13
|
|
•NEUES THEMA06.04.2020, 14:28 Uhr
EDIT: FPeregrin
06.05.2020, 12:58 Uhr
06.05.2020, 12:58 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|
• GB: Lage der Labour Party
jW 3. April:
Ende einer Ära
Großbritannien: Jeremy Corbyn gibt Labour-Vorsitz ab. Gewerkschaftsbewegung verliert wichtigen Unterstützer. Linke Massenpartei wichtiger denn je
Von Christian Bunke, Manchester
Hintergrund: Abschied als ÂParteichef
Am 27. März gab Jeremy Corbyn der BBC sein letztes Interview als Parteichef. Darin sagte er: »Ich habe alles getan, um beide Wahlen zu gewinnen und den Menschen unseres Landes zu sagen, dass der einzige Weg zu einer solidarischen Gemeinschaft die Bereitschaft zum Investieren ist. Ich wurde gebrandmarkt als jemand, der mehr Geld ausgeben möchte, als wir uns jemals leisten können, um die sozialen Ungerechtigkeiten in diesem Land zu korrigieren. Ich habe nicht geglaubt, dass es nur drei Monate dauern würde, um zu beweisen, dass ich absolut richtiggelegen habe. Das zeigt sich anhand der riesigen Geldmenge, welche die Regierung mit Zustimmung des Parlaments nun bereit ist in die Hand zu nehmen, um der Coronakrise zu begegnen. Dies ist also ein Wandel in unserer Politik, den die Coronakrise eigentlich in jedem Land der Welt bedeutet hat. Plötzlich merken wir, dass wir nur so gesund sind, wie unser Nachbar sicher ist.«
Am 25. März hatte Corbyn an seiner letzten wöchentlichen Fragestunde im britischen Unterhaus teilgenommen. Zuvor hatte Boris Johnson das Wort an ihn gerichtet, und der scheidende Labour-Chef machte auch hier deutlich: »Ich glaube an eine menschenwürdige, sozial gerechte Gesellschaft. Und er (Johnson, jW) hat geredet, als ob dies eine Art Nachruf wäre. Nur damit er es weiß: Meine Stimme wird nicht zum Schweigen gebracht. Ich werde dasein. Ich werde mich an Kampagnen beteiligen. Ich werde streitbar bleiben. Und ich werde Gerechtigkeit für die Menschen dieses Landes einfordern – und für die gesamte Welt.«
Beide Zitate wurden in »sozialen Medien« vielfach verbreitet, geteilt und kommentiert. Gewerkschaftsaktivisten nutzten die Gelegenheit, um sich bei ihm für die Arbeit der vergangenen Jahre zu bedanken. »Corbyn war der beste Premierminister, den wir nie hatten«, so ein oft formulierter Satz. (cb)
Am Samstag geht die Ära Jeremy Corbyn mit der Vorstellung seines Nachfolgers zu Ende. Seit September 2015 stand der britische sozialdemokratische Linkspolitiker für die Möglichkeit eines progressiven Ausbruchs aus dem neoliberalen Allerlei der vergangenen drei Jahrzehnte. Premierminister ist er zwar nicht geworden. Dennoch kann er für sich beanspruchen, im Kern seiner Argumente recht gehabt zu haben. Heute ist es eine konservative Regierung, welche im Angesicht von Corona- und Wirtschaftskrise ohne mit der Wimper zu zucken die Eisenbahnunternehmen unter staatliche Kontrolle stellt – natürlich mit dem Vorhaben, diese Spielzeuge später wieder den privaten Betreibergesellschaften zurückgeben zu können.
Bis zum Schluss bemüht sich Corbyn, seine Rolle als Oppositionsführer im Sinne arbeitender Menschen zu nutzen. Noch am 31. März schrieb er einen offenen Brief an Premierminister Boris Johnson, um bessere Bedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu fordern. Die Beschaffung von Schutzkleidung für Ärzte und Pflegekräfte, die Durchführung von massenhaften Coronavirustests in der Bevölkerung, der Ausbau der sozialen Pflegearbeit sowie die Umsetzung gewerkschaftlicher Forderungen nach Schließung nichtessentieller Betriebe zum Schutz der Belegschaften hätten nun absolute Priorität, so Corbyn in seinem Schreiben.
Zeit seines Lebens war er Aktivist für den linken Flügel der britischen sozialdemokratischen Bewegung. Er unterstützte die Kandidatur von Anthony Benn für den Posten des Parteivorsitzenden im Jahr 1983. Ein Jahr zuvor war er eine prominente Figur im Kampf gegen die vom rechten Parteiflügel durchgedrückten Parteiausschlüsse der Mitglieder der trotzkistischen »Militant Tendency«. Mehrfach wurde Corbyn auf Demonstrationen verhaftet, zum Beispiel bei Protesten gegen das Apartheidregime in Südafrika. 2017 konnten er und seine Mitstreiter fast die Parlamentswahlen gewinnen. Deren Ergebnisse waren nicht die von der damaligen Premierministerin Theresa May erhoffte absolute Mehrheit, sondern eine konservative Minderheitsregierung und unklare Mehrheitsverhältnisse.
Viele Jahrzehnte hatte die britische Gewerkschaftsbewegung keinen solchen Unterstützer an der Spitze der Labour-Partei gehabt. Corbyn versprach die Abschaffung von Antigewerkschaftsgesetzen und die Vergesellschaftung privatisierter Teile des öffentlichen Sektors, darunter die Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Mit ihm wurde Labour wieder zu einer Massenorganisation mit Hunderttausenden Mitgliedern.
Doch Corbyn wurde Gefangener seines Erfolges. Als Parteichef wusste er nur selten seine Massenbasis zu mobilisieren. Statt dessen verhedderte er sich zunehmend in parlamentarischen Manövern und Versuchen, mit dem rechten Parteiflügel Kompromisse zu schmieden, an welchen dieser keinerlei Interesse hatte und hat. Schon 2015 warnten Corbyn und sein Vertrauter John McDonnell in einem an Kommunalpolitiker der Labour-Partei gerichteten Brief vor dem Beschluss »illegaler« Antikürzungshaushalte. Das war ein Freibrief für den in der Kommunalpolitik dominanten rechten Flügel, Sparpakete der konservativen Regierung mit teilweise großem Enthusiasmus umzusetzen.
Während Corbyn von der Parteispitze her den Sozialismus versprach, sahen gerade die Menschen in den Hochburgen der Partei, also den ehemaligen Industrieregionen, eine durch und durch bürgerliche Realpolitik. Hier galt Labour als Teil des Establishments, nicht als das Gesicht der Revolte. Das Votum vieler Menschen in diesen Gebieten für den »Brexit« im Jahr 2016 war auf gewisse Weise auch ein Misstrauensvotum gegen eine Labour-Partei, welche die »Remain«-Position befürwortete. Insofern sollte es sich als katastrophal erweisen, dass Corbyn in den Jahren seit 2017 verstärkt auf eine De-facto-Position des »Remain« umschwenkte und in den Wochen vor den Parlamentswahlen im Dezember 2019 sogar ein zweites EU-Referendum befürwortete. Das Ergebnis war eine konservative, von Johnson geführte Regierung mit absoluter parlamentarischer Mehrheit. Johnson konnte dabei in genau jenen Wahlkreisen punkten, welche von Labour-Strategen als irrelevant eingestuft worden waren, weil man nicht damit rechnete, dass die Menschen in den Arbeiterregionen jemals Tories wählen würden.
Dabei wäre eine aktivistisch orientierte linke Massenpartei gerade jetzt wichtig. Im ganzen Land kommt es derzeit zu Protesten und teilweise auch Streiks durch Belegschaften von Großbaustellen, Lagerhäusern, Abfall- und Reinigungsfirmen, um ausreichende Schutzmaßnahmen gegen die Coronaviruspandemie durchzusetzen. Ob Keir Starmer, der mögliche Nachfolger Corbyns, hier hilfreich sein wird, ist mehr als fraglich.
Link ...jetzt anmelden!
Ende einer Ära
Großbritannien: Jeremy Corbyn gibt Labour-Vorsitz ab. Gewerkschaftsbewegung verliert wichtigen Unterstützer. Linke Massenpartei wichtiger denn je
Von Christian Bunke, Manchester
Hintergrund: Abschied als ÂParteichef
Am 27. März gab Jeremy Corbyn der BBC sein letztes Interview als Parteichef. Darin sagte er: »Ich habe alles getan, um beide Wahlen zu gewinnen und den Menschen unseres Landes zu sagen, dass der einzige Weg zu einer solidarischen Gemeinschaft die Bereitschaft zum Investieren ist. Ich wurde gebrandmarkt als jemand, der mehr Geld ausgeben möchte, als wir uns jemals leisten können, um die sozialen Ungerechtigkeiten in diesem Land zu korrigieren. Ich habe nicht geglaubt, dass es nur drei Monate dauern würde, um zu beweisen, dass ich absolut richtiggelegen habe. Das zeigt sich anhand der riesigen Geldmenge, welche die Regierung mit Zustimmung des Parlaments nun bereit ist in die Hand zu nehmen, um der Coronakrise zu begegnen. Dies ist also ein Wandel in unserer Politik, den die Coronakrise eigentlich in jedem Land der Welt bedeutet hat. Plötzlich merken wir, dass wir nur so gesund sind, wie unser Nachbar sicher ist.«
Am 25. März hatte Corbyn an seiner letzten wöchentlichen Fragestunde im britischen Unterhaus teilgenommen. Zuvor hatte Boris Johnson das Wort an ihn gerichtet, und der scheidende Labour-Chef machte auch hier deutlich: »Ich glaube an eine menschenwürdige, sozial gerechte Gesellschaft. Und er (Johnson, jW) hat geredet, als ob dies eine Art Nachruf wäre. Nur damit er es weiß: Meine Stimme wird nicht zum Schweigen gebracht. Ich werde dasein. Ich werde mich an Kampagnen beteiligen. Ich werde streitbar bleiben. Und ich werde Gerechtigkeit für die Menschen dieses Landes einfordern – und für die gesamte Welt.«
Beide Zitate wurden in »sozialen Medien« vielfach verbreitet, geteilt und kommentiert. Gewerkschaftsaktivisten nutzten die Gelegenheit, um sich bei ihm für die Arbeit der vergangenen Jahre zu bedanken. »Corbyn war der beste Premierminister, den wir nie hatten«, so ein oft formulierter Satz. (cb)
Am Samstag geht die Ära Jeremy Corbyn mit der Vorstellung seines Nachfolgers zu Ende. Seit September 2015 stand der britische sozialdemokratische Linkspolitiker für die Möglichkeit eines progressiven Ausbruchs aus dem neoliberalen Allerlei der vergangenen drei Jahrzehnte. Premierminister ist er zwar nicht geworden. Dennoch kann er für sich beanspruchen, im Kern seiner Argumente recht gehabt zu haben. Heute ist es eine konservative Regierung, welche im Angesicht von Corona- und Wirtschaftskrise ohne mit der Wimper zu zucken die Eisenbahnunternehmen unter staatliche Kontrolle stellt – natürlich mit dem Vorhaben, diese Spielzeuge später wieder den privaten Betreibergesellschaften zurückgeben zu können.
