»Wir für das Grundgesetz« - unter dieser Parole sammelten sich Faschistenpack und allerlei Bürger, die bedenkenlos Faschistenpack an ihrer Seite tolerieren, im August in Berlin, und sie demonstrieren in verschiedenen Städten weiter. Vorangegangen waren seit April dieses Jahres zahlreiche »Hygiene-Demos« und ähnliche Veranstaltungen in der gleichen - wie wir aus der Geschichte wissen, verhängnisvollen - Zusammensetzung der Teilnehmer. »Bei allen Unterschieden dieser Bewegung bleibt dann als der gemeinsame Nenner: Den Tod von Zigtausenden in Kauf nehmen im Namen der Grundrechte, damit der Euro wieder rollt. Weg mit den Beschränkungen, her mit Freiheit, andere sterben zu lassen. Endlich wieder Räder rollen lassen über Leichen! - Dazu dient der »Hygiene«-Mob.« heißt es dazu in der vorigen Ausgabe der KAZ
1.
Die Grundrechte - Antifaschisten, Demokraten waren es bisher, die für die Verteidigung der Grundrechte stritten und demonstrierten. Wie ist es möglich, dass nun eine Masse nörgelnder, unter »Maskendiktatur« schmachtender und sich überhaupt betrogen fühlender Kleinbürger, angeführt von Reichskriegsflaggen und sonstigem hochkriminellen Nazigesocks sich die Forderung nach Einhaltung der Grundrechte zu eigen macht, ja sich aufführt, als wären sie die Erfinder der Verteidigung der Grundrechte.
Es wird höchste Zeit, hier um Klarheit zu kämpfen. Deshalb die Einladung zur Besichtigung der Grundrechte, wie sie im Grundgesetz
2 in den ersten 22 Artikeln geschrieben stehen (Artikel 1 bis 19 und Artikel 12a, 16a und 17a), sowie die Artikel 20 Abs. 4 (Widerstandsrecht), 33 (Gleicher Zugang zu öffentlichen ämtern), 38 (Wahlrecht), 101, 103 und 104 (Grundrechte gegenüber der Justiz)
3. Diese Besichtigung ist eine Serie in der KAZ, wobei jeder Teil dieser Serie ein abgeschlossener Artikel ist.
Das deutsche Volk habe sich dieses Grundgesetz gegeben, wird in der Präambel dieses Gesetzes behauptet, aber das stimmt schon mal nicht. 1948 wurde ein Parlamentarischer Rat gebildet, der die Abspaltung der Westzonen von Deutschland durch Gründung eines westdeutschen Separatstaats vorbereiten sollte, um der demokratisch-antifaschistischen Umwälzung wenigstens in Westdeutschland endgültig einen Riegel vorzuschieben. Die westlichen Länderparlamente entsandten Abgeordnete in der Parlamentarischen Rat, in dem es nur zwei Kommunisten gab, die aus dem Landesparlament von Nordrhein-Westfalen kamen. Sie arbeiteten mit, um wenigstens noch hier und da was zu verhindern oder durchzusetzen - darauf werden wir in unserer Besichtigung noch zu sprechen kommen. Am Ende stimmten sie gegen das Gesetz. Nach Ausarbeitung des Gesetzes wurde von den Landtagen der künftigen Bundesländer abgestimmt. Bayern stimmte aus ausschließlich reaktionären Gründen dagegen
4.
Max Reimann erklärte zur Ablehnung durch die KPD, die Gesetzgeber werden »im Verlauf ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Gesetz brechen. Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes selbst verteidigen«.
5Das Grundgesetz wird uns meistens dargestellt als ein in Stein gemeißeltes Regelwerk. Menschen wurden aus dem Staatsdienst geschasst, die KPD und andere Organisationen wurden verboten, Fahnen wurden beschlagnahmt, weil sie angeblich verfassungswidrig seien. Nicht sehr bekannt ist hingegen, dass das deutsche Grundgesetz als weltweit eine der meistgeänderten Verfassungen gilt
6 (seit 1949 gab es 64 änderungsgesetze mit über 230 änderungen
7), womit die Feststellung einer »Verfassungswidrigkeit« sich als reine Willkür entlarvt, und im übrigen nur dazu dient, Antifaschisten und Faschisten in einen Topf zu werfen.
