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NEUES THEMA14.08.2009, 08:40 Uhr
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• Österreichische Sozialdemokratie und 1. Weltkrieg Die österreichische Sozialdemokratie und der erste Weltkrieg

Die Hegemonie von theoretischen Positionen des Revisionismus1 in den Führungen fast aller sozialdemokratischen Parteien2 wird im Wesentlichen einhellig für den Zeitraum um die Jahrhundertwende datiert, und sich analog zum „Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus in der Arbeiterbewegung herausbildete“.3

Der Ausbruch des Krieges
Das hier in mehreren Teilen wiedergegebene Referat "Frühgeschichte der österreichischen Arbeiterbewegung" wurde auf dem KAZ-Sommercamp "Anton Makarenko" 2009 gehalten.Droht der Ausbruch des Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Büros, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.4
Diese Resolution von 1907 wurde mit der Unterstützung der Arbeiter-Zeitung für das „absichtlich unannehmbar formierte Ultimatum Österreich Ungarns an Serbien“5 ebenso Makulatur wie die Beschlüsse der Baseler Konferenz der II. Internationale von 1912 und die der Parteitage von 1912 und 1913.6 Von nicht zu vernachlässigender Relevanz ist hier das Wirken Victor Adlers, der mit seinem Ansehen in der Arbeiterschaft als Gründer und jahrzehntelange Führungspersönlichkeit der Sozialdemokratie die Herausbildung einer starken oppositionellen Strömung hemmte.7

Auch wenn es – anders als in Deutschland mit der Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten – der SDAP in Österreich-Ungarn erspart blieb, im Reichstag für den Kriegseintritt zu stimmen – das Parlament war schon vor Kriegsbeginn aufgelöst worden –, gab es doch andere Eckpunkte, an denen der endgültige Übergang zum Sozialchauvinismus festmachbar war. So schrieb die Arbeiter-Zeitung am 23. Juli 1914 das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbin betreffend:
Wir rufen Europa gleichsam zum Zeugen dafür auf, daß der kleine Nachbar uns nicht Ruhe geben will, uns ohne Unterlaß und in gewissenloser Weise beunruhigt; und indem wir es Europa beweisen, klar und deutlich beweisen, verlangen wir von ihm, daß es unsere Forderungen als notwendig und berechtigt anerkennt und Serbien klarmache, daß sein hinterlistiges Treiben durchschaut sei.8
Friedrich Austerlitz’, verfasste als Chefredakteur einen symptomatischen Leitartikel über die Zustimmung der deutschen Sozialdemokratie zu dem Kriegskrediten im deutschen Reichstag behandelt, der in der Arbeiter-Zeitung vom 5. August 1914, „Der Tag der Deutschen Nation“ betitelt, erschien. In ihm heißt es:
Diesen Tag des 4. August werden wir nicht vergessen. Wie immer die eisernen Würfel fallen mögen – und mit der heißesten Inbrunst unseres Herzens hoffen wir, daß sie siegreich fallen werden für die heilige Sache des deutschen Volkes; das Bild, das heute der Deutsche Reichstag, die Vertretung der Nation, bot, wird sich unauslöschlich einprägen in das Bewusstsein der gesamten deutschen Menschheit, wird in der Geschichte als ein Tag der stolzesten und gewaltigsten Erhebung des deutschen Geistes verzeichnet werden… Nie hat eine Partei größer und erhebender gehandelt als die deutsche Sozialdemokratie.9
„Ohne Vorbehalt“ – so hielt Otto Bauer in seinem 1923 erschienen Werk Die österreichische Revolution fest – „stellte sie [die sozialdemokratische Führung – Anm. hw] sich auf die Seite der Mittelmächte. Ohne Vorbehalt stellte sie ihren Einfluß auf die Massen in den Dienst der Kriegsführung.“10