Bis zum Schluss bemüht sich Corbyn, seine Rolle als Oppositionsführer im Sinne arbeitender Menschen zu nutzen. Noch am 31. März schrieb er einen offenen Brief an Premierminister Boris Johnson, um bessere Bedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu fordern. Die Beschaffung von Schutzkleidung für Ärzte und Pflegekräfte, die Durchführung von massenhaften Coronavirustests in der Bevölkerung, der Ausbau der sozialen Pflegearbeit sowie die Umsetzung gewerkschaftlicher Forderungen nach Schließung nichtessentieller Betriebe zum Schutz der Belegschaften hätten nun absolute Priorität, so Corbyn in seinem Schreiben.
Zeit seines Lebens war er Aktivist für den linken Flügel der britischen sozialdemokratischen Bewegung. Er unterstützte die Kandidatur von Anthony Benn für den Posten des Parteivorsitzenden im Jahr 1983. Ein Jahr zuvor war er eine prominente Figur im Kampf gegen die vom rechten Parteiflügel durchgedrückten Parteiausschlüsse der Mitglieder der trotzkistischen »Militant Tendency«. Mehrfach wurde Corbyn auf Demonstrationen verhaftet, zum Beispiel bei Protesten gegen das Apartheidregime in Südafrika. 2017 konnten er und seine Mitstreiter fast die Parlamentswahlen gewinnen. Deren Ergebnisse waren nicht die von der damaligen Premierministerin Theresa May erhoffte absolute Mehrheit, sondern eine konservative Minderheitsregierung und unklare Mehrheitsverhältnisse.
Viele Jahrzehnte hatte die britische Gewerkschaftsbewegung keinen solchen Unterstützer an der Spitze der Labour-Partei gehabt. Corbyn versprach die Abschaffung von Antigewerkschaftsgesetzen und die Vergesellschaftung privatisierter Teile des öffentlichen Sektors, darunter die Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Mit ihm wurde Labour wieder zu einer Massenorganisation mit Hunderttausenden Mitgliedern.
Doch Corbyn wurde Gefangener seines Erfolges. Als Parteichef wusste er nur selten seine Massenbasis zu mobilisieren. Statt dessen verhedderte er sich zunehmend in parlamentarischen Manövern und Versuchen, mit dem rechten Parteiflügel Kompromisse zu schmieden, an welchen dieser keinerlei Interesse hatte und hat. Schon 2015 warnten Corbyn und sein Vertrauter John McDonnell in einem an Kommunalpolitiker der Labour-Partei gerichteten Brief vor dem Beschluss »illegaler« Antikürzungshaushalte. Das war ein Freibrief für den in der Kommunalpolitik dominanten rechten Flügel, Sparpakete der konservativen Regierung mit teilweise großem Enthusiasmus umzusetzen.
Während Corbyn von der Parteispitze her den Sozialismus versprach, sahen gerade die Menschen in den Hochburgen der Partei, also den ehemaligen Industrieregionen, eine durch und durch bürgerliche Realpolitik. Hier galt Labour als Teil des Establishments, nicht als das Gesicht der Revolte. Das Votum vieler Menschen in diesen Gebieten für den »Brexit« im Jahr 2016 war auf gewisse Weise auch ein Misstrauensvotum gegen eine Labour-Partei, welche die »Remain«-Position befürwortete. Insofern sollte es sich als katastrophal erweisen, dass Corbyn in den Jahren seit 2017 verstärkt auf eine De-facto-Position des »Remain« umschwenkte und in den Wochen vor den Parlamentswahlen im Dezember 2019 sogar ein zweites EU-Referendum befürwortete. Das Ergebnis war eine konservative, von Johnson geführte Regierung mit absoluter parlamentarischer Mehrheit. Johnson konnte dabei in genau jenen Wahlkreisen punkten, welche von Labour-Strategen als irrelevant eingestuft worden waren, weil man nicht damit rechnete, dass die Menschen in den Arbeiterregionen jemals Tories wählen würden.
Dabei wäre eine aktivistisch orientierte linke Massenpartei gerade jetzt wichtig. Im ganzen Land kommt es derzeit zu Protesten und teilweise auch Streiks durch Belegschaften von Großbaustellen, Lagerhäusern, Abfall- und Reinigungsfirmen, um ausreichende Schutzmaßnahmen gegen die Coronaviruspandemie durchzusetzen. Ob Keir Starmer, der mögliche Nachfolger Corbyns, hier hilfreich sein wird, ist mehr als fraglich.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG06.04.2020, 14:30 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|
Ebd.:
Rechte im Aufwind
Britische Labour-Partei vor Neuausrichtung. Linker Flügel demoralisiert
Von Christian Bunke, Manchester
Jeremy Corbyns Amtszeit als Parteichef war von großer Kompromissbereitschaft gegenüber dem rechten Flügel von Labour geprägt. Dieser dankte es von Anfang an mit einer energischen Kampagne, um den ungeliebten Sozialisten loszuwerden. Immer wieder kam es zu Misstrauensanträgen seitens der Parlamentsfraktion gegen Corbyn. Sogar eine Parteispaltung wurde probiert. Über die Parteigrenzen hinaus wurden die Medien mobilisiert, um Corbyn mit Schmutz zu bewerfen. Kein Tag verging, ohne dass diesem wahlweise Sexismus, Antisemitismus oder mangelnder Patriotismus vorgeworfen wurde. Soldaten der britischen Armee im Auslandseinsatz nutzten sein Gesicht als Zielscheibe für Schießübungen, anonym bleibende Generäle veröffentlichten Stellungnahmen mit der Aussage, das Militär werde eine von Corbyn geführte Regierung niemals unterstützen.
Mit dem Rücktritt Corbyns sieht die Parteirechte nun die Chance, dessen Erbe zu begraben. Das soll mit Hilfe des Unterhausabgeordneten Keir Starmer gelingen. Er ist der »brexitpolitische« Sprecher der Labour-Partei und maßgeblich dafür verantwortlich, dass im Wahlkampf die Forderung nach einem zweiten EU-Referendum aufgestellt wurde. Jetzt kandidiert er für den Parteivorsitz. Aufgrund der weitreichenden Demoralisierung des linken Parteiflügels werden ihm gute Chancen ausgerechnet, die Wahl zu gewinnen.
Starmer gelang es, in seinem Wahlkampf den Eindruck eines kompetenten Politikers zu erwecken, der gleichzeitig auf dem Boden des Corbynschen Programms steht. Er befriedigt somit ein Bedürfnis unter Teilen der Parteimitgliedschaft, die sich durch einen »professionell« auftretenden Labour-Chef bessere Chancen gegenüber einer mehrheitlich feindlich eingestellten Medienlandschaft erhoffen.
Dabei wird Starmer wesentlich druckempfindlicher für die Forderungen und Erpressungen des britischen bürgerlichen Lagers sein, als Corbyn dies war. Starmer ist karrieristischer Berufspolitiker, kein Aktivist. 2016 unterstützte er die Kandidatur des blairistischen Parlamentariers Owen Smith zum Parteivorsitzenden. Als die konservative Regierung neue Gesetze für drastische »Reformen« und Einsparungen bei den Sozialleistungen für Erwerbslose und berufsunfähige Menschen ins Unterhaus einbrachte, enthielt Starmer sich der Stimme. Er votierte für die Erneuerung des britischen Atomwaffenprogramms und gegen eine parlamentarische Untersuchung zu den Ursachen des Irak-Krieges.
Die Chance, dass ein Labour-Chef Starmer Rücksichten auf das derzeitige Parteiprogramm nehmen wird, ist gering. In verschiedenen britischen Medien und Tageszeitungen häufen sich derzeit die Leitartikel, in welchen er aufgefordert wird nach Amtsantritt mit den Linken in seiner Partei aufzuräumen und diese so schnell wie möglich aus Führungspositionen zu entfernen. Ein prominentes Mitglied seines Wahlkampfteams ist Matthew Pound, ein ehemaliger nationaler Organisator für den rechten Thinktank »Labour First«. Vom ihm ist die in »sozialen Medien« getätigte Aussage überliefert, er sei ein »hauptamtlicher Organisator gegen die radikale Linke«. Rechtskräfte sind in der Realpolitik gegenüber ihren Gegnern meistens rücksichtsloser als Linke. Falsche Rücksicht hat Corbyn und seine Mitstreiter in die Niederlage geführt.
Link ...jetzt anmelden!
