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•NEUES THEMA15.04.2019, 14:48 Uhr
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• Zum Ursprung des italienischen Faschismus
Folgenden Artikel zur "Ur- und Frühgeschichte" des italienischen Faschismus von Gerhard Feldbauer veröffentlichte die KPF in ihren April-Mitteilungen. Insbesondere der nicht unvermeidliche Übergang zum Faschismus an der Macht ist für uns von höchst aktuellem Interesse.
Mit den Kampfbünden Mussolinis schlug vor 100 Jahren die Geburtsstunde des Faschismus
Dr. Gerhard Feldbauer
Der Chef der regierenden rassistischen Lega, Matteo Salvini, beruft sich auf dessen Erbe
Die seit Juni 2018 in Rom mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) regierende rassistische Lega ist dabei, Schritt für Schritt ein faschistisches Regime zu errichten. Diese sich demagogisch »gelb-grün« apostrophierende Regierung kopiert »in beängstigender Weise den historischen Faschismus«, schätzt der Philosophie-Professor und antifaschistische Publizist, Giuseppe Aragno, im Gespräch mit mir dazu ein. »Salvini, der die Faschisten der CasaPound [1] die Drecksarbeit verrichten lässt, der Bürgerwehren zur Jagd auf Migranten aufstellt, verkörpert die aus dem Squadrismus (Terror) Mussolinis bekannte Schlägersee-le«. Die Schützenhilfe der M5S für die Lega erinnere »an typische Stützen, der sich der aus den Reihen der Sozialisten kommende Mussolini bediente«, so Aragno. [2] Ein Blick auf das Erbe des Mussolini-Faschismus, auf das sich Salvini ständig beruft, zeigt erstaunliche Anknüpfungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Die aktuellen Lehren sind offensichtlich.
Das Entstehung des Faschismus und der Regimes, die er unter Mussolini in Italien wie später unter Hitler in Deutschland und anderswo hervorbrachte, waren Produkte der Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel Italiens zeigte sich besonders, dass die Wurzeln des Faschismus, darunter die seines Expansionsdranges, bereits im Ersten Weltkrieg liegen. Schon im Januar 1915 gründete Mussolini Fasci d'Azione Rivoluzionario (Revolutionäre Kampfbünde), eine demagogisch getarnte Vorläuferorganisation, deren Mitglieder sich Fascisti (Faschisten) nannten. Da die Italienische Sozialistische Partei (ISP) als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Antikriegspositionen bezog, propagierten die Kampfbünde den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente. Italien hatte zunächst seine Neutralität erklärt, ehe es im Mai 1915 auf der Seite der Entente gegen seine früheren Ver-bündeten im Dreibund, Österreich-Ungarn und Deutschland, in den Krieg eintrat.
Vor der Parlamentsabstimmung über den Kriegseintritt hetzte die von Mussolini gegründete Zeitung der Fasci »Pòpolo d'Italia« (Volk Italiens), die Abgeordneten, die noch nicht zum Kriegseintritt entschlossen seien (das waren vor allem die Sozialisten), »sollten vor ein Kriegsgericht gestellt« werden, für »das Heil Italiens« seien, wenn notwendig, »einige Dutzend Abgeordnete zu erschießen«, andere »ins Zuchthaus zu stecken«. Das »Pòpolo d'Italia« war ein von führenden Kreisen der Rüstungsindustrie (Ansaldo, Conti, Benedetti, Donegani, Agnelli, Pirelli) finanziertes Kampfblatt, das in offenem Chauvinismus deren Kriegsinteressen vertrat. Dieselben Konzerne finanzierten nach Kriegsende auch Mussolinis »Marsch auf Rom«.
Überwiegend kleinbürgerliche Gefolgschaft
Am 23. März 1919 bildete Mussolini mit den Fasci Italiani di Combattimento (Italienische Kampfbünde, später auch Squadre di Azione – Sturmabteilungen – genannt) die erste offen faschistisch ausgerichtete Organisation. Auf ihrem 3. Kongress im November 1921 konstituierten diese sich zum Partito Nazionale Fascista (PNF). Die Partei zählte zu dieser Zeit rund 320.000 Mitglieder, die in 2.200 Fasci organisiert waren. An die Spitze des PNF trat Mussolini, der sich von nun an »Duce del Fascismo« nannte. Angelo Tasca gab folgende soziale Schichtung des PNF an: 18.084 Grundbesitzer, 13.878 Kaufleute, 4.269 Industrielle, 9.981 Freiberufler, 7.209 Staatsbeamte, 14.988 Privatangestellte, 1.680 Lehrer, 19.783 Studenten, 36.847 Landarbeiter und Bauern, 23.418 Industriearbeiter, vor allem aus Staatsbetrieben. [3] In Gestalt des PNF entstand eine imperialistische Massenpartei, deren Gefolgschaft überwiegend aus kleinbürgerlichen Schichten bestand.
