DE
       
 
0
unofficial world wide web avantgarde
NEUES THEMA04.02.2011, 12:03 Uhr
Nutzer / in
retmarut

• Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? Weil die Frage in anderen Threads immer mal wieder aufkam, leg ich hier mal einen eigenen Eintrag an. Wem Aussagen, Analysen oder Quellen auf deutsch oder englisch zur konkreten Klassenlage im Iran zufällig (oder gezielt) in die Hände fallen, kann die hier einstellen.

Die Frage hat angesichts der Ereignisse im arabischen Raum aus meiner Sicht auch derzeit keine Priorität, wäre aber mittelfristig interessant zu klären, weil Iran als politischer und wirtschaftlicher Faktor doch eine gewisse Relevanz für die Region hat.
NEUER BEITRAG04.02.2011, 19:19 Uhr
Nutzer / in
secarts

Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? Folgender Text ist eine Kopie meines Beitrags aus dem Thema "Arabische Revolutionen?", der inhaltlich auf die Frage eingeht, als was das iranische Regime analysiert werden kann:


Ich denke, dass die Unterscheidung zwischen Kompradoren und nationaler Bourgeoisie auch eine ganz praktische Bedeutung hat - vor allem natürlich für die Genossen in den betreffenden Ländern, um Bündnispartner zu bestimmen und Gegner auszumachen. Und für uns, in den Metropolen: geht es doch darum, Antiimperialisten von Zuträgern des Imperialismus, die nur unter neuer oder anderer (und vielleicht gar deutscher) Flagge aufmarschieren, zu trennen (und nicht auf das reinzufallen, was uns BILD und SPON als "Revolutionäre" vormachen).

Zum Iran:
Mehr als Hypothesen und Indizien kann ich dazu nicht bringen, das muss ich gleich vorweg sagen. Die Situation wirkt auf mich sehr schwer durchschaubar, und etliche Diskussionen mit Genossen aus dem Iran haben dieses Gefühl bei mir eher noch verstärkt. Was aber immer hängen blieb, egal, mit wem ich sprach - von Tudeh-Genossen über anderswo (oder gar nicht) Organisierte, langjährigen Exilanten bis jüngeren Leuten: niemand hielt das iranische Regime für eines der nationalen Bourgeoisie. All die "typischen Projekte" der Bildung eines Nationalstaates (der von Dir, Sepp, skizzierten Rolle und Funktion des bürgerlichen Staates stimme ich vollauf zu) fehlen:
- die armen Schichten werden eben gerade nicht "sozial befriedet", sondern verarmen tendenziell wie absolut, Streiks werden mit brutalster Gewalt niedergehalten, Gewerkschaften verboten. (Hier ist nicht "die Gewalt" entscheidend, diese wird natürlich auch durch Regimes der nat. Bourgeoisie ausgeübt: signifikant ist doch immer nur, gegen wen sie ausgeübt wird...)
- Für eine nationale Bourgeoisie symptomatische Nationalisierungsmaßnahmen wurden nicht durchgeführt (wenn mich nicht alles täuscht, wurde nicht einmal die unter dem Schah erfolgte Privatisierung der Erdölindustrie rückgängig gemacht...),
- Eine nationale Bourgeoisie gedeiht ebenfalls nicht, da der Staatsapparat (bzw. Revolutionsgarden et al.) selbst diese Strukturen übernimmt (die Garden sind auch das größte Wirtschaftsunternehmen des Landes. Der größte private Einzelkapitalist - und reichste Iraner - ist ein Pistazienexporteur. Nicht gerade die Kernzone dessen, was die nationale Bourgeoisie, die ja eher auf Ausbau des materiell-technischen industriellen Grundstocks setzt, für gewöhnlich ausmacht).
- Trotz allen Anti-US-Gepolters scheinen die realen wirtschaftlichen Verquickungen (trotz "Boykott") mit den Metropolen überhaupt nicht verringert, geschweige denn gekappt worden zu sein,
- Und letztlich ist auch die Ideologie des Regimes, als Spiegel der sozioökonomischen Entwicklung, vorkapitalistisch und tendenziell fortschrittsfeindlich (von der Entwicklung atomarer Waffen mal abgesehen).
- Die Rolle des organisierten Islamismus liegt auch genau hier: sie ersetzt den, in national-revolutionären Regimes üblichen, positiven Bezug auf "die Nation" durch ein religiös-messianisches Surrogat. Ihre niederschwelligen, auf feudale Mullahs gestützten Strukturen ersetzen etablierte, starke nationale Institutionen oder bürgerlich-revolutionäre Regierungsparteien.

