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NEUES THEMA22.10.2018, 01:07 Uhr
EDIT: FPeregrin
22.10.2018, 01:32 Uhr
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FPeregrin

• Brasilien vor dem Faschismus? U.d.T. Polarisierung und Kampf der Umfragen eine Woche vor Stichwahl in Brasilien schreibt Harald Neuber gestern auf amerika21 u.a. Folgendes:

"Eine Woche vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien geht der Wahlkampf beider Kandidaten in die heiße Phase. Zugleich kursieren in brasilianischen und lateinamerikanischen Medien widersprüchliche Umfrageergebnisse: Das Umfrageinstitut Ibope prognostizierte Anfang dieser Woche 50 Prozent für den rechtsextremen Kandidaten Jair Bolsonaro und 41 Prozent für den Präsidentschaftsanwärter der linksgerichteten Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT), Fernando Haddad. Das Ergebnis stimmt mit einer Prognose des Umfrageinstituts Datafolha überein. Eine Erhebung des Meinungsforschungsunternehmens Vox Populi kommt hingegen auf eine knappere Differenz von sechs Prozent zwischen den Kandidaten: Ihm zufolge wollen 53 Prozent für Bolsonaro stimmen und 47 Prozent für Haddad. / Die brasilianische Tageszeitung Folha do São Paulo weist indes auf die massive Polarisierung und den Personenbezug bei der Wahl hin. Die Inhalte der Wahlprogramme, berichtet das Blatt, spielten kaum mehr eine Rolle. Von den Anhängern Bolsonaros würden nur zwölf Prozent mit politischen Positionen des Kandidaten argumentieren, um ihre Wahlpräferenz zu begründen. Bei den Anhängern der PT und ihres Kandidaten Haddad liegt diese Quote mit 15 Prozent nur geringfügig höher."

