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NEUES THEMA01.01.2007, 08:22 Uhr
Nutzer / in
dagobert

• Sie wollen uns weiter rasieren – auch 2007! Pünktlich zum Jahreswechsel (den hoffentlich alle Nutzer von secarts.org gut verlebt haben), greift uns der Staat im Auftrag der Herrschenden mal wieder kräftig in die Tasche, die größte Mehrwertsteuererhöhung in der Geschichte der BRD wird heute wirksam. Auf (fast) alles, was wir ab sofort kaufen, zahlen wir jetzt 19% Mehrwertsteuer; für Lebensmittel gilt der reduzierte Satz von 7% weiter. Das heißt zum Beispiel:

Telefonrechnung 40 Euro
Kinokarte 7 Euro
Kleidung für 100 Euro= 6,38 Euro
= 1,12 Euro
= 15,96 Euro
Die große Koalition setzt damit die in vielen Einzelschritten bereits seit quasi Jahrzehnten laufende Umverteilung über die Steuergesetze fort. Nach den Zahlen der so genannten Steuerschätzung im Auftrag der Bundesregierung für 2006 betragen die Gesamt-Steuereinnahmen 450 Milliarden Euro. Die –mindestens überwiegend- von den Arbeitern und abhängig Beschäftigten gezahlten Steuern und Abgaben sind dabei (in der Reihenfolge Ihrer Einnahmengröße):
Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) 141 Mrd. (bisher)
Lohnsteuer (inkl. Soli-Zuschlag) 132 Mrd.
Mineralölsteuer 42 Mrd.
Tabaksteuer 15 Mrd.
Grundsteuer (Belastung durch Vermieter) 10 Mrd.
Versicherungssteuer 9 Mrd.
Kfz-Steuer 9 Mrd.
Stromsteuer 7 Mrd.
Grunderwerbssteuer 5 Mrd.
Biersteuer und Ähnliches 2 Mrd.
Dieser Batzen macht insgesamt rd. 376 Milliarden Euro aus oder 4.585 Euro pro Jahr und Kopf (vom Säugling bis zum Greis) oder 382 Euro pro Monat. Nun gibt es bekanntlich Menschen, die nur Almosen empfangen (zum Beispiel so genannte „Hartz IV-Empfänger“) und dabei gar keine 382 Euro monatlich haben und andere, die auch als normale Werktätige noch etwas mehr übrig haben. Bezogen auf die Modellfamilie mit zwei Kindern und Durchschnittsverdienst ist man jedenfalls schnell dabei, dass die Hälfte des Bruttoeinkommens an den Staat abfließt (über die oben genannten diversen Steuerarten). Im Schnitt über alle „Betroffenen“ (= nicht-Kapitalisten) liegt die Besteuerung des Einkommens bei ca. 30%. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Sozialversicherungsbeiträge sind dabei noch nicht berücksichtigt !
Nun wird uns ja eingeredet, dass zumindest ein Teil der Steuererhöhung durch die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung wieder reinkommen würde. Dies ist wieder mal ziemlich glatt gelogen. Denn erstens ist dies deutlich weniger, als die Steuererhöhung (nur etwa ein Drittel), zweitens erfahrungsgemäß nur ein kurzfristiger Effekt, drittens kommt die Senkung in gleicher Höhe wieder mal dem Kapital zugute und viertens hilft es allen, die kein Arbeitseinkommen (Arbeitslose, Rentner usw.) beziehen, rein gar nichts !

Mehrwertsteuer
Nun ausgerechnet die Mehrwertsteuer zu erhöhen heizt das Abschröpfen noch richtig an. Um weitere 20 Milliarden sollen die Einnahmen der Mehrwertsteuer steigen. Die Mehrwertsteuer ist eine so genannte indirekte Steuer, sie muss von jedermann bezahlt werden mit dem festen Satz von 19%, egal ob Hartz IV-Empfänger, Student, Rentner, Zahnarzt oder Vorstandsvorsitzender. Dies trifft in der Höhe jeden gleich (abgesehen davon, dass der Vorstandsvorsitzende natürlich etwas mehr ausgibt im allgemeinen), was aber gerade die Ungerechtigkeit ausmacht, denn der Steuersatz ist eben einkommensunabhängig. So hat die schon in ihrer Bezeichnung verschleiernden „Mehrwert“steuer schrittweise den Weg zur nun mit Abstand wichtigsten Steuerquelle des Staates vollzogen. Für Nostalgiker sei angemerkt, dass diesen Platz mit Abstand bis Ende der 60er-Jahre noch die gewinnabhängigen Unternehmenssteuern hielten.

