Hallo zusammen!
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Yangshuo |
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Ich sitze gerade in Yangshuo, Provinz Guangxi, im Internetcafe zwischen chinesischen Counterstrike-Zockern und dachte mir, diese Gelegenheit nutze ich, um mich mal wieder bemerkbar zu machen!
Gestern Abend ging's mit dem Zug aus Guangzhou ueber Hunan nach Guilin, der drittgroessten Stadt der Provinz Guangxi (eine ganze Menge aehnlich klingende Namen, ich weiss... - relativ leicht zu finden ist die autonome Provinz Guangxi, die u. a. von 15 Millionen Angehoerigen der groessten nationalen Minderheit Chinas, der Zhuang, bewohnt wird, auf der Landkarte direkt ueber Vietnam. Die kleine Grafik oberhalb des Artikels zeigt meinen momentanen Aufenthaltsort an) und von dort mit dem Bus direkt weiter nach Yangshou. Guilin ist, so ein chinesischer Kommentar, "sehr, sehr klein". Auf meine Nachfrage, wie klein genau die Stadt denn sei, bekam ich zu hoeren: "och, lediglich ein paar Millionen Einwohner"... Chinesische Dimensionen.
Die Kleinstadt (nach chinesischen Verhaeltnissen ein Dorf) Yangshou, mein vorlaeufiger Zielort, ist ein innerchinesischer Touristenort, der auch von einigen auslaendischen Rucksacktouristen frequentiert wird. Er dient mir als "Ausgangsbasis" fuer weitere Erkundungen der baeuerlichen Umgegend, per Fahrrad und zu Fuss, in den naechsten Tagen. Ich moechte unter anderem die beruehmten Terassenfelder und auch einige touristisch voellig unberuehrte Bauerndoerfer besuchen.
Die Zugfahrt selbst war auesserst entspannend - die chinesischen Schlafwagen heben sich gegenueber der Enge und Altertuemlichkeit vieler europaeischer Nachtzuege wohltuend ab, sind selbst fuer 1,90 Koerpergroesse akzeptabel und obendrein durch einen sehr guten Service ausgestattet und mit umgerechnet 17 Euro Kosten auch fuer chinesische Wanderarbeiter durchaus erschwinglich, die mit Sack und Pack bei jeder Gelegenheit aus den Grossstaedten zurueck zu ihren Familien fahren.
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Ganz anders als der Komfort der Zuege praesentierte sich der Bahnhof von Guangzhou: das Wort "Chaos" waere eine schmeichlerische Umschreibung... Schon vor dem Gebaeude stauten sich an die dreissig Schlangen mit tausenden von Wartenden, in die ich mich einreien musste, obwohl ich laengst im Besitz eines Zugtickets war - nach Betreten des Bahnhofs wurde es eher noch schlimmer. Auf unverstaendliche, auf chinesisch ins Megaphon gebruellte Anordnungen des Bahnhofspersonals setzen sich einzelne Menschengruppen in Bewegung Richtung Gleise, kein Schild auf Englisch, Gepaeck ueber Gepaeck... so habe ich mir das Zusammentreffen des chinesischen Ferienbeginns mit dem Fruehlingsfest vorgestellt. Nun wird der Bahnhof von Guangzhou gerade neu gebaut und die Situation wird sich danach hoffentlich etwas entspannen. Nach dieser Erfahrung wird mir der Sinn der chinesischen "Ein-Kind-Politik" schlagartig klar...
Die Fahrt mit dem Zug ging durch geradezu malerische laendliche Gebiete durch die Provinzen Guangdong, Hunan und Guangxi - jede Minute bedauerte ich es auf's Neue, nicht einfach mal "Stopp" rufen und aussteigen zu koennen... Winzige, mit Wasserbueffeln beackerte Reisfelder zischten an mir vorbei, kleine Ortschaften, mit Fahrradkonvois befahrene Landstrassen - neben der fuer einen Touristen durchaus idyllischen Eindruecke wurde auch der starke Kontrast zwischen chinesischen Grossstaedten, die sich in ihrem Glanz vor keiner Stadt der Welt zu verstecken brauchen, und dem agrarischen China deutlich.