Die Mitglieder des PNF nannten sich weiter Fascisti, und die Bewegung sich Fascismo. Damit griff Mussolini auf zwei klassenmäßig entgegengesetzte, in der Geschichte wurzelnde Symbole zurück. Die Fasces, lederumschnürte Rutenbündel der altrömischen Liktoren, aus denen ein Beil hervorragte, wurden den Konsuln als Zeichen der Gewalt über Leben und Tod vorangetragen. [4] Mit diesem Rückgriff feierte der künftige »Duce« sich und den PNF im Rahmen der nationalistischen Verhetzung als Nachkommen des großen römischen Reiches und seiner Cäsaren. Gegenüber den Arbeitermassen wurden die Traditionen der Unterdrückten herausgestellt, die ihre Organisationen in den Kämpfen des 18. und 19. Jahrhunderts auch als Fasci bezeichnet hatten. So hatten die armen Bauern, Tagelöhner und Arbeiter in Sizilien 1889 Fasci di Lavoratori (Arbeiterbünde) gebildet, aus denen 1893 die Federazione Socialista Siciliana hervorging. Die Farbe der Uniformhemden bezog sich sowohl auf die Bergarbeiter als auch die Anarchisten, die schwarze Hemden trugen. Ausdruck der Interessen, welche die faschistische Bewegung von Anfang an vertrat, war, dass die Fasci-Konferenz 1919 im Gebäude des Industrie- und Handelsverbandes auf der Piazza San Sepolcro in Mailand stattfand.
In Italien früher als in Deutschland
Palmiro Togliatti stellte zwei charakteristische Merkmale des Faschismus heraus: Die hemmungslose soziale Demagogie und den blutigen Terror zur Zerschlagung der revolutionären Arbeiterbewegung und zur Ausschaltung aller politischen Gegner. [5] Aber von nicht wenigen, auch revolutionären Sozialisten, wurde längere Zeit nicht erkannt, dass mit der Fasci-Bewegung eine neue und auf offene terroristische Gewalt setzende Interessenorganisation führender imperialistischer Kreise auf den Plan trat. In der ISP hielten viele Mussolini noch für einen Sozialisten, der eine neue sozialrevolutionäre Organisation gründete. Das auf dem Fasci-Kongress angenommene Programm enthielt durchweg bürgerlich-demokratische Forderungen der Sozialisten, die mit nationalistischen Phrasen untersetzt wurden.
In der ISP hatte der reformistische Flügel sich noch nicht als die Partei beherrschend durchgesetzt. Die ISP-Führung begrüßte mehrheitlich die russische Oktoberrevolution und beschloss, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Dem italienischen Imperialismus fehlte so eine sozialdemokratische Führung, die – wie die der SPD in Deutschland – als sein Retter auftreten und die revolutionäre Erhebung der Arbeiter niederschlagen konnte. Das machte den Faschismus in Italien früher als in Deutschland zu der Kraft, in der Großkapital und Latifundistas den Garanten ihrer Existenz sahen und der sie an die Macht verhalfen.
Als Führerpersönlichkeit für diese Aufgabe kam Mussolini einmal seine 14-jährige Karriere in der ISP zugute, in der er eine herausragende Führerrolle gespielt hatte, was es ihm ermöglichte, seiner pseudorevolutionären sozialistischen Tarnung einen glaubhaften Anschein zu verleihen und der Bewegung frühzeitig eine Massenbasis auch innerhalb der Arbeiterbewegung zu verschaffen. Zum anderen hatte er sich 1914/15 durch seinen Übergang zu den chauvinistischen Positionen des Interventionismus als ein zuverlässiger Erfüllungsgehilfe des Imperialismus unter den Massen erwiesen.
