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•NEUES THEMA06.05.2020, 13:47 Uhr
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• Sápmi: "Alta-Konflikt" + Minderheitenrechte
Ein langes Interview in der Wochenendbeilage der jW mit Niillas Somby, einem samischen Aktivisten, der nach einem mißglückten Sprengstoffanschlag im Zusammenhang mit dem Bau des Alta-Staudamms nach Kanada geflohen ist, dort eine Zeitlang in einer indigenen Community lebte und mittlerweile wieder im norwegischen Teils Sápmis lebt:
»Uns gehört kein Land, wie niemandem Land gehört«
Ein Gespräch mit Niillas Somby. Über die samische Bürgerrechtsbewegung, einen missglückten Bombenanschlag und seine Flucht nach Kanada
Interview: Gabriel Kuhn
Vor 40 Jahren befand sich die samische Bürgerrechtsbewegung mitten im Aufbruch. Dabei spielten die Proteste gegen den Bau des Alta-Dammes im Norden Norwegens, wo der Großteil der samischen Bevölkerung lebt, eine zentrale Rolle. Wie haben Sie die Zeit in Erinnerung?
Wir waren voller Optimismus. Damals dachten wir, dass die Menschen jetzt einsehen würden, wie es um uns bestellt war. Wir erwarteten, dass sich vieles ändert. Vorher hatte sich niemand für uns interessiert. Viele Menschen in den nordischen Ländern wussten kaum, dass es Samen gibt. Jetzt sprach man überall vom Sameland bzw. von Sápmi, wie wir selbst unser historisches Siedlungsgebiet nennen, das zwischen Norwegen, Schweden, Finnland und Russland aufgeteilt ist.
Wir hatten aber auch mit Widersprüchen zu kämpfen. Schließlich waren wir gezwungen, Rechte auf »unser« Land einzufordern. Aber in Wirklichkeit gehört uns kein Land, wie niemandem Land gehört. Wir gehören dem Land, und es ist unsere Aufgabe, uns um das Land zu kümmern.
Die Gruppe »Volksaktion« (Folkeaksjonen; jW) war die treibende Kraft bei den Protesten gegen den Bau des Alta-Dammes. Wie war die Gruppe organisiert?
Es war alles sehr informell. Offizielle Führung gab es keine, aber natürlich hatten einzelne Mitglieder mehr Einfluss als andere. Es ist wichtig zu betonen, dass Folkeaksjonen keine ausschließlich samische Gruppe war. Am Anfang ging es bei den Protesten vor allem um den Schutz des Flusses und der Natur vor dem Damm. Die Bewegung war vielfältig. Erst mit der Zeit traten samische Fragen in den Vordergrund. Nicht zuletzt, als wir 1979 ein Zelt vor dem Parlamentsgebäude in Oslo aufstellten und in Hungerstreik traten.
Sie selbst nahmen an diesem teil. Wie lange dauerte der Streik?
Eine Woche. Dann stoppte die Regierung den Bau des Dammes vorläufig und ordnete eine neue Untersuchung an. Letztlich versuchte sie damit aber nur Zeit zu gewinnen.
1981 kam es in der Folge erneut zu einem Hungerstreik. Mikkel Eira, der an beiden Streiks teilnahm, drückte später sein Bedauern darüber aus. Warum?
Sein Engagement bedauerte Mikkel nicht. Er war enttäuscht über das Resultat. Die Alta-Proteste brachten den Samen viel Aufmerksamkeit. Sie schufen aber auch eine neue Klasse samischer Politiker, die bald einen Hoheitsanspruch stellten. Samische Politik wurde in das System integriert, und Menschen wie Mikkel und ich sollten den Mund halten. Ständig wurde das Schreckensszenario eines Bürgerkriegs an die Wand gemalt. Als wäre es dazu je gekommen. All das war sehr frustrierend für Mikkel.
