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•NEUES THEMA30.04.2020, 15:03 Uhr
EDIT: FPeregrin
06.05.2020, 12:55 Uhr
06.05.2020, 12:55 Uhr
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• Südafrika: Denis Goldberg gestorben
jW:
Online Extra
30.04.2020, 12:06:11 / Ausland
Kommunist und Kämpfer gegen Apartheid: Denis Goldberg ist gestorben
Kapstadt. Der Kommunist und Kämpfer gegen das Apartheidregime Denis Goldberg ist tot. Der Südafrikaner sei nach einem zweieinhalbjährigen Kampf gegen Lungenkrebs am späten Mittwoch abend gestorben, sagte Debbie Budlender, die Managerin des Denis Goldberg Legacy Foundation Trusts, am Donnerstag gegenüber dpa. Dass er so lange noch gelebt habe, sei ein »Zeichen seiner Entschlossenheit und seines Mutes« gewesen. Er war 87 Jahre alt.
Der Sohn einer liberalen jüdischen Familie war einer der bekanntesten weißen Kämpfer gegen das rassistische Apartheidregime in Südafrika. Er war Mitglied des von Nelson Mandela geleiteten bewaffneten ANC-Arms »Umkhonto we Sizwe« (Speer der Nation). Im Rivonia-Prozess wurde er 1963/64 mit Mandela und sechs weiteren Gefährten zu »viermal lebenslänglich« verurteilt.
Den Besuchern der von der jungen Welt ausgerichteten Rosa-Luxemburg-Konferenz ist er gut bekannt. 2014 hatte er zuletzt an der Konferenz teilgenommen. Damals sprach er über die Aufteilung Afrikas durch die europäischen Mächte, ihre Kriege und Verbrechen in den Kolonien und den Befreiungskampf Südafrikas. (dpa/jW)
Ein Nachruf auf jW folgt.
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Kommunist und Kämpfer gegen Apartheid: Denis Goldberg ist gestorben
Kapstadt. Der Kommunist und Kämpfer gegen das Apartheidregime Denis Goldberg ist tot. Der Südafrikaner sei nach einem zweieinhalbjährigen Kampf gegen Lungenkrebs am späten Mittwoch abend gestorben, sagte Debbie Budlender, die Managerin des Denis Goldberg Legacy Foundation Trusts, am Donnerstag gegenüber dpa. Dass er so lange noch gelebt habe, sei ein »Zeichen seiner Entschlossenheit und seines Mutes« gewesen. Er war 87 Jahre alt.
Der Sohn einer liberalen jüdischen Familie war einer der bekanntesten weißen Kämpfer gegen das rassistische Apartheidregime in Südafrika. Er war Mitglied des von Nelson Mandela geleiteten bewaffneten ANC-Arms »Umkhonto we Sizwe« (Speer der Nation). Im Rivonia-Prozess wurde er 1963/64 mit Mandela und sechs weiteren Gefährten zu »viermal lebenslänglich« verurteilt.
Den Besuchern der von der jungen Welt ausgerichteten Rosa-Luxemburg-Konferenz ist er gut bekannt. 2014 hatte er zuletzt an der Konferenz teilgenommen. Damals sprach er über die Aufteilung Afrikas durch die europäischen Mächte, ihre Kriege und Verbrechen in den Kolonien und den Befreiungskampf Südafrikas. (dpa/jW)
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•NEUER BEITRAG06.05.2020, 12:46 Uhr
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Südafrika: Denis Goldberg gestorben
Arnold Schölzels Nachruf auf Denis Goldberg in der jW vom 02./03.05.:
Geduld und Zähigkeit
Am Mittwoch ist der südafrikanische Kommunist Denis Goldberg gestorben
Der Rivonia-Prozess von 1963/1964 in Südafrika gehört neben dem Reichstagsbrandprozess 1933, dem Verfahren gegen Fidel Castro nach dem Sturm auf die Moncada 1953 oder dem KPD-Verbot in der BRD 1956 zu den großen politischen Strafverfahren des 20. Jahrhunderts. Das Muster: Eine als rechtsstaatlich firmierende Justiz fällt politische Terrorurteile gegen Revolutionäre. Am Mittwoch starb mit Denis Goldberg einer der beiden letzten Überlebenden der 1964 vom Apartheidregime wegen Sabotage und Kommunismus zu lebenslänglicher Haft verurteilten acht Angeklagten, unter ihnen Nelson Mandela. Goldberg war der jüngste und der einzige Weiße. Wegen der Rassegesetze bedeutete das: Er kam nicht wie die anderen auf die Gefängnisinsel Robben Island in der Bucht von Kapstadt, sondern ins Zentralgefängnis von Pretoria – lange in Einzelhaft. Mit ihm ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des weltweiten Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung, Rassismus und Kolonialismus gestorben. Der frühere südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu reagierte auf die Todesnachricht mit einem deutschen Wort: Goldberg sei ein »Mensch« gewesen, integer und desinteressiert an sogenannter Größe.
Das ist richtig. Wenn es jemanden gab, der den für Brecht so wichtigen Begriff »Freundlichkeit« verkörperte, dann war es dieser jüdische Kommunist. Freundlichkeit ist, das machte Denis aus, eine politische Haltung, die Härte nicht aus-, Humor aber stets einschließt und vor allem produktiv für andere sein will. Bei ihm war sie gepaart mit hoher Bildung, politischem und ästhetischem Verstand, mit revolutionärer Geduld und Zähigkeit. Als sein Vater 1979 starb und er nicht am Begräbnis teilnehmen durfte, trug ein Freund an seiner Stelle zur Beisetzung Brechts Gedicht »An die Nachgeborenen« vor: »Die wir den Boden bereiten für Freundlichkeit/ Konnten selber nicht freundlich sein/ Ihr aber, wenn es soweit sein wird/ Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist/ Gedenkt unsrer/ Mit Nachsicht.«
Denis Goldberg war 1933 in Kapstadt in einer kommunistischen Familie geboren worden. Zu seiner Kindheit gehörten früh Debatten über den deutschen Faschismus, über den Krieg Japans gegen China und den gegen die Sowjetunion. 1955 verließ er die Universität seiner Heimatstadt als diplomierter Bauingenieur und war, wie die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) in ihrem Nachruf auf ihn festhält, als Mitglied der seit 1950 verbotenen Partei in den politischen Kämpfen aktiv – legal wie illegal, stets einfallsreich und gewitzt: Da Flugblattverteilung von Hand zu gefährlich war, so die SACP, nutzte er das Dach seines Autos für breite Streuung. 1960 wurde er zusammen mit seiner Mutter vier Monate lang inhaftiert: Der Vorwand lautete »Notstand«. Das kostete ihn seine Stelle bei der Eisenbahn.
Als der ANC nach dem von Polizeitruppen verübten Massaker von Sharpeville zum bewaffneten Widerstand überging und 1961 »Umkhonto we Sizwe« (Speer der Nation) als Militärabteilung gründete, fragte Mandela den jungen Ingenieur, ob er die Brücken, die er baue, auch in die Luft jagen könne. Er konnte. Bereits 1963 aber wurde die Umkhonto-Führung verhaftet und im Rivonia-Prozess abgeurteilt. CIA und britischer MI 6, soviel ist heute bekannt, hatten ihren Anteil an der Verhaftung und daran, dass kein Todesurteil verhängt wurde – Menschenhandel unter Imperialisten. Goldberg quittierte sein Urteil – viermal lebenslänglich – im Gerichtssaal mit Jubel: »Das bedeutet Leben. Das ist wundervoll.«
Im Gefängnis lernte er Deutsch, studierte Brecht, Marx, Max Weber und Käthe Kollwitz, erwarb im Fernstudium Abschlüsse in Verwaltung, Geschichte, Geographie und fast auch in Recht – da wurde ihm 1985 die Entlassung angeboten. Israel hatte für ihn als Juden vermittelt. Er akzeptierte und verursachte in Tel Aviv einen Skandal, als er die Kumpanei der Zionisten mit dem Apartheidstaat und bei der Unterdrückung seiner »schwarzen Brüder« anprangerte. Goldberg zog nach London, vertrat den ANC u. a. bei der UNO und organisierte nach Mandelas Freilassung 1990 enorme Hilfe. Ganze Schiffsladungen mit gebrauchten Schulbüchern gingen unter seiner Regie nach Südafrika. Er verzichtete auf Ministerwürden und kehrte erst 2002 endgültig nach Kapstadt zurück. 2014 war er noch einmal Gast der von jW ausgerichteten Rosa-Luxemburg-Konferenz.