Sozialdemagogisch getarnte Gewalt
Gegen die in den Massenkämpfen 1919/20 mögliche Machtergreifung durch die revolutionären Linken gingen die Kampfbünde mit einem in dieser Zeit beispiellosen barbarischen Terror vor. Sie überfielen Arbeiterviertel, steckten Versammlungsräume der Sozialisten und der Gewerkschaften in Brand, misshandelten Funktionäre auf der Straße und in ihren Wohnungen, erschlugen sie auf den Feldern und stellten ihre Leichen zur Schau. In Mailand und zahlreichen weiteren Städten zwangen sie die linken Verwaltungen mit bewaffneter Gewalt, zurückzutreten. [6] Die von Antonio Gramsci als Zeitung der gleichnamigen kommunistischen Gruppe in der ISP herausgegebene »Ordine Nuovo« berichtete am 23. Juli 1921, dass 1920 2.500 Italiener unter den Kugeln der Faschisten und der öffentlichen Sicherheitskräfte den Tod fanden, im ersten Halbjahr 1921 ungefähr 1.500 Menschen getötet, 20.000 Bewohner aus den Städten vertrieben, in der Emilia Romagna, der Toskana, in Umbrien, dem Veneto 15 Millionen Menschen terrorisiert wurden. Tasca berichtete, dass im ersten Halbjahr 1921 nach unvollständigen Angaben 726 proletarische Einrichtungen zerstört wurden, darunter 17 Zeitungsredaktionen und Druckereien, 59 Volksheime, 119 Gewerkschaftszentralen, 107 Genossenschaften, 141 Lokale der Sozialisten und Kommunisten, 100 Kulturheime, 10 Volksbibliotheken und -Theater, 53 Arbeiter- und Erholungsheime. [7]
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Mit den Kampfbünden Mussolinis schlug vor 100 Jahren die Geburtsstunde des Faschismus
Dr. Gerhard Feldbauer
Der Chef der regierenden rassistischen Lega, Matteo Salvini, beruft sich auf dessen Erbe
Die seit Juni 2018 in Rom mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) regierende rassistische Lega ist dabei, Schritt für Schritt ein faschistisches Regime zu errichten. Diese sich demagogisch »gelb-grün« apostrophierende Regierung kopiert »in beängstigender Weise den historischen Faschismus«, schätzt der Philosophie-Professor und antifaschistische Publizist, Giuseppe Aragno, im Gespräch mit mir dazu ein. »Salvini, der die Faschisten der CasaPound [1] die Drecksarbeit verrichten lässt, der Bürgerwehren zur Jagd auf Migranten aufstellt, verkörpert die aus dem Squadrismus (Terror) Mussolinis bekannte Schlägersee-le«. Die Schützenhilfe der M5S für die Lega erinnere »an typische Stützen, der sich der aus den Reihen der Sozialisten kommende Mussolini bediente«, so Aragno. [2] Ein Blick auf das Erbe des Mussolini-Faschismus, auf das sich Salvini ständig beruft, zeigt erstaunliche Anknüpfungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Die aktuellen Lehren sind offensichtlich.
Das Entstehung des Faschismus und der Regimes, die er unter Mussolini in Italien wie später unter Hitler in Deutschland und anderswo hervorbrachte, waren Produkte der Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel Italiens zeigte sich besonders, dass die Wurzeln des Faschismus, darunter die seines Expansionsdranges, bereits im Ersten Weltkrieg liegen. Schon im Januar 1915 gründete Mussolini Fasci d'Azione Rivoluzionario (Revolutionäre Kampfbünde), eine demagogisch getarnte Vorläuferorganisation, deren Mitglieder sich Fascisti (Faschisten) nannten. Da die Italienische Sozialistische Partei (ISP) als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Antikriegspositionen bezog, propagierten die Kampfbünde den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente. Italien hatte zunächst seine Neutralität erklärt, ehe es im Mai 1915 auf der Seite der Entente gegen seine früheren Ver-bündeten im Dreibund, Österreich-Ungarn und Deutschland, in den Krieg eintrat.
Vor der Parlamentsabstimmung über den Kriegseintritt hetzte die von Mussolini gegründete Zeitung der Fasci »Pòpolo d'Italia« (Volk Italiens), die Abgeordneten, die noch nicht zum Kriegseintritt entschlossen seien (das waren vor allem die Sozialisten), »sollten vor ein Kriegsgericht gestellt« werden, für »das Heil Italiens« seien, wenn notwendig, »einige Dutzend Abgeordnete zu erschießen«, andere »ins Zuchthaus zu stecken«. Das »Pòpolo d'Italia« war ein von führenden Kreisen der Rüstungsindustrie (Ansaldo, Conti, Benedetti, Donegani, Agnelli, Pirelli) finanziertes Kampfblatt, das in offenem Chauvinismus deren Kriegsinteressen vertrat. Dieselben Konzerne finanzierten nach Kriegsende auch Mussolinis »Marsch auf Rom«.
Überwiegend kleinbürgerliche Gefolgschaft
Am 23. März 1919 bildete Mussolini mit den Fasci Italiani di Combattimento (Italienische Kampfbünde, später auch Squadre di Azione – Sturmabteilungen – genannt) die erste offen faschistisch ausgerichtete Organisation. Auf ihrem 3. Kongress im November 1921 konstituierten diese sich zum Partito Nazionale Fascista (PNF). Die Partei zählte zu dieser Zeit rund 320.000 Mitglieder, die in 2.200 Fasci organisiert waren. An die Spitze des PNF trat Mussolini, der sich von nun an »Duce del Fascismo« nannte. Angelo Tasca gab folgende soziale Schichtung des PNF an: 18.084 Grundbesitzer, 13.878 Kaufleute, 4.269 Industrielle, 9.981 Freiberufler, 7.209 Staatsbeamte, 14.988 Privatangestellte, 1.680 Lehrer, 19.783 Studenten, 36.847 Landarbeiter und Bauern, 23.418 Industriearbeiter, vor allem aus Staatsbetrieben. [3] In Gestalt des PNF entstand eine imperialistische Massenpartei, deren Gefolgschaft überwiegend aus kleinbürgerlichen Schichten bestand.