Haben samische Politiker nicht Fortschritte gebracht? Es gibt heute samische Parlamente in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Außerdem wurde es für Samen leichter, rechtliche Ansprüche auf Gebiete anzumelden, in denen sie traditionell gejagt, gefischt und Rentiere gehalten haben.
Es gibt immer Vor- und Nachteile. Aber seien wir ehrlich: Die samischen Parlamente sind in erster Linie von symbolischer Bedeutung. Politische Macht haben sie keine. Ja, sie haben eine »beratende Funktion«. Aber was heißt das? Es heißt, dass sich die Regierungen der nordischen Länder die Meinungen samischer Politiker anhören müssen, wenn es um samische Fragen geht. Dann ziehen sich die Regierungsvertreter zurück und tun genau das, wonach ihnen der Sinn steht. Die Mühlen der Justiz mahlen währenddessen unglaublich langsam. Es stimmt, dass es für Samen seit 2005 leichter ist, rechtliche Ansprüche auf gewisse Gebiete anzumelden. Aber was nutzt das, wenn praktisch alle Anträge abgelehnt werden, wie es bisher der Fall war?
In der Geschichte des samischen Widerstands wurde praktisch nie die Forderung nach Unabhängigkeit erhoben. Ist es richtig, dass Sie einst für die Gründung eines eigenen samischen Staats eintraten?
Ich habe die Konsequenzen des Kolonialismus unterschätzt. Was nützt ein eigener Staat ohne Dekolonisierung, vor allem in den Köpfen der Menschen? Das geht nicht von heute auf morgen. Es bedarf dazu mehrerer Generationen.
Die samische Bürgerrechtsbewegung wird oft als Teil der linken Protestbewegungen der 1970er Jahre gesehen. Stimmt die Charakterisierung?
Es gab Unterstützung von der Linken – auch von linken Parteien, vor allem von der Sozialistischen Linkspartei in Norwegen. Natürlich wirkte sich das auf die Bewegung selbst aus, zumal uns kaum sonst jemand unterstützte. Aber die Bewegung wurde nicht von der Linken kontrolliert. Sie war fest in samischer Hand.
Im März 1982 wollten Sie mit zwei Gefährten eine Brücke sprengen, die zum Bauplatz des Alta-Dammes führte. Der Oberste Gerichtshof in Norwegen hatte gerade die Fertigstellung des Damms bestätigt. Einer Ihrer Gefährten war John-Reier Martinsen, ein Kader der marxistisch-leninistischen AKP in Norwegen. Er rettete Ihnen das Leben.
Ja, ich war stinksauer.
Wie bitte?
Heute bin ich ihm natürlich dankbar dafür. Aber als ich da schwerverletzt im Schnee lag, fühlte ich mich völlig entspannt. Die Farben, die Gerüche, die Stimmung – ich fragte mich, ob es der Sinn des Lebens war, an so einen Punkt zu gelangen. Ich dachte, so müsse es sich anfühlen zu sterben. Genau in dem Moment packte mich John-Reier und warf mich auf seinen Motorschlitten. Es wurde laut, holprig und unbequem, und er brachte mich ins Krankenhaus. Ich verlor ein Auge und einen Arm, aber ich überlebte.
Was war bei der Aktion schiefgelaufen?
Es war an dem Abend sehr kalt. Als wir die Bombe ausgepackt hatten, war die Batterie des Zünders eingefroren. Ich wollte sie auswechseln, und das Ding flog in die Luft.
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»Uns gehört kein Land, wie niemandem Land gehört«
Ein Gespräch mit Niillas Somby. Über die samische Bürgerrechtsbewegung, einen missglückten Bombenanschlag und seine Flucht nach Kanada
Interview: Gabriel Kuhn
Vor 40 Jahren befand sich die samische Bürgerrechtsbewegung mitten im Aufbruch. Dabei spielten die Proteste gegen den Bau des Alta-Dammes im Norden Norwegens, wo der Großteil der samischen Bevölkerung lebt, eine zentrale Rolle. Wie haben Sie die Zeit in Erinnerung?
