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NEUES THEMA19.02.2008, 09:00 Uhr
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"Danke, Deutschland!" PRISTINA/BELGRAD/BERLIN (18.02.2008) - Nach jahrelanger Berliner Vorarbeit hat am gestrigen Sonntag die südserbische Provinz Kosovo unter Bruch des Völkerrechts ihre Eigenstaatlichkeit ausgerufen. Kosovo sei künftig von Serbien "unabhängig", erklärte der Ministerpräsident der Provinzverwaltung in Pristina, Hashim Thaci. Die deutsche Regierung will die Sezession in Kürze anerkennen. Sie beteiligt sich damit ebenso am Bruch der UNO-Charta und weiterer bislang global gültiger Rechtsnormen wie deutsche Juristen und Polizisten, die im Rahmen einer sogenannten EU-Mission in das Kosovo entsandt werden. Ihre dortige Tätigkeit erfolgt ohne gültige völkerrechtliche Grundlage und erfüllt damit den Tatbestand illegaler Besatzung. Ziel ist die Errichtung eines informellen Protektorats, dessen nationalistische Kräfte in Schach gehalten werden sollen. Die Abspaltung des Kosovo ist der vorläufige Schlusspunkt einer Politik, die den Zerfall der Balkanstaaten in Gefolgschaftsparzellen anstrebt und mit der Berliner Anerkennung kroatischer Sezessionisten begann. Dieser Politik schlossen sich sämtliche EU-Staaten nach kurzem Zögern an und fielen 1999 gemeinsam mit Washington in das restliche Jugoslawien ein. Seitdem fördert Berlin die kosovarischen Nationalisten, deren Repräsentanten in Pristina als Bosse der Organisierten Kriminalität bezeichnet werden. Zu ihnen gehört der aktuelle Ministerpräsident Thaci. Auf Wandbildern in Pristina, die die von Thaci proklamierte Sezession feiern, heißt es: "Danke, Deutschland!"

[map-kosovo.gif]Mit der gestern proklamierten Sezession vollzieht die Provinzverwaltung in Pristina einen Schritt, den Berlin seit Jahren vorbereitet hat - zunächst mit geheimdienstlicher Unterstützung der UCK, danach mit der Teilnahme am Überfall auf Jugoslawien im März 1999 und schließlich im Rahmen der UNO-Verwaltung in Pristina (UNMIK) (german-foreign-policy.com berichtete 1). Die Abspaltung der serbischen Südprovinz erfolgt unter Bruch der UNO-Charta, die allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Souveränität und territoriale Integrität garantiert, und unter Missachtung der Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates. Maßgeblich ist die Resolution 1244, die Belgrad die Unversehrtheit seines Hoheitsgebietes ausdrücklich bestätigt. Die deutsche Regierung will die illegale Sezession in Kürze anerkennen und fordert dasselbe von sämtlichen EU-Mitgliedstaaten. Damit erweist sich Berlin zum wiederholten Male als treibende Kraft einer zunehmenden Auflösung des internationalen Rechts, die die Willkür der Macht unverhohlen zum höchsten Prinzip der Außenpolitik erhebt.