Die Mitglieder des PNF nannten sich weiter Fascisti, und die Bewegung sich Fascismo. Damit griff Mussolini auf zwei klassenmäßig entgegengesetzte, in der Geschichte wurzelnde Symbole zurück. Die Fasces, lederumschnürte Rutenbündel der altrömischen Liktoren, aus denen ein Beil hervorragte, wurden den Konsuln als Zeichen der Gewalt über Leben und Tod vorangetragen. [4] Mit diesem Rückgriff feierte der künftige »Duce« sich und den PNF im Rahmen der nationalistischen Verhetzung als Nachkommen des großen römischen Reiches und seiner Cäsaren. Gegenüber den Arbeitermassen wurden die Traditionen der Unterdrückten herausgestellt, die ihre Organisationen in den Kämpfen des 18. und 19. Jahrhunderts auch als Fasci bezeichnet hatten. So hatten die armen Bauern, Tagelöhner und Arbeiter in Sizilien 1889 Fasci di Lavoratori (Arbeiterbünde) gebildet, aus denen 1893 die Federazione Socialista Siciliana hervorging. Die Farbe der Uniformhemden bezog sich sowohl auf die Bergarbeiter als auch die Anarchisten, die schwarze Hemden trugen. Ausdruck der Interessen, welche die faschistische Bewegung von Anfang an vertrat, war, dass die Fasci-Konferenz 1919 im Gebäude des Industrie- und Handelsverbandes auf der Piazza San Sepolcro in Mailand stattfand.
In Italien früher als in Deutschland
Palmiro Togliatti stellte zwei charakteristische Merkmale des Faschismus heraus: Die hemmungslose soziale Demagogie und den blutigen Terror zur Zerschlagung der revolutionären Arbeiterbewegung und zur Ausschaltung aller politischen Gegner. [5] Aber von nicht wenigen, auch revolutionären Sozialisten, wurde längere Zeit nicht erkannt, dass mit der Fasci-Bewegung eine neue und auf offene terroristische Gewalt setzende Interessenorganisation führender imperialistischer Kreise auf den Plan trat. In der ISP hielten viele Mussolini noch für einen Sozialisten, der eine neue sozialrevolutionäre Organisation gründete. Das auf dem Fasci-Kongress angenommene Programm enthielt durchweg bürgerlich-demokratische Forderungen der Sozialisten, die mit nationalistischen Phrasen untersetzt wurden.
In der ISP hatte der reformistische Flügel sich noch nicht als die Partei beherrschend durchgesetzt. Die ISP-Führung begrüßte mehrheitlich die russische Oktoberrevolution und beschloss, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Dem italienischen Imperialismus fehlte so eine sozialdemokratische Führung, die – wie die der SPD in Deutschland – als sein Retter auftreten und die revolutionäre Erhebung der Arbeiter niederschlagen konnte. Das machte den Faschismus in Italien früher als in Deutschland zu der Kraft, in der Großkapital und Latifundistas den Garanten ihrer Existenz sahen und der sie an die Macht verhalfen.
Als Führerpersönlichkeit für diese Aufgabe kam Mussolini einmal seine 14-jährige Karriere in der ISP zugute, in der er eine herausragende Führerrolle gespielt hatte, was es ihm ermöglichte, seiner pseudorevolutionären sozialistischen Tarnung einen glaubhaften Anschein zu verleihen und der Bewegung frühzeitig eine Massenbasis auch innerhalb der Arbeiterbewegung zu verschaffen. Zum anderen hatte er sich 1914/15 durch seinen Übergang zu den chauvinistischen Positionen des Interventionismus als ein zuverlässiger Erfüllungsgehilfe des Imperialismus unter den Massen erwiesen.
Sozialdemagogisch getarnte Gewalt
Gegen die in den Massenkämpfen 1919/20 mögliche Machtergreifung durch die revolutionären Linken gingen die Kampfbünde mit einem in dieser Zeit beispiellosen barbarischen Terror vor. Sie überfielen Arbeiterviertel, steckten Versammlungsräume der Sozialisten und der Gewerkschaften in Brand, misshandelten Funktionäre auf der Straße und in ihren Wohnungen, erschlugen sie auf den Feldern und stellten ihre Leichen zur Schau. In Mailand und zahlreichen weiteren Städten zwangen sie die linken Verwaltungen mit bewaffneter Gewalt, zurückzutreten. [6] Die von Antonio Gramsci als Zeitung der gleichnamigen kommunistischen Gruppe in der ISP herausgegebene »Ordine Nuovo« berichtete am 23. Juli 1921, dass 1920 2.500 Italiener unter den Kugeln der Faschisten und der öffentlichen Sicherheitskräfte den Tod fanden, im ersten Halbjahr 1921 ungefähr 1.500 Menschen getötet, 20.000 Bewohner aus den Städten vertrieben, in der Emilia Romagna, der Toskana, in Umbrien, dem Veneto 15 Millionen Menschen terrorisiert wurden. Tasca berichtete, dass im ersten Halbjahr 1921 nach unvollständigen Angaben 726 proletarische Einrichtungen zerstört wurden, darunter 17 Zeitungsredaktionen und Druckereien, 59 Volksheime, 119 Gewerkschaftszentralen, 107 Genossenschaften, 141 Lokale der Sozialisten und Kommunisten, 100 Kulturheime, 10 Volksbibliotheken und -Theater, 53 Arbeiter- und Erholungsheime. [7]