Wir waren voller Optimismus. Damals dachten wir, dass die Menschen jetzt einsehen würden, wie es um uns bestellt war. Wir erwarteten, dass sich vieles ändert. Vorher hatte sich niemand für uns interessiert. Viele Menschen in den nordischen Ländern wussten kaum, dass es Samen gibt. Jetzt sprach man überall vom Sameland bzw. von Sápmi, wie wir selbst unser historisches Siedlungsgebiet nennen, das zwischen Norwegen, Schweden, Finnland und Russland aufgeteilt ist.
Wir hatten aber auch mit Widersprüchen zu kämpfen. Schließlich waren wir gezwungen, Rechte auf »unser« Land einzufordern. Aber in Wirklichkeit gehört uns kein Land, wie niemandem Land gehört. Wir gehören dem Land, und es ist unsere Aufgabe, uns um das Land zu kümmern.
Die Gruppe »Volksaktion« (Folkeaksjonen; jW) war die treibende Kraft bei den Protesten gegen den Bau des Alta-Dammes. Wie war die Gruppe organisiert?
Es war alles sehr informell. Offizielle Führung gab es keine, aber natürlich hatten einzelne Mitglieder mehr Einfluss als andere. Es ist wichtig zu betonen, dass Folkeaksjonen keine ausschließlich samische Gruppe war. Am Anfang ging es bei den Protesten vor allem um den Schutz des Flusses und der Natur vor dem Damm. Die Bewegung war vielfältig. Erst mit der Zeit traten samische Fragen in den Vordergrund. Nicht zuletzt, als wir 1979 ein Zelt vor dem Parlamentsgebäude in Oslo aufstellten und in Hungerstreik traten.
Sie selbst nahmen an diesem teil. Wie lange dauerte der Streik?
Eine Woche. Dann stoppte die Regierung den Bau des Dammes vorläufig und ordnete eine neue Untersuchung an. Letztlich versuchte sie damit aber nur Zeit zu gewinnen.
1981 kam es in der Folge erneut zu einem Hungerstreik. Mikkel Eira, der an beiden Streiks teilnahm, drückte später sein Bedauern darüber aus. Warum?
Sein Engagement bedauerte Mikkel nicht. Er war enttäuscht über das Resultat. Die Alta-Proteste brachten den Samen viel Aufmerksamkeit. Sie schufen aber auch eine neue Klasse samischer Politiker, die bald einen Hoheitsanspruch stellten. Samische Politik wurde in das System integriert, und Menschen wie Mikkel und ich sollten den Mund halten. Ständig wurde das Schreckensszenario eines Bürgerkriegs an die Wand gemalt. Als wäre es dazu je gekommen. All das war sehr frustrierend für Mikkel.
Haben samische Politiker nicht Fortschritte gebracht? Es gibt heute samische Parlamente in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Außerdem wurde es für Samen leichter, rechtliche Ansprüche auf Gebiete anzumelden, in denen sie traditionell gejagt, gefischt und Rentiere gehalten haben.
Es gibt immer Vor- und Nachteile. Aber seien wir ehrlich: Die samischen Parlamente sind in erster Linie von symbolischer Bedeutung. Politische Macht haben sie keine. Ja, sie haben eine »beratende Funktion«. Aber was heißt das? Es heißt, dass sich die Regierungen der nordischen Länder die Meinungen samischer Politiker anhören müssen, wenn es um samische Fragen geht. Dann ziehen sich die Regierungsvertreter zurück und tun genau das, wonach ihnen der Sinn steht. Die Mühlen der Justiz mahlen währenddessen unglaublich langsam. Es stimmt, dass es für Samen seit 2005 leichter ist, rechtliche Ansprüche auf gewisse Gebiete anzumelden. Aber was nutzt das, wenn praktisch alle Anträge abgelehnt werden, wie es bisher der Fall war?
In der Geschichte des samischen Widerstands wurde praktisch nie die Forderung nach Unabhängigkeit erhoben. Ist es richtig, dass Sie einst für die Gründung eines eigenen samischen Staats eintraten?