Auch die Opposition im Iran sehe ich nach etlichen Gesprächen weitaus differenzierter. Jürgen Elsässers Invektive von "Diskomiezen, Yuppies und Strichjungen", die angeblich die Revolte auf Teherans Straßen trugen, ist mir da noch in trauriger Erinnerung. Es waren Hunderttausende, darunter sicher auch US-Hörige, aber ebenso etliche Kommunisten, Sozialisten und bürgerliche Demokraten, die gegen Achmadinedschad protestierten.

All in all: Es war Frankreich, dass den Ayatollah aus dem Pariser Exil nach Teheran brachte und damit der Revolution eine neue, alles verändernde Kraft zuführte. Und: Nur "gegen die USA" zu sein, macht alleine noch keine nationale Bourgeoisie. Man kann auch einen Komprador gegen einen anderen austauschen.
NEUER BEITRAG08.02.2011, 12:28 Uhr
Nutzer / in
SeppAigner
SeppA
igner
Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? secarts:
Die Differenzen in der Einschätzung des iranischen Regimes leiten sich, denke ich, daraus ab, ob es sich um ein Regime der nationalen Bpurgeoisie handelt oder nicht (wenn nicht, was ist es dann ?). Da gehts um Fakten. Der Wikipedia-Eintrag zum Iran ist zwar durchtränkt mit imperialistischer Propaganda, aber ich zitier mal:

"Wirtschaft
Die iranische Wirtschaft unterliegt zum größten Teil der staatlichen Kontrolle. In privater Hand befinden sich ausschließlich kleinere Betriebe.

Wichtigste Wirtschaftssparte sind die reichen Erdöl- und Erdgas-Vorkommen im Iran. Weitere wichtige Wirtschaftssparten sind die Textilindustrie, die Landwirtschaft und die Zement- und Baustoff-Produktion.

Der Iran hat eine arbeitsfähige Bevölkerung von 23,68 Millionen Menschen, die aber zum größten Teil mangelhaft ausgebildet ist. Die Arbeitslosigkeit beträgt etwa 15 % (Stand 2007). Laut Bundeszentrale für Politische Bildung liegt sie inoffiziell bei über 50 % einschließlich verdeckter Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Der Dienstleistungssektor bietet 45 % der Arbeitsplätze, wobei der Staat einen sehr großen Verwaltungsapparat betreibt. Die Landwirtschaft bietet 30 % und die Industrie 25 %.

Wirtschaftsform
Im theokratischen Staat Iran sind weite Teile der Wirtschaft verstaatlicht. Dazu zählen z. B. bis auf wenige Ausnahmen die Banken. Allgemein wird die kapitalistisch ausgerichtete Wirtschaft als Kommandowirtschaft bezeichnet, in der die politischen Machtzentren versuchen die Marktwirtschaft zu steuern."

Zu den Aussenhandelsbeziehungen heisst es dort:

"Außenhandel
2007 exportierte der Iran Güter im Wert von 76,5 Milliarden US-Dollar. Die größten Export-Partner waren 2006 Japan (14,0 %), China (12,8 %), Türkei (7,2 %), Italien (6,3 %), Südkorea (6,0 %) und die Niederlande (4,6 %). Das wichtigste Exportgut ist Erdöl. Der hohe Erdölpreis erlaubt dem Iran Quersubventionen seiner Industrie und Staatskasse.

Der Import betrug 2007 etwa 61,3 Milliarden US-Dollar. Die größten Importpartner waren 2006 Deutschland (12,0 %), China (10,5 %), Vereinigte Arabische Emirate (9,4 %),Frankreich (5,6 %), Italien (5,4 %), Südkorea (5,4 %) und Russland (4,5 %).

