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NEUES THEMA18.07.2019, 20:37 Uhr
EDIT: FPeregrin
18.07.2019, 20:39 Uhr
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FPeregrin

Über das Märchen von der "Lohn-Preis-Spirale" Die Themenseite der jW vom 17. Juli brachte folgenden instruktiven Artikel zum Märchen von der "Lohn-Preis-Spirale", mit dem uns die "Wirtschaftsweisen" des Klassenfeinds bereits seit Jahrhunderten mit stetem Gleichmaß berieseln. Richtiger wird es indessen nicht:

Verbreiteter Mumpitz

Hohe Arbeitskosten behindern den Wettbewerb, höhere Einkommen verteuern die Ware. So lauten die Phrasen der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften. Über den Profit wird dabei nicht gesprochen. Zum Märchen von der Lohn-Preis-Spirale

Von Klaus Müller

Fakten sind Fakten. Lässt sich darüber streiten? Er glaube nur der Statistik, die er selbst gefälscht habe, heißt es (übrigens fälschlicherweise) von Winston Churchill immer wieder. Auch wenn die Zahlen stimmen – die statistischen Ämter ermitteln sie weitgehend korrekt –, eignen sie sich oft gut für demagogische Zwecke. Manipulation mittels Tatsachen? Wie soll das gehen? Ganz einfach: Indem man die Bedeutung des Faktischen überhöht oder herabsetzt und dabei Wesentliches unterschlägt. Die vierteljährlich erscheinende Unternehmerzeitung Wirtschaftskurier verglich kürzlich die Löhne zwischen europäischen Ländern. Der Befund: In Deutschland seien die Arbeitskosten, die sich aus den Bruttoverdiensten und den sogenannten Lohnnebenkosten (die Zuschüsse, die Unternehmer zur Sozialversicherung der Beschäftigten leisten) zusammensetzen, »dramatisch hoch«. Während im Durchschnitt der 28 EU-Länder die Arbeitskosten pro Stunde 26,60 Euro betragen (2018), sind es in Deutschland 35 Euro, von denen allerdings nicht einmal die Hälfte netto beim Lohnempfänger ankommt. Nur in Frankreich – 36,50 Euro – und in Schweden – 39,30 Euro – liegen die Arbeitskosten höher. In Großbritannien kostet die Stunde 26,30 Euro, in Spanien 21,30 Euro, in Ungarn und Polen jeweils 9,90 Euro, in Rumänien 6,50 Euro. Schlusslicht ist Bulgarien mit 5,30 Euro.¹

Man bleut den Studenten der Wirtschaftswissenschaften und dem Zeitungsleser ein, dass Länder mit hohen Arbeitskosten im Welthandel benachteiligt seien. Hohe Arbeitskosten bedeuteten hohe Preise. Darunter leide die »Wettbewerbsfähigkeit« der Unternehmen, d.h. die Kraft, die Konkurrenten zu schwächen und zu verdrängen. Einheimische Produzenten müssten den Rivalen, die billiger anbieten, die Märkte überlassen. Hohe Preise würden auch die Nachfrage nach Waren im Inland untergraben und den Wirtschaftsaufschwung verhindern. Die Unternehmer investierten verstärkt im Ausland, um den hohen Arbeitskosten zu entgehen, wodurch sich im eigenen Land die Arbeitslosigkeit vergrößere. Die Neoklassik verkauft das seichte Geschwätz als die Krone der wissenschaftlichen Erkenntnis. An den Unis wird der Schwachsinn mit guten Prüfungsnoten belohnt. Aber Mumpitz wird nicht dadurch richtig, dass er bis zum Überdruss wiederholt und von Dozenten honoriert wird. Viele Menschen erkennen nicht, dass die Erklärung einseitig ist. Sie lassen sich blenden vom Körnchen Wahrheit, das im Irrtum steckt. Die hohlen Phrasen sind nicht völlig unlogisch: Die Kapitalisten wollen niedrige Kosten und hohe Profite. Aber müssen die Preise wirklich steigen, wenn zuvor höhere Löhne erkämpft wurden?