Die Überwindung der Apartheid blieb für ihn ein historischer Sieg, Voraussetzung für sozialen Fortschritt trotz aller Fehlentwicklungen. Gegen sie erhob er zuletzt seine Stimme. Als vor einigen Jahren bei ihm Lungenkrebs festgestellt wurde, verdoppelte er seine Anstrengungen, um in seinem Wohnort Hout Bay ein Kunst- und Jugendzentrum aufzubauen. Im Februar wurde der Abschluss der ersten Bauphase gefeiert. Am Mittwoch kurz vor Mitternacht ist Denis Goldberg wenige Tage nach seinem 87. Geburtstag gestorben.
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Geduld und Zähigkeit
Am Mittwoch ist der südafrikanische Kommunist Denis Goldberg gestorben
Der Rivonia-Prozess von 1963/1964 in Südafrika gehört neben dem Reichstagsbrandprozess 1933, dem Verfahren gegen Fidel Castro nach dem Sturm auf die Moncada 1953 oder dem KPD-Verbot in der BRD 1956 zu den großen politischen Strafverfahren des 20. Jahrhunderts. Das Muster: Eine als rechtsstaatlich firmierende Justiz fällt politische Terrorurteile gegen Revolutionäre. Am Mittwoch starb mit Denis Goldberg einer der beiden letzten Überlebenden der 1964 vom Apartheidregime wegen Sabotage und Kommunismus zu lebenslänglicher Haft verurteilten acht Angeklagten, unter ihnen Nelson Mandela. Goldberg war der jüngste und der einzige Weiße. Wegen der Rassegesetze bedeutete das: Er kam nicht wie die anderen auf die Gefängnisinsel Robben Island in der Bucht von Kapstadt, sondern ins Zentralgefängnis von Pretoria – lange in Einzelhaft. Mit ihm ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des weltweiten Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung, Rassismus und Kolonialismus gestorben. Der frühere südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu reagierte auf die Todesnachricht mit einem deutschen Wort: Goldberg sei ein »Mensch« gewesen, integer und desinteressiert an sogenannter Größe.
Das ist richtig. Wenn es jemanden gab, der den für Brecht so wichtigen Begriff »Freundlichkeit« verkörperte, dann war es dieser jüdische Kommunist. Freundlichkeit ist, das machte Denis aus, eine politische Haltung, die Härte nicht aus-, Humor aber stets einschließt und vor allem produktiv für andere sein will. Bei ihm war sie gepaart mit hoher Bildung, politischem und ästhetischem Verstand, mit revolutionärer Geduld und Zähigkeit. Als sein Vater 1979 starb und er nicht am Begräbnis teilnehmen durfte, trug ein Freund an seiner Stelle zur Beisetzung Brechts Gedicht »An die Nachgeborenen« vor: »Die wir den Boden bereiten für Freundlichkeit/ Konnten selber nicht freundlich sein/ Ihr aber, wenn es soweit sein wird/ Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist/ Gedenkt unsrer/ Mit Nachsicht.«
Denis Goldberg war 1933 in Kapstadt in einer kommunistischen Familie geboren worden. Zu seiner Kindheit gehörten früh Debatten über den deutschen Faschismus, über den Krieg Japans gegen China und den gegen die Sowjetunion. 1955 verließ er die Universität seiner Heimatstadt als diplomierter Bauingenieur und war, wie die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) in ihrem Nachruf auf ihn festhält, als Mitglied der seit 1950 verbotenen Partei in den politischen Kämpfen aktiv – legal wie illegal, stets einfallsreich und gewitzt: Da Flugblattverteilung von Hand zu gefährlich war, so die SACP, nutzte er das Dach seines Autos für breite Streuung. 1960 wurde er zusammen mit seiner Mutter vier Monate lang inhaftiert: Der Vorwand lautete »Notstand«. Das kostete ihn seine Stelle bei der Eisenbahn.
Als der ANC nach dem von Polizeitruppen verübten Massaker von Sharpeville zum bewaffneten Widerstand überging und 1961 »Umkhonto we Sizwe« (Speer der Nation) als Militärabteilung gründete, fragte Mandela den jungen Ingenieur, ob er die Brücken, die er baue, auch in die Luft jagen könne. Er konnte. Bereits 1963 aber wurde die Umkhonto-Führung verhaftet und im Rivonia-Prozess abgeurteilt. CIA und britischer MI 6, soviel ist heute bekannt, hatten ihren Anteil an der Verhaftung und daran, dass kein Todesurteil verhängt wurde – Menschenhandel unter Imperialisten. Goldberg quittierte sein Urteil – viermal lebenslänglich – im Gerichtssaal mit Jubel: »Das bedeutet Leben. Das ist wundervoll.«
Im Gefängnis lernte er Deutsch, studierte Brecht, Marx, Max Weber und Käthe Kollwitz, erwarb im Fernstudium Abschlüsse in Verwaltung, Geschichte, Geographie und fast auch in Recht – da wurde ihm 1985 die Entlassung angeboten. Israel hatte für ihn als Juden vermittelt. Er akzeptierte und verursachte in Tel Aviv einen Skandal, als er die Kumpanei der Zionisten mit dem Apartheidstaat und bei der Unterdrückung seiner »schwarzen Brüder« anprangerte. Goldberg zog nach London, vertrat den ANC u. a. bei der UNO und organisierte nach Mandelas Freilassung 1990 enorme Hilfe. Ganze Schiffsladungen mit gebrauchten Schulbüchern gingen unter seiner Regie nach Südafrika. Er verzichtete auf Ministerwürden und kehrte erst 2002 endgültig nach Kapstadt zurück. 2014 war er noch einmal Gast der von jW ausgerichteten Rosa-Luxemburg-Konferenz.
Die Überwindung der Apartheid blieb für ihn ein historischer Sieg, Voraussetzung für sozialen Fortschritt trotz aller Fehlentwicklungen. Gegen sie erhob er zuletzt seine Stimme. Als vor einigen Jahren bei ihm Lungenkrebs festgestellt wurde, verdoppelte er seine Anstrengungen, um in seinem Wohnort Hout Bay ein Kunst- und Jugendzentrum aufzubauen. Im Februar wurde der Abschluss der ersten Bauphase gefeiert. Am Mittwoch kurz vor Mitternacht ist Denis Goldberg wenige Tage nach seinem 87. Geburtstag gestorben.
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•NEUER BEITRAG11.04.2023, 18:12 Uhr
EDIT: FPeregrin
11.04.2023, 22:46 Uhr
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Denis Goldberg: 90. Geb.
jW heute:
Zwischen den Ozeanen
Erinnerungen an den südafrikanischen Kommunisten Denis Goldberg, der am 11. April 90 Jahre alt geworden wäre
Von Gerd Schumann
Literatur
–
Denis Goldberg: Der Auftrag. Ein Leben für die Freiheit in Südafrika. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010
–
Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen (Hg.): Denis Goldberg. Freiheitskämpfer und Humanist. Wuppertal 2013
–
goldberghouseofhope.co.za
Als Denis Goldbergs Vater Sam 1979 starb, saß der Sohn bereits 16 Jahre im Gefängnis und konnte nicht an der Beerdigung teilnehmen. Er bat Barnes Simon, den geschätzten Intendanten des »Market Theatre«, statt seiner an Sams Grab Bertolt Brechts »An die Nachgeborenen« zu rezitieren, das Gedicht von der Hoffnung.
»(…) Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! (…) Die Straßen führten in den Sumpf in meiner Zeit / Die Sprache verriet mich dem Schlächter / Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden / Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich. (…)«
Es mag sein, dass Denis darin auch sich selbst erkannte – eine Annahme, die sich nachvollziehen lässt, was seine Haltung, seinen aufrechten Gang, das Widerstehen betrifft; und auch seine kaum fassbare Lebensbejahung: »Leben ist wunderbar! Leben!« rief er aus, als der Richter nach elf Monaten sein Urteil im Rivonia-Prozess verkündete und »uns nicht zum Tod am Galgen, sondern ›nur‹ zu lebenslänglich verurteilte«.
Da wusste der damals 31jährige Goldberg noch nicht, dass der erste unter seinen nachfolgend vielen sadistisch veranlagten Wärtern ihm versprechen würde, dass er die Zelle nur mit den Füßen voran im Sarg wieder verlassen würde. Goldberg kommentierte das später mit dem für ihn so typischen, trocken-hintergründigen Humor: »Glücklicherweise kann ich berichten, dass sich diese Prophezeiung nicht erfüllt hat.« Der Schalk saß ihm, bei Wahrung der Ernsthaftigkeit, Besonnenheit und unter Einsatz seines scharfen Verstands, selbst in den schwersten Zeiten im Nacken.