Gegen den Iran wurden verschiedene Embargos verhängt. Für die Länder der Europäischen Union sind die Beschränkungen der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 einschlägig.[75]"


NEUER BEITRAG10.02.2011, 11:54 Uhr
Nutzer / in
secarts

Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? @SeppAigner:

Wie gesagt, mehr als Indizien und Vermutungen habe ich da nicht, und ein Iran-Profi bin ich erst recht nicht. Ich berufe mich auf Analysen durch iranische Genossen, habe aber keine "letztgültige Meinung" zur heutigen Einschätzung des Iran. Die Kernfrage ist, so sehe ich das auch, der Charakter des heutigen Regimes: handelt es sich in erster Linie um eine Regierung der nationalen Befreiung, also eine Herrschaft nationaler Teile der iranischen Bourgeoisie (und dementsprechend um einen antiimperialistischen Ansatz), oder um ein Kompradorenregime, also Herrschaft von unter Dominanz von (welchen?) Imperialisten stehenden Teilen der Bourgeoisie?

Um diese Frage zu klären, kommen wir mit wirtschaftlichen Zahlen alleine nicht weiter, da müssen wir ein bisschen in die Geschichte gucken. Der Schah, ein Günstling des US-Imperialismus, wurde 1979 durch revolutionäre Aktivitäten von der Macht vertrieben. Das ist die eine Seite der Medaille, denn auch die Imperialisten haben die Vorgänge natürlich genau beobachtet und bemerkt, dass ihr Mann in Teheran auf einem wackligen Pfauenthron sitzt. Vom 4. bis 7.1.1979 fand auf Einladung des französischen Präsidenten Giscard d’Estaing die "Konferenz von Guadeloupe" statt. Teilnehmer neben Giscard d’Estaing: Carter (USA), Schmidt (BRD), Callaghan (UK). Die Konferenz entschied, den Schah nicht länger zu stützen, Frankreich wurde beauftragt, Kontakte zum Ayatollah Chomeini herzustellen. Das passte insofern, als das Chomeini vorher direkt von Paris, seinem Exil, nach Teheran verfrachtet worden war und dort sofort eine neue Rolle in der ausgebrochenen Revolution übernahm. Die französische Regierung hat also direkt und während einer stattfindenden Revolution einen potentiellen neuen Machtfaktor ins Flugzeug gesetzt und in die Hitze der Auseinandersetzung implantiert. Das ist kein Zufall.

Damit änderte sich der Charakter der ganzen Revolution. Die Rahmenbedingungen waren folgende:
- die Imperialisten fürchteten vor allem eine soziale Revolution, die den Iran näher an die UdSSR führt. Dies zu verhindern, war imperialistisches Gesamtinteresse, siehe "Konferenz von Guadeloupe".
- Der bisherige Komprador, der Schah, hatte offenkundig abgewirtschaftet. Das war allen Beteiligten klar, im Kampf um einen geeigneten Nachfolger, der die antikommunistischen Kriterien erfüllte, setzte sich Frankreich durch, die USA hatten das Nachsehen - ihr Mann, der Schah, ging ins Exil. Da wurden zwischen-imperialistische Widersprüche ausgefochten.
- die Revolution von 1979 "kippte", es kam zur Konterrevolution in der Revolution. Das hatte Auswirkungen auf die ganze kommunistische Weltbewegung (denn danach kam es zu keiner Revolution mit Bestand mehr).

Und was für einen Charakter hatte das neue Regime nun? Ich zitiere im Folgenden aus einem Referat eines iranischen Genossen, der mal zu der Eingangsfrage unseres Thema berichtete:
"Ziele der Regierung nach 1979 (also der Chomeini-Regierung):
- Unterdrückung jeglicher nationaler & antikolonialer Bestrebung
- Ausschaltung jeglicher Opposition von unten und linker Kräfte
- Eindämmung der Einflusssphäre des Ostblocks
- Vernichtung jeglicher Organisation der Arbeiterinnen und Arbeiter
- Völlige Vorbereitung der Massen für die Ausbeutung durch das Kapital
- Verbreitung rückständiger und reaktionärer Ideologien zur Spaltung der Gesellschaft im Sinne des Kapitals
- Verdrängung des US‐Kapitals: Besetzung US‐Botschaft, Abzug des US-amerikanischen Kapitals aus dem Iran
- Beziehungen zu Europa wurden nicht angetastet.
"