Eine wacklige These

Die »Lohn-Preis-Spirale« gehört zum unverzichtbaren Teil der herrschenden Ökonomik. Oberflächlich gesehen, scheinen sich Löhne und Preise gegenseitig nach oben zu drücken. Die Unternehmer führen steigende Preise auf gestiegene Lohnkosten zurück, und die Arbeiter begründen ihre Forderungen nach höheren Löhnen mit den gestiegenen Preisen. Der Kampf um die Aufteilung des Volkseinkommens ist verbunden mit Schuldzuweisungen: Für die Unternehmer sind die Lohnforderungen der Gewerkschaften, für die Lohnempfänger die Preissteigerungen der Unternehmen jeweils das auslösende Moment. Langfristig gehe der Verteilungskampf aus wie das Hornberger Schießen: Nichts ändere sich an seinem Ergebnis, da vorübergehende Lohnvorteile durch höhere Preise und vorauseilende Preise durch die nachträgliche Korrektur der Löhne immer wieder wettgemacht würden. Die Lohn-Preis-Spirale erweist sich als ein Versuch, den Status quo der Einkommensverteilung zu erklären und ihn in den Stand eines naturgesetzlichen Dogmas zu heben.

Was ist dran an der Argumentation, die vielen einleuchtet? Die These von der Lohn-Preis-Spirale ist so alt wie der Kapitalismus und war selbst in der Arbeiterbewegung verbreitet. Der französische Ökonom und Soziologe Pierre-Joseph ­Proudhon (1809–1865) und auch Ferdinand Lassalle (1825–1864) vertraten die Auffassung, dass eine Erhöhung des Lohnes nichts nütze. »Jedes Steigen der Löhne kann keine andere Wirkung haben als ein Steigen der Preise des Getreides, des Weines etc.: die Wirkung einer Teuerung. Denn was ist der Lohn? Er ist der Kostenpreis des Getreides etc.; er ist der volle Preis jeder Sache (…) Es ist unmöglich, erkläre ich, dass Arbeitseinstellungen, die Lohnerhöhungen zur Folge haben, nicht auf eine allgemeine Preissteigerung hinauslaufen: Das ist ebenso sicher, wie dass zwei mal zwei vier ist.« Marx, der diese Worte Proudhons zitiert, fügt hinzu: »Wir bestreiten alle diese Behauptungen, ausgenommen die, dass zwei mal zwei vier ist.«²

In den Ökonomie-Lehrbüchern heißt es unisono, die Inflationsrate sei gleich der Differenz aus der Lohnsteigerungsrate und dem Produktivitätszuwachs.³ Ist der Produktivitätsanstieg gleich Null, würden die Preise prozentual so stark steigen wie die Löhne. Eine einfache Überlegung zeigt, dass die Behauptung sehr willkürlich ist: Der Preis einer Ware sei 100 Euro und der Anteil der Lohnkosten am Preis betrage 18 Prozent. Weshalb die Preise um 10 Euro, also um zehn Prozent steigen müssten, wenn die Löhne zuvor um 1,80 Euro, also ebenfalls um zehn Prozent erhöht wurden, ist das Geheimnis der Ökonomieprofessoren. »Tatsächlich betrachten die Unternehmer zumeist eine Lohnerhöhung als willkommene Gelegenheit, nun durch unverhältnismäßige Erhöhung der Preise den Gewinn zu steigern.« 4 Das ist der letztlich entscheidende Grund: Preissteigerungen ergeben sich aus dem Streben nach höchstem Profit. Wenn bei gegebenen Preisen, sonstigen Kosten und gegebener Produktivität die Lohnkosten steigen, gehen die Profite im Ausmaß der Lohnsteigerung zwingend zurück. Unternehmer wollen dies verhindern. Deshalb setzen sie den Preis hoch. Was als lohnbedingte Preissteigerung hingestellt wird, ist der Versuch, eine Korrektur der Verteilung der Einkommen zugunsten der Lohnempfänger zu verhindern. Sie wäre möglich, wenn man sie wollte. Die kapitalistische Marktwirtschaft funktioniert mit unterschiedlichen Einkommensverteilungen. Aber der Profit ist sakrosankt, unantastbar. Von ihm ist nie die Rede, weil es immer um ihn geht.