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Darüber, was dieser Bolsonaro für eine Funktion hat, sollte man sich keine Illusionen machen: "[...] Das Bild macht Angst: fast 50 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer haben für ein offen faschistisches Projekt gestimmt. 46 Prozent der Wählerschaft des größten Landes der Region (und des fünftgrößten der Welt) haben einen Kandidaten gewählt, der Folter rechtfertigt und die Diktatur verherrlicht, der eine extrem hasserfüllte, sexistische, rassistische Rhetorik einsetzt und der verspricht, die Bevölkerung zu bewaffnen und die staatlichen Unternehmen zu privatisieren. Obendrein wurde sein Sohn der Abgeordnete mit den meisten Stimmen in der Geschichte Brasiliens. / Das Wiedererstarken der reinen und harten Rechten zeichnete sich schon mit den Präsidenten Macri, Piñera, Temer, Mario Abdo, Iván Duque und mehreren anderen deutlich ab. Aber das Hereinbrechen eines ultrarechten Barbaren, der es schafft, eine enorme soziale Basis zu erobern – ein Experiment, das sich in den USA mit Trump installiert hat und sich in Europa ausbreitet – ist eine Neuheit in Lateinamerika, die unsere Analysen durcheinanderbringt. Und die alle Alarmglocken läuten lässt. / Brasilien steht am Rande des Zusammenbruchs. [...] Nach dem institutionellen Staatsstreich, mit dem im Jahr 2016 Dilma Rousseff abgesetzt wurde und der armseligen Amtsführung Michel Temers wurde die Fäulnis des politischen Systems offensichtlich und ein allgemeines Gefühl der Ablehnung der herrschenden Klasse setzte sich durch. Tatsächlich waren die hauptsächlich Abgestraften vom Sonntag die beiden wichtigsten Parteien des Establishment [...] Diese Entwicklung hatte als zentrales Element eine massive Kampagne der medialen und justiziellen Verteufelung der Arbeiterpartei (PT), die es ermöglichte, die Epidemie der Korruption einseitig mit dieser politischen Kraft in Verbindung zu bringen und die unrechtmäßige Haft und das Verbot der Kandidatur Lulas gesellschaftlich zu rechtfertigen. / In dieser Situation taucht der unbekannte, ausgerastete Ex-Militär auf, der es schafft, die Implosion der rechten und Mitte-rechts Parteien, die Verfestigung der starken Anti-PT-Stimmung und die akute Wirtschaftskrise, die den Unmut noch steigerte, zu nutzen. / Da die Politik die Leere verabscheut, erscheint Bolsonaro als der Kandidat "gegen das System" – obwohl er selbst 28 Jahre lang Abgeordneter war – der verspricht, diese mehrdimensionale Krise mit der Kraft der harten Hand und messianischer Predigt zu lösen. Und vom kleinen Abgeordneten, der berühmt wurde, als er auf den Offizier seinen Eid schwor, der Dilma gefoltert hat, verwandelte er sich zum unheilvollsten Produkt dieser sterbenden Demokratie. Diese 50 Millionen Stimmen können ohne die aktiven Mitglieder, welche die mächtige "Universalkirche des Königreichs Gottes" mobilisierte, nicht verstanden werden. [...] Vielleicht erklärt sich der Aufstieg Bolsonaros zum Teil mit dem Einsatz tausender Pastoren, die in den Tagen vor der Abstimmung heftigsten Wahlkampf für den Ex-Militär gemacht haben. / Ein weiterer Faktor im Aufbau des Konsens rund um Bolsonaro waren die großen Medien, die schließlich angesichts des unumkehrbaren Gegensatzes zur PT und dem Versagen der traditionellen Kandidaten das kleinere Übel akzeptierten. Die "fake news" gegen die PT vervielfachten sich in den letzten Wochen und richteten in den sozialen Netzwerken große Schäden an. Etwas Ähnliches geschah mit der Unternehmens- und Finanzmacht, die ebenfalls die Reihen mit Bolsonaro schloss. Nicht ohne Grund: Sein wirtschaftlicher Guru ist Paulo Guedes, ein Chicago-Boy, der einen ultraliberalen Kurs sicherstellt. / Und schließlich die wachsende Macht der sogenannten Militärpartei, die an diesem Sonntag ihre Präsenz im Rhythmus des Debakels der traditionellen Politik vervierfachte. Außer Bolsonaro und sein Mitstreiter, der unsägliche General Hamilton Mourão, wurden mindestens 70 Kandidaten aus dem Militär gewählt und drei treten zur Stichwahl um Gouverneursposten an. / Auch die PT muss über ihre Verantwortung für die Entpolitisierung der brasilianischen Gesellschaft und bei der Schaffung des Frankenstein Bolsonaro nachdenken. 12 Jahre lang mangelte es ihr an Kühnheit, bei grundlegenden Transformationen voranzukommen, wie es die vielfach geforderte Reform des repräsentativen Parteiensystems (Reforma política) oder ein Gesetz zur Einschränkung der Medien-Konzentration gewesen wäre. Und vor allem wurden die Ermächtigung des Volkes, die Übertragung der Verantwortung und die politisch-ideologische Bildung nicht vertieft. Dies hat Voraussetzungen für die Verbreitung rückschrittlicher und autoritärer Werte begünstigt. / Und einmal raus aus dem Regierungspalast, haben die Progressiven Brasiliens sich damit begnügt, fast ausschließlich im institutionellen Rahmen zu kämpfen. / Abgesehen von der permanenten Mobilisierung der Volksbewegungen war die PT-Strategie im Netz eines demokratischen Systems gefangen, das von dem medialen, religiösen, militärischen und finanziellen Putschisten-Geflecht kontrolliert wird. [...]" amerika21 am 13, Oktober:
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Hier sind so ziemlich alle Elemente für eine faschistische Machtübernahme vorhanden. Gucken wir uns das gut an!
NEUER BEITRAG22.10.2018, 01:15 Uhr
EDIT: juventud87
26.01.2019, 12:08 Uhr
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juventud87

Brasilien vor dem Faschismus? Zu diesem Thema auch das regelmäßig aktualisierte Dossier der Jungen Welt: Link ...jetzt anmelden!

#Bolsonaro #Brasilien
NEUER BEITRAG22.10.2018, 01:38 Uhr
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FPeregrin

Dank an juventud87 für diesen Link. Wir werden in der nächsten Zeit in der Tat wohl auch noch das eine oder anderem "zurückblättern" müssen, um ein klares Bild von dem zu bekommen, was hier gerade abläuft. Das jW-Dossier ist dabei eine große Hilfe.
NEUER BEITRAG22.10.2018, 01:43 Uhr
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FPeregrin

... in diesem Sinne verlinke ich auch mal auf den - natürlich nicht aktuellen! - Artikel Brasilien muss sich entscheiden von Raúl Antonio Capote in der Granma vom 5. Oktober:
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NEUER BEITRAG22.10.2018, 19:00 Uhr
EDIT: arktika
22.10.2018, 19:03 Uhr
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arktika

Brasilien vor dem Faschismus? Es geht recht heiß her im Wahlkampf. Bolsonaro gibt sich redlich Mühe und scheut keine Kosten (bzw. seine Sponsoren), die Bevölkerung zu manipulieren und unter Druck zu setzen.