Mit dem Komprador Schah hatte also auch die Kompradorenmacht, die USA, ihren Einfluss drastisch eingebüßt. Profitieren konnten die europäischen Mächte. Die antikommunistische Stoßrichtung setzte sich mit Chomeinis Mannen durch, die Arbeiterbewegung wurde massakriert (die Tudeh-Partei, obwohl willfährig und bündnisbereit mit den Islamisten, wurde 1982-84 de facto physisch zerschlagen). Die sozialen Anliegen der Revolution wurden nicht erfüllt, die nationalen nur insofern, als dass der US-Einfluss beschnitten wurde, nicht aber nationale Selbstbestimmung gegen alle hergestellt wurde. Der krasseste Ausdruck dieser Entwicklung war der irakisch-iranische Krieg in den 80ern: beide Seiten wurden mit westlichen Waffen bestückt, damit sie sich 8 Jahre lang niedermachen konnten. Ein Bombengeschäft, mit Millionen Toten.

Ich vermute, dass wir es im Iran mit einem Kompradorenregime des europäischen Kapitals zu tun haben. Deutschland spielt da definitiv nicht die erste Geige, inwiefern dies Frankreich (noch) tut, ist zu untersuchen. Kompliziert wird die Lage dadurch, dass auch ein Kompradorenregime einen gewissen Spielraum für "eigene Interessen" nach Innen und Außen hat und natürlich auch die nationale Bourgeoisie nicht verschwunden ist, sondern nur politisch nicht das letzte Wort führt. Die "conditio sine qua non" für die Metropolen war die antikommunistische Ausrichtung des neuen Regimes, und die hat sich - bis heute - erhalten. Seit 1989 nimmt diese Qualität an Wichtigkeit ab, und damit entstehen ganz neue Widersprüche (wie ja bspw. auch gegenüber den afghanischen Mudschaheddin etc.). Im Iran selbst hat sich nun seit über 30 Jahren ein Regime etabliert, das an Rückständigkeit und Brutalität kaum zu überbieten ist, aber zumindest effektiv jeden sozialen Protest unterbindet.

Wirtschaftliche Kennziffern, die diese Entwicklung belegen (oder auch widerlegen), sind schwer zu bekommen. Wikipedia taugt da wirklich nur bedingt, weil der eigene naive "Neutralitätsanspruch" Wikipedia letztlich in Abhängigkeit von "offiziellen", also westlichen Zahlen bringt. Da pro forma ja etliche Embargos gegen den Iran verhängt sind, wird man aus einer Regierungsstatistik kaum ablesen können, wo welches westliche Kapital mit drin hängt im Iran. Das es das aber tut, ist trotzdem bekannt, zumindest bei deutschem Kapital: Siemens bspw. machte und macht immer noch "Bombengeschäfte" mit dem geächteten, durch Embargos bekämpften Iran. Das geht natürlich über die Türkei, mit Briefkastenfirmen, und taucht in keiner Statistik als deutsches Kapital auf.
NEUER BEITRAG10.02.2011, 13:30 Uhr
Nutzer / in
SeppAigner
SeppA
igner
Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? secarts:

Hier eine Einschätzung der Tudeh zum Charakter der Anti-Shah-Revolution:
Link ...jetzt anmelden!

Was Du zu den imperialistischen Absichten bei der "Verschickung" Chomeinis schreibst, scheint mir schlüssig zu sein. Wie die Tudeh schreibt, konnte sich die Arbeiterbewegung in keinem Augenblick der Revolution zur Führung aufschwingen, nicht einmal ihre Beteiligung an der Führung erzwingen. Die Führung lag bei der nationalen Bourgeoisie, und sogar das noch im Bündnis mit Grossgrundbesitzern, mit dem Kleinürgertum als Massenbasis. Für den Massenanhang bei Letzterem spielte offenbar die Religion eine wichtige Rolle - ich denke, als Ausdruck und Symbol der "Unabhängigkeit vom Westen". Aber welche "Auslegung des Islam" sich durchsetzen würde, war auch bei den Kräften, die sich darauf bezogen, nicht unumstritten. Genau an dieser Stelle kam Chomeini als äusserst reaktionärer Kleriker recht. Er war in Sachen Antisozialismus absolut zuverlässig. Er war das Bollwerk gegen eine "Interpretation des Islam" in Richtung eines nichtkapitalistischen Entwicklungswegs zum Sozialismus. Mehr war für die Imperialisten in diesem Moment nicht zu machen.