Wohlgemerkt: Ueber das Lebensniveau der laendlichen Bevoelkerung sollte man nicht urteilen, nur weil einzelne Haeuser schaebig aussehen oder nicht frisch gestrichen sind - nach diesem Kriterium waere ganz Suedfrankreich ein einziges Armenhaus. Dennoch kann man wohl ein deutliches Gefaelle ausmachen zwischen Stadt- und Landbevoelkerung - die chinesische Gesellschaft ist mitten im Umbruch; immer mehr Menschen verlassen ihren Acker und draengen in die staedtische Produktion. Das fuehrt natuerlich zu einer Ausduennung und auch Mechanisierung der landwirtschaftlichen Produktion, die gerade beim traditionellen Reisanbau mit seinen erzwungenermassen kleinen, eng abgegrenzten Feldern zu Problemen fuehrt. Die Grossmaschinen, die Reisfelder automatisch abernten und den Wasserbueffel, der auch im huefttiefen Wasser problemlos den Pflug ziehen kann ersetzen, sind noch nicht erfunden worden.
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Bambusfloßfahrt auf dem Li-Fluß; zwischen Yangshuo und Xingping |
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Nach wie vor habe ich wahrscheinlich noch nicht ganz realisiert, welcher bedeutende technische Fortschritt es mir moeglich macht, hier aus einer voellig laendlichen Zone Chinas in Echtzeit ueber das Internet mit Deutschland zu kommunizieren und obendrein staendig ueber vollen Handyempfang zu verfuegen (Handy-Empfangsmasten habe ich waehrend der gesamten Zugfahrt ueberall gesehen, mein Handy war nie "tot") - vor zwanzig Jahren haette ich Postkarten schreiben muessen, die drei Monate spaeter mit einer gehoerigen Portion Glueck angekommen waeren. Heute reicht ein Computer und Telefonanschluss (die Internetcafes haben ueberall, auch hier "auf dem Acker", ADSL, also eine Highspeed-Verbindung), um in die Tasten zu hauen und den Leuten daheim meine Eindruecke in Sekundenbruchteilen zum Lesen zu geben. Wahnsinn! Wir koennen heute noch nicht einmal ansatzweise erahnen, welche gigantischen Umwaelzungen weltweit durch dieses Zusammenwachsen der Kommunikation entstehen - oder anders ausgedrueckt: das Internet und die damit verbundenen Techniken barrierefreier Kommunikation antizipieren Zukuenftiges und reichen in ihren Moeglichkeiten weit ueber den naturgemaess beschraenkten Kapitalismus hinaus.
Ich zumindest - und hoffentlich auch einige meiner Leser - profitieren sehr direkt und praktisch im Moment von dieser sprunghaften Entwicklung, die Zeitzonen und "analoge" Transportwege ueberfluessig machen.
Noch eine Geschichte kommt einem dabei in den Sinn: der ewige Vorwurf an China, "Zensur" ueber auslaendische Presse und das Internet auszuueben. Ich kann dazu naturgegeben als nicht chinesisch sprechender Tourist nicht allzu viel sagen - alle Internetseiten, die ich hier aufrufen wollte, konnte ich bisher jedoch problemlos aufrufen: deutsche und englische Zeitungen, die nicht unbedingt immer China-freundlich sind, Newsgroups, die Google-Suchmaschine, etc. Auch deutsche Zeitungen und Zeitschriften sind hier erhaeltlich - ich habe schon den "Spiegel" als Printausgabe gekauft, auch alle wichtigen englischsprachigen Blaetter sind erhaeltlich. Wohlgemerkt in Laeden, in denen jeder Chinese mit chinesischer Waehrung einkaufen kann. Wer also einer Fremdsprache maechtig ist, hat zumindest ueberhaupt keine Probleme, alle Nachrichten der Welt im Original zu bekommen. Englisch ist uebrigens erste Pflicht-Fremdsprache in allen chinesischen Schulen.
So denn - Viele Gruesse nach Deutschland und in die Welt - ich werde jetzt erstmal irgendwo im Dorf Reisnudeln nach Guangxi-Art essen und meine Fertigkeiten in der Essstaebchen-Benutzung perfektionieren!
euer Secarts