Sicherstellen soll das die massenhafte Beeinflussung der Bevölkerung mit groben Falschmeldungen, manipulierten Fotos und Videos zur Verleumdung des linken Kandidaten. Zur Verbreitung dient vor allem der Facebook gehörende Instant-Mes­saging-Dienst Whats-App, den fast jeder in Brasilien nutzt. Tag für Tag werden aus der Bolsonaro-Ecke Hunderte Anti-PT-Fakes an Millionen Brasilianer geschickt. Dabei kommen sogenannte Social Bots zum Einsatz, Computerprogramme, die auf der Basis von Algorithmen Bolsonaros politische Propaganda systematisch an mitgliederstarke Gruppen und Einzelpersonen verteilen und deren Herkunft verschleiern. Nach dem brasilianischen Wahlgesetz sind solche Methoden illegal. Und ihr Einsatz ist kostspielig.
[...]
Brasiliens eigene Geldelite drückt dem »Wunschkandidaten der Märkte« nicht einfach nur die Daumen, sondern für ihn auch kräftig ab. Wie die führende Tageszeitung Folha de São Paulo in den vergangenen Tagen aufdeckte, sponsern Dutzende Unternehmen mit hohen Millionenbeträgen Bolsonaros Hasspropaganda gegen die PT. Mit dem Geld wurden von Marketingagenturen zuletzt Pakete mit Millionen Whats-App-Nutzer­daten aufgekauft.


Mehr in der jW vom 22. Oktober in dem Artikel Endspurt zur Macht von Peter Steiniger.
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NEUER BEITRAG22.10.2018, 19:14 Uhr
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arktika

Das Engagement (bzw. dessen Art und Weise) etlicher Unternehmen stößt aber auch in Brasilien nicht überall auf Begeisterung, zumal es auch juristisch gesehen nicht immer einwandfrei ist.
So hat die Generalsstaatsanwaltschaft (PGT) in mindestens 60 Fällen Ermittlungen gegen Unternehmen wegen Wahlbeeinflussung eingeleitet. Im Großteil der Fälle haben Unternehmenschefs im Rahmen der Arbeit Wahlkampf für den rechtsextremen Kandidaten Jair Bolsonaro betrieben, berichtet das Investigativ-Magazin A Pública unter Berufung auf die PGT. Ein solches Vorgehen ist gesetzlich untersagt. Mitunter wurden Mitarbeiter von der Unternehmensleitung explizit aufgefordert, Bolsonaro zu wählen. In einigen Fällen wurden Angestellte genötigt, sich an Pro-Bolsonaro-Bekundungen zu beteiligen. Landesweit waren insgesamt 199 Anzeigen gegen Firmen bei der PGT eingegangen. Nur eins der 60 Ermittlungsverfahren läuft wegen einer Beeinflussung zuungunsten von Bolsonaro
Übliche Vorgehensweise waren "Mitarbeitergespräche", Drohungen mit Entlassungen ..., aber auch das Verteilen von T-Shirts, die auf der Arbeit im Außendienst getragen werden sollten.

Genaueres auf amerika21 im Beitrag von Mario Schenk vom 22.10.: Brasilien: Konzernchefs drängen Angestellte zur Wahl Bolsonaros unter Link ...jetzt anmelden!
NEUER BEITRAG25.10.2018, 13:12 Uhr
EDIT: FPeregrin
25.10.2018, 13:18 Uhr
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FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? Bereits vorgestern brachte amerika21 einen längeren analytischen Artikel von Fabio Luis Barbosa dos Santos m.d.T. Brasilien: Zum Verständnis der Wahlen 2018

Festhaltenswert ist das ernüchternde Fazit. "Der Lulismus ist nicht das Gegenmittel für den Faschismus, sondern ein Betäubungsmittel, das es erschwert, die Ereignisse zu verstehen. Nur durch den Kampf können wir der Barbarei entkommen, nicht mit Morphium. / Unabhängig vom Ergebnis ist Bolsonaro bereits der Sieger dieser Wahl. Denn er war es, der die Debatte vorgegeben hat. Die Achse der Diskussion hat sich nach rechts verlagert und damit die strukturelle Debatte noch mehr isoliert. Auf der anderen Seite hat die Linke diesen Streit bereits verloren, da sie nicht einmal versucht hat, daran teilzunehmen. / Um zur grundsätzlichen Konfliktlinie der Politik zurückzukehren, müssen Analyse und Strategie aktualisiert werden. Währenddessen werden wir dabei zusehen, wie sich die Niederlagen häufen und um die Kursrichtung der Geschichte nicht einmal gekämpft wird."