Bemerkenswert ist, dass die Lohn-Preis-Spirale, obgleich eine der beliebtesten Floskeln zeitgenössischer Ökonomen, von deren großen Vorgängern schon vor Jahrhunderten als Unsinn abgetan worden war: »Es war das große Verdienst Ricardos« lobte Marx, »dass er in seinem 1817 veröffentlichten Werk ›On the Principles of Political Economy‹ (Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie) den alten landläufigen und abgedroschenen Trugschluss, wonach der Arbeitslohn die Preise bestimmt, von Grund aus zunichte machte, einen Trugschluss, den (auch) Adam Smith und seine französischen Vorgänger in den wirklich wissenschaftlichen Partien ihrer Untersuchungen aufgegeben hatten«. 5


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NEUER BEITRAG18.07.2019, 20:41 Uhr
EDIT: FPeregrin
18.07.2019, 20:45 Uhr
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FPeregrin

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Die Produktivität

Die Höhe und die Entwicklung der Löhne kann man nicht korrekt beurteilen, ohne gleichzeitig zu beachten, wie hoch die Produktivität – die produzierte Menge je Arbeitsstunde – ist. Steigen die Löhne pro Stunde im Ausmaß der Produktivität, bleiben die Lohnkosten pro Produkteinheit konstant. Und die Gewinne steigen ebenso stark wie Löhne und Produktivität. Es gibt jetzt nicht den geringsten Grund, wegen gestiegener Löhne die Preise zu erhöhen. 6 Ist der Anstieg der Produktivität größer als jener der Löhne, dann sinken die Lohnkosten pro Stück, die Gewinne pro Stück steigen. Unternehmer könnten jetzt durch moderate Preise die Nachfrage anregen, was sie jedoch selten tun.

In einem Land, in dem die Produktivität doppelt so hoch ist wie in einem anderen, müssen bei gleichem Preis auch die Löhne doppelt so hoch sein, um die Produkte verkaufen zu können. Denn Löhne sind nicht nur betriebliche Kosten. Sie sind auch Einkommen, mit denen die Haushalte ihre Nachfrage finanzieren. Ausschlaggebend sind jedenfalls nicht die Löhne, die pro Arbeitsstunde gezahlt werden, sondern die pro produzierter Mengeneinheit anfallen. Daher ist ein Vergleich der Lohnstückkosten zwischen den Ländern – auch wenn keineswegs hinreichend – aussagekräftiger als ein Vergleich der Löhne pro Arbeitsstunde. Unternehmerfreundliche Ökonomen sagen, die Höhe der Lohnstückkosten sei das Kriterium dafür, wie »wettbewerbsfähig« die Unternehmen gegenüber ausländischen Konkurrenten seien. Niedrige gestatteten es, die Preise der Konkurrenz zu unterbieten und Märkte zu erobern. Die Lohnstückkosten des deutschen Verarbeitenden Gewerbes seien zu hoch, behauptet das unternehmernahe »Institut der deutschen Wirtschaft« in Köln. Sie behinderten das Agieren deutscher Firmen auf dem Weltmarkt, obwohl sie unter anderem in Großbritannien, Frankreich, Italien und Norwegen höher sind. 7 Die Lohnstückkosten seien, so hält das gewerkschaftsnahe »Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung« (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung dagegen, in Deutschland trotz eines gewissen Wachstums in den vergangenen Jahren »seit Beginn der Währungsunion deutlich schwächer gestiegen als in allen anderen Mitgliedsstaaten des Euro-Raums mit Ausnahme von Irland«. 8

Die Bedeutung der Lohnstückkosten für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf den Weltmärkten soll nicht bestritten werden. Doch wird sie aus ideologischen Gründen stark überhöht. Deutschland erwirtschaftet fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts im Ausland – 47 Prozent im Jahr 2018 –, erzielt seit der Einführung des Euro Jahr für Jahr wachsende Exportüberschüsse und ist die drittstärkste Exportnation der Welt. Hauptempfänger deutscher Waren sind die USA. Unter dem Strich ergab sich 2018 ein Exportüberschuss von 228 Milliarden Euro 9, allein gegenüber den USA betrug er 66 Milliarden 10 – und war damit so groß wie gegenüber keinem anderen Land. Und pikant: Die Lohnstückkosten in den USA liegen um mehr als 20 Prozent unter denen der Bundesrepublik. Also können die Lohnstückkosten keinesfalls die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte auf dem Weltmarkt untergraben haben.