Ãœber dem Meer
Das Haus, in dem er die letzten 15 Jahres seines Lebens verbrachte, befindet sich in Hout Bay, einem etwa 18.000 Einwohner zählenden Ort an der »Holzbucht«, erreichbar über die kurvenreiche Küstenstraße Chapman’s Peak ÂDrive, gelegen eine halbe Autostunde südlich von Kapstadt am Hügel Harbour Heights. Dort, in der Neptune Street 12, wohnte er zunächst mit seiner zweiten Ehefrau, der aus der DDR stammenden Journalistin Edelgard Nkobi-Goldberg, die auch für die junge Welt schrieb. Sie hatten 2002 in London geheiratet, waren nach Südafrika gezogen, vier Jahre danach war sie, an Krebs erkrankt, verstorben.
Wir besuchten den Witwer dort im Oktober 2014, saßen hoch über dem Fischereihafen in der verglasten Veranda seines Hauses mit Blick auf das Meer unweit von Kap Agulhas (Nadelkap), wo Atlantik und Indischer Ozean sich berühren. Hier treffen warme östliche und kalte westliche Strömungen aufeinander, mischen sich und sorgen häufig für Wetterturbulenzen. Denis Goldberg mochte diese rauhe, stürmische Ecke der Provinz Western Cape, in der er auch aufgewachsen war, geboren am 11. April 1933 in Kapstadt nahe dem Hafen. »Als Jungs gingen wir zu den Docks, redeten mit den Seeleuten von den Handelsschiffen aus aller Herren Länder. Mir gefielen die Geschichten über Reisende, die auf brüchigen Dampfern einfach losfuhren.«
Es waren die Jugendjahre des unbeschwerten Aufbruchs, des Sturms und Drangs, und manchmal, wenn ich Denis hierzulande zu Interviews traf oder auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, wo er referierte, drängte sich mir der Gedanke auf, er habe sie sich bis ins hohe Alter bewahrt. Er war immer ein unruhiger Geist gewesen, der schon in seinen glücklichen Kindheitstagen nicht stillsitzen konnte und bei Regen dachte, dass demnächst auch wieder die Sonne scheinen würde; und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen. Ein Optimist aus dem Bilderbuch.
In seinem kommunistischen Elternhaus – der Spiegel (28.8.2017) bevorzugte in einer Story die Bezeichnung »jüdisch-liberal« – drehte sich viel um Politik. Seine Eltern waren Mitglieder der noch legalen Kommunistischen Partei Südafrikas. Gegründet 1921 von osteuropäischen Juden, aktiv im Goldminenrevier um Witwatersrand (heute: Johannesburg), wurde sie schnell zur entschiedenen antirassistischen Kraft, öffnete sich auch schwarzen Arbeitern, und die meisten der Weißen, die sich in der Befreiungsbewegung ANC (African National Congress) engagierten, gehörten ihr an. Denis Goldberg trat der 1950 verbotenen Partei 1957 bei.
Auf dem Kotflügel
Seine Mutter Anni, Jahrgang 1899, und ihr Ehemann Sam, geboren 1898, hatten sich als Kinder religiös nicht aktiver Juden aus Litauen, die vor antisemitischen Pogromen Mitte des 19. Jahrhunderts geflohen waren, in London kennengelernt. In den 1920er Jahren wanderten sie nach Südafrika aus. Anni arbeitete als Näherin in einer Textilfabrik, Sam baute sich ein kleines Fuhrgeschäft auf. Mit einem seiner beiden Fahrzeuge fuhr er am 1. Mai an der Spitze der Kapstädter Arbeiterdemonstration. Ein mit Fahnen und Bannern geschmückter Lkw »International«, auf dessen breitem, elegantem Kotflügel Denis mitfuhr.»Ich war umgeben von den Freunden und politischen Weggefährten meiner Eltern, die vor Lust auf das Leben sprühten und zugleich voller Ernst für die Veränderung der Welt, in der sie lebten, kämpften.« Menschen aller Hautfarben gingen in dem Haus in Woodstock, einem Industrieviertel, ein und aus – fürwahr ein ungewöhnlicher Wesenszug der Familie in dieser streng-weißen Umwelt, deren Klima bestimmt war von rassistischen Regeln, Gesetzen, Auflagen, Verhaltensnormen und zudem antisemitischen Stimmungen.
Die Goldbergs besaßen zwar das Privileg der Hautfarbe der Herrschenden, unterlagen zugleich aber feindseligen Vorurteilen aus Antikommunismus und Judenhass. Als Denis an seinem sechsten Geburtstag eingeschult wurde, gaben ihm seine Eltern den Ratschlag, sich nicht darum zu kümmern, »wenn andere Kinder oder Lehrer mich ›Kaffernboetie‹ (Kaffernsbruder), Commie oder Judenjunge nennen würden«. Ihm sei schon früh bewusst gewesen, »dass wir uns von anderen Leuten unterschieden, weil niemand außer uns schwarze oder ›farbige‹ Freunde hatte, die sie besuchten oder gar mit ihnen zu Abend aßen«. Indem die Familie Menschlichkeit und die Gleichheit aller vorlebte, verschaffte sie – wie die anderen Apartheidgegner weißer Hautfarbe auch – »Mandelas Vision eines Südafrika mit Heimatrecht für alle Glaubwürdigkeit«, wie die Autorin Charlotte Wiedemann in ihrem Buch »Den Schmerz der anderen begreifen« schrieb.
Denis Goldberg lernte, den Lauf von Geschichte zu durchschauen und Unterdrückung zu erkennen, Götter und höhere Wesen waren für ihn zeit seines Lebens »Konstrukte menschlichen Geistes«. Sein gesellschaftliches Engagement hing aber nicht nur mit der Erziehung und den Eltern zusammen, sondern erheblich auch mit einer jungen Frau. Die Physiotherapeutin und antirassistische Aktivistin Esmé Bodenstein, Tochter einer bekannten Kommunistin mit ebenfalls jüdischen Wurzeln in Osteuropa, trampte eines Tages aus den Randbezirken in die Stadt und saß plötzlich neben dem deutlich erfreuten Denis auf der Rückbank eines Autos. Das war Anfang der 1950er Jahre. Sie nahm ihn mit zu Versammlungen der »Modern Youth Society«, eines fortschrittlichen Zusammenschlusses junger Leute jenseits von rassistischen und sozialen Ressentiments.
Denis Goldberg erzählte bei einem unserer Besuche in Hout Bay vom Capetown der Fünfziger. »98 Loop Street« und »Modern Youth Society« schrieb er an den Rand meines Stadtplans, auf dem sein Finger dann kreiste, suchend nach dem inzwischen abgerissenen »Towns Club«. »Der lag zwei, drei Kilometer vom Zentrum entfernt die Main Road hinunter. Es waren alte Lagerhallen und Geschäfte. Douglas Saunders konnte seinen Tanzklub einrichten, weil es dort so billig war.«
Die Location des umtriebigen Saunders erwies sich mit seiner »Ballroom Dancehall« als ein idealer Ort nicht nur des Entertainments – hier trat der blutjunge Jazzpianist Abdullah Ibrahim (damals: Dollar Brand) auf, der spätere Komponist der Widerstandshymne »Mannenberg« –, sondern zugleich der Kommunikation. Er wurde schnell zur Attraktion, zu einem Treff der besonderen Art. Auch linke Aktivisten hingen in der Loop Street ab, abends nach den Sitzungen der Modern Youth Society wurden brisante Themen wie Antirassismus und Gegenwehr weiter debattiert.
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Zwischen den Ozeanen
Erinnerungen an den südafrikanischen Kommunisten Denis Goldberg, der am 11. April 90 Jahre alt geworden wäre
Von Gerd Schumann
Literatur
–
Denis Goldberg: Der Auftrag. Ein Leben für die Freiheit in Südafrika. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010
–
Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen (Hg.): Denis Goldberg. Freiheitskämpfer und Humanist. Wuppertal 2013
–
goldberghouseofhope.co.za
Als Denis Goldbergs Vater Sam 1979 starb, saß der Sohn bereits 16 Jahre im Gefängnis und konnte nicht an der Beerdigung teilnehmen. Er bat Barnes Simon, den geschätzten Intendanten des »Market Theatre«, statt seiner an Sams Grab Bertolt Brechts »An die Nachgeborenen« zu rezitieren, das Gedicht von der Hoffnung.
»(…) Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! (…) Die Straßen führten in den Sumpf in meiner Zeit / Die Sprache verriet mich dem Schlächter / Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden / Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich. (…)«
Es mag sein, dass Denis darin auch sich selbst erkannte – eine Annahme, die sich nachvollziehen lässt, was seine Haltung, seinen aufrechten Gang, das Widerstehen betrifft; und auch seine kaum fassbare Lebensbejahung: »Leben ist wunderbar! Leben!« rief er aus, als der Richter nach elf Monaten sein Urteil im Rivonia-Prozess verkündete und »uns nicht zum Tod am Galgen, sondern ›nur‹ zu lebenslänglich verurteilte«.