Auch noch mal ganz als pdf:
• PDF-Datei Brasilien2018.pdf
181,1 KB | application/pdf
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NEUER BEITRAG28.10.2018, 14:02 Uhr
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FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? ""Dieses Mal wird die Säuberung um einiges weitreichender sein", hatte Bolsonaro mit Blick auf die Linke vor Anhängern in São Paulo gesagt: "Wenn diese Bande im Land bleiben will, werden sie sich unserer aller Gesetze unterwerfen müssen. Entweder verschwinden sie (aus dem Land), oder sie wandern ins Gefängnis. Die Roten werden aus unserem Land getilgt werden. Das ist unser Land und nicht das dieser Bande mit roter Fahne und einem gewaschenen Gehirn.""

Das ist eine Tonlage, die man als deutscher Kommunist nur zu gut kennen sollte!
Brasilien droht Machtübernahme durch extreme Rechte, der Artikel zum Tage von Harald Neuber auf amerika21, hier:
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NEUER BEITRAG28.10.2018, 22:50 Uhr
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arktika

Brasilien vor dem Faschismus? Um Haddad zu unterstützen, hat sich auch der inhaftierte Ex-Präsident Brasiliens Lula da Silva mit einem offenen Brief ans Volk gewandt.

[...]
Und jeden Tag aufs Neue frage ich mich: warum soviel Hass gegen die PT?

Ist es, weil wir 36 Millionen Menschen aus dem Elend geholt und 40 Millionen in die Mittelklasse geführt haben? Weil wir Brasilien von der Weltkarte des Hungers geholt haben? Oder weil wir in zwölf Jahren 20 Millionen Arbeitsplätze mit Sozialversicherung geschaffen und den Mindestlohn um 74 Prozent erhöht haben? Oder vielleicht, weil wir die staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung (SUS) gestärkt, die Zentren zur medizinischen Basisversorgung (UPAS) und die mobile Notversorgung (SAMU) geschaffen haben, die jeden Tag tausenden Menschen Gesundheit und Leben retten?

Oder hassen sie uns, weil wir die Tore der Universitäten für fast vier Millionen Schüler der öffentlichen Schulen geöffnet haben, für Schwarze und für Indigene? Weil wir in 126 Städte des Landesinneren Universitätsausbildung gebracht haben und dort über 400 Fachschulen aufgebaut haben, um jungen Menschen nahe bei ihren Familien eine Ausbildung zu ermöglichen?

Vielleicht verabscheuen sie uns, weil wir den denkbar größten Entwicklungszyklus einschließlich sozialer Teilhabe in die Wege geleitet haben und das Bruttoinlandsprodukt um den Faktor 5 vergrößert haben und den Außenhandel um den Faktor 4. Vielleicht verachten sie uns auch, weil wir in die Erkundung der Ölreserven Pré-Sal investiert und aus der Petrobrás eine der weltweit größten Ölgesellschaften gemacht haben, womit wir unserer maritime Industrie und die produktiven Öl- und Gasnetze vorangetrieben haben.
[...]


Der ganze ziemlich lange Brief Lulas vom 24. Okt. am 27.10. auf amerka21 unter Link ...jetzt anmelden!
NEUER BEITRAG29.10.2018, 11:53 Uhr
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FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? ... wie es kommen mußte, wenn man keine Hebel mehr in der Hand hat:

Brasilien: Rechtsextremer Jair Messias Bolsonaro ist Präsident

Beispiellose Welle der Verfolgung gegen Linke und soziale Bewegungen zu befürchten. Bolsonaro kündigte "Säuberung" des Landes von politischen Gegnern an

Von Mario Schenk, Harald Neuber
amerika21


Brasília. In Brasilien hat der Ultrarachte Jair Bolsonaro die Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag gewonnen. Nach Auszählung von 99,85 Prozent der Urnen kam Bolsonaro auf 55 Prozent der Stimmen. Der Kandidat der Arbeiterpartei, Fernando Haddad, erhielt dementsprechend 45 Prozent. Der Wahlsieg des Rechtsextremisten bedeutet für die brasilianische Demokratie eine Zäsur. Der Hauptmann der Reserve hat angekündigt, das Land von politischen Gegnern zu "säubern", er will den Zugang zu Waffen erleichtern, bedeutende Ministerien mit Militärs besetzen und offenbar aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen.