Rechte im Aufwind
Britische Labour-Partei vor Neuausrichtung. Linker Flügel demoralisiert
Von Christian Bunke, Manchester
Jeremy Corbyns Amtszeit als Parteichef war von großer Kompromissbereitschaft gegenüber dem rechten Flügel von Labour geprägt. Dieser dankte es von Anfang an mit einer energischen Kampagne, um den ungeliebten Sozialisten loszuwerden. Immer wieder kam es zu Misstrauensanträgen seitens der Parlamentsfraktion gegen Corbyn. Sogar eine Parteispaltung wurde probiert. Über die Parteigrenzen hinaus wurden die Medien mobilisiert, um Corbyn mit Schmutz zu bewerfen. Kein Tag verging, ohne dass diesem wahlweise Sexismus, Antisemitismus oder mangelnder Patriotismus vorgeworfen wurde. Soldaten der britischen Armee im Auslandseinsatz nutzten sein Gesicht als Zielscheibe für Schießübungen, anonym bleibende Generäle veröffentlichten Stellungnahmen mit der Aussage, das Militär werde eine von Corbyn geführte Regierung niemals unterstützen.
Mit dem Rücktritt Corbyns sieht die Parteirechte nun die Chance, dessen Erbe zu begraben. Das soll mit Hilfe des Unterhausabgeordneten Keir Starmer gelingen. Er ist der »brexitpolitische« Sprecher der Labour-Partei und maßgeblich dafür verantwortlich, dass im Wahlkampf die Forderung nach einem zweiten EU-Referendum aufgestellt wurde. Jetzt kandidiert er für den Parteivorsitz. Aufgrund der weitreichenden Demoralisierung des linken Parteiflügels werden ihm gute Chancen ausgerechnet, die Wahl zu gewinnen.
Starmer gelang es, in seinem Wahlkampf den Eindruck eines kompetenten Politikers zu erwecken, der gleichzeitig auf dem Boden des Corbynschen Programms steht. Er befriedigt somit ein Bedürfnis unter Teilen der Parteimitgliedschaft, die sich durch einen »professionell« auftretenden Labour-Chef bessere Chancen gegenüber einer mehrheitlich feindlich eingestellten Medienlandschaft erhoffen.
Dabei wird Starmer wesentlich druckempfindlicher für die Forderungen und Erpressungen des britischen bürgerlichen Lagers sein, als Corbyn dies war. Starmer ist karrieristischer Berufspolitiker, kein Aktivist. 2016 unterstützte er die Kandidatur des blairistischen Parlamentariers Owen Smith zum Parteivorsitzenden. Als die konservative Regierung neue Gesetze für drastische »Reformen« und Einsparungen bei den Sozialleistungen für Erwerbslose und berufsunfähige Menschen ins Unterhaus einbrachte, enthielt Starmer sich der Stimme. Er votierte für die Erneuerung des britischen Atomwaffenprogramms und gegen eine parlamentarische Untersuchung zu den Ursachen des Irak-Krieges.
Die Chance, dass ein Labour-Chef Starmer Rücksichten auf das derzeitige Parteiprogramm nehmen wird, ist gering. In verschiedenen britischen Medien und Tageszeitungen häufen sich derzeit die Leitartikel, in welchen er aufgefordert wird nach Amtsantritt mit den Linken in seiner Partei aufzuräumen und diese so schnell wie möglich aus Führungspositionen zu entfernen. Ein prominentes Mitglied seines Wahlkampfteams ist Matthew Pound, ein ehemaliger nationaler Organisator für den rechten Thinktank »Labour First«. Vom ihm ist die in »sozialen Medien« getätigte Aussage überliefert, er sei ein »hauptamtlicher Organisator gegen die radikale Linke«. Rechtskräfte sind in der Realpolitik gegenüber ihren Gegnern meistens rücksichtsloser als Linke. Falsche Rücksicht hat Corbyn und seine Mitstreiter in die Niederlage geführt.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG06.04.2020, 14:32 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Absage an Klassenkampf
Neuer Labour-Chef
Von Christian Bunke, Manchester
Die Labour-Partei werde ihre Rolle ganz im nationalen Interesse erfüllen, erklärte der neu gewählte Vorsitzende Keir Starmer in einer Videobotschaft am Samstag. Klassenkampf sei bei den britischen Sozialdemokraten nun vorbei. »Unter meiner Führung werden wir einen konÂstruktiven Umgang mit der Regierung pflegen«, so Starmer weiter. »Es geht nicht um Opposition als Selbstzweck, sondern um den Mut zu unterstützen, was nötig ist.« Premierminister Boris Johnson wird es freuen. Schon ist immer öfter von einer möglichen »Regierung der nationalen Einheit« die Rede. Mit dem Linkspolitiker Jeremy Corbyn an der Parteispitze wäre schon der Gedanke daran unmöglich gewesen.
Mit Starmer hat sich das britische Bürgertum die Labour-Partei zurückerobert. Einige blairistische Parlamentsabgeordnete posteten in sogenannten sozialen Netzwerken zur »Feier des Tages« Fotos von US-Soldaten in Bagdad, die Saddam-Hussein-Statuen vom Sockel reißen, mit der Bildunterschrift: »Es ist vorbei«. Es besteht damit kein Zweifel, welcher Geist hier wieder Einzug gehalten hat. Friedensbewegte, Gewerkschafter, Klimaschützer und andere soziale Bewegungen haben von Starmer nur wenig zu erwarten.
Der tritt sein Amt jedoch unter völlig anderen Vorzeichen an, als es noch vor zwei Monaten jemand hätte erwarten können. Großbritannien ächzt unter den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der noch lange nicht ausgestandenen Coronakrise. Am 3. April veröffentlichte die Financial Times einen Leitartikel, in dem sie »radikale, tabubrechende Maßnahmen« forderte. Damit meinte sie nichts anderes als eine Abkehr vom Privatisierungsdogma der vergangenen Jahrzehnte und eine viel stärkere Rolle des Staates.
Es bleibt abzuwarten, ob sich diese bürgerlichen Kommentatoren noch an ihr Gerede von gestern erinnern, wenn das Schlimmste vorbei ist. Und ob nicht dann wieder die Abwälzung der Krisenkosten auf die arbeitende Bevölkerung auf die Tagesordnung gesetzt wird. Stand heute aber wird der wirtschaftspolitisch starke Staat gefordert, im bürgerlichen Interesse natürlich.
Mit dieser neuen Welt müssen sowohl Johnson als auch Starmer umgehen. Schon im Dezember-Wahlkampf hatte sich eine staatsinterventionistische Neuorientierung der Tories abgezeichnet. Dem neuen Labour-Chef dürfte es unter diesen Bedingungen schwerfallen, einfach die neoliberale Privatisierungspolitik eines Anthony Blair zu imitieren. Er wird versuchen, Labour von relevanten Linkskräften zu säubern, um die Partei im bürgerlichen Sinne »sicher« zu machen. Dem Staat wird aber auch Starmer eine stärkere Rolle zugestehen müssen, auch wenn das von seinen ureigensten Positionen abweicht.
Und auch Rechte bedienen sich jetzt verstärkt einer keynesianistisch klingenden Sprache. Sozialisten müssen sich dieser Herausforderung stellen.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG16.04.2020, 12:39 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Intrige aufgedeckt
Großbritannien: Bericht macht Kampagne des Parteiapparats gegen ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn öffentlich
Von Christian Bunke, Manchester
Eigentlich würde man in Parteizentralen Jubelgeschrei und Feierlaune erwarten, wenn das eigene Lager einen völlig überraschenden Wahlerfolg errungen hat. Bei den Angestellten der Labour-Parteizentrale im Jahr 2017 war die Stimmung jedoch ganz anders, nachdem Parteichef Jeremy Corbyn dramatische Stimmengewinne bei der Unterhauswahl verzeichnen konnte. Nach neuen, von der Zeitung Independent am Montag veröffentlichten Statistiken, fehlten ihm nur 2.500 Stimmen für eine parlamentarische Mehrheit. Die Reaktionen in der Parteizentrale? »Ich muss kotzen«, »Das wird eine lange Nacht für uns«, »Glaubt bloß nicht, dass ich das jetzt feiere«.
Diese Aussagen sind Auszüge aus einem Chatverlauf in einer Whatsapp-Gruppe, die von Mitarbeitern der Labour-Parteizentrale einzig zu dem Zweck eingerichtet worden sein soll, den Wahlkampf 2017 zu sabotieren und einen Bummelstreik gegen die linke Parteiführung zu organisieren. Das geht aus einem mehr als 800 Seiten starken Bericht hervor, welcher eigentlich Mängel bei der Aufarbeitung von Antisemitismusvorwürfen gegen Mitglieder der Labour-Partei zum Thema hat. In Auftrag gegeben hatte den Bericht die noch amtierende Labour-Generalsekretärin und Corbyn-Vertraute Jennifer Formby. Unbekannte stellten ihn ins Internet, seitdem schlagen im Umfeld der britischen Sozialdemokraten die Wogen hoch.
Die zentrale Beschuldigung im Bericht: Bis zum Jahr 2018 sollen Vorwürfe bezüglich tatsächlicher oder angeblicher antisemitischer Vorfälle in der Partei durch den damaligen Generalsekretär Iain McNicol und seine Mitarbeiter verschleppt worden sein. Das E-Mail-Postfach zur Sammlung solcher Anschuldigungen soll monatelang nicht angeschaut worden sein. Als Formby das Amt von McNicol übernahm, will sie Fälle vorgefunden haben, welche über Jahre hinweg nicht bearbeitet worden waren. Formby bemühte sich sodann um eine systematische Restrukturierung des Beschwerdeverfahrens, wurde dabei aber vom Apparat in der Parteizentrale massiv behindert.
Dies, so wird im Bericht weiter ausgeführt, sei Bestandteil einer Sabotagekampagne gegen den linken Parteichef Corbyn sowie die »Trots«, Kurzform für »Trotzkisten«, in der Partei gewesen. Die Bezeichnung »Trots« ist ein in Großbritannien unter konservativen Gewerkschaftsfunktionären sowie bürgerlichen sozialdemokratischen Politikern gebräuchliches Schimpfwort für alle, die eine weiter links stehende politische Auffassung haben als die eigene. Mit dem Begriff werden somit Sozialisten und Kommunisten jeder Couleur denunziert und zum Abschuss freigegeben.
Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der Bericht zitiert aus Zehntausenden Chatverläufen und E-Mail-Protokollen, in denen angeregt wird, Corbyn zu »erschießen«, zu »verbrennen« oder zu »ermorden«. Es werden Gewaltphantasien über kommende »Säuberungen« gegen Parteilinke geäußert, Chatverläufe zeigen auf, dass bürgerliche Journalisten auf eine wegen rassistischer Hetze in den Medien emotional mitgenommene Politikerin angesetzt wurden, und belegen die Existenz einer im geheimen agierenden Gruppe im Parteiapparat, die systematisch die Social-Media-Accounts missliebiger Parteimitglieder durchforstete, um diesen Fehlverhalten für einen möglichen Parteiausschluss anlasten zu können. Wenn auch nur ein Teil der erhobenen Vorwürfe stimmt – es wird deutlich, dass der Parteiapparat offen gegen einen Erfolg des Corbyn-Projekts gearbeitet hat.
Neben McNicol tauchen prominent die Namen Emilie Oldknow und John Stolliday in dem Bericht auf. Beide arbeiten inzwischen nicht mehr für Labour und sind nun ranghohe Funktionäre der Großgewerkschaft Unison. Sie zählt zu den eher konservativ orientierten britischen Gewerkschaften und hievte den nun amtierenden Labour-Parteichef Keir Starmer mit auf seinen Posten, ohne jedoch vorher die Mitgliedschaft darüber zu konsultieren. Auch innerhalb der Gewerkschaft kommt es immer wieder zu Verfolgungswellen gegen linke Aktivisten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass 25 Unison-Vorstandsmitglieder und Hunderte Aktivisten einen offenen Brief an den Gewerkschaftsvorstand geschrieben haben, in dem die Gewerkschaft zu einer eigenen Untersuchung des Falls aufgefordert wird.
Link ...jetzt anmelden!
Der erwähnte offene Brief als pdf hier:
• PDF-Datei
Open Letter to Dave Prentis.pdf
• 88 KB | application/pdf
...zum Download anmelden.
• 88 KB | application/pdf
...zum Download anmelden.
•NEUER BEITRAG05.05.2020, 13:27 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

London: Rücktritt in Labour-Führung
London. Die Generalsekretärin der britischen Labour-Partei, Jennifer Formby, ist am Montag von ihrem Posten zurückgetreten. Sie gilt als Vertraute des früheren Oppositionschefs Jeremy Corbyn. Sie habe vor zwei Jahren ihr Amt angenommen, weil Corbyn so viele Menschen für die Politik begeistert habe, teilte die 60jährige Politikerin zum Abschied mit. Vor einem Monat wurde der Parteivorsitz von Keir Starmer übernommen. (dpa/jW)
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG06.05.2020, 13:00 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Labour-Linke weiter geschwächt
Großbritannien: Corbyn-Vertraute gibt Posten als Generalsekretärin auf. Blairisten euphorisch
Von Christian Bunke, Manchester
Am Montag ist die seit 2018 amtierende Generalsekretärin der britischen Labour-Partei, Jennifer Formby, zurückgetreten. Die Politikerin galt als Vertraute des früheren Labour-Chefs Jeremy Corbyn und sah sich während ihrer gesamten Amtszeit zahlreichen Intrigen aus dem vom rechten Parteiflügel dominierten Hauptamtlichenapparat der Parteizentrale ausgesetzt. Corbyn-Nachfolger und neuer Labour-Chef Keir Starmer soll direkt nach seinem Wahlsieg im April Formbys Rücktritt verlangt haben. Das berichteten am Montag sowohl linke Nachrichtenportale wie The Canary oder Novara Media als auch die Financial Times.
Die Suche nach einem neuen Generalsekretär wird durch den Skandal rund um den geleakten Bericht über die Machenschaften der Labour-Hauptamtlichen überschattet (siehe jW vom 16. April). Starmers Wunschkandidatin ist nach unbestätigten Informationen die stellvertretende Generalsekretärin der Großgewerkschaft Unison, Emilie Oldknow, die dem Bericht zufolge die Rolle einer führenden Intrigantin gegen Corbyn spielte. Sie soll an regelrechten Hetzjagden gegen linke Parteimitglieder mitgewirkt und regelmäßig durch rassistische und sexistische Bemerkungen gegen missliebige Funktionäre und Politikerinnen aufgefallen sein. Oldknow selbst droht derzeit britischen Publikationen mit Klage, wenn sie den geleakten Bericht veröffentlichen und daraus zitieren.
Formbys Rücktritt bedeutet eine weitere Schwächung der Parteilinken. Im Parteiapparat hat der linke Flügel inzwischen fast jede wichtige Position verloren. Der neue, im April gewählte Vorstand wird vom rechten Flügel dominiert. Im blairistischen Lager macht sich Euphorie breit. So kommentierte die Labour-Abgeordnete Margaret Hodge Formbys Rücktritt via Twitter mit den Worten: »Jetzt gibt es die Chance, mit den vergangenen vier Jahren abzuschließen, das Vertrauen in Labour wiederherzustellen, den Parteiapparat zu professionalisieren und den Antisemitismus für immer aus unseren Reihen zu löschen.« Hodge hatte unter den New-Labour-Regierungen bis 2010 verschiedene Ministerposten inne.
Während die Blairisten feiern, fürchten linke Kräfte, dass Labour-Chef Starmer den geleakten Bericht über die skandalöse Parteiintrige unter den Teppich kehren will. Vergangene Woche beschloss der Parteivorstand die Einsetzung eines Untersuchungskomitees zur Prüfung des Berichts. Teil dieses Komitees ist auch die Oberhausabgeordnete Deborah Wilcox. Sie ist erklärte Unterstützerin der blairistischen Parteiströmungen »Progress« und »Labour First«, die bei den jüngsten Vorstandswahlen Kandidaten des rechten Flügels offen unterstützen. Inzwischen existiert eine Onlinepetition, die ihre Entfernung aus dem Gremium fordert, weil Wilcox in einer hauptsächlich gegen das blairistische Lager gerichteten Untersuchung in einem Interessenskonflikt stehe.
Die Parteivorstandsmitglieder hatten laut einem Tweet des Gründers des linken »Momentum«-Netzwerks, Jon Lansman, keine Gelegenheit, die Eignung der für das Komitee vorgesehenen Kandidaten zu prüfen. Die Namen seien den Vorstandsmitgliedern am Tag der Sitzung vorgelegt worden. Der Vorschlag, mit dem Oberhausabgeordneten Alf Dubs einen Vertreter des linken Parteiflügels in das Komitee zu berufen, wurde von der rechten Mehrheit niedergestimmt.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG28.05.2020, 01:56 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Neoliberale Wende
Großbritannien: Labour wählt neuen Generalsekretär. Rechter Parteiflügel positioniert sich gegen Gewerkschaften
Von Christian Bunke, Manchester
Die blairistische Gegenrevolution in der britischen Labour-Partei nimmt an Fahrt auf. Am Dienstag nachmittag wählte eine knappe Mehrheit des Parteivorstandes David Evans zum neuen Generalsekretär. Evans war der Wunschkandidat von Labour-Chef Keir Starmer. Von 1995 bis 2001 stellvertretender Generalsekretär, half er damals mit, die neoliberale Herrschaft Anthony Blairs parteiintern abzusichern. Entsprechend titelte das Boulevardblatt Sun am Mittwoch: »Die moderaten Kräfte in der Labour-Partei haben den linksradikalen Kräften einen schweren Schlag versetzt.«
Glückwünsche für die Wahl von Evans kommen vor allem von rechts. Der blairistische Thinktank »Progress« nannte ihn einen »innovativen Aktivisten«, welcher »ein großartiger Freund von Labour in kommunalen Strukturen« sei. Tatsächlich hat Evans Erfahrung als Stadtrat und Wahlkampfmanager. Er ist auch einer der Namensgeber des Begriffs »New Labour«, welchen Blair während seiner Amtszeit zum Markennamen machte. 1999 veröffentlichte Evans ein Diskussionspapier mit dem Titel »Eine neue Labour-Partei«.
In diesem Dokument propagierte er die faktische »Abschaffung der repräsentativen Demokratie« in der Partei. Es gelte »old Labour«, also die traditionellen Linkskräfte, zu neutralisieren und durch »Modernisierer« zu ersetzen. Dieses Konzept wurde in der Praxis durchgesetzt. Ortsverbände verloren einen Großteil ihrer Autonomie und Handlungsfähigkeit. Die Entscheidungsgewalt wurde in die Hände von kaum rechenschaftspflichtigen Eliten gelegt. Daran wurde auch unter Jeremy Corbyn nicht gerüttelt. Notwendige demokratiepolitische Reformen wurden von der Parteispitze rund um den Linkspolitiker nur sehr zögerlich und unzureichend angegangen. Der wieder an die Macht gelangte rechte Parteiflügel verfügt über genug Strukturen, auf die er aufbauen kann.
Angriff auf Gewerkschaften
Deutlich unzufrieden mit dem neuen Generalsekretär zeigen sich linke Gewerkschaftsfunktionäre. So warnte der Generalsekretär der Feuerwehrgewerkschaft FBU Matt Wrack schon vor der Wahl Evans’. Dieser habe »eine Schlüsselrolle in der Ära Blair gespielt, als es darum ging, Gewerkschaften in der Partei zu marginalisieren.« Die Gewerkschaften hätten bei der Entstehung der Partei eine zentrale Rolle übernommen, man »werde sich nicht noch einmal an den Rand drängen« lassen. Die FBU hatte während der Amtszeit Blairs ihre Verbindungen zu Labour gelöst, schloss sich jedoch 2015 wieder an, um Corbyns Kampagne um den Parteivorsitz zu unterstützen.
An Labour angeschlossene Gewerkschaften wie die FBU werden sich nun mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Berechtigung die Verwendung von Mitgliedsbeiträgen für die Aufrechterhaltung der Labour-Parteistrukturen hat. Schon jetzt bläst der rechte Parteiflügel wieder offen zum Angriff auf die Gewerkschaften. Das ist ein deutliches Zeichen für das gewachsene Selbstbewusstsein der Blairisten.