Da wusste der damals 31jährige Goldberg noch nicht, dass der erste unter seinen nachfolgend vielen sadistisch veranlagten Wärtern ihm versprechen würde, dass er die Zelle nur mit den Füßen voran im Sarg wieder verlassen würde. Goldberg kommentierte das später mit dem für ihn so typischen, trocken-hintergründigen Humor: »Glücklicherweise kann ich berichten, dass sich diese Prophezeiung nicht erfüllt hat.« Der Schalk saß ihm, bei Wahrung der Ernsthaftigkeit, Besonnenheit und unter Einsatz seines scharfen Verstands, selbst in den schwersten Zeiten im Nacken.
Ãœber dem Meer
Das Haus, in dem er die letzten 15 Jahres seines Lebens verbrachte, befindet sich in Hout Bay, einem etwa 18.000 Einwohner zählenden Ort an der »Holzbucht«, erreichbar über die kurvenreiche Küstenstraße Chapman’s Peak ÂDrive, gelegen eine halbe Autostunde südlich von Kapstadt am Hügel Harbour Heights. Dort, in der Neptune Street 12, wohnte er zunächst mit seiner zweiten Ehefrau, der aus der DDR stammenden Journalistin Edelgard Nkobi-Goldberg, die auch für die junge Welt schrieb. Sie hatten 2002 in London geheiratet, waren nach Südafrika gezogen, vier Jahre danach war sie, an Krebs erkrankt, verstorben.
Wir besuchten den Witwer dort im Oktober 2014, saßen hoch über dem Fischereihafen in der verglasten Veranda seines Hauses mit Blick auf das Meer unweit von Kap Agulhas (Nadelkap), wo Atlantik und Indischer Ozean sich berühren. Hier treffen warme östliche und kalte westliche Strömungen aufeinander, mischen sich und sorgen häufig für Wetterturbulenzen. Denis Goldberg mochte diese rauhe, stürmische Ecke der Provinz Western Cape, in der er auch aufgewachsen war, geboren am 11. April 1933 in Kapstadt nahe dem Hafen. »Als Jungs gingen wir zu den Docks, redeten mit den Seeleuten von den Handelsschiffen aus aller Herren Länder. Mir gefielen die Geschichten über Reisende, die auf brüchigen Dampfern einfach losfuhren.«
Es waren die Jugendjahre des unbeschwerten Aufbruchs, des Sturms und Drangs, und manchmal, wenn ich Denis hierzulande zu Interviews traf oder auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, wo er referierte, drängte sich mir der Gedanke auf, er habe sie sich bis ins hohe Alter bewahrt. Er war immer ein unruhiger Geist gewesen, der schon in seinen glücklichen Kindheitstagen nicht stillsitzen konnte und bei Regen dachte, dass demnächst auch wieder die Sonne scheinen würde; und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen. Ein Optimist aus dem Bilderbuch.
In seinem kommunistischen Elternhaus – der Spiegel (28.8.2017) bevorzugte in einer Story die Bezeichnung »jüdisch-liberal« – drehte sich viel um Politik. Seine Eltern waren Mitglieder der noch legalen Kommunistischen Partei Südafrikas. Gegründet 1921 von osteuropäischen Juden, aktiv im Goldminenrevier um Witwatersrand (heute: Johannesburg), wurde sie schnell zur entschiedenen antirassistischen Kraft, öffnete sich auch schwarzen Arbeitern, und die meisten der Weißen, die sich in der Befreiungsbewegung ANC (African National Congress) engagierten, gehörten ihr an. Denis Goldberg trat der 1950 verbotenen Partei 1957 bei.
Auf dem Kotflügel
Seine Mutter Anni, Jahrgang 1899, und ihr Ehemann Sam, geboren 1898, hatten sich als Kinder religiös nicht aktiver Juden aus Litauen, die vor antisemitischen Pogromen Mitte des 19. Jahrhunderts geflohen waren, in London kennengelernt. In den 1920er Jahren wanderten sie nach Südafrika aus. Anni arbeitete als Näherin in einer Textilfabrik, Sam baute sich ein kleines Fuhrgeschäft auf. Mit einem seiner beiden Fahrzeuge fuhr er am 1. Mai an der Spitze der Kapstädter Arbeiterdemonstration. Ein mit Fahnen und Bannern geschmückter Lkw »International«, auf dessen breitem, elegantem Kotflügel Denis mitfuhr.»Ich war umgeben von den Freunden und politischen Weggefährten meiner Eltern, die vor Lust auf das Leben sprühten und zugleich voller Ernst für die Veränderung der Welt, in der sie lebten, kämpften.« Menschen aller Hautfarben gingen in dem Haus in Woodstock, einem Industrieviertel, ein und aus – fürwahr ein ungewöhnlicher Wesenszug der Familie in dieser streng-weißen Umwelt, deren Klima bestimmt war von rassistischen Regeln, Gesetzen, Auflagen, Verhaltensnormen und zudem antisemitischen Stimmungen.
Die Goldbergs besaßen zwar das Privileg der Hautfarbe der Herrschenden, unterlagen zugleich aber feindseligen Vorurteilen aus Antikommunismus und Judenhass. Als Denis an seinem sechsten Geburtstag eingeschult wurde, gaben ihm seine Eltern den Ratschlag, sich nicht darum zu kümmern, »wenn andere Kinder oder Lehrer mich ›Kaffernboetie‹ (Kaffernsbruder), Commie oder Judenjunge nennen würden«. Ihm sei schon früh bewusst gewesen, »dass wir uns von anderen Leuten unterschieden, weil niemand außer uns schwarze oder ›farbige‹ Freunde hatte, die sie besuchten oder gar mit ihnen zu Abend aßen«. Indem die Familie Menschlichkeit und die Gleichheit aller vorlebte, verschaffte sie – wie die anderen Apartheidgegner weißer Hautfarbe auch – »Mandelas Vision eines Südafrika mit Heimatrecht für alle Glaubwürdigkeit«, wie die Autorin Charlotte Wiedemann in ihrem Buch »Den Schmerz der anderen begreifen« schrieb.
Denis Goldberg lernte, den Lauf von Geschichte zu durchschauen und Unterdrückung zu erkennen, Götter und höhere Wesen waren für ihn zeit seines Lebens »Konstrukte menschlichen Geistes«. Sein gesellschaftliches Engagement hing aber nicht nur mit der Erziehung und den Eltern zusammen, sondern erheblich auch mit einer jungen Frau. Die Physiotherapeutin und antirassistische Aktivistin Esmé Bodenstein, Tochter einer bekannten Kommunistin mit ebenfalls jüdischen Wurzeln in Osteuropa, trampte eines Tages aus den Randbezirken in die Stadt und saß plötzlich neben dem deutlich erfreuten Denis auf der Rückbank eines Autos. Das war Anfang der 1950er Jahre. Sie nahm ihn mit zu Versammlungen der »Modern Youth Society«, eines fortschrittlichen Zusammenschlusses junger Leute jenseits von rassistischen und sozialen Ressentiments.
Denis Goldberg erzählte bei einem unserer Besuche in Hout Bay vom Capetown der Fünfziger. »98 Loop Street« und »Modern Youth Society« schrieb er an den Rand meines Stadtplans, auf dem sein Finger dann kreiste, suchend nach dem inzwischen abgerissenen »Towns Club«. »Der lag zwei, drei Kilometer vom Zentrum entfernt die Main Road hinunter. Es waren alte Lagerhallen und Geschäfte. Douglas Saunders konnte seinen Tanzklub einrichten, weil es dort so billig war.«
Die Location des umtriebigen Saunders erwies sich mit seiner »Ballroom Dancehall« als ein idealer Ort nicht nur des Entertainments – hier trat der blutjunge Jazzpianist Abdullah Ibrahim (damals: Dollar Brand) auf, der spätere Komponist der Widerstandshymne »Mannenberg« –, sondern zugleich der Kommunikation. Er wurde schnell zur Attraktion, zu einem Treff der besonderen Art. Auch linke Aktivisten hingen in der Loop Street ab, abends nach den Sitzungen der Modern Youth Society wurden brisante Themen wie Antirassismus und Gegenwehr weiter debattiert.