Ich habe die Konsequenzen des Kolonialismus unterschätzt. Was nützt ein eigener Staat ohne Dekolonisierung, vor allem in den Köpfen der Menschen? Das geht nicht von heute auf morgen. Es bedarf dazu mehrerer Generationen.
Die samische Bürgerrechtsbewegung wird oft als Teil der linken Protestbewegungen der 1970er Jahre gesehen. Stimmt die Charakterisierung?
Es gab Unterstützung von der Linken – auch von linken Parteien, vor allem von der Sozialistischen Linkspartei in Norwegen. Natürlich wirkte sich das auf die Bewegung selbst aus, zumal uns kaum sonst jemand unterstützte. Aber die Bewegung wurde nicht von der Linken kontrolliert. Sie war fest in samischer Hand.
Im März 1982 wollten Sie mit zwei Gefährten eine Brücke sprengen, die zum Bauplatz des Alta-Dammes führte. Der Oberste Gerichtshof in Norwegen hatte gerade die Fertigstellung des Damms bestätigt. Einer Ihrer Gefährten war John-Reier Martinsen, ein Kader der marxistisch-leninistischen AKP in Norwegen. Er rettete Ihnen das Leben.
Ja, ich war stinksauer.
Wie bitte?
Heute bin ich ihm natürlich dankbar dafür. Aber als ich da schwerverletzt im Schnee lag, fühlte ich mich völlig entspannt. Die Farben, die Gerüche, die Stimmung – ich fragte mich, ob es der Sinn des Lebens war, an so einen Punkt zu gelangen. Ich dachte, so müsse es sich anfühlen zu sterben. Genau in dem Moment packte mich John-Reier und warf mich auf seinen Motorschlitten. Es wurde laut, holprig und unbequem, und er brachte mich ins Krankenhaus. Ich verlor ein Auge und einen Arm, aber ich überlebte.
Was war bei der Aktion schiefgelaufen?
Es war an dem Abend sehr kalt. Als wir die Bombe ausgepackt hatten, war die Batterie des Zünders eingefroren. Ich wollte sie auswechseln, und das Ding flog in die Luft.
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•NEUER BEITRAG06.05.2020, 13:54 Uhr
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Martinsen starb einige Jahre später bei einem Unfall mit seinem Hundeschlitten. Oder war es kein Unfall?
Darüber habe ich viel nachgedacht. Ein 19jähriger Mann aus Alta fuhr mit seinem Motorschlitten in John-Reiers Hundegespann. John-Reier und sechs der Hunde starben. Der Mann fuhr mit seinem Motorschlitten weiter. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass das versehentlich geschah. Verliert man die Kontrolle über seinen Motorschlitten, landet man in der Regel selbst im Schnee. Eine Zeitlang war ich davon überzeugt, dass es sich um Mord handelte. Aber jemanden des Mordes anzuklagen ist eine schwerwiegende Angelegenheit. Daher will ich das nicht tun.
Es bleiben jedoch Ungereimtheiten. Die Polizei verlor beispielsweise alle Fotoaufnahmen vom Tatort. Der Film sei gerissen, hieß es damals. Ich habe mehrere Jahre als Fotograf gearbeitet. Ein Film kann reißen, aber er kann auch wieder zusammengeflickt werden, vorausgesetzt, man will das. Ich glaube nicht, dass die Polizei Teil einer Verschwörung war, aber eine Vertuschung halte ich durchaus für möglich. Während der Konflikte um den Alta-Damm war es zu viel Gewalt gekommen, sowohl durch die Polizei als auch durch selbsternannte Bürgerwehren an ihrer Seite. Das gesellschaftliche Klima in Alta war rau. Das war auch Jahre später noch zu spüren.
Stimmt es, dass Ihre Bombe nur geringen Schaden angerichtet hätte?