Die Formierung der Opposition in der Sozialdemokratie
Protest gegen die „patriotische“ Haltung der sozialdemokratischen Führung war kaum bemerkbar, was dem Kriegsabsolutismus geschuldet war: „,Oppositionelle’ wurden, wo sie nicht ins Gefängnis wanderten, so doch ‚einrückend’ gemacht und an die Front abgeschoben.“11 Dass die Stimmung der Arbeiterschaft keineswegs umfassend kriegsbefürwortend war, beweisen einerseits eine große Anzahl von Streiks und Arbeiterunruhen12 und andererseits ein breite Austrittsbewegung von resignierten ArbeiterInnen.13
Anders als in Deutschland, wo bereits 1914 eine oppositionelle marxistische Strömung um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Clara Zetkin innerhalb der Sozialdemokratie bestand, musste sich eine solche in Österreich erst bilden. Kern einer solchen waren – neben den Kriegsgegnern der Reichenberger14 Linken um Karl Kreiblich mit ihrer Zeitung Vorwärts15 – die sozialistischen Jugendorganisationen, in denen einige Kader bereits 1914 mit der Verbreitung von kriegsgegnerischen Flugblättern und dem Studium antimilitaristischer Flugschriften begannen.16 „Die beiden führenden Persönlichkeiten dieses Kreises waren [der später führende KPÖ-Funktionär – Anm. hw] Franz Koritschoner und [syndikalistisch orientierte – Anm. hw] Leo Rothziegel.“17 Anders als in Deutschland können diese Linken – mit dem seit dem Winter 1915/16 illegal tätigen Aktionskomitee der Linksradikalen und dem 1916 von Friedrich Adler reaktivierten Bildungsverein „Karl Marx“, der legal als Sammelzentrum der Parteilinken wirkte und dem auch das Aktionskomitee beitrat18 – aufgrund der ideologischen Differenzen, deren einziges Bindeglied ihre ablehnende Haltung zum Krieg war, nicht als organisatorische Vorläufer der KPÖ betrachtet werden.
Franz Koritschoner, auch wenn dieser die Gründung der KPÖ – mit ihrer Gründung am 3. November 1918 ist die viertälteste kommunistische Partei der Welt19 – als verfrüht ablehnte und ihr erst später beitrat, spielte eine zentrale Rolle im Aufbau der Partei. In der frühen Partei-Geschichtsschreibung bleibt er völlig unerwähnt.20

Friedrich Adler
Als der Sohn Victor Adlers, Friedrich, als überzeugter Internationalist und Anhänger der Beschlüsse der II. Internationale am 21. Oktober den Ministerpräsidenten Karl Stürgkh erschoss, bat Lenin in einem Brief Franz Koritschoner, ihm mitzuteilen, „inwieweit es wahr wäre, Adlers Tat als Verzweiflungstat anzusehen“21.
Als Friedrich Adler, der eben aus der Haft entlassen wurde, in den Vorbereitungen zur Gründung der KPÖ angeboten wurde, die Führung der Partei zu übernehmen, lehnte er dies ab.
Adler, der nach dem Attentat und seiner Verteidigungsrede vor Gericht unter den Arbeitern höchstes Ansehen genoß, lehnte dies mit der Begründung ab, daß die 1917/19 von der Sozialdemokratie vollzogene Wendung nach links nun auch „unzufriedene Genossen“ die Möglichkeit biete, „innerhalb der Partei für das internationale revolutionäre Programm der Sozialdemokratie“22 (!) zu wirken.23

Warnte das Hainfelder Programm noch, sich „über den Wert des Parlamentarismus, einer Form der modernen Klassenherrschaft, irgendwie zu täuschen“24, so wurde die Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechts jedoch bald die Basis für das Aufkommen des Reformismus, der in letzter Instanz die Sozialdemokratie akzeptieren ließ, dass im ersten Weltkrieg Arbeiter auf Arbeiter schossen und das bislang größte Völkerschlachten der Geschichte ohne folgenreiche Proteste der Sozialdemokratie seinen Lauf nehmen konnte. Diesem Höhepunkt des politischen Einvernehmens mit den Herrschenden war es auch geschuldet, dass es schließlich zur Spaltung der Arbeiterbewegung kam, in der die neu entstandenen kommunistischen Parteien die ursprünglichen Ideale hochhielten25.

Dem von Karl Marx in der Einleitung der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie postulierten „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“26, wurde nicht entsprochen. Die Führung der österreichischen Sozialdemokratie hatte ihren Frieden mit dem herrschenden kapitalistischen System geschlossen und sich mit ihm arrangiert. So siegte die herrschende Klasse in Österreich in einer mehr oder minder repressionslosen Phase endgültig über die Arbeiterschaft und ihre internationalistischen Ideale.

Die Frühgeschichte der Arbeiterbewegung in Österreich zeigt, dass sie der politische Faktor der Jahrhundertwende und darüber hinaus war, den es für die Herrschenden entweder zu unterwerfen oder zu integrieren galt, um das politische und ökonomische System aufrecht zu erhalten.

Am 3. November 1918 konstituierte sich also in Wien Favoriten die die Kommunistische Partei Deutschösterreichs27, der sich jedoch „kein einziger bekannter Arbeiterführer“28 angeschlossen hatte. Mit dem Angebot, dass ihre wechselhafte aber mitunter heldenhafte Geschichte auf am Programm eines kommenden Camps stehen könnte, möchte ich schließen und mich für die Aufmerksamkeit bedanken.