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•NEUER BEITRAG11.04.2023, 22:49 Uhr
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Bauingenieur oder Arzt
Zu der Zeit hatte Goldberg längst ein Studium zum Bauingenieur aufgenommen, 1949, nach Beendigung der Schule, hatte er noch geschwankt, ob er nicht lieber Arzt werden wollte. Das Buch »Microbes by the million« begeisterte ihn, »und das eröffnete mir, dass Ärzte, die die Rolle von Keimen und Mikroben erforschten, um Seuchen zu bekämpfen, Gesundheit und manchmal gar ihr Leben riskierten. Eisenbahnen und Kanäle in tropischem Sumpfland hätten nie gebaut werden können ohne diese Ärzte, die sich um die Arbeiter kümmerten und selbst nicht seuchenimmun waren.«
Diese Mediziner seien dann seine »neuen Helden« geworden, »und ich wollte sein wie die. Doch wäre ein Medizinstudium für meinen Vater nur schwer zu finanzieren gewesen, also verwarf ich den Gedanken, ohne mit ihm drüber zu reden, und kehrte zu meiner ersten Liebe zurück – dem Ingenieursberuf. Ich wäre wohl ein guter Arzt geworden, aber ich bereue meine Entscheidung nicht, obwohl … Mein Beruf führte letztlich dazu, dass ich für unseren Kampf Waffen baute und ich zu ›lebenslänglich‹ verurteilt wurde.« Das sagt er lakonisch und wirft damit die ewige Frage aller Fragen auf, die immer hypothetisch bleiben wird: die nach dem »Was wäre, wenn?«.
Speer der Nation
Denis Goldberg, als gewiefter Ingenieur dazu prädestiniert, gehörte seit 1962 zum Logistikkomitee des von Nelson Mandela geleiteten Oberkommandos des Umkonto we Sizwe (Speer der Nation, MK). Der bewaffnete Flügel des ANC war am 16. Dezember 1961 als Reaktion auf das Massaker von Sharpeville im Jahr zuvor gegründet worden, als die Polizei in die Menge unbewaffneter Demonstranten geschossen hatte. 69 Menschen waren getötet, 186 verletzt worden. Zehn Tage danach erklärte die Regierung den Ausnahmezustand. 18.000 Menschen wurden verhaftet, darunter Denis Goldberg und seine Mutter Anni.
»Als viele von uns monatelang hinter Gittern verschwanden«, erzählt Goldberg, habe der ANC nach langer, kontroverser Diskussion beschlossen, das bis dahin streng verfolgte Prinzip der Gewaltlosigkeit nach Vorbild Mahatma Gandhis zu modifizieren und die direkte Konfrontation mit den bewaffneten Kräften des Apartheidregimes aufzunehmen. Zu dem Zeitpunkt seien bereits überall »sporadische Sabotageaktionen« durchgeführt worden, um die hundert wohl. Strommasten, Rundfunksender, Umspannstationen, Kraftwerke, Institutionen der Apartheid wurden angegriffen und die Infrastruktur empfindlich getroffen. »Die Lage verlangte nach einer geschlossenen Antwort«, meinte auch der Anfang 1962 untergetauchte Goldberg.
Das war die Geburtsstunde des MK. Goldberg leitete dann deren erstes militärisches Trainingscamp für etwa 30 Aktivisten in Mamre bei Kapstadt, mietete eine Farm konspirativ an, vorgesehen als neues Hauptquartier, betreute für die Übertragung einer Ansprache von ANC-Sprecher Walter Sisulu den Geheimsender Radio Freedom. »Es war die Zeit des optimistischen Aufbruchs in eine neue Phase des Widerstandes«, konstatieren Birgit Morgenrath und Tina Jerman in ihrer Einleitung zu Goldbergs spannender Autobiographie »Der Auftrag«.
»Mister Technico«, wie er genannt wurde, erhielt schließlich den Auftrag, alles zum Thema Waffen und Bomben zu recherchieren und diese auch anzufertigen. Von Zehntausenden Handgranaten und Sprengkörpern war die Rede. Das Waffenarsenal war für die Operation Mayibuye (Komm zurück, Afrika) gedacht. Geplant war, »7.000 bewaffnete Guerillakämpfer in Südafrika darauf vorzubereiten, die Kämpfer aus dem Ausland in ihre Einheiten aufzunehmen. Viele Comrades hatten in China, der DDR und der Sowjetunion eine militärische Ausbildung erhalten.« Und auch in Nachbarländern.
Kubas Guerilla
Vorbild für den »Speer der Nation« war der kubanische Guerillakampf. Ernesto Che Guevaras »Guerilla Warfare« (La guerra de guerrillas, Der Partisanenkrieg) kursierte und wurde »unser Handbuch«, so Goldberg. Allerdings habe Guevara darin einige wesentliche Aspekte, die zum Erfolg geführt hatten, nicht geschildert: speziell die Streiks und die Unterstützung der Kämpfenden durch die arbeitenden Menschen auf Kuba. Sie banden Kräfte des Batista-Regimes und hielten diese streckenweise von der Verfolgung der »Granma«-Kämpfer ab.
»Die Existenz einer bewaffneten Kraft macht noch keine revolutionäre Situation aus. Wir wussten, dass die Unterstützung durch das Volk wesentlich war. Das ANC-Bündnis verfolgte eine Politik der Massenmobilisierung durch Streiks, Proteste und Kampagnen zivilen Ungehorsams.« Später habe das Scheitern Che Guevaras in Bolivien sowie das der Stadtguerilla in Westeuropa, der RAF und der Roten Brigaden, gezeigt, dass der bewaffnete Kampf, um Erfolg zu haben, von der Bevölkerung unterstützt werden müsse.
Der ANC wurde unterstützt – und erlitt doch eine schwere Niederlage, die den Befreiungskampf um, wie Goldberg meinte, vielleicht ein Jahrzehnt zurückwarf: Am 11. Juli 1963 wurde nahezu die gesamte Spitze des MK bei ihrem letzten Treffen auf dem Stützpunkt, der Farm »Liliesleaf« (Lilienblatt), verhaftet. Wer hatte sie verraten? »Bis heute wissen wir nicht, wie sie uns gefunden haben.« Obwohl der ANC seit dem Ende der Apartheid Zugriff auf die Akten und Archive der Sicherheitspolizei hat, wurde seltsamerweise nicht »ein einziges Detail über unsere Gefangennahme preisgegeben«, wunderte sich Goldberg. Bekannt sei lediglich, dass sowohl der britische Geheimdienst als auch die CIA Agenten im unmittelbaren Umfeld der Farm plaziert gehabt hätten.
Zehn Leistungskader standen schließlich in Rivonia vor Gericht, angeklagt der Sabotage, kommunistischer Aktivitäten und versuchten Umsturzes, acht wurden verurteilt nach einem auch international Aufsehen erregenden Prozess: Sisulu trotzte in einem viertägigen Kreuzverhör der Staatsanwaltschaft, Mandela hielt seine historische Rede »I am Prepared to Die« (Ich bin vorbereitet zu sterben), in der er die Notwendigkeit begründete, zu den Waffen gegriffen zu haben, geschickt und sachkundig argumentierten die Verteidiger – am Ende entgingen die Angeklagten der Todesstrafe, sicherlich auch, weil das Vorhaben des Gerichts, einen Schauprozess zu inszenieren, nicht durchsetzbar war angesichts der breiten Sympathiewelle.
Denis Goldberg wurde – entsprechend den irren Apartheidregeln – in ein Gefängnis für Weiße verfrachtet, Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki, Ray Mhlaba, Elias Motsoaledi, Andrew Mlangeni, Ahmed Kathrada auf die unwirtliche Insel Robben Island, etliche Seemeilen vor Kapstadt mit Blick auf den unerreichbaren Tafelberg. Die schwarzen Gefangenen schufteten im Steinbruch und hausten in engen, kalten, feuchten Zellen bei wenig und schlechter Nahrung.
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Bauingenieur oder Arzt
Zu der Zeit hatte Goldberg längst ein Studium zum Bauingenieur aufgenommen, 1949, nach Beendigung der Schule, hatte er noch geschwankt, ob er nicht lieber Arzt werden wollte. Das Buch »Microbes by the million« begeisterte ihn, »und das eröffnete mir, dass Ärzte, die die Rolle von Keimen und Mikroben erforschten, um Seuchen zu bekämpfen, Gesundheit und manchmal gar ihr Leben riskierten. Eisenbahnen und Kanäle in tropischem Sumpfland hätten nie gebaut werden können ohne diese Ärzte, die sich um die Arbeiter kümmerten und selbst nicht seuchenimmun waren.«
Diese Mediziner seien dann seine »neuen Helden« geworden, »und ich wollte sein wie die. Doch wäre ein Medizinstudium für meinen Vater nur schwer zu finanzieren gewesen, also verwarf ich den Gedanken, ohne mit ihm drüber zu reden, und kehrte zu meiner ersten Liebe zurück – dem Ingenieursberuf. Ich wäre wohl ein guter Arzt geworden, aber ich bereue meine Entscheidung nicht, obwohl … Mein Beruf führte letztlich dazu, dass ich für unseren Kampf Waffen baute und ich zu ›lebenslänglich‹ verurteilt wurde.« Das sagt er lakonisch und wirft damit die ewige Frage aller Fragen auf, die immer hypothetisch bleiben wird: die nach dem »Was wäre, wenn?«.