Drecksarbeit machen andere
Konkret stehen derzeit die Gewerkschaften des Bildungssektors im Fadenkreuz. Diese wollen die für den 1. Juni geplante Öffnung der britischen Schulen nicht hinnehmen. Unter Lehrkräften, Beschäftigten in den Schulkantinen und Hausmeistern gibt es große Ängste wegen einer daraus entstehenden Gefahr der Infektion mit dem Coronavirus. Die Bildungsgewerkschaft NEU hat in den vergangenen Tagen immer wieder verkündet, nicht kooperieren zu wollen. Eine wachsende Zahl von Gemeinden hat daraufhin die geplanten Schulöffnungen auf unbestimmte Zeit verschoben.
Deshalb wird insbesondere in den britischen Boulevardmedien verstärkt gegen die Gewerkschaften gehetzt. Auch Expremier Blair, der unter ihm amtierende ehemalige Innenminister David Blunkett sowie eine Reihe weiterer blairistischer Politiker haben sich mit antigewerkschaftlichen Aussagen gegen die Lehrkräfte in Stellung gebracht, denen vorgeworfen wird, »das Hochfahren der Wirtschaft« zu verhindern. Parteichef Starmer hält sich aus derlei direkter Agitation bislang raus. Die Drecksarbeit lässt er noch andere machen. Woher der Wind weht, ist jedoch deutlich erkennbar.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG28.05.2020, 07:19 Uhr
Nutzer / in | |
Stephan | |
|
|

Wenn ich recht überlege, sind Generalsekretäre, die sich gegen den Parteichef stellen, durchaus schon mal vorgekommen. Kurt Biedenkopf ist dies allerdings nicht gut bekommen, was die mittelfristige Karriereplanung betraf.
•NEUER BEITRAG28.05.2020, 10:50 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|
"verstehe ich die Aufregung nicht."
Welche Aufregung? jW berichtet halbwegs kontinuierlich über die Entwicklung in der LP. Und die Rechtswende geht natürlich weiter, was durchaus auch gemeldet werden kann, insbesondere wenn sie verbunden ist, mit einem offensichtlicher werdenden Anti-Gewerkschafts-Kurs. Ich verstehe den Einwand nicht. Soll die jW nicht mehr berichten oder soll ich sowas nicht posten, weil zu popelig?
Welche Aufregung? jW berichtet halbwegs kontinuierlich über die Entwicklung in der LP. Und die Rechtswende geht natürlich weiter, was durchaus auch gemeldet werden kann, insbesondere wenn sie verbunden ist, mit einem offensichtlicher werdenden Anti-Gewerkschafts-Kurs. Ich verstehe den Einwand nicht. Soll die jW nicht mehr berichten oder soll ich sowas nicht posten, weil zu popelig?
•NEUER BEITRAG28.06.2020, 21:08 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Nicht auf Linie
Großbritannien: Rauswurf von letzter Linken aus Partei- und Fraktionsführung der Labour-Partei
Von Christian Bunke, Manchester
Wegen der Verbreitung »antisemitischer Verschwörungstheorien« hat am Freitag Großbritanniens Labour-Parteichef Keir Starmer seine bildungspolitische Sprecherin Rebecca Long-Bailey entlassen. Long-Bailey zählt zum linken Parteiflügel und ist Teil der »Socialist Campaign Group«, zu welcher auch der linke ehemalige Parteivorsitzende Jeremy Corbyn gehört. Sie war außerdem dessen Wunschnachfolgerin für das Amt. Mit dem Rauswurf Long-Baileys ist die letzte prominente linke Politikerin sowohl aus der ersten Reihe der Parlamentsfraktion als auch der Parteiführung der britischen Sozialdemokraten entfernt worden.
»Auslöser« für den Rauswurf war ein eigentlich harmloser Retweet zu einem Zeitungsinterview mit der aus dem Großraum Manchester stammenden Schauspielerin Maxine ÂPeake durch Long-Bailey. Peake, Tochter eines Lastwagenfahrers und einer Pflegehelferin, ist eine von sehr wenigen Stimmen der Arbeiterklasse im britischen Kulturbetrieb. Immer wieder spielt sie in politischen Filmen, so zum Beispiel im 2018 vorgestellten Spielfilm »Peterloo«, welcher die Geschichte des Kampfes für das allgemeine Wahlrecht sowie ein berüchtigtes Massaker an demonstrierenden Arbeiterinnen und Arbeitern in Manchester durch eine Kavallerieattacke am 16. August 1819 zum Thema hat.
In dem vom Long-Bailey geteilten Interview geht es um grundsätzliche politische Themen. Peake fordert darin die Abschaffung des Kapitalismus, polemisiert gegen den von Starmer vollzogenen Rechtsruck in der Labour-Partei und benennt Rassismus als ein weltumspannendes Problem. Hier fällt der von Starmer als »Verschwörungstheorie« bezeichnete Satz, dass jene US-amerikanischen Polizisten, die den Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis umbrachten, die tödliche Technik von israelischen Sicherheitskräften gelernt hätten. Ein US-Polizist hatte den zu Boden gebrachten Floyd mit dem Knie im Nacken »fixiert«, woraufhin dieser erstickte.
Israel bestritt den genannten Zusammenhang umgehend. Peake selber tweetete am 25. Juni, ihr sei ein Fehler unterlaufen. Neben der absurden Bezeichnung der Vorwürfe als Antisemitismus: Völlig aus der Luft gegriffen ist die Aussage Peakes nicht. Tausende US-amerikanische Polizisten wurden in der jüngeren Vergangenheit von israelischen Sicherheitskräften in Aufstandsbekämpfungsmethoden unterrichtet. Letztere haben in den Palästinensergebieten viele Möglichkeiten, ihre Methoden zu »verfeinern«. Im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste kritisierte unter anderem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Trainingsreisen der US-Cops nach Israel.
Starmer wollte Long-Bailey schon lange loswerden. Als bildungspolitische Sprecherin hatte sie sich in den vergangenen Monaten konsequent hinter die britischen Bildungs- und Lehrergewerkschaften gestellt, als diese gegen eine aus ihrer Sicht verfrühte Öffnung von Schulen während der andauernden Coronapandemie protestierten. Premierminister Boris Johnson wollte die Einrichtungen längst geöffnet haben, scheiterte jedoch bislang am Widerstand des Erziehungspersonals. Starmer stellte sich nicht hinter die Lehrer. Im Gegenteil forderte er wiederholt ein schnelles Hochfahren der britischen Wirtschaft. Seit Mai verlangt er von der konservativen Regierung eine »Exitstrategie« vom »Lockdown« und gibt sich betont wirtschaftsfreundlich.
Auch in der Umweltpolitik kommt der Rauswurf Long-Baileys dem rechten Flügel entgegen. Während der Amtszeit Corbyns war sie Labours umweltpolitische Sprecherin. Sie ist die Architektin eines detaillierten Plans für einen »Green New Deal«, mit dessen Hilfe Großbritannien bis 2030 CO2-neutral werden soll. Der Plan sieht unter anderem Verstaatlichungen und die Stärkung des Genossenschaftssektors im Energiebereich vor. So dauerte es nach dem Rauswurf von Long-Bailey dann auch nur wenige Stunden, bis ein anonymer »Sprecher« aus dem Umfeld Starmers britische Medien wie den Independent davon in Kenntnis setzte, der »Green New Deal« könnte schon bald aus dem Forderungskatalog der Labour-Partei entfernt werden.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG23.09.2020, 23:39 Uhr
Nutzer / in | |
arktika | |
|
|

Endgültiger Abschied von links
Parteitag der britischen Sozialdemokraten: Starmer will »Familienwerte« statt radikaler Forderungen
Keir Starmer ist nicht nur Vorsitzender der britischen Labour-Partei, er ist auch ein »Knight of the Realm« – ein Ritter des Reichs. Nie seien seine Eltern stolzer gewesen als in jenem Moment, in dem er im Buckingham Palace zum Ritter geschlagen worden sei, salbaderte der Parteichef in seiner am Dienstag per Video aufgezeichneten Rede für den Parteitag der britischen Sozialdemokraten.
Um sich vor einem Podest mit der Aufschrift »Eine neue Führung« filmen lassen zu können, war Starmer extra von London in die nordenglische ehemalige Bergarbeiterstadt Doncaster gefahren – Corona zum Trotz. Dem lokalen Labour-Ortsverband hatte er indes nicht Bescheid gegeben. Dessen Mitglieder waren deshalb »not amused«, berichtete die kommunistische Tageszeitung Morning Star am Mittwoch. Tosh McDonald, ehemaliger Präsident der Lokführergewerkschaft ASLEF und Labour-Stadtrat in Doncaster, sagte dem Blatt: »Er trug einen blauen Anzug und hatte gegelte Haare, während nur 200 Yards entfernt einige der bedürftigsten Menschen Doncasters leben.«
Mit denen hat sich Starmer natürlich nicht getroffen. Die Zeiten, als Labour für radikale soziale und demokratische Veränderung stand, sind vorbei. Das war auch die in seiner Parteitagsrede vermittelte Kernbotschaft. Mit Stolz erklärte der Vorsitzende: »Labour hat das öffentliche Gesundheitswesen und die NATO gegründet.«
Im Zentrum seiner Rede stand die Familie. »Wir werden ein Land bauen, in dem Familienwerte an erster Stelle stehen«; nie mehr werde Labour in einen Wahlkampf gehen, ohne über das Vertrauen der Menschen »in Fragen nationaler Sicherheit, Jobsicherheit, Nachbarschafts- und Geldfragen« zu verfügen. Zudem müsse die Partei wieder eine des gesamten Vereinigten Königreichs werden: »Die Partei von England, Wales, Schottland und Nordirland.«
Wie zuvor in seiner Rede am 15. September vor dem Kongress des britischen Gewerkschaftsbunds TUC, warf Starmer der britischen Regierung Inkompetenz bei der Bewältigung der Covid-19-Krise vor. Daran bestehe angesichts der höchsten Todesraten im weltweiten Vergleich kein Zweifel. Es sei ein »nationaler Skandal«, dass Pflegeheime nicht ausreichend geschützt worden seien. »Die Regierung kann immer noch kein brauchbares System der Testung und Rückverfolgung von Infektionen aufstellen« und habe »die Kontrolle verloren«.