Die anderen Kosten

Die Löhne sind nur ein Teil der Kosten. Wenn schon die Wettbewerbsfähigkeit am Kriterium Kosten beurteilt werden soll, dann muss dies an den Gesamtkosten und nicht nur an einem Teil von ihnen geschehen. Der Sozialdemokrat Herbert Ehrenberg hatte zu Beginn der 1960er Jahre geschrieben, dass über die reale Bedeutung des Faktors Lohn für die Kalkulation der Kosten wenig bekannt ist. »Den Verlautbarungen mancher Industriezweige nach scheint ihre Kalkulation nur Lohnkosten zu kennen, da in schöner Regelmäßigkeit eine zehnprozentige Lohnerhöhung mit einer Preisanhebung um ebenfalls zehn Prozent beantwortet wird. Dabei muss selbst dem ökonomischen Laien einleuchten, dass in der industrialisierten Wirtschaft Kostenfaktoren auftreten, deren zahlenmäßige Bedeutung die des Lohnes um ein Vielfaches übersteigt, und dass mit steigendem Grad der Industrialisierung die Lohnkosten zugunsten des stärkeren Kapitalanteils zurückgehen müssen.« 11

Damals wie heute ist in der umfangreichen ökonomischen Literatur nur wenig konkretes Zahlenmaterial über die Aufgliederung der Kosten in den verschiedenen Industriezweigen zu finden. Ein bis heute streng gehütetes Geheimnis ist die Spanne zwischen Kosten- und Marktpreisen, die sich »dank der wenig publizitätsfreudigen deutschen Wirtschaftsgesetzgebung und den zahlreichen Möglichkeiten der Gewinnmanipulation aus steuerlichen Gründen wohl überhaupt jeder exakten Feststellung« entzieht. 12 Wer denkt da nicht an die bettelarmen Familien der Schnitzer und Drechsler im Erzgebirge, die vor Jahrhunderten den Händlern riesigen Reichtum brachten? Für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hatte der deutsche Betriebswirt Konrad Mellerowicz nach Ehrenberg folgende Anteile der Lohnkosten an den betrieblichen Gesamtkosten ermittelt, die sich auf Untersuchungen des Statistischen Reichsamtes aus dem Jahre 1936 stützten: Eisenschaffende Industrie 21 Prozent, Lederindustrie 19 Prozent, Bekleidungsindus­trie 19 Prozent, Textilindustrie 18 Prozent, Holzindustrie 16 Prozent, Nahrungs- und Genussmittelindustrie zehn Prozent.