Dass sein Regime deshalb als europa-/frankreichhöriges Kompradoren-Regime einzuschätzen ist, bezweifle ich. Ich kenne keine Tatsachen, die auf einen wesentlichen politischen Einfluss von dieser Seite auf den heutigen iran schliessen lassen, von einer Dominanz gar nicht zu reden.

Was das iranische Regime schon macht, ist, die Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten auszunutzen und damit das Embargo zu unterlaufen.

Bei irananders - einer Seite, die man wohl als Sprachrohr des iranischen Regimes betrachten kann - steht übrigens Interessantes zur Positionierung des Iran zu den Aufständen in Tunesien und Ägypten: Appell an die antikolonialistische/antiimperialistische Tradition, positiver bezug auf Nasser und die Blockfreien-Bewegung. Hier der Link:
Link ...jetzt anmelden!
NEUER BEITRAG10.02.2011, 14:23 Uhr
EDIT: secarts
10.02.2011, 16:27 Uhr
Nutzer / in
secarts

Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? @SeppAigner:

Zwei Aspekte noch:

- "Kompradorenregime" meint ja nicht, dass keine Aktion des Iran ohne Geheiß aus dem Westen stattfinden kann oder darf. Auch die nat. Bourgeoisie verschwindet nicht und macht weiter ihr Business. Es geht hier um die hauptsächliche Seite des Phänomens.
Zur Kompradorenbourgeoisie gehören zunächst Kräfte, die ökonomisch von ihren jeweiligen Hegemonialmächten insofern abhängig sind, als das sie ausländisches Kapital benötigen oder bevorzugt Halbfertigprodukte oder Rohstoffe ins Ausland exportieren (und deswegen gute Handelsbeziehungen benötigen). Und, als Ableitung sozusagen, des weiteren Kräfte, die sich dem Hegemon politisch verschreiben, also ein Bündnis nicht mehr taktisch, sondern strategisch, alternativlos betrachten. Das muss sich allerdings keineswegs in Bejubelung des Hegemons äußern, sondern kann vollkommen hinter den Kulissen stattfinden. Hätten wir bessere Möglichkeiten zur Recherche, könnte man solche Einflüsse auch besser ökonomisch nachzeichnen (soweit sie nicht, dem Embargo geschuldet, vollkommen klandestin stattfinden). Beim Iran von besonderem Interesse ist definitiv die Ölindustrie. Und dazu zitiere ich nur knapp aus der von dir verlinkten Seite "irananders": "Selbst das berühmte South Pars, das größte Erdgasfeld der Welt, wird - entgegen den Berichterstattungen - nur in geringem Maße von der Pasdaranfirma Khatam Al Ambiya ausgebeutet. Hauptinvestoren sind Unternehmen wie Petropars, OIEC und ausländische Unternehmen." Es ging im Artikel um die Rolle der Revolutionsgarden (Pasdaran), die ja angeblich den Transmissionsriemen des Staates (also der nat. Bourgeoisie) in die iranische Wirtschaft darstellen. Dem widerspricht "irananders" vehement.
Was das iranische Regime u. a. politisch treibt, wurde bei diesen unsäglichen "Holocaust-Konferenzen" sichtbar - mal alle Distanzierungen und subjektiven Intentionen der Akteure beiseite gelassen, was war denn das? Eine Reinwaschung des deutschen Imperialismus von seinen historischen Verbrechen, eine Relativierung seiner aggressiven Wesensart. Teheran hat das "zionistische Grundaxiom" Holocaust relativiert, um so eigene Interessen in der Region zu begründen, und damit im Vorbeigehen dem deutschen Imperialismus einen religiös verpackten Geschichtsrevisionismus frei Haus geliefert, der ganz gut in manche anti-US-imperialistische Stimmung im Nahen Osten passt. Mal dahingestellt, ob das die realen Absichten Deutschlands in jenem Moment wirklich traf (und daran kann gezweifelt werden): Damit bot das iranische Regime den deutschen Imperialismus als "Verbündeten" der arabischen, muslimischen Staaten gegen Israel (also indirekt gegen die USA!) feil.