Hier hakte Andrew Scattergood, Regionalsekretär der Feuerwehrgewerkschaft FBU in den West Midlands sowie Kovorsitzender des linken parteinahen »Momentum«-Netzwerks, in einer unter anderem von der Nachrichtenseite Labour List am Dienstag zitierten Stellungnahme nach: »74 Prozent der Menschen wollen, dass Testung und Nachverfolgung aus den Händen privater Konzerne genommen werden, und dennoch hat Starmer zu den katastrophalen Folgen dieses Outsourcings sowie den Verbindungen dieser Konzerne mit der Konservativen Partei geschwiegen. Auch über eine Opposition Labours zu Privatisierungen hat er nichts gesagt.« Er habe zwar den Parteivorsitz mit dem Versprechen gewonnen, die Superreichen zu besteuern und Schlüsseldienstleistungen wieder in öffentliches Eigentum zu überführen. Von diesen Forderungen rudere Starmer nun jedoch zurück, so Scattergood weiter.
Tatsächlich kritisierte der Labour-Chef die Unterfinanzierung des britischen öffentlichen Gesundheitswesens NHS durch die verschiedenen konservativen Regierungen seit 2010 und bedankte sich bei »Lastwagenfahrern, Reinigungskräften, Handelsangestellten und den Lebensrettern im NHS« für deren »großen Beitrag«. Doch wie deren Lebenssituation konkret verbessert werden kann, dazu äußerte sich Starmer nicht. »Familienwerte« sind wichtiger.
Von Christian Bunke in der jW vom 24.09. unter Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG17.02.2023, 22:57 Uhr
EDIT: FPeregrin
17.02.2023, 23:00 Uhr
17.02.2023, 23:00 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Mit oder ohne Labour
Großbritannien: Parteichef Starmer untersagt Vorgänger Corbyn Kandidatur für Sozialdemokraten. Druck auf arbeitskämpferische Mitglieder
Von Dieter Reinisch
Keir Starmer säubert weiter: Seit er am 4. April 2020 die britische Labour-Partei von Jeremy Corbyn übernommen hat, schließt er Âsystematisch dessen Anhänger und andere Linke aus. Corbyn selbst wurde aus der Unterhaus-Fraktion ausgeschlossen und sitzt dort seitdem als unabhängiger Abgeordneter. Unter den Labour-Mitgliedern ist er weiterhin beliebt und zeigt sich immer wieder bei aktuellen Arbeitskämpfen. Klassenkämpferische Abgeordnete will Starmer nach der nächsten Wahl, die am 24. Januar 2025 stattfinden soll, nicht mehr haben.
Um den Außenseiter endgültig loszuwerden, hat der Parteichef nun am Mittwoch verlautbart, Corbyn dürfe bei den Unterhauswahlen nicht mehr für Labour antreten. Die Partei habe sich unter seiner Führung verändert, und »wir gehen nicht zurück«: »Ich habe immer gesagt: Die Tür ist offen, er kann gehen«, sendete er eine Botschaft an seinen Vorgänger. Ein kalkulierter Schachzug, der die verbliebene Labour-Linke um die Gruppe »Momentum« in eine Krise wirft: Corbyn will aber nur als Labour-Kandidat antreten. Überredet Momentum ihn dennoch zu einer unabhängigen Kandidatur – die chancenreich wäre –, könnten Momentum-Mitglieder, die für ihn Wahlkampf machen, ihre Parteimitgliedschaft verlieren.
Die langjährige Corbyn-Vertraute Diane Abbott sagte zum Sender LBC, Corbyn habe »nicht die Absicht, als Unabhängiger zu kandidieren«, da er seit seinem 16. Lebensjahr Labour-Mitglied sei. Momentum schrieb auf Twitter: »Es sollte Sache der Labour-Mitglieder in Islington North (dem Wahlkreis Corbyns, jW) sein, über ihren Kandidaten zu entscheiden – das ist ihr demokratisches Recht.« Gegenüber dem Guardian sagte Corbyn später: »Jeder Versuch, meine Kandidatur zu blockieren, stellt eine Verweigerung eines ordnungsgemäßen Verfahrens dar und sollte von jedem bekämpft werden, der an den Wert der Demokratie glaubt.«
Es wird vermutet, dass die Regionalpartei Corbyn in ihrem Wahlkreis aufstellen wird, um die Debatte auf nationale Ebene zu heben. Denn falls der Geschasste in seinem Wahlkreis aufgestellt wird, müsste die nationale Leitung ihn gegen den Willen der Basis blockieren. Das würde zu einem offenen Machtkampf und womöglich gar dem Auseinanderbrechen von Labour führen, erhofft sich Momentum.
Derweilen geht Starmer seit Monaten auch gegen Labour-Mitglieder vor, die die aktuelle Streikwelle unterstützen. Mehrere Gewerkschafter berichteten der jungen Welt in den vergangenen Wochen, dass ihnen von seiten der Parteiführung angedroht wurde, nicht bei den Lokalwahlen im Mai oder den nächsten Parlamentswahlen als Labour-Kandidaten aufgestellt zu werden, wenn sie weiter Arbeitskämpfe organisieren.
Willie Howard ist ein Organisator der Gewerkschaft Unite, einer der kämpferischsten Gewerkschaften in der aktuellen Streikwelle. Seine Ehepartnerin ist Gemeinderatsabgeordnete von Labour in der Stadt Milton Keynes, nordwestlich von London. Er selbst ist auch Labour-Mitglied, betonte im Gespräch mit jW aber, dass er, seit Starmer den Vorsitz hält, »nicht mehr aktiv ist«. Von den aktuellen Entwicklungen zeigt er sich enttäuscht: »Es ist ziemlich ernüchternd, das Ausmaß des Schadens zu sehen, der durch die Niederlage des Corbyn-Projekts innerhalb von Labour angerichtet wurde. (…) Labour wurde vollständig von der Politik des neoliberalen Kapitalismus zurückerobert«, so Howard.
Auch er hat miterlebt, wie kämpferische Kandidaten von Listenplätzen ferngehalten werden: »Kandidaten aus der Arbeiterklasse werden unter fiktiven Vorwänden blockiert und durch Starmer-treue Leute ersetzt.« Die Linke innerhalb der Labour-Partei sei daher völlig gelähmt, beschreibt Howard die Situation: »Die wenigen verbleibenden linken Abgeordneten sind praktisch politisch neutralisiert.« Er sehe keinen Kampf dagegen, »nur eine langsame, aber totale Kapitulation«.
Howard glaubt, dass Labour in zwei Jahren an der Macht sein wird. Er hofft daher, dass die aktuelle Streikwelle dazu führt, dass neue Aktivisten aus der Gewerkschaftsbewegung nun Erfahrung sammeln und den Kampf weiterführen: Nicht mehr gegen die konservativen Tories, sondern dann gegen ein Labour-Regierung.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG05.08.2023, 14:52 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|

Repression gegen Abweichler
»Oh, Jeremy Corbyn! The Big Lie«: Labour-Ratsmitglied nach Filmvorführung aus Fraktion suspendiert. Nun droht dem langjährigen Parteigänger ein Ausschlussverfahren
Von Dieter Reinisch, Galway
Er könne derzeit nicht über seine Situation sprechen. »Mir wurde ein Disziplinarverfahren angedroht, wenn ich weiter mit Medien spreche«, erklärt Raymond Moon gegenüber junge Welt. »Sie müssen verstehen, dass ich seit 40 Jahren in Labour bin.«
Bis vor wenigen Wochen war Moon Gemeinderatsmitglied der Partei in Tunbridge Wells, in der Grafschaft Kent, südwestlich von London. Doch Ende Juli berichtete die Lokalzeitung Times of Tunbridge Wells, Moon sei aus der Labour-Fraktion ausgeschlossen worden.
Sein Vergehen fällt auf den 17. Juli: In der Stadt wurde eine Vorführung des Films »Oh, Jeremy Corbyn: The Big Lie« (deutscher Titel: »Oh, Jeremy Corbyn: Die große Lüge«) veranstaltet, dessen Weltpremiere die junge Welt im Januar in Berlin organisiert hatte. Es sollten Spenden für die Wohltätigkeitsorganisation Mind, die sich für psychische Gesundheit einsetzt, gesammelt werden. Für den Fall, dass nicht ausreichend Tickets verkauft würden, um die Kosten zu decken, war Moon als Sponsor aufgetreten. Alle 65 Tickets wurden jedoch rasch verkauft und es gab 200 Pfund Sterling Reingewinn für Mind, berichtet die Webseite Kent Live.
Eine Woche vor der Aufführung soll Moon demnach von einem anderen Labour-Ratsmitglied kontaktiert worden sein. Alex Britcher-Allan habe Moon wissen lassen, er solle nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Doch dieser erschien zur Filmvorführung, woraufhin er die Information erhielt, von der Labour-Fraktion suspendiert worden zu sein.
Gegen die Suspendierung führt das nunmehr unabhängige Gemeinderatsmitglied ein Beschwerdeverfahren. Parteimitglied ist er weiterhin. Wie lange er das noch sein kann, ist ungewiss, denn seine Suspendierung führte zu einem Medienecho weit über Kent hinaus. Labour weigert sich bislang, den Fall öffentlich zu kommentieren. Dass Moon seine Geschichte öffentlich erzählt, will die Partei ebenfalls abstellen.
Kurz bevor jW ihn kontaktierte, wurde ihm von einem Labour-Mitglied schriftlich mitgeteilt, die Partei werde ein Disziplinarverfahren einleiten, sollte er weiterhin mit den Medien sprechen. Moon will daher den Ausgang des parteiinternen Schiedsgerichtsverfahrens abwarten. Aussichten auf eine Wiederaufnahme in die Fraktion bestehen kaum: In den letzten Jahren wurden alle Einsprüche gegen Parteiausschlüsse vom nationalen Schiedsgericht abgelehnt, berichtete der Guardian Mitte Juli.
Link ...jetzt anmelden!