Speer der Nation
Denis Goldberg, als gewiefter Ingenieur dazu prädestiniert, gehörte seit 1962 zum Logistikkomitee des von Nelson Mandela geleiteten Oberkommandos des Umkonto we Sizwe (Speer der Nation, MK). Der bewaffnete Flügel des ANC war am 16. Dezember 1961 als Reaktion auf das Massaker von Sharpeville im Jahr zuvor gegründet worden, als die Polizei in die Menge unbewaffneter Demonstranten geschossen hatte. 69 Menschen waren getötet, 186 verletzt worden. Zehn Tage danach erklärte die Regierung den Ausnahmezustand. 18.000 Menschen wurden verhaftet, darunter Denis Goldberg und seine Mutter Anni.
»Als viele von uns monatelang hinter Gittern verschwanden«, erzählt Goldberg, habe der ANC nach langer, kontroverser Diskussion beschlossen, das bis dahin streng verfolgte Prinzip der Gewaltlosigkeit nach Vorbild Mahatma Gandhis zu modifizieren und die direkte Konfrontation mit den bewaffneten Kräften des Apartheidregimes aufzunehmen. Zu dem Zeitpunkt seien bereits überall »sporadische Sabotageaktionen« durchgeführt worden, um die hundert wohl. Strommasten, Rundfunksender, Umspannstationen, Kraftwerke, Institutionen der Apartheid wurden angegriffen und die Infrastruktur empfindlich getroffen. »Die Lage verlangte nach einer geschlossenen Antwort«, meinte auch der Anfang 1962 untergetauchte Goldberg.
Das war die Geburtsstunde des MK. Goldberg leitete dann deren erstes militärisches Trainingscamp für etwa 30 Aktivisten in Mamre bei Kapstadt, mietete eine Farm konspirativ an, vorgesehen als neues Hauptquartier, betreute für die Übertragung einer Ansprache von ANC-Sprecher Walter Sisulu den Geheimsender Radio Freedom. »Es war die Zeit des optimistischen Aufbruchs in eine neue Phase des Widerstandes«, konstatieren Birgit Morgenrath und Tina Jerman in ihrer Einleitung zu Goldbergs spannender Autobiographie »Der Auftrag«.
»Mister Technico«, wie er genannt wurde, erhielt schließlich den Auftrag, alles zum Thema Waffen und Bomben zu recherchieren und diese auch anzufertigen. Von Zehntausenden Handgranaten und Sprengkörpern war die Rede. Das Waffenarsenal war für die Operation Mayibuye (Komm zurück, Afrika) gedacht. Geplant war, »7.000 bewaffnete Guerillakämpfer in Südafrika darauf vorzubereiten, die Kämpfer aus dem Ausland in ihre Einheiten aufzunehmen. Viele Comrades hatten in China, der DDR und der Sowjetunion eine militärische Ausbildung erhalten.« Und auch in Nachbarländern.
Kubas Guerilla
Vorbild für den »Speer der Nation« war der kubanische Guerillakampf. Ernesto Che Guevaras »Guerilla Warfare« (La guerra de guerrillas, Der Partisanenkrieg) kursierte und wurde »unser Handbuch«, so Goldberg. Allerdings habe Guevara darin einige wesentliche Aspekte, die zum Erfolg geführt hatten, nicht geschildert: speziell die Streiks und die Unterstützung der Kämpfenden durch die arbeitenden Menschen auf Kuba. Sie banden Kräfte des Batista-Regimes und hielten diese streckenweise von der Verfolgung der »Granma«-Kämpfer ab.
»Die Existenz einer bewaffneten Kraft macht noch keine revolutionäre Situation aus. Wir wussten, dass die Unterstützung durch das Volk wesentlich war. Das ANC-Bündnis verfolgte eine Politik der Massenmobilisierung durch Streiks, Proteste und Kampagnen zivilen Ungehorsams.« Später habe das Scheitern Che Guevaras in Bolivien sowie das der Stadtguerilla in Westeuropa, der RAF und der Roten Brigaden, gezeigt, dass der bewaffnete Kampf, um Erfolg zu haben, von der Bevölkerung unterstützt werden müsse.
Der ANC wurde unterstützt – und erlitt doch eine schwere Niederlage, die den Befreiungskampf um, wie Goldberg meinte, vielleicht ein Jahrzehnt zurückwarf: Am 11. Juli 1963 wurde nahezu die gesamte Spitze des MK bei ihrem letzten Treffen auf dem Stützpunkt, der Farm »Liliesleaf« (Lilienblatt), verhaftet. Wer hatte sie verraten? »Bis heute wissen wir nicht, wie sie uns gefunden haben.« Obwohl der ANC seit dem Ende der Apartheid Zugriff auf die Akten und Archive der Sicherheitspolizei hat, wurde seltsamerweise nicht »ein einziges Detail über unsere Gefangennahme preisgegeben«, wunderte sich Goldberg. Bekannt sei lediglich, dass sowohl der britische Geheimdienst als auch die CIA Agenten im unmittelbaren Umfeld der Farm plaziert gehabt hätten.
Zehn Leistungskader standen schließlich in Rivonia vor Gericht, angeklagt der Sabotage, kommunistischer Aktivitäten und versuchten Umsturzes, acht wurden verurteilt nach einem auch international Aufsehen erregenden Prozess: Sisulu trotzte in einem viertägigen Kreuzverhör der Staatsanwaltschaft, Mandela hielt seine historische Rede »I am Prepared to Die« (Ich bin vorbereitet zu sterben), in der er die Notwendigkeit begründete, zu den Waffen gegriffen zu haben, geschickt und sachkundig argumentierten die Verteidiger – am Ende entgingen die Angeklagten der Todesstrafe, sicherlich auch, weil das Vorhaben des Gerichts, einen Schauprozess zu inszenieren, nicht durchsetzbar war angesichts der breiten Sympathiewelle.
Denis Goldberg wurde – entsprechend den irren Apartheidregeln – in ein Gefängnis für Weiße verfrachtet, Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki, Ray Mhlaba, Elias Motsoaledi, Andrew Mlangeni, Ahmed Kathrada auf die unwirtliche Insel Robben Island, etliche Seemeilen vor Kapstadt mit Blick auf den unerreichbaren Tafelberg. Die schwarzen Gefangenen schufteten im Steinbruch und hausten in engen, kalten, feuchten Zellen bei wenig und schlechter Nahrung.
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•NEUER BEITRAG11.04.2023, 22:53 Uhr
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FPeregrin | |
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90-Tage-Gesetz
Esmé musste die Tragödie in der Ferne ihres Londoner Exils durchleiden. Goldbergs Ehefrau – Denis und sie waren 1954 in Kapstadt standesamtlich getraut worden – hatte zuvor schon bittere Gefängniserfahrungen sammeln müssen. Sie war 1963 nach einem missglückten Fluchtversuch ihres Mannes unter dem 90-Tage-Kontaktverbotsgesetz wochenlang in Einzelhaft eingesperrt. Bei Denis war unterdessen der Gedanke gereift, dass es wegen der von Adoption bedrohten Kinder – Hilary war 1955, David 1957 zur Welt gekommen – besser wäre, wenn seine Familie ins Exil ginge. Schließlich reiste sie Ende 1963 nach England – gegen Esmés Widerstand. Sie hatte ihrem Mann im Prozess zur Seite stehen wollen, doch die Sicherheit der Kinder ging vor, und sie beugte sich dem.
Anni folgte Esmé nach London, derweil Sam Goldberg, ein »wegen Kommunismus« Geächteter, dem Redeverbot auferlegt war, in Südafrika blieb und versuchte, seinen Sohn zu unterstützen. Er zog nach Pretoria, dem Ort des Zentralgefängnisses, in dem Denis nunmehr saß. Die Besuchszeiten im Knast waren streng reglementiert. Esmé durfte ihren Mann nur zweimal während der 22 Jahre Haft sehen, getrennt durch eine Scheibe. Die Kinder unregelmäßig im Zweijahresrhythmus. »Über 14 Jahre, bis zum Ende meiner Haftzeit, besuchte mich Hillary Kuny (später: Hillary Hamburger). Sie betreute auch meinen Vater.« Das Verdienst von Kuny, der Antiapartheidaktivistin und Mutter von drei Kindern, war vor allem, Denis vor Abstumpfung und Gefühlsverlust zu bewahren, was ihr zuvorderst mit ihren Erzählungen aus dem alltäglichen Leben draußen gelang.