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•NEUER BEITRAG15.04.2019, 14:51 Uhr
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Selbst diesen blutigen Terror versuchte Mussolini sozialdemagogisch zu tarnen und die revolutionären Sozialisten mit ultra-revolutionären Phrasen zu überbieten. Die Faschisten führten eigene Fabrikbesetzungen durch, übernahmen die Losung der Bildung von Fabrikräten, kritisierten die reformistischen ISP-Führer wegen »Zurückweichens vor der Revolution«, verlangten die teilweise »Enteignung allen Reichtums«, die »Nationalisierung aller Rüstungsbetriebe«, die »Beschlagnahme von 85 Prozent der Kriegsprofite«. Mit dem Verlangen nach Arbeitsplätzen gelang es ihnen, Zehntausende Arbeitslose um sich zu scharen. Im »Pòpolo d'Italia« propagierte Mussolini »Tod den Ausbeutern«, mit den Spekulanten »Schluss zu machen« und verlangte: »Entweder werden die Besitzenden enteignet oder wir setzen die Kriegsteilnehmer ein, um dieses Hindernis niederzureißen«. Um vom Terror seiner Sturmabteilungen abzulenken, forderte er, die Feinde des Volkes »aufzuhängen«, und »die Hinrichtung der Nutznießer des Krieges, die das Volk aushungern«. [8]
Ãœbergang zum Faschismus nicht unvermeidbar
Mit dem »Marsch auf Rom« am 28. Oktober 1922, dem von den führenden Industriekreisen, dem Königshaus, Militärs und dem Vatikan unterstützten Militärputsch, erreichte der »Duce« sein Ziel. Auf Geheiß der Confindustria (Verband der Großindustriellen) berief Vittorio Emanuele II. den Chef des PNF, der im Parlament von 508 Sitzen nur 36 belegte, zum Regierungschef. Nationalisten, Liberale und die katholische Volkspartei traten in die Regierung ein und legitimierten den Putsch. Die Sozialisten, die der Duce ebenfalls in seine Regierung aufnehmen wollte, lehnten als einzige ab. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit sprach dem faschistischen Regierungschef mit 306 Stimmen das Vertrauen aus. Es gab nur 106 Gegenstimmen, vor allem aus den Arbeiterparteien. Die bürgerlichen Parteien verschafften so dem faschistischen Regime zunächst (bis zum Verbot aller Parteien – ausgenommen der PNF – und der Errichtung der offen terroristischen Diktatur 1925/26) ein parlamentarisches Mäntelchen.
Die antifaschistische Bewegung, deren Hauptkräfte aus der Arbeiterbewegung kamen, hatte – bedingt durch ihre Spaltung – die Machtübergabe an Mussolini nicht verhindern können. Der faschistische Terror hatte nicht nur bürgerliche Kreise, sondern auch Arbeiterschichten eingeschüchtert und ihre Widerstandskraft geschwächt. Dennoch war, wie Tasca schrieb, der »Sieg des Faschismus nicht absolut unvermeidlich, nicht schicksalhaft«. [9] Togliatti warnte ebenfalls, den Übergang von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus »als unvermeidbar anzusehen.« [10] Roberto Farinacci, einer der engsten Mitarbeiter Mussolinis, gab später zu, der Erfolg sei weniger von der Stärke des Faschismus als von der Schwäche und zögerlichen Haltung seiner Gegner abhängig gewesen. [11] Gegen den Faschismus an der Macht leisteten dann, wie sich erstmals in der Matteotti-Krise [12] zeigte, neben den Linken in Italien auch Vertreter der bürgerlichen Oppositionsparteien, darunter solche, die dem Machtantritt untätig gegenübergestanden hatten, Widerstand, während sich die entsprechenden Kräfte zehn Jahre später in Deutschland weitgehend passiv verhielten.
Anmerkungen:
[1] Mehrere Tausend Mitglieder zählende, besonders in Rom aktive Schlägertruppe.
[2] »Ein schwarzes Jahr«, Beitrag des Autors in jW, 20. 12. 2018.
[3] Angelo Tasca: Glauben, gehorchen, kämpfen. Der Aufstieg des Faschismus in Italien. Wien o. J. (Promediea), S. 195.
[4] Das Liktorenbündel wurde nach Errichtung der faschistischen Diktatur zum Staatsemblem, das auch die Luftwaffe an den Flugzeugen führte.
[5] Palmiro Togliatti: Lektionen über den Faschismus, Frankfurt/Main 1973, S. 22 ff.
[6] Emilio Lusso: Marsch auf Rom und Umgebung. Wien/Zürich 1991, S. 29 f.
[7] Tasca, a. a. O., S. 439.
[8] Georg Scheuer: Genosse Mussolini, Wien 1985, S. 65 ff.
[9] Tasca, a. a. O., S. 285.
[10] Togliatti, a. a. O., S. 10.
[11] Jens Petersen/Wolfgang Schieder (Hg.): Faschismus und Gesellschaft in Italien, Köln 1998, S. 22.