Ja, es handelte sich um eine symbolische Aktion. Alles an Alta war symbolisch. Unsere Proteste waren Straßentheater. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshof wollten wir schlicht eine andere Sprache ausprobieren. Am Anfang der Proteste hatten wir gedacht, dass sich schon alles regeln werde, wenn die Sache nur vors Gericht komme. Wir waren naiv und vertrauten der Justiz. Doch es zeigte sich, dass unser ziviler Ungehorsam zu nichts führte. Aber als wir dann etwas anderes ausprobierten, ging das offensichtlich auch in die Hose. Das einzige, was ich mir gutschreiben kann, ist, dass eine Brücke nach mir benannt wurde. Das Anschlagsziel heißt heute »Somby-Brücke«.
Es war eine dritte Person an der Aktion beteiligt. Ihr Name ist bis heute nicht bekannt.
Als ich in Untersuchungshaft saß, versuchte man natürlich, den Namen aus mir rauszukriegen. Einmal nannte ich ein hochangesehenes samisches Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Es war offensichtlich, dass ich die Beamten auf den Arm nahm. Irgendwann gaben sie auf.
Sie und John-Reier Martinsen wurden angeklagt.
Ja, wir wurden als »Terroristen« bezeichnet und hatten mit 21 Jahren Haft zu rechnen. Als ich einsah, dass meine Kinder erwachsen sein würden, wenn ich im Falle einer Verurteilung aus dem Gefängnis käme, wusste ich, dass ich abhauen musste.
Und das gelang Ihnen?
Wie gesagt, zu der Zeit war ich Theater gewohnt. Ich erklärte der Gefängnisleitung, dass ich sicher sei, man wolle mich vergiften, und hörte zu essen auf. Der Trick funktionierte. Ich durfte im Hausarrest auf meinen Prozess warten.
Wie gelangten Sie nach Kanada?
Zunächst mussten wir an den beiden Polizisten vorbei, die ständig vor unserem Haus postiert waren. Wir schlugen ihnen mit dem Auto ein Schnäppchen. Dann holte ich mir bei Freunden Flugtickets und einen gestohlenen Pass ab, fuhr über die Grenze nach Finnland und stieg in Helsinki in den Flieger.
Ohne Probleme?
Bei der Passkontrolle am Flughafen fragte mich der Beamte, ob das wirklich ich auf dem Foto sei. »Natürlich«, entgegnete ich und lächelte. Der Beamte gab mir den Pass zurück und wünschte mir eine schöne Reise.
Sie waren nicht nervös?
Ich traf vor der Reise einen samischen Schamanen, der meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Wenn man an so etwas glaubt, wird man nicht nervös.
Wie war es zu den Kontakten nach Kanada gekommen?
Indigene Aktivisten waren damals gut organisiert dank des World Council of Indigenous Peoples. Über entsprechende Bekanntschaften wurde alles vereinbart.
Wie war der Aufenthalt in Kanada?
Gut. Ich wurde in einem Indianerreservat versteckt. Anfangs musste ich den Leuten erklären, warum ich »weiß« war. Aber sobald wir über Spiritualität sprachen, wurde deutlich, wie viel wir gemeinsam hatten. Nach einigen Monaten wurde ich vom Volk der Nuxalk adoptiert. Meine Frau und meine beiden Töchter waren da auch schon bei mir.
Sie blieben mit Ihrer Familie zwei Jahre. Dann ging es zurück nach Norwegen. Warum?
Das Strafmaß für John-Reier und mich war wesentlich reduziert worden. Ich durfte damit rechnen, nicht ins Gefängnis zurückzumüssen. Außerdem war meine Schwester erkrankt. Es war schlicht Zeit zurückzukehren.
Die kanadischen Behörden waren während Ihres Aufenthalts nie eingeschritten?
Es gab ein stilles Abkommen zwischen den Nuxalk und den Behörden. In Kanada herrschten ganz andere Beziehungen zwischen den indigenen Völkern und den staatlichen Institutionen als in Norwegen. Ich war das nicht gewohnt. Der Deal war: Solange ich kein Aufsehen erregte, würden die Behörden nichts tun.