In seiner Ansprache als gewählter Präsident dankte Bolsonaro vor allem Gott und all jenen, die es möglich gemacht haben, jemanden ohne großer Parteistruktur zum Staatsoberhaupt zu wählen. Er gebe den Schwur darauf, die liberale Demokratie zu garantieren. "Wir können nicht weiter mit dem Sozialismus, Kommunismus oder Extremismus flirten. Wir sind die großen Sieger dieses Kampfes. Wir folgen der Bibel wie der Verfassung", so Bolsonaro in der ersten Rede. Besonders im reichen, weiß geprägten Süden hatte Bolsonaro deutliche Mehrheiten von zwei Drittel geholt. Seine größte Wählergruppen waren Evangelikale, von denen 70 Prozent für den früheren Offizier stimmten.

Der unterlegende Haddad verzichtete darauf, dem Sieger zu gratulieren. Stattdessen versicherte er, für die Institutionen des Landes kämpfen zu wollen. Er habe erlebt, dass viele Furcht vor der neuen Zeit hätten. "Niemand braucht Angst zu haben, denn wir stehen zusammen. Wir treten gemeinsam für eure Ziele ein", so Haddad in der TV-Übertragung. Bolsonaro hatte mehrmals angekündigt, bei einem Wahlerfolg soziale Bewegungen wie die Landlosenbewegung (MST) oder die Wohnungslosenbewegung (MTST) zu "terroristischen Vereinigungen" zu erklären. Dies würde zu einer beispielosen Welle der Verfolgung im Land führen. Einzig im ärmeren Nordosten konnte Haddad Mehrheiten für sich gewinnen.

Zeitgleich gab es in mehreren Bundesstaaten Stichwahlen für den Gouverneursposten. Wie in den bevölkerungsreichsten Bundesstaaten São Paulo und Rio de Janeiro setzten sich auf der allgemeinen Welle rechtsgerichtete Law und Order-Kandidaten durch.

Die in Europa lebenden Brasilianer haben indes mehrheitlich für den Sozialdemokraten Haddad gestimmt. In Berlin votierten nach der ersten Hochrechnung 73,7 Prozent für Haddad und nur 26,3 für Bolsonaro. Auch in den Wahllokalen Köln und Hamburg ging Haddad als Sieger hervor. Nur in Frankfurt am Main gewann der Rechtsaußen knapp mit 51 gegenüber 49 Prozent. In Frankreich zogen 76 Prozent Haddad Bolsonaro mit 23 Prozent vor. In Brüssel und Lissabon wiederum gewann Bolsonaro mit 60 bzw. 64 Prozent der Stimmen.

In letzter Minute hatten zahlreiche Prominente und ehemalige Kandidaten für das Präsidentenamt ihre Stimme für Haddad erklärt. Der frühere Generalstaatsanwalt, Rodrigo Janot, der als Leiter der Korruptionsermittlungen um die Petrobras, Lava Jato, auch als PT-Gegner galt, teilte am Vorabend per Twitter mit: "Ich ertrage den billigen Diskurs der Intoleranz nicht. Durch Ausschlussverfahren stimme ich für Haddad". Auch der frühere Richter am Obersten Gerichtshof, Joaquim Barbosa, hatte seine Stimme für Haddad öffentlich gemacht und vor Bolsonaro gewarnt: "Zum ersten Mal in 32 Jahren bereitet mir ein Kandidat Angst", so Barbosa, der 2005 leitender Richter im Korruptionsverfahren Mensalão war, in dessen Folge mehrere ranghohe PT-Funktionäre verhaftet wurden.

Der sozialdemokratische Drittplatzierte der ersten Wahl, Ciro Gomes, hatte die Bevölkerung zu "einer Stimme gegen die Intoleranz und für den Pluralismus" aufgefordert. Zu einer direkten Unterstützung Haddads rang er sich nicht durch. "Ich will mit der PT keinen Wahlkampf mehr zusammen machen", so Gomes. Die Gründe Marina Silva sprach von einer "pragmatischen Stimme" für Haddad. Denn dieser "predige weder die Auslöschung der Rechte noch die Repression".