- Die Embargo-Politik gegenüber dem Iran hat, glaub ich, mehrere Facetten. Ein "Embargo", also eine Abmachung über wirtschaftliche und politische und militärische Beschränkungen, macht ja immer nur dann Sinn, wenn nicht nur alle boykottierenden Mächte sich verbal dazu bekennen, sondern auch daran halten. Das ist beim Iran nun nicht der Fall, das Embargo wird ständig und vielfältig unterlaufen. Damit ändert es seinen Charakter: Die USA halten am Embargo fest, ohne noch die reale Macht zu haben, dieses Embargo auch (gegenüber den westlichen "Verbündeten") normativ durchsetzen zu können. In der Praxis läuft dies darauf hinaus, dass die USA sich (mehr oder weniger "freiwillig", da einflusslos) aus dem Iran zurückziehen mussten, während die europäischen Imperialisten "hintenrum" gute Geschäfte mit dem Iran machen.
Die verbale Aufrechterhaltung der gemeinsamen Embargopolitik ändert daran gar nichts, sondern sagt nur etwas aus über den Grad der Zuspitzung zwischenimperialistischer Widersprüche: BRD, Frankreich usf. machen, wo sie können, schon ohne die USA, aber (noch) nicht gegen die USA. Auch das ist nicht neu, mit Saddam wurde das gleiche Spielchen betrieben. Du schriebst: "Was das iranische Regime schon macht, ist, die Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten auszunutzen und damit das Embargo zu unterlaufen." Aus iranischer Perspektive nimmt sich dies so aus. Aus deutscher, französischer etc. Sichtweise könnte man es auch so formulieren: die zwischenimperialistischen Widersprüche werden im Iran niederschwellig, unter Wahrung der formalen imperialistischen Gesamtstrategie, unterhalb der Embargoebene ausgetragen. Das iranische Regime erfüllt hier den europäischen Imperialisten den Dienst, immer fleissig neue Gründe zu liefern, nach denen die USA gezwungen sind, ein fruchtloses Embargo als Manifestation der eigenen Einflusslosigkeit aufrecht zu erhalten.

All in all: Ich sehe auch keine eindeutige, einseitige Abhängigkeit des Iran bspw. von Frankreich. Völlig klar zu erkennen ist nur, dass die USA so ziemlich "raus" sind, die europäischen Imperialisten aber nicht. Das Regime selbst agiert widersprüchlich, und subjektives Wollen muss nicht mit objektiv Bewirktem übereinstimmen. Möglicherweise müssen wir uns damit abfinden, derzeit keine eindeutige, einfache Antwort zu bekommen.
NEUER BEITRAG01.04.2011, 12:37 Uhr
Nutzer / in
secarts

Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? Gelegentlich sickern mal Schlaglichter durch über das, was die Metropolen im Iran so treiben. Hier ist eins:

Bundesbank-Hilfe bei Ölgeschäft
Das Rätsel um den deutschen Iran-Deal


Empörung in den USA: Mit dem Segen der Bundesregierung half die Bundesbank Iran bei der Abwicklung eines Öl-Geschäfts mit Indien. Die Umstände sind dubios. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen soll der Deal im Zusammenhang mit der Freilassung von zwei "Bild am Sonntag"-Reportern aus iranischer Haft stehen.

Berlin - Das umstrittene Engagement der Bundesbank bei einem Ölgeschäft zwischen Iran und Indien hat womöglich eine größere politische Brisanz als bisher bekannt. Wie es in Regierungskreisen in Berlin heißt, soll der Deal im Zusammenhang mit der Freilassung zweier Reporter der "Bild am Sonntag" aus iranischer Haft im Februar dieses Jahres stehen. Demnach soll die Bundesregierung die Hilfe der deutschen Zentralbank bei der iranisch-indischen Transaktion im Gegenzug für die Freilassung der beiden Deutschen gebilligt haben.