[12] Benannt nach dem Sozialistenführer Giacomo Matteotti, der den Terror des Mussolini-Regime zu den Scheinwahlen im April 1924 öffentlich entlarvt hatte und daraufhin ermordet wurde, was zu einer Protestwelle führte, die den Sturz des Diktators forderte.
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Selbst diesen blutigen Terror versuchte Mussolini sozialdemagogisch zu tarnen und die revolutionären Sozialisten mit ultra-revolutionären Phrasen zu überbieten. Die Faschisten führten eigene Fabrikbesetzungen durch, übernahmen die Losung der Bildung von Fabrikräten, kritisierten die reformistischen ISP-Führer wegen »Zurückweichens vor der Revolution«, verlangten die teilweise »Enteignung allen Reichtums«, die »Nationalisierung aller Rüstungsbetriebe«, die »Beschlagnahme von 85 Prozent der Kriegsprofite«. Mit dem Verlangen nach Arbeitsplätzen gelang es ihnen, Zehntausende Arbeitslose um sich zu scharen. Im »Pòpolo d'Italia« propagierte Mussolini »Tod den Ausbeutern«, mit den Spekulanten »Schluss zu machen« und verlangte: »Entweder werden die Besitzenden enteignet oder wir setzen die Kriegsteilnehmer ein, um dieses Hindernis niederzureißen«. Um vom Terror seiner Sturmabteilungen abzulenken, forderte er, die Feinde des Volkes »aufzuhängen«, und »die Hinrichtung der Nutznießer des Krieges, die das Volk aushungern«. [8]
Ãœbergang zum Faschismus nicht unvermeidbar
Mit dem »Marsch auf Rom« am 28. Oktober 1922, dem von den führenden Industriekreisen, dem Königshaus, Militärs und dem Vatikan unterstützten Militärputsch, erreichte der »Duce« sein Ziel. Auf Geheiß der Confindustria (Verband der Großindustriellen) berief Vittorio Emanuele II. den Chef des PNF, der im Parlament von 508 Sitzen nur 36 belegte, zum Regierungschef. Nationalisten, Liberale und die katholische Volkspartei traten in die Regierung ein und legitimierten den Putsch. Die Sozialisten, die der Duce ebenfalls in seine Regierung aufnehmen wollte, lehnten als einzige ab. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit sprach dem faschistischen Regierungschef mit 306 Stimmen das Vertrauen aus. Es gab nur 106 Gegenstimmen, vor allem aus den Arbeiterparteien. Die bürgerlichen Parteien verschafften so dem faschistischen Regime zunächst (bis zum Verbot aller Parteien – ausgenommen der PNF – und der Errichtung der offen terroristischen Diktatur 1925/26) ein parlamentarisches Mäntelchen.
Die antifaschistische Bewegung, deren Hauptkräfte aus der Arbeiterbewegung kamen, hatte – bedingt durch ihre Spaltung – die Machtübergabe an Mussolini nicht verhindern können. Der faschistische Terror hatte nicht nur bürgerliche Kreise, sondern auch Arbeiterschichten eingeschüchtert und ihre Widerstandskraft geschwächt. Dennoch war, wie Tasca schrieb, der »Sieg des Faschismus nicht absolut unvermeidlich, nicht schicksalhaft«. [9] Togliatti warnte ebenfalls, den Übergang von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus »als unvermeidbar anzusehen.« [10] Roberto Farinacci, einer der engsten Mitarbeiter Mussolinis, gab später zu, der Erfolg sei weniger von der Stärke des Faschismus als von der Schwäche und zögerlichen Haltung seiner Gegner abhängig gewesen. [11] Gegen den Faschismus an der Macht leisteten dann, wie sich erstmals in der Matteotti-Krise [12] zeigte, neben den Linken in Italien auch Vertreter der bürgerlichen Oppositionsparteien, darunter solche, die dem Machtantritt untätig gegenübergestanden hatten, Widerstand, während sich die entsprechenden Kräfte zehn Jahre später in Deutschland weitgehend passiv verhielten.
Anmerkungen:
[1] Mehrere Tausend Mitglieder zählende, besonders in Rom aktive Schlägertruppe.
[2] »Ein schwarzes Jahr«, Beitrag des Autors in jW, 20. 12. 2018.
[3] Angelo Tasca: Glauben, gehorchen, kämpfen. Der Aufstieg des Faschismus in Italien. Wien o. J. (Promediea), S. 195.
[4] Das Liktorenbündel wurde nach Errichtung der faschistischen Diktatur zum Staatsemblem, das auch die Luftwaffe an den Flugzeugen führte.
[5] Palmiro Togliatti: Lektionen über den Faschismus, Frankfurt/Main 1973, S. 22 ff.
[6] Emilio Lusso: Marsch auf Rom und Umgebung. Wien/Zürich 1991, S. 29 f.
[7] Tasca, a. a. O., S. 439.
[8] Georg Scheuer: Genosse Mussolini, Wien 1985, S. 65 ff.