Das Kapital zahlt doch auch Gewinnsteuern!
Ja, das stimmt natürlich und darf nicht vergessen werden. Nach der genannten Steuerschätzung summieren sich die Körperschaftssteuer (= Gewinnsteuer von Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften, GmbH´s usw.) und die allgemeine Gewerbesteuer, sowie einige kleinere Kapitalsteuern auf 74 Milliarden Euro, was somit durchaus 16% der Gesamt-Steuereinnahmen ausmacht. Also jeder nach seinen Möglichkeiten, wird hier gelebt ! Allein die Mehrwertsteuererhöhung 2007 wird voraussichtlich dem Staat knapp 20 Milliarden Euro einbringen, was somit schon mehr als ein Viertel der gesamten Besteuerung des Kapitals ausmacht. Daneben gibt es übrigens weitere Steueränderungen, die sämtlichst die Werktätigen treffen, zusammen mit der Mehrwertsteuer wird von einer Mehrbelastung in 2007 zu 2006 von 35 Milliarden Euro oder 50% der Gewinnsteuern ausgegangen. Der Anteil von Arbeitern, Arbeitslosen, Rentnern und allen nicht dem Kapital zuzurechnenden Teilen der Bevölkerung an der Gesamt-Steuerbelastung steigt somit auf 85%.

Was macht der Sozi-Finanzminister?
Unser Freund Peer Steinbrück von der SPD verwaltet derzeit bekanntlich das Bundes-Finanzministerium. Er ist für die Scheiße maßgeblich verantwortlich und schämt sich offenbar nicht. Während seine Politik uns die letzte Kohle aus der Tasche zieht, beschäftigen sich seine Beamten auch mit weiteren, sehr wichtigen Fragen. So umfasst das Jahrssteuergesetz über 100 Seiten. Dort wird jetzt unter Anderem geregelt, dass die Nutzung des Kraftdroschkenverkehrs weiterhin mit 7% Mehrwertsteuer belegt ist. Worum´s dabei geht ? Taxifahren ! Und weil das so wichtig ist, wurde die Kraftdroschke jetzt überall aus dem Gesetz gestrichen und durch Taxi ersetzt. Über weitere Auslassungen, ob beim bekannten Schokoladenei „Kinder-Überraschung“ das Hauptprodukt die Schokolade oder das Plastikteil innen ist und dass die in manchen Städten tätigen Alternativ-Beförderer (heißen Minicar o.Ä.) auch Kraftdroschken sind, aber mit 16% Mehrwertsteuer belegt sind, will ich die Leser verschonen. Solange sich die Ministerialbürokratie mit solchen Fragen beschäftigt, scheinen sie sich jedenfalls ziemlich sicher zu fühlen...

Für gerechten Kapitalismus !?
Auch wenn ich selbst hier einmal den Begriff Gerechtigkeit verwendet habe, darf man sich natürlich nicht die Augen verschleiern lassen über die Grundfunktion der Angelegenheit. So wie es keinen gerechten Lohn gibt, so gibt es auch kein gerechtes Steuersystem im Kapitalismus. Unter kapitalistischen Vorzeichen ist und bleibt der Staat ein Instrument der herrschenden Klasse, der Kapitalisten. Auch wenn alle Steuern als Gewinnsteuern durch das Kapital gezahlt würden, bliebe kapitalistischen Lohnarbeit und Ausbeutung bestehen. Insofern ist die Steuereinnahme und -verteilung eine Teilfrage wie der Kampf in der nächsten Tarifrunde und Ähnliches. Doch die Verhältnisse zutreffend anhand von Zahlen zu analysieren, wie es hier versucht wurde, ist dennoch Voraussetzung, um den ersten Schritt des Weges machen zu können. 35 Milliarden wollen sie 2007 zusätzlich von uns haben, keinen Groschen sollen sie kriegen, das Geld wird in den Lohnrunden vom Kapital zurückzuholen sein, gefordert sind also wir, bzw. die Gewerkschaft !
Das Geld entspricht übrigens einer Lohnerhöhung von mindestens 5%, na denn !

Dagobert Pollöck schreibt für Link ...jetzt anmelden! in unregelmäßigem Abstand die Politökonomie-Kolumne index.php?show=cat&id=capitalism&sub=11 zu aktuellen Fragen wirtschaftspolitischen Geschehens.
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