Offiziell äußerte sich die Bundesregierung auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE zurückhaltend. Ein Zusammenhang wurde weder bestätigt noch dementiert. Auf die Frage, welche Rolle das indisch-iranische Ölgeschäft bei den Verhandlungen über die Freilassung der deutschen Reporter gespielt habe, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes: "Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Festnahme der beiden deutschen Journalisten im Oktober 2010 dafür eingesetzt, dass die beiden so rasch wie möglich nach Deutschland zurückkehren können." Der Sprecher verwies zudem auf die Aussagen von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nach der Rückkehr der Journalisten. Westerwelle dankte seinerzeit "allen, die an der Lösung dieses sehr komplizierten Falles mitgewirkt haben".

Dass Deutschland Iran dabei hilft, den Öl-Deal trotz Sanktionen gegen das Regime in Teheran abzuwickeln, ist hoch umstritten. Insbesondere für die transatlantischen Beziehungen stellt das Geschäft eine Belastungsprobe dar. Nicht erst seit die Bundesregierung sich im Uno-Sicherheitsrat in der Libyen-Frage enthielt, beäugen die USA den diplomatischen Kurs von Außenminister Guido Westerwelle kritisch. Auch die Haltung Berlins in der Debatte um das iranische Atomprogramm ist manchem in Washington zu weich. Der Öl-Deal wird als weiteres Indiz dafür gewertet, dass sich Deutschland immer weiter vom seinem wichtigsten Verbündeten entfernt. Ein Vertreter des US-Finanzministeriums äußerte sich in der "New York Times" am Donnerstag "besorgt" über die Einwilligung der Bundesregierung in die Transaktion [...]


...SPON-Artikel komplett
NEUER BEITRAG06.05.2011, 13:10 Uhr
Nutzer / in
secarts

Machtkampf im Iran? ...mal anders! SPON, 6.5.2011:

Bizarrer Machtkampf in Iran
Chamenei beschuldigt Ahmadinedschad der Hexerei


Teheran - Ein offener Machtkampf ist zwischen Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und dem geistlichen Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, entbrannt. Und der Ton wird rauer, die Methoden bizarrer. Nach Informationen des britischen "Guardian" wurden in den vergangenen Tagen einige enge Vertraute des Regierungschefs festgenommen. Der Vorwurf lautet auf Hexerei.

Einen der Festgenommenen beschreibt eine iranische Nachrichtenseite als "Mann mit besonderen Fähigkeiten im Bereich der Metaphysik und Verbindung zu unbekannten Welten". Die genaue Zahl der beschuldigten Personen ist unklar, allen wird jedoch "Zauberei und die Beschwörung von Geistern" nachgesagt. Aus Kreisen des Ajatollah kommt nach Informationen des "Guardian" zudem der Vorwurf, sie würden diese Kräfte zum Vorteil Ahmadinedschads einzusetzen.

Worum geht es in dem Konflikt? Mitte April hatte Ahmadinedschad den bisherigen Geheimdienstminister Heydar Moslehi zum Rücktritt gedrängt. In Iran bestimmt der Präsident zwar die Minister und kann sie auch wieder aus dem Amt heben - nach ungeschriebenem Gesetz aber nur mit der Zustimmung des geistlichen Führers [...]
NEUER BEITRAG01.10.2013, 11:38 Uhr
Nutzer / in
Rainer

Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? Die Avantgarde des Weltproletariats, die "Kommunistische Initiative", hat die letztgültigen Ratschlüsse zum revolutionären Iran veröfftlicht: Link ...jetzt anmelden!

Abgearbeitet wird sich an einem Artikel von Sepp Aigner der auch auf secarts.org zu lesen ist. Link ...jetzt anmelden!

Sehr schön: "Bezüglich Iran: Die "kommunistische Partei des Iran nahezu liquidiert" - hat sich die Tudeh-Partei selbst. In einer Zeit, da antiimperialistische Einheit geboten war, eine Ausrichtung aller Kräfte hinter der islamischen Republik hat sich die Tudeh-Partei als Werkzeug des britischen Imperialismus missbrauchen lassen."

Och ja. Haben sich die Kommunisten nicht unter dem Banner der islamischen Revolution eingereiht werden sie eben zu Recht abgemetzelt. Geht echt gar nicht mehr der irre Haufen
NEUER BEITRAG09.10.2013, 10:49 Uhr
Nutzer / in
SeppAigner
SeppA
igner
Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? retmarut: "Nur "gegen die USA" zu sein, macht alleine noch keine nationale Bourgeoisie."