[9] Tasca, a. a. O., S. 285.
[10] Togliatti, a. a. O., S. 10.
[11] Jens Petersen/Wolfgang Schieder (Hg.): Faschismus und Gesellschaft in Italien, Köln 1998, S. 22.
[12] Benannt nach dem Sozialistenführer Giacomo Matteotti, der den Terror des Mussolini-Regime zu den Scheinwahlen im April 1924 öffentlich entlarvt hatte und daraufhin ermordet wurde, was zu einer Protestwelle führte, die den Sturz des Diktators forderte.
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•NEUER BEITRAG05.07.2019, 13:57 Uhr
EDIT: FPeregrin
05.07.2019, 14:00 Uhr
05.07.2019, 14:00 Uhr
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Zum Ursprung des italienischen Faschismus
Dies hier - eine Rezension aus der heutigen jW - als Fußnote:
Der närrische Nationalist
Gabriele d’Annunzio und die Republik von Fiume: Kersten Knipps »Die Kommune der Faschisten«
Von Ambros Waibel
Kersten Knipp: Die Kommune der Faschisten. Gabriele d’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts. WBG Theiss, Darmstadt 2019, 288 Seiten, 25 Euro
Einem Buch, das sich mit dem italienischen Faschismus beschäftigt, in dem aber der oberste Repräsentant dieser Form bürgerlicher Herrschaft einmal »Benedetto« Mussolini, ein anderes Mal Benito »Mussolino« genannt wird – einem solchen Buch wird man mit Skepsis hinsichtlich der Seriosität von Autor wie Verlag begegnen müssen.
Und tatsächlich erinnert Kersten Knipps knapp 300-Seiter über »Die Kommune der Faschisten« und die Abenteuer des Dichters Gabriele d’Annunzio in Detail und Aufbau an eine fleißig, aber unter großem Zeitdruck verfasste Masterarbeit. Dabei hätte man sich mit der Veröffentlichung ruhig bis zum 12. September Zeit lassen können, dem Tag, an dem der Poet, Soldat und »Seher« d’Annunzio im Jahr 1919 mit seinen Kommandotruppen in das Adriastädtchen Fiume (heute Rijeka, Kroatien) einrückte.
Was? Wer? Wo? Ja – wir befinden uns am Rande dessen, was kollektive mitteleuropäische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und seine Nachkriegszeit aufbewahrt hat. Der dekadent dichtende Dandy und närrische Nationalist Gabriele d’Annunzio (1863–1938) ist in Italien zwar ein Klassiker, real präsent aber nur mehr als Schöpfer überaus griffiger Motti und Sinnsprüche, in seiner Allzweck-Zitierbarkeit vergleichbar mit Schiller oder Brecht. In Deutschland ist der einstige Erfolgsautor und Lebemann – Ironie der Geschichte – ein rein akademisches Phänomen.
»Vittoria nostra, non sarai mutilata« lautete die Überschrift eines Artikels von d’Annunzio, der am 24. Oktober 1918 im Corriere della sera erschien. Der Text war eine Absage an den »verstümmelten Sieg« – es ging um die multiethnische österreich-ungarische Hafenstadt Fiume, die nicht zur 1915 vertraglich zugesicherten Kriegseintrittsbeute des Königreichs Italien gehörte, in der aber, im Sinne des von US-Präsident Woodrow Wilson erklärten Selbstbestimmungsrechts der Völker, sich eine Mehrheit für den Anschluss an Italien ausgesprochen hatte. Im September 1919 besetzten Freischärler (»Arditi«) unter der Führung von d’Annunzio das Städtchen, das dieser zur Zentrale des besseren, des »patriotisch-nationalistischen Italien (erklärte), das aus seiner ruhmreichen Vergangenheit eine besondere Mission für die Zukunft ableitete«, wie Hans Woller in seiner »Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert« (2010) schreibt.
Das ganze Spektakel kann man als Vorwegnahme des faschistischen »Marsches auf Rom« 1922 interpretieren – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Eliten in Staat und Wirtschaft Italiens sich nicht auf die Seite des unberechenbaren, dadaistischen d’Annunzio schlugen. Weihnachten 1920 warfen sie ihn mit Waffengewalt aus seiner »Stadt des Lebens«. Knapp drei Jahre später kam Fiume dann auf dem Verhandlungsweg zu Italien.
Wer sich über diese Zeitläufte informieren will, wird vom Journalisten und Autor der Neuen Zürcher Zeitung Knipp grundsätzlich lesbar bedient. Interessant sind aber eher seine Auslassungen. Man kann über den Zusammenhang von Ästhetizismus und Faschismus, von Alternativkultur und sogenanntem Totalitarismus ausgiebig reflektieren: Wenn man aber weglässt, dass die Karriere des Herrn Mussolini erst Fahrt aufnahm, als die italienische Großindustrie ihn als Propagandisten des renditeversprechenden Kriegseintritts Italiens finanziell äußerst großzügig zu unterstützen begann, dann zeigt man sich leider mehr als Ideologe denn als ernstzunehmender Autor. Und wenn man ausspart, dass Fiume nicht ganz unwesentlich eine schwule Kommune war, mit dem hochinteressanten und – klar – hochproblematischen Frühflieger- und Yoga-Irren Guido Keller an der Spitze einer homosexuellen Gangbang-Gruppe, dann offenbart man, dass man sich vielleicht lieber einen züchtigeren Gegenstand hätte aussuchen sollen.