Ein einziges Mal wurde es seiner Mutter Anni erlaubt, ihn für eine halbe Stunde zu sprechen: Als die alte Frau ging, wollte sie ihrem Sohn noch einen Abschiedskuss geben. Der Wärter öffnete das Fenster zwischen den beiden zehn Zentimeter weit. Denis: »Meine Mutter musste auf einen hohen Stuhl steigen, damit wir uns durch diese winzige Öffnung küssen konnten.« Das sei ein unwürdiger Abschied mit einer demütigenden Prozedur gewesen. »Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.« Sie starb 1975 in London.
Todesgesänge
Zu einem erschütternden Einschnitt ins sowieso schon kaum ertragbare Existieren hinter Gittern, drangsaliert von Rassisten, ohne Sonne mit wenig Licht und Essen, kam es nach der gelungenen Flucht von drei Mitgefangenen 1980: Der Staat verlegte die Politischen, darunter Goldberg, in einen Todestrakt direkt neben dem Galgen des Zuchthauses: Zwei bis vier Menschen wurden hier wöchentlich gehenkt. Die Gefangenen nebenan hörten die Klagegesänge und durchlitten die letzten Minuten der Menschen hautnah mit, und mancher stand kurz davor, durchzudrehen.
»Wiedergeburt am 28. Februar 1985« nennt Denis Goldberg seine Entlassung. Er hatte, ohne von seinen politischen Grundsätzen den kleinsten Abstrich zu machen und sich in irgendeiner Weise zu distanzieren oder seine Überzeugungen zu relativieren, letztlich ein Angebot von Präsident Pieter Botha angenommen. In einer persönlichen Erklärung bekundete der inzwischen 52jährige, dass er persönlich zukünftig nicht mehr am bewaffneten Kampf teilnehmen werde. Goldberg ging ins Exil, zunächst zu seiner Tochter Hilly, wie er sie nannte, die in einem Kibbuz in Israel lebte, dann nach London.
Er hatte 7.904 Tage hinter Gittern verbracht. Noch länger saßen seine Comrades auf Robben Island. Dann drehten sich auch für sie die politischen Verhältnisse, die Apartheidregierung wankte zusehends unter nationalem, internationalem und ökonomischem Druck. »One man, one vote« entsprechend der ANC-Freiheitscharta von 1955 wurde schließlich Wirklichkeit und Nelson Mandela 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt.
Inzwischen in der Londoner ANC-Zentrale arbeitend, dem wichtigsten Auslandsbüro, registrierte Denis Goldberg Widersprüchlichkeiten, einen feindseligen, von persönlichen Animositäten bestimmten Umgang untereinander und zwischen Gruppen – ein Gegeneinander innerhalb der Organisation, das es in der Vergangenheit nicht gegeben hatte. Er ging dagegen an, war ANC-Vertreter im Antiapartheidausschuss der UNO und engagierte sich in der Solidaritätsbewegung, bevor er ans Kap zurückkehrte. Dort beriet er den Minister für Wasser- und Forstwirtschaft, Ronnie Kasrils, den ehemaligen MK-Geheimdienstchef, und war schließlich auch für dessen Nachfolgerin tätig. Hinter Gittern hatte er im Fernstudium unter anderem Jura, Geographie und Geschichte studiert. Zu seinem Ansehen trug seine Fähigkeit bei, zu kommunizieren und mit Problemen offen umzugehen.
Immer wieder betonte er, dass bei aller Kritik an anhaltenden Missständen im freien Südafrika, trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und sozialen Gegensätzen sich doch viel Positives getan habe im einstigen Land der Apartheid. Während der Herrschaft von Präsident Jacob Zuma allerdings, als die Korruption im Umfeld des ANC ungeahnte Dimensionen annahm, warnte er eindringlich: Enttäuschend sei »das Verhalten mancher Comrades. Ich sage meinen Genossen, wir haben die Revolution für die Menschen gemacht, nicht für uns selbst.«
Auf meine Bemerkung, dass es doch letztlich logisch gewesen wäre, nach dem Sturz des Rassistenregimes den Großbesitz zu nationalisieren, stimmte er zu: »Das ist wahr – wenn sich nicht eine neue Elite dieses Besitzes annehmen würde. Im Laufe der jüngeren Geschichte Südafrikas bereicherte sich das international gestützte englischsprechende Kapital, dann übernahmen afrikaanssprechende Weiße die Macht, jetzt entwickelt sich eine neue Gruppe ehemals unterdrückter Schwarzafrikaner, hinzu kamen einige Inder. Sie formierten sich zu einer neuen kapitalistischen Gruppe.«
Die Schatztruhe
Resigniert klang er indes nicht, nur manchmal etwas müde, was nicht nur wegen des Alters nicht verwunderlich war. Doch blieb er optimistisch, engagierte sich bis zu seinem Tod am 29. Mai 2020 lokal und international, wurde zum begeisterten Kunstsammler, der aus seinem Haus innerhalb von zehn Jahren eine Schatztruhe mit südafrikanischer Kunst machte. Mehr als 200 Objekte, Gemälde, Skulpturen, auch Fotos und Plastiken verwandelten die Villa in Hout Bay in eine farbenprächtige Galerie. Einige der Werke waren ihm von Künstlern geschenkt worden »aus Dankbarkeit für die Opfer, die er gebracht hatte«, wie das Magazin Art Africa bemerkte. Dann kam Corona, und in diesen schweren Monaten besiegte der Lungenkrebs Denis Goldberg. Das Land gedachte seiner mit einer Schweigeminute. Präsident Cyril Ramaphosa hielt eine Fernsehansprache.
Andrew Mlangeni starb ein Vierteljahr nach seinem Comrade Goldberg – und mit ihm der letzte der Rivonia-Leute, jener unbestechlichen Autoritäten des Befreiungskampfes. Heute gibt es in Hout Bays Andrews Road das »Denis Goldberg House of Hope«. Von Goldberg 2015 als Stiftung gegründet, soll es helfen, die weiterhin hohen, heute meist sozial bedingten Schranken zu überwinden. Junge Leute sollten »gemeinsam singen, tanzen, dichten« – so Denis zur Intention für das Zentrum für Kunst, Kultur und Erziehung. Von der Neptune Street 12 aus, hoch über der Holzbucht, kann man das »Haus der Hoffnung« unten entdecken, nahe dem Hafen zwischen den Ozeanen.
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90-Tage-Gesetz
Esmé musste die Tragödie in der Ferne ihres Londoner Exils durchleiden. Goldbergs Ehefrau – Denis und sie waren 1954 in Kapstadt standesamtlich getraut worden – hatte zuvor schon bittere Gefängniserfahrungen sammeln müssen. Sie war 1963 nach einem missglückten Fluchtversuch ihres Mannes unter dem 90-Tage-Kontaktverbotsgesetz wochenlang in Einzelhaft eingesperrt. Bei Denis war unterdessen der Gedanke gereift, dass es wegen der von Adoption bedrohten Kinder – Hilary war 1955, David 1957 zur Welt gekommen – besser wäre, wenn seine Familie ins Exil ginge. Schließlich reiste sie Ende 1963 nach England – gegen Esmés Widerstand. Sie hatte ihrem Mann im Prozess zur Seite stehen wollen, doch die Sicherheit der Kinder ging vor, und sie beugte sich dem.
Anni folgte Esmé nach London, derweil Sam Goldberg, ein »wegen Kommunismus« Geächteter, dem Redeverbot auferlegt war, in Südafrika blieb und versuchte, seinen Sohn zu unterstützen. Er zog nach Pretoria, dem Ort des Zentralgefängnisses, in dem Denis nunmehr saß. Die Besuchszeiten im Knast waren streng reglementiert. Esmé durfte ihren Mann nur zweimal während der 22 Jahre Haft sehen, getrennt durch eine Scheibe. Die Kinder unregelmäßig im Zweijahresrhythmus. »Über 14 Jahre, bis zum Ende meiner Haftzeit, besuchte mich Hillary Kuny (später: Hillary Hamburger). Sie betreute auch meinen Vater.« Das Verdienst von Kuny, der Antiapartheidaktivistin und Mutter von drei Kindern, war vor allem, Denis vor Abstumpfung und Gefühlsverlust zu bewahren, was ihr zuvorderst mit ihren Erzählungen aus dem alltäglichen Leben draußen gelang.
Ein einziges Mal wurde es seiner Mutter Anni erlaubt, ihn für eine halbe Stunde zu sprechen: Als die alte Frau ging, wollte sie ihrem Sohn noch einen Abschiedskuss geben. Der Wärter öffnete das Fenster zwischen den beiden zehn Zentimeter weit. Denis: »Meine Mutter musste auf einen hohen Stuhl steigen, damit wir uns durch diese winzige Öffnung küssen konnten.« Das sei ein unwürdiger Abschied mit einer demütigenden Prozedur gewesen. »Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.« Sie starb 1975 in London.