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NEUER BEITRAG29.10.2018, 12:12 Uhr
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FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? PCdoB: Für ein breites Bündnis zur Verteidigung von Brasiliens Demokratie und der Rechte des Volkes

Der Sieg von Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen eröffnet eine neue politische Etappe im Land, die von Bedrohungen der Demokratie, des nationalen Erbes, der Souveränität und der Rechte des Volkes geprägt ist. Es wurde ein Präsident der Republik gewählt, der erklärtermaßen entschlossen ist, eine Regierung diktatorischen Inhalts zu etablieren, um mit Feuer und Schwert ein ultraliberales und neokoloniales Programm umzusetzen.

Die Kandidatur von Fernando Haddad zum Präsidenten und Manuela d‘Ávila als Vize hat mehr als 47 Millionen Stimmen gewonnen und das demokratische Bewusstsein der Nation befördert, indem sie eine nun beginnende starke Opposition begründete.

Es gibt einen Umschwung zum Rückschritt, zum Abbau und sogar zur Zerstörung der historischen Errungenschaften, auf denen trotz aller bestehenden schweren Probleme Brasilien und das brasilianische Volk erbaut wurden und erblühten.

Dies wurde in der Endphase des Wahlkampfs für die zweite Runde sehr deutlich, als die Institutionen der Republik einschließlich des Obersten Bundesgerichts (STF) und des Obersten Wahlgerichts (TSE) bedroht wurden. In der selben Weise wurden grundlegende Garantien der Bundesverfassung attackiert, darunter die Presse-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit. Die Autonomie der Universitäten wurde verletzt. Der gewählte Präsident war während der Kampagne ein Befürworter der Gewalt, der Intoleranz und des Hasses zwischen den Brasilianern und schwor, die »roten« Bürgerinnen und Bürger, die mit ihm nicht einer Meinung sind, einzusperren oder aus dem Land zu vertreiben und Bewegungen und Einrichtungen des Volkes zu kriminalisieren.

Angesichts der Bedeutung Brasiliens – das über eine Ökonomie verfügt, die zu den zehn größten der Welt gehört – wird dieser reaktionäre Bruch starke regressive Auswirkungen in Lateinamerika haben.

Ausgangspunkt von all dem war der Putsch im August 2016, der nun mit der Machtübernahme durch die extreme Rechte an der Regierung der Republik konsolidiert wird. Es besteht ein Einschnitt in dem 1985 nach dem Ende der Militärdiktatur wiederaufgenommenen Aufbau der Demokratie. Die faschistisch geprägten Ankündigungen des gewählten Kandidaten entstammen dieser Zeit, sehen sich jedoch den Kräften der Demokratie gegenüber, die in diesem neuen politischen Szenarium sicher stärker werden.

Der Ablauf der Wahlen wurde durch illegale Anordnungen zugunsten der Kandidatur der extremen Rechten beeinflusst, ganz im Stil des sogenannten Hybridkrieges, der den Einsatz einer großen Zahl falscher Nachrichten, der sogenannten Fake News, beinhaltet, die nach Enthüllungen der Presse in krimineller Weise durch Großunternehmer finanziert wurden. Solche und andere Gesetzesverstöße haben das Ergebnis an den Urnen beeinflusst. Mit vollem Recht werden sie durch die Wahljustiz untersucht, und es sind tiefgreifende und zügige Entscheidungen zu erwarten, die der Bedeutung des Geschehenen entsprechen.

Der Widerstand der demokratischen, fortschrittlichen, patriotischen und Volkskräfte beginnt mit Unterstützung des von der Kandidatur Fernando Haddad – Manuela d‘Ávila erreichten Ergebnisses und der von Persönlichkeiten und Institutionen eingenommenen Haltung, die ihre Stimme zur Verteidigung der Demokratie und der Verfassung erhoben haben.

Der Widerstand, die wirksame Opposition, muss im gesamten politischen und gesellschaftlichen Leben des Landes organisiert werden, angefangen beim Nationalen Kongress und den anderen gesetzgebenden Institutionen und ausgeweitet auf die sozialen Bewegungen, die Organisationen der Arbeiterklasse, Teile der Unternehmerschaft, das akademische Universum, die Intellektuellen, Künstler, die Judikative, religiöse Gruppen und auch Angehörige der Institutionen der Republik. Die Gouverneure und Präfekten des demokratischen Lagers werden eine wichtige Rolle in diesem Unterfangen spielen.

