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Krisengewinner
  ARTIKEL[1 pic] begonnen von GFP am 26.09.2008
NEUES THEMA26.09.2008, 08:05 Uhr
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• Krisengewinner NEW YORK/BERLIN/MOSKAU (18.09.2008) - Der Zusammenbruch der US-Finanzmärkte verschärft die Widersprüche zwischen west- und ostorientierten Teilen der deutschen Wirtschaft. Während Segmente mit transatlantischen Verbindlichkeiten in den Strudel des New Yorker Börsenchaos gerissen werden, gewinnen Anlagenbereiche kontinentaler Prägung an Einfluss. Die Spreizung ist nicht nur branchenspezifisch, sondern durchspannt verschiedene Abteilungen ein und desselben Unternehmens. Insbesondere deutsche Banken, die sowohl im Westen wie im Osten hohe Gewinnerwartungen pflegen, sowie staatliche Eigentümer geraten in Orientierungsschwierigkeiten. Einen Ausweg weisen politische Spekulanten, die auf Krisengewinn und eine militärische Bewältigung der weltweiten Erschütterungen setzen. Die Zeit der mächtigen US-Investmentbanken sei abgelaufen, urteilen Analysten; "Gewinner" seien deutsch-europäische Institute, die sich stärker am "klassischen Bankgeschäft" orientierten und bislang "als vergleichsweise krisenfest" gelten würden. Der Bankrott der riesigen US-Finanzkonzerne könnte führenden deutschen Unternehmen helfen, mit Zukäufen in den Vereinigten Staaten ihre Weltstellung auszubauen, heißt es in Berlin. Langfristige politische Folgen werden nicht ausgeschlossen. So meinen Experten in Moskau, die New Yorker Umwälzungen böten "neuen Machtzentren" die Chance zum Aufstieg - eine Annahme, die der ostorientierten Fraktion der deutschen Wirtschaft Auftrieb verleiht und die deutsch-russische Firmenkooperation begünstigt. Ungewiss ist jedoch, ob es gelingen wird, die unmittelbaren Krisenschäden für deutsche Unternehmen zu begrenzen. Zwar konnten bislang Milliardensummen den Steuerzahlern aufgebürdet werden, doch zeichnen sich nun auch immense Verluste bei privaten Konzernen ab.

Milliardenschäden

Die bisher bekannten Verluste deutscher Finanzkonzerne erreichen schon jetzt ein erhebliches Niveau. So waren bei der kollabierten US-Investmentbank Lehman Brothers der deutsche Versicherungskonzern Allianz mit 450 Millionen Euro und die Münchener Rück mit 350 Millionen Euro beteiligt. Keinerlei Angaben machen bislang bedeutende Großbanken (Deutsche Bank, Commerzbank) sowie einige Landesbanken, bei denen Branchenkenner "noch größere Risiken" als bei den Privatinstituten vermuten. Ein angebliches Lehman-Engagement der BayernLB wird mit 350 Millionen Euro bewertet.1 Selbst kleinere Kredithäuser sind betroffen; so beklagt die Düsseldorfer Hypothekenbank vom Lehman-Zusammenbruch verursachte Einbußen in Höhe von mehr als 60 Millionen Euro. Von einer Einbuße bis zu sechs Milliarden Euro ist der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) jüngsten Berechnungen zufolge bedroht. Die staatseigene KfW schließlich nennt den Verlust eines mittleren dreistelligen Millionenbetrags. Noch am Tag des Bankrotts hatte sie 300 Millionen Euro nach New York transferiert; sie müssen vermutlich abgeschrieben werden.

Verluste verstaatlicht

Über die KfW, die zu vier Fünfteln vom Bund und zu einem Fünftel von den Bundesländern gehalten wird, sind bereits in den vergangenen Monaten Milliardenverluste aus der Bankenkrise verstaatlicht worden. So zahlte die KfW über neun Milliarden Euro zur Rettung der vom Zusammenbruch bedrohten Industriebank IKB, obwohl sie dort nur Minderheitsaktionärin ist. Dies bedeutet umgerechnet einen Stützungsbeitrag von 125 Euro pro Bundesbürger - für eine Bank, die jetzt billig verkauft wird.2 "Von Risiken befreit, mit 2 Milliarden frischem Kapital und einem Besserungsschein über 1 Milliarde Euro ausgestattet, wird die IKB nun für knapp über 100 Millionen Euro verramscht"3, heißt es in der Presse über den Deal, der heute auf einer Sitzung des KfW-Verwaltungsrats behandelt wird. Auch der ominöse 300-Millionen-Euro-Transfer vom Montag steht dort auf der Tagesordnung. Für die Verschleuderung nicht unbedeutender Teile des deutschen Staatshaushalts sind die Spitzen der Bundestagsparteien verantwortlich (CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen), deren Repräsentanten die Aufsichtsgremien der KfW besetzen.