Anmerkungen:
1 „Das Verhältnis von Endziel und ad-hoc-Politik, das ununterbrochen neu auftauchende Dilemma, ob die Agitation der Partei vom letzten Ziel der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft oder von Tagesrücksichten bestimmt werden sollte, endete faktisch mit der Überhandnahme der Tagespolitik, also der theoretischen Position des Revisionismus.“ (Hautmann/Kropf, Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 104f.)
2 „Das Wesentliche des R. ist […], daß er […] der revolutionären Arbeiterbewegung das theoretische Fundament ihres Kampfes um die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft und um den Aufbau des Sozialismus nimmt.“ (Kosing, Wörterbuch Philosophie, s.v. Revisionismus, S. 454
3 Kosing, Wörterbuch Philosophie, s.v. Revisionismus, S. 453
4 Resolution des Stuttgarter Kongresses der II. Internationale (1907), zit. nach: Strobl, Die Österreichische Arbeiterbewegung, S. 58
5 Hautmann, Die Anfänge, S. 22
6 Vgl. Steiner, KPÖ, S. 5
7 Vgl. Hautmann, „Wir sind keine Hunde“, S. 22
8 Zit. nach: Strobl, Bis zum Ersten Weltkrieg, S. 64
9 Zit. nach: Strobl, Bis zum Ersten Weltkrieg, S. 67
10 Zit. Nach: Reisberg, Februar 1934, S. 67
11 Reisberg, Februar 1934, S. 69
12 Reisberg, Februar 1935, S. 70
13 „Wenn die Mitgliederzahl der Sozialdemokratischen Partei von 120.000 vor dem Kriegsausbruch auf rund 40.000 im Jahre 1916 sank, die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten von 2,160.000 (1913/14) auf 696.000 (1916/17) fiel usw., so war das nicht nur der Mobilisierung der Männer n die Front zuzuschreiben, es war vielmehr auch eine Form des Protests der Arbeiter, was auch daraus hervorgeht, daß selbst die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Frauen – trotz einer erheblichen Steigerung der Frauenarbeit – fast auf die Hälfte fiel.“ (Reisberg, Februar 1934, S. 69)
14 Liberec in der Tschechischen Republik
15 „Die ‚Reichenberger Linke‘ hatte, begünstigt durch die geographische Nähe, Beziehungen zum linken Flügel der SPD, zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, unterhalten und Ende Juli 1914 in ihrem Organ Vorwärts einen energischen Protest gegen das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien veröffentlicht. Aufgrund dieses Artikels wurde der Vorwärts, in Deutschböhmen das einzige sozialdemokratische Tagblatt, am 28. Juli 1914 behördlich verboten.“ (Hans Hautmann, Die Revolutionäre, S. 1)
16 Vgl. Hautmann, Die Revolutionäre, S. 1
17 Hautmann, Die Revolutionäre, S. 1
18 Vgl. Hautmann, Die Revolutionäre, S. 1f.
19 Vgl. Chronik der KPÖ: Link ...jetzt anmelden! 18. März 2009
20 Für genauere Angaben zur politischen Biografie Franz Koritschoners sowie den politischen Repressionen während seines Moskauer Exils, denen vermutlich auch die Nicht-Erwähnung in den frühen Geschichtswerken der KPÖ geschuldet ist, siehe: McLoughlin/Schafranek/Szevera, Aufbruch – Hoffnung –Endstation, S. 471—490
21 Lenin an Franz Koritschoner (25. Oktober 1916), In: Briefe Bd. 6, S. 310
22 Friedrich Adler, Nach zwei Jahren. Reden, gehalten im November 1918, Wien 1918, S. 14. zit. nach: Hautmann, Die Anfänge der Partei, S. 43
23 Hautmann, Die Anfänge der Partei, S. 43
24 Zit. nach: Strobl, S. 15
25 Nicht zuletzt deshalb, verstand sich auch die KPÖ als die legitime Erbin der in Hainfeld gegründeten österreichischen Sozialdemokratie, nachdem das „wahre Gesicht des Opportunismus als einer Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung“ (Strobl, S. 74) „enthüllt“ war.
26 Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: MEW 1, S. 385; Hervorhebung im Original.
27 Vgl. Hautmann, Die Anfänge der Partei, S. 43
28 Spira, Vom ersten Weltkrieg bis 1927, S. 14

Literaturverzeichnis
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Hans Hautmann (Hg.), „Wir sind keine Hunde“. Das Protokoll des Arbeitertages vom 5. November 1916 in Wien (=Alfred Klahr Gesellschaft (Hrsg.), Quellen und Studien, Sonderband 11), Wien 2009
Hans Hautmann, Rudolf Kropf, Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik (=Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 4), 2. erw. Auflage, Wien 1976
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Herbert Steiner, Die Kommunistische Partei Österreichs von 1918—1933. Bibliographische Bemerkungen (= Wolfgang Abendroth (Hg.), Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft, Band 11), Wien/Meisenheim am Glan 1968
Franz Strobl, Die österreichische Arbeiterbewegung bis zum ersten Weltkrieg, Wien 1952



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