Fantasterei

Den erneuten offenen Bruch internationalen Rechts durch die Bundesregierung sucht das Auswärtige Amt mit Hilfskonstruktionen zu kaschieren. So behauptet das Ministerium in einer Stellungnahme für den Außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestags, die Souveränitäts- und Integritätsgarantie für Serbien in der UNO-Resolution 1244 beziehe sich lediglich auf ein "Übergangsregime" im Kosovo und stehe einer Sezession nicht im Wege. Die abenteuerliche Erfindung erweist sich bei der Lektüre des Wortlautes als Fantasterei. Dennoch soll dem Auswärtigen Amt zufolge die UNO-Resolution abzüglich der Souveränitäts- und Integritätsgarantie für Serbien fortgelten, um die Einsatzlegitimation der NATO sowie der EU nicht zu verspielen; denn fiele diese fort, wären die westlichen Länder für ihre Okkupation serbischen Territoriums auf eine "Einladung" der kosovarischen Vasallen in Pristina angewiesen - eine peinliche Abhängigkeit, die man sich in Berlin und Washington ersparen möchte.2
Präzedenzfälle
Das haarsträubende Vorgehen, das Beschlüsse der Vereinten Nationen zur unverbindlichen Vorschlagsliste degradiert, aus der man sich nach Wunsch die jeweils genehmen Passagen auswählt, stößt selbst im Umfeld des Außenministeriums auf offenen Widerspruch. Dort werden Warnungen vor unkalkulierbaren Gegenschlägen laut. So schreibt ein Jurist aus dem völkerrechtswissenschaftlichen Beirat des Auswärtigen Amts in einem Zeitungsartikel: "Einseitige Auslegungen von Sicherheitsratsresolutionen begründen (...) Präzedenzfälle, die in anderen Fällen gegen die westlichen Staaten gerichtet werden."3

Dekretiert

Bezeichnend für die deutsche Rechtswillkür ist auch die Form der Beschlussfassung zur Entsendung einer sogenannten Polizei- und Justizmission in das Kosovo. Insgesamt sechs EU-Staaten lehnen die Sezession trotz massiven Drucks aus der deutschen Hauptstadt weiterhin ab, weil ihre eigene Souveränität von Separatisten bedroht ist: Spanien, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Zypern. Da diese Staaten nicht zu aktiver Zustimmung zu der neuen "EU-Mission" zu bewegen waren, wurden die Brüsseler Entscheidungsmodalitäten kurzerhand angepasst und die Entsendung von rund 2.000 Juristen und Polizisten faktisch dekretiert. Der Einsatz sei vorgeschlagen und mit Ablauf einer Widerspruchsfrist am Samstag um Null Uhr dann "formell gebilligt" worden, da kein EU-Mitgliedstaat bis zu diesem Zeitpunkt ein Veto eingelegt habe, hieß es in Brüssel über die neue Abstimmungstechnik, die eine abschließende Zustimmung überflüssig macht. Berlin hatte deutlich erkennen lassen, dass es ein Veto auf keinen Fall hinnehmen werde: Die ersten 63 deutschen Polizisten für die "Mission" wurden demonstrativ bereits vor Fristablauf ausgewählt.4

Straflosigkeit

Die Tätigkeit der bisherigen "Polizei- und Justizmission", die im Namen der UNO, faktisch aber ebenfalls unter westlicher Kontrolle durchgeführt wird, ist jetzt von amnesty international sorgfältig ausgewertet worden. Das Ergebnis stellt den zahlreichen Polizisten und Juristen, die seit 1999 im Kosovo im Einsatz waren - darunter etliche deutsche -, ein katastrophales Zeugnis aus. "Die UN-Mission hat hunderte von Verbrechen wie Morde, Vergewaltigungen, Entführungen und Vertreibungen unzureichend oder gar nicht untersucht", erklärt der Kosovo-Experte von amnesty. In der südserbischen Provinz, deren angemaßte Eigenstaatlichkeit in Kürze von Berlin anerkannt wird, herrsche "Straflosigkeit" für Kriegsverbrecher sowie bei Verbrechen gegen die Menschheit.5 amnesty zufolge ist keine Besserung erkennbar, vielmehr habe sich die Situation in den vergangenen Monaten weiter verschlechtert. Die Menschenrechtsorganisation warnt die UNO ausdrücklich vor der Entsendung einer neuen "Polizei- und Justizmission" - die "ausufernden Mängel" der Kosovo-Intervention müssten zunächst behoben werden.6