Einige dieser änderungen waren drastisch, antidemokratisch und konterrevolutionär. Zum Beispiel:
1954-1956:
Militarisierung Westdeutschlands, die Bundeswehr wird im Grundgesetz verankert.
1968:
Notstandsgesetze zur Entmachtung des Bundestages, zum Entzug der demokratischen Rechte der Bürger und zum Einsatz der Bundeswehr im Innern.
1990:
Annexion der DDR, »neue Bundesländer« werden hinzugefügt, das Grundgesetz wird der annektierten DDR übergeholfen.
1993:
Einschränkung des Asylrechts bis zur Unkenntlichkeit.
Unsere Serie zu den Grundrechten wird kein juristisches Gutachten sein. Sondern eher eine nüchterne Sichtung eines Teils der bürgerlichen Demokratie in (West-)Deutschland. Der Klassencharakter wird geprüft, die taktischen Möglichkeiten ausgelotet.
An einigen Stellen werden wir die Grundrechte auch mit entsprechenden Artikeln anderer bürgerlicher Verfassungen oder Regelwerken vergleichen. Wohlgemerkt, es geht um bürgerliche Verfassungen. Das Grundgesetz mit Verfassungen zu vergleichen, die auf sozialistischer Grundlage beruhen, wäre unmaterialistisch, da die materielle Basis sozialistischer Gesellschaften eine andere ist als die kapitalistischer Gesellschaften, und damit haben auch die jeweiligen Verfassungen einen ganz unterschiedlichen Charakter. Der entscheidende Unterschied ist, ob das Privateigentum oder Volkseigentum an den Produktionsmitteln in der jeweiligen Gesellschaft entscheidend ist.
Deshalb werden wir zwar die Verfassung der DDR von 1949
8 hin und wieder vergleichend heranziehen, nicht aber die Verfassung der DDR von 1968. Die Verfassung von 1949 war vom Deutschen Volkskongress eigentlich vorgeschlagen als gesamtdeutsche Verfassung für eine Deutsche Demokratische Republik von der Oder bis zum Rhein. Sie fußte noch auf dem kapitalistischen Ausbeutersystem. Da aber gemäß dem Potsdamer Abkommen 1945 zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion die Monopole beseitigt, die Kriegsverbrecher enteignet waren, war es ein sehr geschwächter Kapitalismus mit einem großen staatlichen Sektor unter Kontrolle der Arbeiter und Antifaschisten - wobei die Durchführung des Potsdamer Abkommens eben nur im Osten durchgesetzt wurde. Dass es keine gesamtdeutsche DDR gab, dem kam die Gründung der BRD mit ihrer Vorbereitung durch den Parlamentarischen Rat zuvor.
Wir werden bei unserer Besichtigung nicht nach der Gliederung des Grundgesetzes vorgehen. Wir beginnen nicht mit Artikel 1, sondern mit Artikel 14, weil wir so der hinter dem Grundgesetz stehenden Realität näherkommen.
E.W.-P.
Anmerkungen:
1 www.kaz-online.de/artikel/hygiene-demos-freiheit-fuer-dummheit-und-ba.
2 www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR0000 10949.html.
3 Manche im Grundgesetz enthaltenen Bürgerrechte werden auch zu den Grundrechten gezählt, auch wenn sie nicht unter der überschrift »Grundrechte« platziert sind.
4 www.deutschlandfunk.de/warum-bayern-das-grundgesetz-ablehnte.934.de.html?dram:article_id=131554.
5 Neues Deutschland 13.09.1951, S. 2 - »Kommunisten verteidigen die demokratischen Rechte«
6 Thomas Ellwein: Verfassung und Verwaltung. In: Martin Broszat (Hrsg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, gefunden in de.wikipedia.org/wiki/Grundgesetz_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland#cite_note-42.
7 In der folgenden Tabelle findet man eine übersicht über die änderungen und die Quellen der änderungen jeweils über die Links zu den Bundesgesetzblättern. de.wikipedia.org/wiki/Grundgesetz_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland#%C3%84nderungsgesetze.
8 www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html#a