Dann gaben Sie ein Fernsehinterview und wurden ausgewiesen?
Richtig.
War das kalkuliert?
Ja.
Warum reisten Sie nicht einfach ab?
Weil wir dann den Flug selbst hätten zahlen müssen. Wir hatten kein Geld.
Wie erging es Ihnen nach der Rückkehr nach Norwegen?
Wir überlebten. Freunde halfen mir, einen Job als Journalist zu finden.
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Martinsen starb einige Jahre später bei einem Unfall mit seinem Hundeschlitten. Oder war es kein Unfall?
Darüber habe ich viel nachgedacht. Ein 19jähriger Mann aus Alta fuhr mit seinem Motorschlitten in John-Reiers Hundegespann. John-Reier und sechs der Hunde starben. Der Mann fuhr mit seinem Motorschlitten weiter. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass das versehentlich geschah. Verliert man die Kontrolle über seinen Motorschlitten, landet man in der Regel selbst im Schnee. Eine Zeitlang war ich davon überzeugt, dass es sich um Mord handelte. Aber jemanden des Mordes anzuklagen ist eine schwerwiegende Angelegenheit. Daher will ich das nicht tun.
Es bleiben jedoch Ungereimtheiten. Die Polizei verlor beispielsweise alle Fotoaufnahmen vom Tatort. Der Film sei gerissen, hieß es damals. Ich habe mehrere Jahre als Fotograf gearbeitet. Ein Film kann reißen, aber er kann auch wieder zusammengeflickt werden, vorausgesetzt, man will das. Ich glaube nicht, dass die Polizei Teil einer Verschwörung war, aber eine Vertuschung halte ich durchaus für möglich. Während der Konflikte um den Alta-Damm war es zu viel Gewalt gekommen, sowohl durch die Polizei als auch durch selbsternannte Bürgerwehren an ihrer Seite. Das gesellschaftliche Klima in Alta war rau. Das war auch Jahre später noch zu spüren.
Stimmt es, dass Ihre Bombe nur geringen Schaden angerichtet hätte?
Ja, es handelte sich um eine symbolische Aktion. Alles an Alta war symbolisch. Unsere Proteste waren Straßentheater. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshof wollten wir schlicht eine andere Sprache ausprobieren. Am Anfang der Proteste hatten wir gedacht, dass sich schon alles regeln werde, wenn die Sache nur vors Gericht komme. Wir waren naiv und vertrauten der Justiz. Doch es zeigte sich, dass unser ziviler Ungehorsam zu nichts führte. Aber als wir dann etwas anderes ausprobierten, ging das offensichtlich auch in die Hose. Das einzige, was ich mir gutschreiben kann, ist, dass eine Brücke nach mir benannt wurde. Das Anschlagsziel heißt heute »Somby-Brücke«.
Es war eine dritte Person an der Aktion beteiligt. Ihr Name ist bis heute nicht bekannt.
Als ich in Untersuchungshaft saß, versuchte man natürlich, den Namen aus mir rauszukriegen. Einmal nannte ich ein hochangesehenes samisches Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Es war offensichtlich, dass ich die Beamten auf den Arm nahm. Irgendwann gaben sie auf.
Sie und John-Reier Martinsen wurden angeklagt.
Ja, wir wurden als »Terroristen« bezeichnet und hatten mit 21 Jahren Haft zu rechnen. Als ich einsah, dass meine Kinder erwachsen sein würden, wenn ich im Falle einer Verurteilung aus dem Gefängnis käme, wusste ich, dass ich abhauen musste.
Und das gelang Ihnen?
Wie gesagt, zu der Zeit war ich Theater gewohnt. Ich erklärte der Gefängnisleitung, dass ich sicher sei, man wolle mich vergiften, und hörte zu essen auf. Der Trick funktionierte. Ich durfte im Hausarrest auf meinen Prozess warten.
Wie gelangten Sie nach Kanada?