Mit dieser neuen Realität, die einen Bruch des in der sogenannten Neuen Republik begonnenen Entwicklungszyklus der Demokratie darstellt, positioniert sich die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) fest auf der Seite der unversöhnlichen Verteidigung der Nation, der Demokratie und des Volkes, wie sie es in ihrer Geschichte immer getan hat.

Die Kommunistische Partei Brasiliens mit ihrer fast hundertjährigen Geschichte seit der Alten Republik kämpfte gemeinsam mit den anderen fortschrittlichen Kräften des Landes gegen alle autoritären und tyrannischen Regierungen und Regime, die sich in der Geschichte der Republik etabliert haben. Auf der Grundlage dieser Erfahrung übermittelt sie dem brasilianischen Volk die Gewissheit und die Zuversicht, dass es Bolsonaro trotz der schweren Gefahren, die sich am Himmel des Landes abzeichnen, nicht leichtfallen wird, die brasilianische Demokratie zu begraben. Diese hat tiefe Wurzeln im Boden des Heimatlandes geworfen, sie kostete die Nation viele Kämpfe und Menschenleben. Schritt für Schritt wird sich, ausgehend von den Millionen und Abermillionen die die Kandidatur Haddad Präsident, Manuela Vize gewählt und unterstützt haben, eine Mehrheit zur Verteidigung der Demokratie erheben, und sie wird ein weiteres Mal gewinnen.

Deshalb wendet sich die PCdoB mit dem Aufruf an die demokratischen Kräfte des Landes, mit dem heutigen Tag den Aufbau einer breiten Einheit aufzubauen, um Horizonte für eine patriotische, demokratische Kampagne des Volkes zur Verteidigung der Demokratie Brasiliens und der Rechte des Volkes zu öffnen und Barrieren gegen die Rückkehr eines Regimes des Ausnahmezustandes zu errichten.

São Paulo, 28. Oktober 2018

Bundesabgeordnete Luciana Santos
Vorsitzende der Kommunistischen Partei Brasiliens – PCdoB
Nationale Exekutivkommission der Kommunistischen Parte Brasiliens – PCdoB

Quelle: Portal Vermelho / Übersetzung: RedGlobe


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NEUER BEITRAG29.10.2018, 12:31 Uhr
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retmarut

Kein gutes, aber erwartbares Ergebnis.
MST, Wohnungslosenbewegung, Basisgewerkschaften, Teilen der PT und den KPs wird es künftig an den Kragen gehen. Ähnlich Präsident Duterte auf den Philippinen wird Bolsonare vermutlich mittels Shoot-to-kill-Kampagnen und extralegalen Hinrichtungen in den Favelas für "Ordnung" sorgen. Parallel wird er die staatliche Gewaltenteilung schleifen und Arbeiterrechte kappen.

Letztlich hat der Aufstieg Bolsonaros auch mit dem eklatanten Versagen der PT zu tun. Allein das monatelange, jämmerliche und von vornherein aussichtslose Gezehre um einen Wahlkampfantritt Lulas, immerhin eines wegen Korruption verurteilten Expräsidenten, zeigt doch, dass bei der PT Verzweiflung die Strategie diktiert. Anstatt aus taktischen Gründen Haddad von Beginn an als Kandiaten der PT zu puschen und damit auch in linksliberale Kreise hineinzuwirken, wurde mit Sturrsinn auf den Greis Lula gesetzt und ein heroischer Kampf gegen Windmühlen inszeniert. Eine konsistente, auf Sieg orientierte Strategie sieht anders aus.

Bolsonaro musste im Wahlkampf eigentlich gar nicht viel tun (hat er ja nach dem Attentat auch nicht mehr), da ihm die Stimmen aus drei Richtungen quasi zugeflogen sind: 1. Evangelikale, die sich seit gut zwanzig Jahren mit ihrem christlichen Fundamentalismus in Brasilien immer stärker breit machen, 2. heimliche und offene Anhänger der Militärdiktatur und rechtsextremer, autokratischischer Vorstellungen, 3. diejenigen, denen die teils schrillen Losungen und Forderungen aus PT und PT-Umfeld einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.
NEUER BEITRAG29.10.2018, 13:35 Uhr
Nutzer / in
FPeregrin

Was mich allerdings hauptsächlich interessiert ist, was wir für verallgemeinerbare Lehren aus diesen brasilianischen Vorgänge ziehen können. Eine ist sicher, vielfach beobachtbar (Chile, Argentinien, ...) und fast schon trivial: Wenn die Linke in für sie günstigen Zeiten den Sack nicht zumacht - d.h. auf eine revolutionäre Veränderung der Eigentumsordnung zielt -, machen es die Rechten auf ihre Art. Trotzdem passiert es immer wieder - warum?