•NEUER BEITRAG05.08.2023, 14:56 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
|
|
Ebd.:
Frischer Wind links von Labour
Neugründung Transform Politics soll linker Bewegung in UK wieder politische Heimat geben. Labour unter Keir Starmer für viele keine Option
Von Dieter Reinisch, Galway
Hintergrund: Corbyn-Linke
Bis zu 300.000 Mitglieder sollen Labour den Rücken gekehrt haben, seit Jeremy Corbyn nicht mehr Parteichef ist. Viele von seinen ehemaligen Unterstützern wurden aus der Partei ausgeschlossen. Wie Corbyn – der aus der Labour-Fraktion im Unterhaus ausgeschlossen wurde – machen einige Abgeordnete als Unabhängige weiter. Manche sind weiterhin Parteimitglieder, andere nun parteilos.
Jamie Driscoll ist das bekannteste Beispiel. Der Bürgermeister von Newcastle wird bei den nächsten Wahlen als Unabhängiger kandidieren, nachdem Keir Starmer ihn nicht auf die Wahlliste gesetzt hatte. Erst im April trat Emma Dent Coad, eine ehemalige Abgeordnete für Kensington/Chelsea, aus Labour aus und macht nun ebenfalls als unabhängige Linke weiter.
In den vergangenen Monaten haben sich mehrere Initiativen gebildet, darunter die »Organise Corbyn Inspired Socialist Alliance« (OCISA, dt. für »Organisiert eine von Corbyn inspirierte sozialistische Allianz«). Die Gruppe möchte einen linken Gegenkandidaten in Starmers Wahlkreis Holborn/St. Pancras aufstellen und so seine Wiederwahl verhindern. Die Pläne verlaufen gut, so der Gründer Jim Breese im jW-Gespräch.
OCISA sei in Kontakt mit Aktivisten außer- und innerhalb Labours, darunter die Kampagnengruppe Momentum. Wie viele der Corbyn-Unterstützer ist auch Momentum noch Teil von Labour. Für sie wird es immer schwieriger, denn sie werden schrittweise ausgeschlossen.
Jon Cruddas, Parlamentsabgeordneter für Dagenham/Rainham, sagte auf einer Veranstaltung der linken Denkfabrik Compass am 18. Juli, die Parteiführung sei von den Entwicklungen »überrumpelt« worden, als Corbyn Parteichef wurde. Dieser habe die Unterstützung der Basis gegen die Parteiführung genossen. »Damit dies nicht mehr passieren kann, wird systematisch die Mitgliedschaft verkleinert«, so Cruddas.
»Jeder, der gegen Corbyn war, ist nun ein potentieller Verbündeter für Starmer«, erklärte Cruddas, der nicht zu den nächsten Wahlen antreten wird. Viele würden Starmer mit New Labour unter Tony Blair vergleichen. Doch sei New Labour eine demokratische Partei gewesen, »die heutige Partei ist dies nicht mehr«.
Am 31. Juli berichtete das parteinahe Portal Labour List von einem Aufruf, vor dem Labour-Nominierungsparteitag in Wolverhampton gegen die undemokratische Praxis zu demonstrieren. Auch aus anderen Regionen wird berichtet, dass linke Mitglieder suspendiert werden, wenn sie bekannt geben, kandidieren zu wollen.
Dem linken Londoner Stadtrat Maurice Mcleod sei schriftlich mitgeteilt worden, er könne bei den nächsten Wahlen nicht mehr für Labour antreten, berichtete Open Democracy im April – er habe »vor Jahren eine Tweet (der) ehemaligen grünen Parteichefin Caroline Lucas geliked«, hieß es. (dr)
Die nächsten Wahlen zum britischen Unterhaus werfen bereits ihre Schatten voraus. Für das Votum im Sommer 2024 oder Winter 2024/25 wird links der Labour Party eifrig versucht, sich neu zu formieren. Eine Initiative hat nun angekündigt, eine neue Partei zu gründen und zu den Wahlen antreten zu wollen. Der Aufruf zur neuen politischen Kraft mit dem Titel Transform Politics erfuhr in den ersten Tagen große Resonanz. Ob der Gründungsprozess jedoch vor der nächsten Wahl erfolgreich abgeschlossen werden kann, ist fraglich.
Der »rechte Flügel« habe »die Kontrolle über Labour zurückerobert«, hieß es in der knappen Erklärung, die Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde. »Jeremy Corbyn und seine Politik, die Millionen in unserer Gesellschaft inspirierte, wurden verstoßen.« Dies habe dazu geführt, dass Labour Streiks und Renationalisierungen ablehne, Flüchtlinge nicht unterstütze und die hohen Studiengebühren nicht abschaffen möchte.
Zehn Prinzipien wurden dargelegt, die die neue Partei ausmachen sollen. Diese bleiben vage und breit: demokratisch, ökosozial, internationalistisch und irgendwie sozialistisch möchte die neue Partei sein. Unter diesen haben sich vier linke Kleinstparteien und Labour-Abspaltungen zusammengefunden: Die treibende Kraft dürfte Left Unity sein, eine Gruppe, die vor einigen Jahren vom Filmemacher Ken Loach gegründet wurde und seither keinen Einfluss auf die britische Politik spielen konnte. Auch zählt die Breakthrough Party, die sich nach dem Ende der Corbyn-Ära von Labour abgespalten hat, sowie die ehemalige Labour-Gruppe in Liverpool mit ihren drei Stadträten zu den Unterstützern.
»In den letzten Jahren ist Labour weit nach rechts gegangen«, erklärte Kate Hudson im jW-Gespräch. »Das Erbe von Corbyn wird ausgelöscht und linke Mitglieder systematisch aus Labour ausgeschlossen«, so die Mitinitiatorin des Aufrufs, die zugleich Exekutivmitglied der Europäischen Linkspartei ist, zu der auch Die Linke gehört. Es gebe in Großbritannien »keine Heimat mehr für Linke in der politischen Landschaft«, stellte Hudson fest. Da viele Menschen noch immer die Ideen von Corbyn unterstützten, gelte es, ihnen durch Transform Politics diese neue Heimat zu schaffen.
Dem stimmt auch Andrew Burgin, Koordinator der neuen Initiative und Mitglied von Left Unity, zu: »250.000 Menschen haben Labour seit dem Ende von Corbyn verlassen.« Viele Stadt- und Gemeinderäte würden als Unabhängige weitermachen. Auch einige bekannte Figuren unterstützen die neue Initiative. Darunter die ehemalige Parlamentsabgeordnete Thelma Walker, Derek Wall, der ehemalige Sprecher der Grünen, oder etwa Ian Hodson, Chef der Gewerkschaft der Lebensmittelindustrie.
Ob das für die Gründung einer neuen Partei reicht, weiß Hudson nicht: »Wir haben online viel Unterstützung bekommen, aber nun müssen wir zu den Leuten gehen und aktiv werden.« Burgin bringt das Problem auf den Punkt: »Viele sitzen am Rand und warten ab.« Ähnlich verhielten sich auch die Gewerkschaften, von denen die großen »noch alle mit Labour verbunden« seien, so Burgin. Sie warteten ab, wie Labour-Chef Keir Starmer sich in der Regierung verhalten werde. Solange die neue Initiative nicht wachse, würden sich ihr auch keine Gewerkschaften anschließen, bilanziert Burgin: »Die wollen beträchtliche Fortschritte sehen, bevor sie sich selbst in Bewegung setzen.«
Einen Versuch der Gewerkschaften, sich politisch zu emanzipieren, gab es im vergangenen Sommer. Diese haben nach viel Unterstützung jedoch »einfach aufgehört«, stellte Hudson fest: »Ein Schritt vorwärts und dann Stillstand.« Für eine starke Bewegung gegen Labour brauche es aber »nicht irgendeinen Zusammenschluss, sondern eine Partei«. Das unterscheide Transform Politics von anderen Bewegungen. Der Erfolg hänge auch von Jeremy Corbyns Verhalten bei den Wahlen ab. Man sei in Kontakt und er kenne den Aufruf, so Hudson. Doch Corbyn habe Labour als Parteimitglied 40 Jahre seines Lebens gewidmet. Als Unabhängiger anzutreten, sei »schwer für ihn«. Ob für Labour oder unabhängig, »er wird kandidieren«, ist sich Andrew Burgin sicher.
Auch falls die Parteigründung vor der nächsten Wahl nicht abgeschlossen wird, wolle Transform Politics antreten. »In einigen Wahlkreisen eigenständig und anderswo linke Kandidaten unterstützen«, so Burgin. Spenden im Umfang von 25.000 Pfund wurden dafür als Ziel ausgegeben. Für einen Wahlkampf wird viel mehr benötigt.
Das ehemalige Labour-Mitglied Crispin Flintoff sammelte einst 250.000 Pfund – so viel wie kein anderer in der Parteigeschichte. Im Sommer 2022 wurde er ausgeschlossen. Er ist überzeugt, dass die Unterstützer von Corbyn in einer neuen politischen Form zurückkommen werden. Vor der nächsten Wahl werde das aber nicht passieren, gibt er sich gegenüber jW skeptisch. Auch Jim Breese von OCISA (siehe Spalte) plant eine Kooperation mit linken Kandidaten wie Transform Politics. »Wir hoffen, dass alle Linken unsere Initiative im Wahlkreis von Starmer unterstützen. Unsere Regionalgruppen werden andere linke Kandidaten unterstützen«, erzählte er jW.
Der Wille, Kräfte zu bündeln und sich nicht in Kleinkriegen zu zermürben, ist ein positiver Schritt, um die Linke außerhalb von Labour zu einen. Der Wind für Parteichef Starmer dürfte rauer werden, auch wenn bis zu den Wahlen noch keine neue Partei entstanden sein sollte. Die britische Linke scheint nach der Demontage von Jeremy Corbyn wieder zu erwachen.
Link ...jetzt anmelden!