Zunächst mussten wir an den beiden Polizisten vorbei, die ständig vor unserem Haus postiert waren. Wir schlugen ihnen mit dem Auto ein Schnäppchen. Dann holte ich mir bei Freunden Flugtickets und einen gestohlenen Pass ab, fuhr über die Grenze nach Finnland und stieg in Helsinki in den Flieger.
Ohne Probleme?
Bei der Passkontrolle am Flughafen fragte mich der Beamte, ob das wirklich ich auf dem Foto sei. »Natürlich«, entgegnete ich und lächelte. Der Beamte gab mir den Pass zurück und wünschte mir eine schöne Reise.
Sie waren nicht nervös?
Ich traf vor der Reise einen samischen Schamanen, der meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Wenn man an so etwas glaubt, wird man nicht nervös.
Wie war es zu den Kontakten nach Kanada gekommen?
Indigene Aktivisten waren damals gut organisiert dank des World Council of Indigenous Peoples. Über entsprechende Bekanntschaften wurde alles vereinbart.
Wie war der Aufenthalt in Kanada?
Gut. Ich wurde in einem Indianerreservat versteckt. Anfangs musste ich den Leuten erklären, warum ich »weiß« war. Aber sobald wir über Spiritualität sprachen, wurde deutlich, wie viel wir gemeinsam hatten. Nach einigen Monaten wurde ich vom Volk der Nuxalk adoptiert. Meine Frau und meine beiden Töchter waren da auch schon bei mir.
Sie blieben mit Ihrer Familie zwei Jahre. Dann ging es zurück nach Norwegen. Warum?
Das Strafmaß für John-Reier und mich war wesentlich reduziert worden. Ich durfte damit rechnen, nicht ins Gefängnis zurückzumüssen. Außerdem war meine Schwester erkrankt. Es war schlicht Zeit zurückzukehren.
Die kanadischen Behörden waren während Ihres Aufenthalts nie eingeschritten?
Es gab ein stilles Abkommen zwischen den Nuxalk und den Behörden. In Kanada herrschten ganz andere Beziehungen zwischen den indigenen Völkern und den staatlichen Institutionen als in Norwegen. Ich war das nicht gewohnt. Der Deal war: Solange ich kein Aufsehen erregte, würden die Behörden nichts tun.
Dann gaben Sie ein Fernsehinterview und wurden ausgewiesen?
Richtig.
War das kalkuliert?
Ja.
Warum reisten Sie nicht einfach ab?
Weil wir dann den Flug selbst hätten zahlen müssen. Wir hatten kein Geld.
Wie erging es Ihnen nach der Rückkehr nach Norwegen?
Wir überlebten. Freunde halfen mir, einen Job als Journalist zu finden.
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•NEUER BEITRAG06.05.2020, 13:58 Uhr
EDIT: arktika
06.05.2020, 14:05 Uhr
06.05.2020, 14:05 Uhr
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arktika | |
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Sie drehten auch Dokumentarfilme, zum Beispiel über den Versuch, die sterblichen Überreste Ihres Vorfahren Mons Aslaksen Somby vom norwegischen Staat zu erhalten. Mons Aslaksen war zwei Jahre nach dem Sami-Aufstand in Kautokeino 1852 als einer der Anführer hingerichtet worden. Können Sie den Inhalt des Films kurz zusammenfassen?
Viele Schädel und Skelette von Samen landeten in Forschungseinrichtungen und Museen der nordischen Länder. So auch die von Mons Aslaksen. Es war ein bürokratischer Spießrutenlauf, sie ausgehändigt zu bekommen, aber es gelang mir. 1997 bekam Mons Aslaksen endlich ein ordentliches Begräbnis.
Können Sie die Hintergründe des Aufstandes in Kautokeino erklären? Es ist das einzige Beispiel einer gewalttätigen Revolte in der Geschichte des samischen Widerstands.