Ausweidung

Ob es gelingt, größere Zusammenbrüche in der deutschen Finanzwelt zu verhindern, ist keineswegs sicher. Experten halten unterschiedlichste Szenarien für möglich, die beispielsweise im Fall der Deutschen Bank von geringen Einbußen bis zu Vorsteuerverlusten von gut 23 Milliarden Euro reichen.4 Sollte es jedoch den deutschen Finanzkonzernen gelingen, die Krise ohne unüberwindbare Schäden zu überstehen, sagen Beobachter eine internationale Aufwertung gegenüber der US-Konkurrenz voraus. Nach dem Zusammenbruch von drei der fünf großen US-Investmentbanken stehe deren Geschäftsmodell insgesamt vor dem Scheitern, heißt es in Wirtschaftskreisen: "Das bisher vorherrschende Modell erlebt sein Waterloo", meint beispielsweise der Direktor des Frankfurter Center for Financial Studies.5 Demnach werden sich Geschäftsmodelle, die "das klassische Bankgeschäft mit Kreditvergabe und Sparen mit dem Investmentbanking" verbinden, künftig durchsetzen - Geschäftsmodelle, wie sie in Deutschland und Europa verbreitet sind. Die "Gewinner" der aktuellen Krise seien dementsprechend deutsch-europäische Kreditinstitute, mutmaßt die Fachpresse.6 Diese Institute sind bereits mit der Ausweidung ihrer zusammengebrochenen US-Konkurrenten beschäftigt.

Globale Führung

So zielen deutsche Unternehmen auf die Hinterlassenschaften des US-Versicherungsriesen American International Group (AIG). Die Vermögenswerte des faktisch verstaatlichten Unternehmens sollen verkauft werden, um die Transaktion zu finanzieren; dies läuft auf eine weitgehende Zerschlagung hinaus. Interessiert sind unter anderem die deutschen Konzerne Allianz und Münchener Rück.7 "Die deutschen Versicherer werden sich natürlich anschauen, ob sich ein Kauf von AIG-Teilen lohnt", erklärt ein Finanzanalyst. Bereits vor vollzogener Verstaatlichung hatte die Allianz ein Angebot zum Einstieg bei AIG abgegeben, das jedoch abgewiesen wurde8 - Washington war nicht bereit, der deutschen Firma Kontrollrechte zu überlassen. "Ich glaube nicht, dass man zufriedenstellende Wachstumsraten erreichen kann, wenn man kein bedeutender Spieler auf dem US-Markt ist", hatte Allianz-Chef Michael Diekmann vor wenigen Tagen erklärt. Der US-Zusammenbruch hat die Allianz zum unbestritten weltweit größten Versicherungskonzern werden lassen, der seine globale Führung zu Lasten der USA ausbaut.

Spannungen

Mit dem AIG-Bankrott erweitert sich das objektive Handlungsfeld der deutschen Versicherer und Finanzinstitute auch im osteuropäischen Hinterhof. Dort hinterlässt die AIG unter anderem Erstversicherungsbudgets, an denen die Münchener Rück sehr interessiert ist. Das Interesse wird in Moskau grundsätzlich positiv aufgenommen. "Während der aktuellen Krise wird sich die globale Finanzwelt stark verändern", hoffen Moskauer Medien.9 Wegen des Einflussverlusts der US-Investmentbanken würden jetzt "neue Machtzentren" in aller Welt entstehen: "Genau hier könnte Russlands Chance liegen". Russlands westeuropäische Hoffnungen beziehen sich vor allem auf Berlin und die östlich orientierten Segmente der deutschen Wirtschaft. Ihnen wird direkte Teilhabe an der russischen Rohstoffbasis und gemeinsame Kriegführung gegen Dritte angeboten.10 Obwohl die deutsch-russischen Rohstoff- und Rüstungsabsprachen die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der transatlantischen Verflechtungen noch lange nicht erreicht haben, führt der US-Zusammenbruch zu einem westlichen Einflussverlust, der die internen Spannungen im deutschen Wirtschaftsgefüge verschärft.


Anmerkungen:
1 Auf Banken rollen neue Lasten zu; Handelsblatt 17.09.2008
2 Landesbanken und die IKB; Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.09.2008
3 Bock der Woche; Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.09.2008
4 Auf Banken rollen neue Lasten zu; Handelsblatt 17.09.2008
5, 6 Wer macht das Licht aus?; manager-magazin.de 17.09.2008
7 Hintergrund: US-Versicherer AIG am Abgrund - Chance für Allianz und Co?; boerse.n24.de 16.09.2008
8 Allianz, Flowers Said to Have Bid for AIG Before Fed Takeover; Bloomberg 17.09.2008
9 Der Sturz der Wall-Street-Könige; Handelsblatt 16.09.2008
10 Lawrow: Zukunft der Zusammenarbeit mit Russland hängt von Nato ab; RIA Nowosti 21.08.2008

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