- Das nicht, aber sich gegen ausländischen, d.h. imperialistischen Einfluss zu stellen, ist schon ein Indiz dafür, dass die Herrschenden in so einem Land entsprechende Interessen haben, also auf einem eigenständigen Claim für die Ausbeutung bestehen.

Nationale Bourgeoisie ist ja nicht gleichzusetzen mit "fortschrittlichem Regime". Auch ein äusserst reaktionäres Regime kann politischer/staatlicher Ausdruck der Herrschaft einer nationalen Borgeoisie sein, je nach dem Kräfteverhältnis zwischen den Klassen.

Praktisch gibt es auch keine "saubere" Trennung zwischen Kompradoren- und nationaler Bourgeosie. Die Herrschaften wollen halt Geschäfte machen,und das tun sie auf allen Feldern, auf denen dazu Gelegenheit ist. Wenn das Hauptinteresse darin besteht, die Ausbeutung vorwiegend auf eigene Rechnung zu betreiben (und nicht vorwiegend in der Form eines Profitanteils, der bei der Ausplünderung eines Landes durch Banken und Konzerne mit Sitz in den imperialistischen Zentren herausgechlagen werden kann, ist m.E. von der Herrschaft einer "nationalen" Bourgeoisie zu sprechen.

NEUER BEITRAG09.10.2013, 12:00 Uhr
Nutzer / in
retmarut

Iran heute: Kompradorenbourgeoisie oder nationale Bourgeoisie? @ Sepp: Schön mal wieder etwas von Dir hier zu lesen. Deine Position in dieser Sache teile ich.

Die mir zugeschriebene Aussage stammt übrigens von Secarts.
Sein Satz ging ja noch weiter: ""Nur "gegen die USA" zu sein, macht alleine noch keine nationale Bourgeoisie. Man kann auch einen Komprador gegen einen anderen austauschen."
In dieser Allgemeinheit gehe ich damit auch völlig d'accord.
Im speziellen Fall Iran scheint mir die dortige Bourgeoisie tatsächlich eine nationale zu sein, die sich - recht erfolgreich - gegen imperialistische Eingriffe wehrt. Die frühere iranische Kompradorenbourgeoisie ist damals mit dem Sturz des Schahs ins Ausland geflüchtet (wenn sie denn schnell genug war).

Ich habe zudem den Eindruck, dass die Abgrenzung Kompradoren- vs. nationaler Bourgeoisie auch immer nur in dieser relativen Beziehung Sinn macht. Das Entscheidende scheint mir zu sein, dass eine Kompradorenbourgeoisie völlig aufs Gutdünken des bzw. der dahinterstehenden imperialistischen Staaten angewiesen ist, während eine nationale Bourgeoisie sich mehr Bewegungsfreiheit erkämpft hat. Inwieweit eine nationale Bourgeoisie fortschrittliche Tendenzen aufweist, hängt dabei in erster Linie von den innergesellschaftlichen Klassenkräften ab. In Zeiten der Entkolonialisierung beispielsweise war notwendigerweise die Tendenz zu sozialen Fortschritten höher, weil ein antikolonialer Kampf nur mittels mobilisierter Volksmassen gewonnen werden kann, also grundlegende Rechte der Arbeiterklasse sowie die Landfrage aufgegriffen werden mussten. Außerdem darf der damalige Faktor der politischen und militärpolitischen Unterstützung durch sozialistische Staaten nicht vergessen werden. Letzterer fällt heutzutage weitgehend weg, da es die SU nicht mehr gibt und die VR China derartige Unterstützungen zugunsten anderer Projekte (eigene ökonomische Entwicklung vorantreiben bei Vermeidung militärischer Konflikte mit den imperialistischen Staaten) zurückgestellt hat.
• Hier gibt's was extra: mehr Debatten aus den www.secarts.org-Foren
technischer Jahresrückblick 2023
1
Wie immer zum Jahresanfang: Herzlichen Dank für die Zusammenstellung der Daten!!! Wie immer auch ein wenig Besorgnis: Éin ...mehr arktika 04.01.2024