Für den Fall Brasilien scheint mir aber weiter wichtig zu sein, daß dieser Bolsonaro noch ein erheblich fetteres Kaliber zu sein scheint als die Piñera, Macri etc. pp. Zudem sehe ich hier - wie ich oben geschrieben habe - "so ziemlich alle Elemente für eine faschistische Machtübernahme". Insbesondere scheint mir für eine evtl. bevorstehende Welle des "Faschismus des 21. Jahrhunderts" der Einsatz dessen charakteristisch, was die PCdoB "Hybridkrieg" nennt: den "Einsatz einer großen Zahl falscher Nachrichten, der sogenannten Fake News [...], die [...] in krimineller Weise durch Großunternehmer finanziert" werden. Dies ist ja nach auch nicht jetzt zum ersten Mal auffällig, insbesondere wenn man an die Umstände des Präsidentschaftssieges des Trumpels in Washington denkt.

Brasilien kann jetzt so etwas wie der Modellfall für eine faschistische Machtübernahme in unserer historischen Etappe werden. Nun sind Modellfälle nichts, was man 1:1 übertragen könnte: Die BRD ist ganz sicher nicht Brasilien. Ich erinnere aber daran, daß auch noch in den 1930ern nicht wenige kommunistische Genossen meinten, Deutschland sei nicht Italien. Sehr bald kam es in Deutschland noch sehr viel dicker als in Italien. Was ich meine ist: Wir sollten uns diesen "Fall Brasilien" genau daraufhin ansehen, was hier das Einzelne, was das Besondere und was das Allgemeine ist. Allgemeines enthält der Vorgang in jedem Fall!!!

Und - um sicher zu gehen -: Ich verstehe eine solchen Untersuchung natürlich nicht im Sinne eines akademischen Interesses, sondern im praktischen Sinne im Hinblick auf einen erfolgreichen antifaschistischen Kampf.

NEUER BEITRAG31.10.2018, 13:22 Uhr
Nutzer / in
FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? "Nach der Wahl des Ultrarechten Jair Bolsonaro zum neuen Präsidenten von Brasilien am Sonntag zeichnen sich die ersten Grundzüge seiner Regierungs- und Personalpolitik ab. Nach Angaben brasilianischer Medien will der 63-Jährige mindestens vier Militärs in sein Kabinett aufnehmen. General Augusto Heleno soll Verteidigungsminister werden, Oberstleutnant Marcos Pontes soll das Wissenschaftsressort leiten. Auch die Ministerien für Infrastruktur und Bildung sollen Armeeangehörigen unterstehen. Bolsonaro, der sich mehrfach als Anhänger der Diktatur (1964-1985) geoutet hat, setzt damit auch in der Personalpolitik auf eine Militarisierung der Innenpolitik und eine neue radikale Frontstellung gegen soziale Bewegungen. [...] n einem ersten Interview mit dem Privatsender RecordTV äußerte sich Bolsonaro auch zu seinen im Wahlkampf angekündigten Vorhaben wie einer Liberalisierung des Waffenrechtes und einer Verschärfung der Politik gegenüber sozialen Bewegungen. Vor allem von der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der Obdachlosen in dem von massiven sozialen Gegensätzen geprägten Land dürften diese Stellungnahmen mit Sorge aufgenommen werden. Landbesetzungen durch die MST will Bolsonaro künftig nicht mehr dulden und als Terrorismus verfolgen lassen. Er werde weder mit der Landlosenbewegung noch mit der Bewegung der obachlosen Arbeiter Gespräche führen, sagte er gegenüber RecordTV. "Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. Das Privateigentum ist heilig", so Bolsonaro."

amerika21, heute:
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NEUER BEITRAG03.11.2018, 00:11 Uhr
EDIT: FPeregrin
03.11.2018, 00:12 Uhr
Nutzer / in
FPeregrin

Brasilien vor dem Faschismus? Ich stelle hier mal zwei Beiträge aus der jW der letzten Tage ein, die Bedeutung über den tagesaktuellen Bezug hinaus haben.

1. Dieter Boris: Dämmerung in Brasilien (31. Oktober):
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>>>
• PDF-Datei Dämmerung Brasilien.pdf
1,4 MB | application/pdf
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