Diese Angaben für einige Zweige zeigen, dass in der sehr viel weniger kapitalintensiven Industrie der Vorkriegszeit der Lohnanteil unter einem Fünftel der betrieblichen Gesamtkosten gelegen hatte. Und der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten ist seitdem weiter zurückgegangen. Ehrenberg wies das am Beispiel des Jahres 1950 nach und schlussfolgerte: »Der Anteil des Faktors Arbeit an den Gesamtkosten ist sehr viel niedriger, als in der Öffentlichkeit gewöhnlich angenommen wird. Mit zunehmendem Grad der Industrialisierung geht der relative Anteil der Arbeitskosten ständig zurück. Beide Gesichtspunkte führen zu der Konsequenz, dass eine Veränderung der Löhne und Gehälter von der Kostenseite her nur zu relativ geringen Beeinflussungen des Preisniveaus führen kann.« 13 In einer Studie aus dem Jahr 2004 hieß es, der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtproduktionskosten liege in Deutschland etwa bei 21 Prozent, am niedrigsten sei er in der Tabakverarbeitung (fünf Prozent), am höchsten in der Mess- und Regeltechnik mit gerade einmal 31 Prozent. 14 In der Metall- und Elektroindustrie liegt er 2017 bei 17 Prozent, bei den Automobilzulieferern ebenso, in automatisierten Betrieben zwischen zehn und 15 Prozent. Durch Einsparungen bei Material, Abschreibungen und sonstigen betrieblichen Kosten könnten Lohnsteigerungen rechnerisch mühelos wettgemacht werden. Und wenn die Bedeutung der Löhne an den Kosten aufgebauscht wird, dann auch ihr Anteil an den Preisen. Wer weiß schon, dass der Hersteller für ein Paar Sportschuhe, das locker 120 Euro kosten kann und mehr, lediglich Löhne in Höhe von 2,50 Euro zahlt? Und für die dabei verarbeiteten Rohstoffe gerade mal zehn Euro. 15 Wer spricht von den exorbitant hohen Gewinnspannen? 30 bis 40 Prozent und mehr sind keineswegs selten. Sie sind kein Teil der Verhandlungsmasse.


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NEUER BEITRAG18.07.2019, 20:52 Uhr
EDIT: FPeregrin
18.07.2019, 20:56 Uhr
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FPeregrin

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Umkehrkalkulation

Die Unternehmer rechtfertigen die Erhöhung der Preise damit, dass die Kosten gestiegen seien. Sie hoffen, dass die unpopuläre Maßnahme auf Verständnis stößt. Wer die Praxis der Kostenkalkulation in den Betrieben kennt, weiß, dass es sich umgekehrt verhält. Die Materialkosten werden nicht kalkuliert zu den gezahlten Einkaufspreisen. Sie werden festgesetzt auf der Basis der Preise, die man erwartet. Und die sind üblicherweise höher als die gezahlten. Richtig muss man sagen: Die Preise steigen nicht, weil die Kosten gestiegen sind, sondern die Kosten steigen, weil man erwartet, dass die Preise steigen werden. Der vermutete künftige Preiszuwachs wird den aktuellen Kosten zugeschlagen. Daraus folgt, dass die verrechneten Kosten höher sind, als die tatsächlich angefallenen. Ohne diese Erwartungen entfiele der Grund, die Kosten zu erhöhen. Hinter der pessimistischen Annahme steckt sicher die Erfahrung inflationärer Entwicklungen, vor allem aber der Wille, den Profit zu sichern und zu erhöhen.

Während die Bedeutung der Lohnstückkosten für die Wettbewerbsfähigkeit aufgebauscht wird, rücken wichtigere Einflussfaktoren in den Hintergrund: die Attraktivität und Einzigartigkeit des Angebots, die Qualität, der wissenschaftlich-technische Vorsprung, die Zuverlässigkeit, die Liefertreue, eine gute Infrastruktur, Rechtssicherheit und ein leistungsfähiger Kundendienst, aber auch Werbung, Manipulation und Einbildung. Wichtigste deutsche Exportgüter sind Kraftwagen, Kraftwagenteile, Maschinen, Chemieprodukte und Elektroausrüstungen. Wo sind die Konkurrenzprodukte bulgarischer, rumänischer, tschechischer, portugiesischer, spanischer, griechischer, ungarischer, litauischer oder polnischer Unternehmen, alles Länder mit deutlich geringeren Lohnstückkosten als in Deutschland? Es gibt sie so gut wie nicht. Auch die Währungskurse haben Einfluss auf die Konkurrenzfähigkeit der Produzenten und damit auf den Welthandel. Eine Abwertung des Euro ermöglicht es, die Angebotspreise in Fremdwährung, z.B. in Dollar, zu senken. Das begünstigt den Export. Eine Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar bewirkt das Gegenteil. Der seit 2015 schwächer notierte Euro entlastete die deutschen Exporteure. Ein moderater Anstieg der Löhne wurde dadurch mehr als kompensiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die These, zwischen Löhnen und Preisen gebe es eine starre Beziehung, falsch ist. Das Dogma, dass die Warenpreise bestimmt würden durch die Arbeitslöhne, ist unhaltbar: Die Preise folgen nicht primär den Löhnen. Profitstreben, Marktmacht, die Abschöpfung von Liquidität, erwartete Kosten- und Preiserhöhungen sind wichtigere Einflussfaktoren. Die Löhne können wie jede andere Kostenart auch stärker steigen als der Preis, ohne dass sich dies negativ auf den Gewinn auswirkt. Unternehmer erhöhen die Preise über das ganze Jahr. Lohnerhöhungen müssen ihnen in Tarifverhandlungen abgetrotzt werden. Das geschieht höchstens einmal im Jahr. Mit ihnen wollen die Gewerkschaften den Arbeitern die Teilhabe am eingetretenen Produktivitätszuwachs sichern und den durch die Preissteigerungen eingetretenen Reallohnverlust ausgleichen.