Netzwerke

Zu den Personen, deren Vergangenheit die Gründe für die von amnesty beklagten "ausufernden Mängel" ahnen lässt, gehört der aktuelle kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci. Der enge Parteigänger Berlins und Washingtons hat gestern in Pristina die "Unabhängigkeit" der südserbischen Provinz proklamiert. Hätten die Juristen und Polizisten der UNO ihre Aufgabe erfüllen wollen, hätten sie Thaci längst vor Gericht stellen müssen. Serbische Richter hatten ihn bereits 1997 zu zehn Jahren Haft verurteilt - wegen mehrerer Morde. "Thaci ließ in seinen eigenen Reihen liquidieren", sagen zwei ehemalige UCK-Kämpfer über ihren ehemaligen Chef.7 Der Bundesnachrichtendienst hält den aktuellen Ministerpräsidenten für einen der führenden kosovarischen Mafiabosse und den Auftraggeber eines "Profikillers".8 Eine im Auftrag der Bundeswehr erstellte Studie umfasst die Aussage, Thaci gelte "in Sicherheitskreisen als 'noch wesentlich gefährlicher'" als der wegen Kriegsverbrechen angeklagte Ramush Haradinaj 9, "da der einstige UCK-Chef auf internationaler Ebene über weiter reichende kriminelle Netzwerke verfügt".10

Letzte Frage

Mit der kosovarischen Sezessionserklärung, die unter Bruch internationalen Rechts kriminellen Elementen einen eigenen Staat verschafft, erreichen die Anstrengungen Deutschlands zur Entmachtung seines traditionellen Opponenten Serbien ihr Ziel. Belgrad hat die Kontrolle über das Territorium des ehemaligen Jugoslawien weitestgehend verloren, ist seines Zugangs zum Meer verlustig gegangen und von gegnerischen Staaten umgeben. Berlin hingegen konnte seinen Anspruch als Ordnungsmacht in Südosteuropa durch einen erneuten Krieg gegen Belgrad und die Aufspaltung des serbischen Territoriums bestätigen. Mit der gestrigen Sezessionserklärung wird nach Ansicht der Bundesregierung die "letzte offene Frage des Zerfallsprozesses von Jugoslawien (...) gelöst".11


Anmerkungen:
1 s. dazu Neuer Vasall Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Imperiale Vollendung Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Teil der Verwaltung Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Die Wiederauferstehung Jugoslawiens Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Die Herren des Rechts Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Paketlösung Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Abmontiert Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Sieger im Kalten Krieg Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Selbstbestimmung Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Die zweite Welle Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Dayton II Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Mit kreativen Tricks Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Angelpunkt Link ...jetzt anmelden!' target='blank, Countdown Link ...jetzt anmelden!' target='blank und Kooperationsraum Link ...jetzt anmelden!' target='blank.
2 Die Argumentationen entstammen einem Papier des Auswärtigen Amts mit dem Titel "Kosovo. Resolution des Sicherheitsrates 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo".
3 Kein Recht auf Abspaltung; Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.02.2008
4 EU entsendet Polizisten und Juristen in das Kosovo; Reuters 16.02.2008
5 amnesty international legt neuen Kosovo-Bericht vor; Link ...jetzt anmelden!
6 Kosovo (Serbia): The challenge to fix a failed UN justice mission; Link ...jetzt anmelden!
7 "Die Schlange" greift nach der Macht im Kosovo; Die Welt 28.01.2006
8 Jürgen Roth: Rechtsstaat? Lieber nicht!; Die Weltwoche 43/2005
9 s. dazu Politische Freundschaften Link ...jetzt anmelden!' target='blank und Heldenfigur Link ...jetzt anmelden!' target='blank
10 Operationalisierung von Security Sector Reform (SSR) auf dem Westlichen Balkan; Institut für Europäische Politik 09.01.2007. S. dazu Aufs engste verflochten Link ...jetzt anmelden!' target='blank
11 Erklärung zur Entscheidung des Parlaments im Kosovo; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 17.02.2008

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