mit halbwegs aehnlichen Startbedingungen vor 50 Jahren den Weg in die Moderne begann - und das heutzutage noch nicht einmal die regelmaessigen Hungersnoete besiegt hat. Es gibt sicherlich in China noch sehr viel zu tun, daran sollte kein Zweifel bestehen - die unglaublichen Erfolge, die dieses riesige Land in den letzten fuenf Jahrzehnten hatte, werden in China entsprechend gewuerdigt und sollten auch im Ausland gebuehrenden Respekt finden.
Das Bild ganz oben im Artikel stellt einen Abruck eines hier erworbenen klassischen chinesischen Stempels dar, den ich mir, spassenshalber, habe anfertigen lassen: die beiden chinesischen Schriftzeichen bedeuten "Avantgarde"; alles andere sollte den regelmaessigen Besuchern dieser Homepage bekannt vorkommen... ;-)