Todesgesänge
Zu einem erschütternden Einschnitt ins sowieso schon kaum ertragbare Existieren hinter Gittern, drangsaliert von Rassisten, ohne Sonne mit wenig Licht und Essen, kam es nach der gelungenen Flucht von drei Mitgefangenen 1980: Der Staat verlegte die Politischen, darunter Goldberg, in einen Todestrakt direkt neben dem Galgen des Zuchthauses: Zwei bis vier Menschen wurden hier wöchentlich gehenkt. Die Gefangenen nebenan hörten die Klagegesänge und durchlitten die letzten Minuten der Menschen hautnah mit, und mancher stand kurz davor, durchzudrehen.
»Wiedergeburt am 28. Februar 1985« nennt Denis Goldberg seine Entlassung. Er hatte, ohne von seinen politischen Grundsätzen den kleinsten Abstrich zu machen und sich in irgendeiner Weise zu distanzieren oder seine Überzeugungen zu relativieren, letztlich ein Angebot von Präsident Pieter Botha angenommen. In einer persönlichen Erklärung bekundete der inzwischen 52jährige, dass er persönlich zukünftig nicht mehr am bewaffneten Kampf teilnehmen werde. Goldberg ging ins Exil, zunächst zu seiner Tochter Hilly, wie er sie nannte, die in einem Kibbuz in Israel lebte, dann nach London.
Er hatte 7.904 Tage hinter Gittern verbracht. Noch länger saßen seine Comrades auf Robben Island. Dann drehten sich auch für sie die politischen Verhältnisse, die Apartheidregierung wankte zusehends unter nationalem, internationalem und ökonomischem Druck. »One man, one vote« entsprechend der ANC-Freiheitscharta von 1955 wurde schließlich Wirklichkeit und Nelson Mandela 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt.
Inzwischen in der Londoner ANC-Zentrale arbeitend, dem wichtigsten Auslandsbüro, registrierte Denis Goldberg Widersprüchlichkeiten, einen feindseligen, von persönlichen Animositäten bestimmten Umgang untereinander und zwischen Gruppen – ein Gegeneinander innerhalb der Organisation, das es in der Vergangenheit nicht gegeben hatte. Er ging dagegen an, war ANC-Vertreter im Antiapartheidausschuss der UNO und engagierte sich in der Solidaritätsbewegung, bevor er ans Kap zurückkehrte. Dort beriet er den Minister für Wasser- und Forstwirtschaft, Ronnie Kasrils, den ehemaligen MK-Geheimdienstchef, und war schließlich auch für dessen Nachfolgerin tätig. Hinter Gittern hatte er im Fernstudium unter anderem Jura, Geographie und Geschichte studiert. Zu seinem Ansehen trug seine Fähigkeit bei, zu kommunizieren und mit Problemen offen umzugehen.
Immer wieder betonte er, dass bei aller Kritik an anhaltenden Missständen im freien Südafrika, trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und sozialen Gegensätzen sich doch viel Positives getan habe im einstigen Land der Apartheid. Während der Herrschaft von Präsident Jacob Zuma allerdings, als die Korruption im Umfeld des ANC ungeahnte Dimensionen annahm, warnte er eindringlich: Enttäuschend sei »das Verhalten mancher Comrades. Ich sage meinen Genossen, wir haben die Revolution für die Menschen gemacht, nicht für uns selbst.«
Auf meine Bemerkung, dass es doch letztlich logisch gewesen wäre, nach dem Sturz des Rassistenregimes den Großbesitz zu nationalisieren, stimmte er zu: »Das ist wahr – wenn sich nicht eine neue Elite dieses Besitzes annehmen würde. Im Laufe der jüngeren Geschichte Südafrikas bereicherte sich das international gestützte englischsprechende Kapital, dann übernahmen afrikaanssprechende Weiße die Macht, jetzt entwickelt sich eine neue Gruppe ehemals unterdrückter Schwarzafrikaner, hinzu kamen einige Inder. Sie formierten sich zu einer neuen kapitalistischen Gruppe.«
Die Schatztruhe
Resigniert klang er indes nicht, nur manchmal etwas müde, was nicht nur wegen des Alters nicht verwunderlich war. Doch blieb er optimistisch, engagierte sich bis zu seinem Tod am 29. Mai 2020 lokal und international, wurde zum begeisterten Kunstsammler, der aus seinem Haus innerhalb von zehn Jahren eine Schatztruhe mit südafrikanischer Kunst machte. Mehr als 200 Objekte, Gemälde, Skulpturen, auch Fotos und Plastiken verwandelten die Villa in Hout Bay in eine farbenprächtige Galerie. Einige der Werke waren ihm von Künstlern geschenkt worden »aus Dankbarkeit für die Opfer, die er gebracht hatte«, wie das Magazin Art Africa bemerkte. Dann kam Corona, und in diesen schweren Monaten besiegte der Lungenkrebs Denis Goldberg. Das Land gedachte seiner mit einer Schweigeminute. Präsident Cyril Ramaphosa hielt eine Fernsehansprache.
Andrew Mlangeni starb ein Vierteljahr nach seinem Comrade Goldberg – und mit ihm der letzte der Rivonia-Leute, jener unbestechlichen Autoritäten des Befreiungskampfes. Heute gibt es in Hout Bays Andrews Road das »Denis Goldberg House of Hope«. Von Goldberg 2015 als Stiftung gegründet, soll es helfen, die weiterhin hohen, heute meist sozial bedingten Schranken zu überwinden. Junge Leute sollten »gemeinsam singen, tanzen, dichten« – so Denis zur Intention für das Zentrum für Kunst, Kultur und Erziehung. Von der Neptune Street 12 aus, hoch über der Holzbucht, kann man das »Haus der Hoffnung« unten entdecken, nahe dem Hafen zwischen den Ozeanen.
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•NEUER BEITRAG12.04.2023, 21:35 Uhr
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"»Mister Technico«, wie er genannt wurde, erhielt schließlich den Auftrag, alles zum Thema Waffen und Bomben zu recherchieren und diese auch anzufertigen. Von Zehntausenden Handgranaten und Sprengkörpern war die Rede. Das Waffenarsenal war für die Operation Mayibuye (Komm zurück, Afrika) gedacht. Geplant war, »7.000 bewaffnete Guerillakämpfer in Südafrika darauf vorzubereiten, die Kämpfer aus dem Ausland in ihre Einheiten aufzunehmen. Viele Comrades hatten in China, der DDR und der Sowjetunion eine militärische Ausbildung erhalten.« Und auch in Nachbarländern."
Wow!! Was für Zahlen! Davon konnte man in Good Old Europe nur träumen ...
"»Die Existenz einer bewaffneten Kraft macht noch keine revolutionäre Situation aus. Wir wussten, dass die Unterstützung durch das Volk wesentlich war. Das ANC-Bündnis verfolgte eine Politik der Massenmobilisierung durch Streiks, Proteste und Kampagnen zivilen Ungehorsams.« Später habe das Scheitern Che Guevaras in Bolivien sowie das der Stadtguerilla in Westeuropa, der RAF und der Roten Brigaden, gezeigt, dass der bewaffnete Kampf, um Erfolg zu haben, von der Bevölkerung unterstützt werden müsse.
"
Eine sehr sehr wichtige Aussage! Da waren einige damalige Gen. dann doch etwas naiv und haben z. B. die (Gegen-)Propagandamaschine der jeweiligen Herrschenden unterschätzt. Und dann auch nicht ausreichend bedacht, für den Notfall einigermaßen gesicherte Rückzugspläne in petto zu haben - was zum Beispiel einem Fuchs NIEmals passieren würde.
Wow!! Was für Zahlen! Davon konnte man in Good Old Europe nur träumen ...
"»Die Existenz einer bewaffneten Kraft macht noch keine revolutionäre Situation aus. Wir wussten, dass die Unterstützung durch das Volk wesentlich war. Das ANC-Bündnis verfolgte eine Politik der Massenmobilisierung durch Streiks, Proteste und Kampagnen zivilen Ungehorsams.« Später habe das Scheitern Che Guevaras in Bolivien sowie das der Stadtguerilla in Westeuropa, der RAF und der Roten Brigaden, gezeigt, dass der bewaffnete Kampf, um Erfolg zu haben, von der Bevölkerung unterstützt werden müsse.
"
Eine sehr sehr wichtige Aussage! Da waren einige damalige Gen. dann doch etwas naiv und haben z. B. die (Gegen-)Propagandamaschine der jeweiligen Herrschenden unterschätzt. Und dann auch nicht ausreichend bedacht, für den Notfall einigermaßen gesicherte Rückzugspläne in petto zu haben - was zum Beispiel einem Fuchs NIEmals passieren würde.
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