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Der närrische Nationalist
Gabriele d’Annunzio und die Republik von Fiume: Kersten Knipps »Die Kommune der Faschisten«
Von Ambros Waibel
Kersten Knipp: Die Kommune der Faschisten. Gabriele d’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts. WBG Theiss, Darmstadt 2019, 288 Seiten, 25 Euro
Einem Buch, das sich mit dem italienischen Faschismus beschäftigt, in dem aber der oberste Repräsentant dieser Form bürgerlicher Herrschaft einmal »Benedetto« Mussolini, ein anderes Mal Benito »Mussolino« genannt wird – einem solchen Buch wird man mit Skepsis hinsichtlich der Seriosität von Autor wie Verlag begegnen müssen.
Und tatsächlich erinnert Kersten Knipps knapp 300-Seiter über »Die Kommune der Faschisten« und die Abenteuer des Dichters Gabriele d’Annunzio in Detail und Aufbau an eine fleißig, aber unter großem Zeitdruck verfasste Masterarbeit. Dabei hätte man sich mit der Veröffentlichung ruhig bis zum 12. September Zeit lassen können, dem Tag, an dem der Poet, Soldat und »Seher« d’Annunzio im Jahr 1919 mit seinen Kommandotruppen in das Adriastädtchen Fiume (heute Rijeka, Kroatien) einrückte.
Was? Wer? Wo? Ja – wir befinden uns am Rande dessen, was kollektive mitteleuropäische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und seine Nachkriegszeit aufbewahrt hat. Der dekadent dichtende Dandy und närrische Nationalist Gabriele d’Annunzio (1863–1938) ist in Italien zwar ein Klassiker, real präsent aber nur mehr als Schöpfer überaus griffiger Motti und Sinnsprüche, in seiner Allzweck-Zitierbarkeit vergleichbar mit Schiller oder Brecht. In Deutschland ist der einstige Erfolgsautor und Lebemann – Ironie der Geschichte – ein rein akademisches Phänomen.
»Vittoria nostra, non sarai mutilata« lautete die Überschrift eines Artikels von d’Annunzio, der am 24. Oktober 1918 im Corriere della sera erschien. Der Text war eine Absage an den »verstümmelten Sieg« – es ging um die multiethnische österreich-ungarische Hafenstadt Fiume, die nicht zur 1915 vertraglich zugesicherten Kriegseintrittsbeute des Königreichs Italien gehörte, in der aber, im Sinne des von US-Präsident Woodrow Wilson erklärten Selbstbestimmungsrechts der Völker, sich eine Mehrheit für den Anschluss an Italien ausgesprochen hatte. Im September 1919 besetzten Freischärler (»Arditi«) unter der Führung von d’Annunzio das Städtchen, das dieser zur Zentrale des besseren, des »patriotisch-nationalistischen Italien (erklärte), das aus seiner ruhmreichen Vergangenheit eine besondere Mission für die Zukunft ableitete«, wie Hans Woller in seiner »Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert« (2010) schreibt.
Das ganze Spektakel kann man als Vorwegnahme des faschistischen »Marsches auf Rom« 1922 interpretieren – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Eliten in Staat und Wirtschaft Italiens sich nicht auf die Seite des unberechenbaren, dadaistischen d’Annunzio schlugen. Weihnachten 1920 warfen sie ihn mit Waffengewalt aus seiner »Stadt des Lebens«. Knapp drei Jahre später kam Fiume dann auf dem Verhandlungsweg zu Italien.
Wer sich über diese Zeitläufte informieren will, wird vom Journalisten und Autor der Neuen Zürcher Zeitung Knipp grundsätzlich lesbar bedient. Interessant sind aber eher seine Auslassungen. Man kann über den Zusammenhang von Ästhetizismus und Faschismus, von Alternativkultur und sogenanntem Totalitarismus ausgiebig reflektieren: Wenn man aber weglässt, dass die Karriere des Herrn Mussolini erst Fahrt aufnahm, als die italienische Großindustrie ihn als Propagandisten des renditeversprechenden Kriegseintritts Italiens finanziell äußerst großzügig zu unterstützen begann, dann zeigt man sich leider mehr als Ideologe denn als ernstzunehmender Autor. Und wenn man ausspart, dass Fiume nicht ganz unwesentlich eine schwule Kommune war, mit dem hochinteressanten und – klar – hochproblematischen Frühflieger- und Yoga-Irren Guido Keller an der Spitze einer homosexuellen Gangbang-Gruppe, dann offenbart man, dass man sich vielleicht lieber einen züchtigeren Gegenstand hätte aussuchen sollen.
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