Frischer Wind links von Labour
Neugründung Transform Politics soll linker Bewegung in UK wieder politische Heimat geben. Labour unter Keir Starmer für viele keine Option
Von Dieter Reinisch, Galway
Hintergrund: Corbyn-Linke
Bis zu 300.000 Mitglieder sollen Labour den Rücken gekehrt haben, seit Jeremy Corbyn nicht mehr Parteichef ist. Viele von seinen ehemaligen Unterstützern wurden aus der Partei ausgeschlossen. Wie Corbyn – der aus der Labour-Fraktion im Unterhaus ausgeschlossen wurde – machen einige Abgeordnete als Unabhängige weiter. Manche sind weiterhin Parteimitglieder, andere nun parteilos.
Jamie Driscoll ist das bekannteste Beispiel. Der Bürgermeister von Newcastle wird bei den nächsten Wahlen als Unabhängiger kandidieren, nachdem Keir Starmer ihn nicht auf die Wahlliste gesetzt hatte. Erst im April trat Emma Dent Coad, eine ehemalige Abgeordnete für Kensington/Chelsea, aus Labour aus und macht nun ebenfalls als unabhängige Linke weiter.
In den vergangenen Monaten haben sich mehrere Initiativen gebildet, darunter die »Organise Corbyn Inspired Socialist Alliance« (OCISA, dt. für »Organisiert eine von Corbyn inspirierte sozialistische Allianz«). Die Gruppe möchte einen linken Gegenkandidaten in Starmers Wahlkreis Holborn/St. Pancras aufstellen und so seine Wiederwahl verhindern. Die Pläne verlaufen gut, so der Gründer Jim Breese im jW-Gespräch.
OCISA sei in Kontakt mit Aktivisten außer- und innerhalb Labours, darunter die Kampagnengruppe Momentum. Wie viele der Corbyn-Unterstützer ist auch Momentum noch Teil von Labour. Für sie wird es immer schwieriger, denn sie werden schrittweise ausgeschlossen.
Jon Cruddas, Parlamentsabgeordneter für Dagenham/Rainham, sagte auf einer Veranstaltung der linken Denkfabrik Compass am 18. Juli, die Parteiführung sei von den Entwicklungen »überrumpelt« worden, als Corbyn Parteichef wurde. Dieser habe die Unterstützung der Basis gegen die Parteiführung genossen. »Damit dies nicht mehr passieren kann, wird systematisch die Mitgliedschaft verkleinert«, so Cruddas.
»Jeder, der gegen Corbyn war, ist nun ein potentieller Verbündeter für Starmer«, erklärte Cruddas, der nicht zu den nächsten Wahlen antreten wird. Viele würden Starmer mit New Labour unter Tony Blair vergleichen. Doch sei New Labour eine demokratische Partei gewesen, »die heutige Partei ist dies nicht mehr«.
Am 31. Juli berichtete das parteinahe Portal Labour List von einem Aufruf, vor dem Labour-Nominierungsparteitag in Wolverhampton gegen die undemokratische Praxis zu demonstrieren. Auch aus anderen Regionen wird berichtet, dass linke Mitglieder suspendiert werden, wenn sie bekannt geben, kandidieren zu wollen.
Dem linken Londoner Stadtrat Maurice Mcleod sei schriftlich mitgeteilt worden, er könne bei den nächsten Wahlen nicht mehr für Labour antreten, berichtete Open Democracy im April – er habe »vor Jahren eine Tweet (der) ehemaligen grünen Parteichefin Caroline Lucas geliked«, hieß es. (dr)
Die nächsten Wahlen zum britischen Unterhaus werfen bereits ihre Schatten voraus. Für das Votum im Sommer 2024 oder Winter 2024/25 wird links der Labour Party eifrig versucht, sich neu zu formieren. Eine Initiative hat nun angekündigt, eine neue Partei zu gründen und zu den Wahlen antreten zu wollen. Der Aufruf zur neuen politischen Kraft mit dem Titel Transform Politics erfuhr in den ersten Tagen große Resonanz. Ob der Gründungsprozess jedoch vor der nächsten Wahl erfolgreich abgeschlossen werden kann, ist fraglich.
Der »rechte Flügel« habe »die Kontrolle über Labour zurückerobert«, hieß es in der knappen Erklärung, die Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde. »Jeremy Corbyn und seine Politik, die Millionen in unserer Gesellschaft inspirierte, wurden verstoßen.« Dies habe dazu geführt, dass Labour Streiks und Renationalisierungen ablehne, Flüchtlinge nicht unterstütze und die hohen Studiengebühren nicht abschaffen möchte.
Zehn Prinzipien wurden dargelegt, die die neue Partei ausmachen sollen. Diese bleiben vage und breit: demokratisch, ökosozial, internationalistisch und irgendwie sozialistisch möchte die neue Partei sein. Unter diesen haben sich vier linke Kleinstparteien und Labour-Abspaltungen zusammengefunden: Die treibende Kraft dürfte Left Unity sein, eine Gruppe, die vor einigen Jahren vom Filmemacher Ken Loach gegründet wurde und seither keinen Einfluss auf die britische Politik spielen konnte. Auch zählt die Breakthrough Party, die sich nach dem Ende der Corbyn-Ära von Labour abgespalten hat, sowie die ehemalige Labour-Gruppe in Liverpool mit ihren drei Stadträten zu den Unterstützern.
»In den letzten Jahren ist Labour weit nach rechts gegangen«, erklärte Kate Hudson im jW-Gespräch. »Das Erbe von Corbyn wird ausgelöscht und linke Mitglieder systematisch aus Labour ausgeschlossen«, so die Mitinitiatorin des Aufrufs, die zugleich Exekutivmitglied der Europäischen Linkspartei ist, zu der auch Die Linke gehört. Es gebe in Großbritannien »keine Heimat mehr für Linke in der politischen Landschaft«, stellte Hudson fest. Da viele Menschen noch immer die Ideen von Corbyn unterstützten, gelte es, ihnen durch Transform Politics diese neue Heimat zu schaffen.
Dem stimmt auch Andrew Burgin, Koordinator der neuen Initiative und Mitglied von Left Unity, zu: »250.000 Menschen haben Labour seit dem Ende von Corbyn verlassen.« Viele Stadt- und Gemeinderäte würden als Unabhängige weitermachen. Auch einige bekannte Figuren unterstützen die neue Initiative. Darunter die ehemalige Parlamentsabgeordnete Thelma Walker, Derek Wall, der ehemalige Sprecher der Grünen, oder etwa Ian Hodson, Chef der Gewerkschaft der Lebensmittelindustrie.
Ob das für die Gründung einer neuen Partei reicht, weiß Hudson nicht: »Wir haben online viel Unterstützung bekommen, aber nun müssen wir zu den Leuten gehen und aktiv werden.« Burgin bringt das Problem auf den Punkt: »Viele sitzen am Rand und warten ab.« Ähnlich verhielten sich auch die Gewerkschaften, von denen die großen »noch alle mit Labour verbunden« seien, so Burgin. Sie warteten ab, wie Labour-Chef Keir Starmer sich in der Regierung verhalten werde. Solange die neue Initiative nicht wachse, würden sich ihr auch keine Gewerkschaften anschließen, bilanziert Burgin: »Die wollen beträchtliche Fortschritte sehen, bevor sie sich selbst in Bewegung setzen.«
Einen Versuch der Gewerkschaften, sich politisch zu emanzipieren, gab es im vergangenen Sommer. Diese haben nach viel Unterstützung jedoch »einfach aufgehört«, stellte Hudson fest: »Ein Schritt vorwärts und dann Stillstand.« Für eine starke Bewegung gegen Labour brauche es aber »nicht irgendeinen Zusammenschluss, sondern eine Partei«. Das unterscheide Transform Politics von anderen Bewegungen. Der Erfolg hänge auch von Jeremy Corbyns Verhalten bei den Wahlen ab. Man sei in Kontakt und er kenne den Aufruf, so Hudson. Doch Corbyn habe Labour als Parteimitglied 40 Jahre seines Lebens gewidmet. Als Unabhängiger anzutreten, sei »schwer für ihn«. Ob für Labour oder unabhängig, »er wird kandidieren«, ist sich Andrew Burgin sicher.
Auch falls die Parteigründung vor der nächsten Wahl nicht abgeschlossen wird, wolle Transform Politics antreten. »In einigen Wahlkreisen eigenständig und anderswo linke Kandidaten unterstützen«, so Burgin. Spenden im Umfang von 25.000 Pfund wurden dafür als Ziel ausgegeben. Für einen Wahlkampf wird viel mehr benötigt.
Das ehemalige Labour-Mitglied Crispin Flintoff sammelte einst 250.000 Pfund – so viel wie kein anderer in der Parteigeschichte. Im Sommer 2022 wurde er ausgeschlossen. Er ist überzeugt, dass die Unterstützer von Corbyn in einer neuen politischen Form zurückkommen werden. Vor der nächsten Wahl werde das aber nicht passieren, gibt er sich gegenüber jW skeptisch. Auch Jim Breese von OCISA (siehe Spalte) plant eine Kooperation mit linken Kandidaten wie Transform Politics. »Wir hoffen, dass alle Linken unsere Initiative im Wahlkreis von Starmer unterstützen. Unsere Regionalgruppen werden andere linke Kandidaten unterstützen«, erzählte er jW.
Der Wille, Kräfte zu bündeln und sich nicht in Kleinkriegen zu zermürben, ist ein positiver Schritt, um die Linke außerhalb von Labour zu einen. Der Wind für Parteichef Starmer dürfte rauer werden, auch wenn bis zu den Wahlen noch keine neue Partei entstanden sein sollte. Die britische Linke scheint nach der Demontage von Jeremy Corbyn wieder zu erwachen.
Link ...jetzt anmelden!
• Hier gibt's was extra: mehr Debatten aus den www.secarts.org-Foren
50. Tt. von Holger Meins
arktika
• 09.11.2024
LNG-Terminal Rügen

1
Etwas reißerisch geschriebener Artikel, aber gut, daß jemand überhaupt erinnert. Denn wer kennt heute noch Holger Meins od...mehr


Sollte hier vielleicht auch mal aufgenommen werden. Die Lachnummern mit der Energieversorgung der BRD ja doch System:
LNG...mehr
arktika
• 14.02.2024