Der Aufstand wird gewöhnlich als Folge des Laestadianismus erklärt, einer puritanisch-christlichen Bewegung, die von dem Prediger Lars Levi Laestadius begründet wurde und unter Samen viele Anhänger fand – darunter diejenigen, die in Kautokeino Repräsentanten des norwegischen Staates, Kleriker und Kaufleute angriffen und zwei Menschen töteten.
Aber um die Rolle des Laestadianismus verstehen zu können, müssen wir verstehen, wie es damals um die samische Gesellschaft bestellt war. Der Kolonialismus hatte ihre Grundlagen zerstört. Es herrschte Chaos. Alkohol war für viele zur einzigen Zuflucht geworden. Wenn traditionelle Werte und Normen verschwunden sind, suchen Menschen nach neuen. Der Laestadianismus war für viele Samen eine Antwort. Aber diese Bewegung trug selbst zur Zerstörung der samischen Gesellschaft bei, indem in ihr viele Traditionen verboten waren, unter anderem unser traditioneller Gesang, der Joik. Christliche Missionierung war immer Teil der Kolonisierung indigener Völker. Kirchen lassen sich an den entlegensten Orten finden. Alte Weltanschauungen wurden verboten und Menschen gezwungen, an einen Gott zu glauben, der in einem Himmel lebt, wo Engel singen und Harfe spielen.
Wäre die samische Geschichte anders verlaufen, hätte es mehr militanten Widerstand gegeben?
Ich bin kein Fürsprecher der Militanz, auch wenn mich viele dafür halten. Die Frage nach friedlichem oder gewalttätigem Widerstand ist uninteressant. Menschen können auf alle möglichen Weisen Widerstand leisten. Für mich persönlich ist der spirituelle Aspekt zentral. Samische Kultur wird heute allzuoft auf die Sprache und traditionelle Kleider reduziert. Aber es ist unsere Spiritualität, die uns lehrt, dass alles mit allem verbunden ist und wir eine Verantwortung für die Welt haben.
Was mir Hoffnung macht, sind unsere jungen Künstler und Künstlerinnen. Viele sind sehr politisch. Máret Ánne Sara zum Beispiel kämpft für die Rechte ihres Bruders Jovsset Ánte, den die norwegische Regierung dazu zwingen will, mehr als die Hälfte seine Rentiere zu schlachten. Zu Beginn der Gerichtsverhandlungen unterhielt ich mich mit Máret Ánne und machte ihr deutlich, dass sie als Aktivistin vor nichts Angst haben dürfe. Ihr muss egal sein, was die Polizei oder sonstwer denkt. Wenn wir beginnen, uns zu zensieren und unsere eigene Freiheit einzuschränken, haben wir schon verloren.
Sie sind eine der bekanntesten Persönlichkeiten der samischen Bürgerrechtsbewegung. Was haben Sie heute für einen Status innerhalb der samischen Gesellschaft?
Es ist so, wie es immer war: Es gibt Anerkennung und Ablehnung. Ich habe immer das gesagt, was ich denke. Diplomatie zählt nicht zu meinen Stärken. Damit bin ich auch bei anderen Samen angeeckt. Aber darüber mache ich mir keinen Kopf, vor allem jetzt nicht, wo ich in Pension bin. Ich tue genau das, was ich will. Meine Rentiere wurden vor langer Zeit geschlachtet.
Werden Sie noch als »Terrorist« bezeichnet?
Seit Anders Behring Breivik 2011 auf der Insel Utøya 77 Jugendliche erschossen hat, sagt das niemand mehr. Ich denke, die Menschen in Norwegen wissen jetzt, was Terrorismus wirklich ist.
am 2./3. Mai in der jW unter
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#sapmi
#buergerrechte
#nordnorwegen
"Die Frage nach friedlichem oder gewalttätigem Widerstand ist uninteressant. Menschen können auf alle möglichen Weisen Widerstand leisten. [...]
[...] muss egal sein, was die Polizei oder sonstwer denkt. Wenn wir beginnen, uns zu zensieren und unsere eigene Freiheit einzuschränken, haben wir schon verloren."
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