Anmerkungen

1 Wirtschaftskurier, 3. Quartal 2019, S. 2

2 MEW 4, S. 175

3 Z.B. in: Samuelson, Paul A./Nordhaus, William D., Volkswirtschaftslehre, Grundlagen der Makro- und Mikroökonomie, Bd. 1, 8. Dt. Aufl., Köln, 1987, S. 392 f.

4 Werner Hofmann, Einkommenstheorie. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, Sozialökonomische Studientexte, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin 1971, S. 259 f.

5 MEW 16, S. 161

6 Klaus Müller, Lohnarbeit und Arbeitslohn, Köln 2018, S. 87–97

7 Link ...jetzt anmelden! abgerufen am 10.7.2019

8 Link ...jetzt anmelden! 10.7.2019

9 Link ...jetzt anmelden! 10.07.2019

10 Link ...jetzt anmelden! 10.7.2019

11 Herbert Ehrenberg: Der Kostenfaktor Lohn in der hochindustrialisierten Wirtschaft, Gewerkschaftliche Monatshefte, Heft 8/1961, S. 468

12 Ebenda

13 Ebenda, S. 471

14 »Deutschland: Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten 21,4 Prozent«, 25.10.2004, Link ...jetzt anmelden!

15 Link ...jetzt anmelden! 10.7.2019


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Anm.: Marx brachte es in "Lohn, Preis und Profit" mal knapp so auf den Punkt:
"Bürger Weston illustrierte euch seine Theorie damit, daß, wenn eine Schüssel ein bestimmtes Quantum Suppe zur Speisung einer bestimmten Anzahl von Personen enthalte, ein Breiterwerden der Löffel kein Größerwerden des Quantums Suppe bewirke. Er muß mir schon gestatten, diese Illustration recht ausgelöffelt zu finden. [...] Bürger Weston für sein Teil hat vergessen, daß die Schüssel, woraus die Arbeiter essen, mit dem ganzen Produkt der nationalen Arbeit gefüllt ist und daß, wenn irgend etwas die Arbeiter hindert, mehr aus der Schüssel herauszuholen, es weder die Enge der Schüssel noch die Dürftigkeit ihres Inhalts ist, sondern einzig und allem die Kleinheit ihrer Löffel." (MEW 16, 106)
Dies enthält eine interessante Weiterung bezüglich einer von derselben Bande immer wieder gern behaupteten "Ressourcenverknappung":
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#LohnPreisSpirale
#ArmutsapostelDesKlassenfeinds
NEUER BEITRAG26.10.2021, 22:37 Uhr
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FPeregrin

Über das Märchen von der "Lohn-Preis-Spirale" ... & knapp in der jW von morgen:

Schlagworte

Rotlicht: Lohn-Preis-Spirale

Von Klaus Müller

Das Bild ist schief, die dahinterstehende Behauptung gehört aber zum unverzichtbaren Teil der herrschenden Volkswirtschaftslehre: Zur Rede steht die Lohn-Preis-Spirale. Es scheint, als drückten Löhne und Preise sich gegenseitig nach oben. Behauptet wird, dass höhere Löhne zu steigenden Preisen führten: Sie verteuerten die Produktion, erhöhten aber auch die Einkommen, die es den Arbeitern ermöglichten, die teureren Waren zu bezahlen. Steigende Preise wiederum zwingen die Gewerkschaften, höhere Löhne zu fordern, um das reale Einkommen zu sichern. Die Unternehmer begründen steigende Preise mit gestiegenen Lohnkosten und die Arbeiter ihre Forderungen nach höheren Löhnen mit dem gestiegenen Preisniveau. Langfristig ändere sich an der Verteilung des Volkseinkommens nichts. Vorübergehende Lohnvorteile würden durch höhere Preise und vorauseilende Preise durch einen Anstieg der Löhne wettgemacht. Die Lohn-Preis-Spirale erweist sich als eine These, mit der der Status quo der Einkommensverteilung scheinbar erklärt und in den Stand eines naturgesetzlichen Dogmas gehoben wird. Sie leuchtet vielen ein. Ist sie richtig?

Steigen die Löhne so stark wie die Produktivität, mindert ihr Anstieg den Profit nicht. Autoren der VWL-Lehrbücher schreiben daher, die Preissteigerungsrate sei gleich der Differenz aus der Lohnsteigerungsrate und der Produktivitätszuwachsrate. Von den sonstigen Kosten wird offenbar abgesehen. Ist der Produktivitätsanstieg gleich null, würden danach die Preise prozentual so stark steigen wie die Löhne. Das ist sehr willkürlich, wie eine einfache Überlegung zeigt: Ein Automobilzulieferer verkaufe seine Ware zu einem Preis von 100 Euro, und der Anteil der Lohnkosten am Preis betrage 18 Prozent. Weshalb die Preise um zehn Euro (= zehn Prozent) steigen müssten, wenn die Löhne um 1,80 Euro (= zehn Prozent) steigen, bleibt ein Geheimnis der Ökonomieprofessoren.

Eine zehnprozentige Erhöhung des Lohnes würde in diesem Fall allenfalls zu einer Preiserhöhung von 1,8 Prozent führen, wenn die Lohnerhöhung weitergegeben wird. Daran wird deutlich, wie absurd es ist, den Gewerkschaften die Verantwortung für steigende Preise anzulasten. Die Preiserhöhung könnte daraus resultieren, dass Material- und Energiekosten gestiegen sind oder dass zu hohe Abschreibungen verrechnet werden. Der entscheidende Grund: Preissteigerungen widerspiegeln das Streben nach höchstem Profit. Wenn die Preise, die sonstigen Kosten und die Produktivität gegeben sind, gehen die Profite im Ausmaß der Lohnsteigerung zurück. Und das ist der Knackpunkt des Ganzen: Unternehmer wollen genau dies verhindern. Deshalb setzen sie den Preis hoch. Was als lohnbedingte Preissteigerung hingestellt wird, ist der Versuch, eine Korrektur der Verteilung der Einkommen zugunsten der Lohnempfänger zu verhindern. Die Unterstellung einer starren Beziehung zwischen Löhnen und Preisen, das Dogma, dass die Warenpreise bestimmt würden durch die Arbeitslöhne, ist unhaltbar: Die Preise folgen nicht primär den Löhnen. Profitstreben, Marktmacht und die Abschöpfung von Liquiditätspotentialen sowie erwartete Kosten- und Preiserhöhungen sind wichtigere Einflussfaktoren.

Bemerkenswert ist, dass die Lohn-Preis-Spirale, obgleich eine der beliebtesten Floskeln zeitgenössischer Ökonomen, von deren großen Vorgängern schon vor Jahrhunderten als Unsinn abgetan worden ist: »Es war das große Verdienst Ricardos«, lobte Karl Marx, »dass er in seinem 1817 veröffentlichten Werk ›On the Principles of Political Economy‹ (Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie) den alten landläufigen und abgedroschnen Trugschluss, wonach der Arbeitslohn die Preise bestimmt, von Grund aus zunichte machte, einen Trugschluss, den (auch) Adam Smith und seine französischen Vorgänger in den wirklich wissenschaftlichen Partien ihrer Untersuchungen aufgegeben hatten« (MEW 16, S. 121).


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