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•NEUES THEMA14.10.2006, 00:15 Uhr
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Egon Krenz | ||
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• Ãœber den Umgang mit der DDR-Geschichte
Ein Leitartikler der Zeitung "Welt am Sonntag" [Welt am Sonntag, Leitartikel vom 10. Juli 2004.] fand es zweckdienlich, meinen Namen in einem Atemzug mit denen von Göring und Eichmann zu nennen. Ich brauchte nicht einmal zu spekulieren: Will er mich als DDR-Politiker besonders wölfisch darstellen oder die Herren Massenmörder verharmlosen? Das Gleichnis entspricht nämlich einer grotesken Geisteshaltung in dem Land, im dem wir seit 1990 leben. Es handelt sich ja um nichts Neues, sondern um eine personifizierte Variante der absurden Formel von den "zwei deutschen Diktaturen", bei der die DDR nicht nur mit dem Nazireich verglichen, sondern im Kontext oft auch gleichgesetzt wird. Was für eine Verharmlosung der Verbrechen an Millionen Opfern der Nazidiktatur!
Alles Negative wird der DDR angelastet
Egon Krenz, geboren 1937, war 1989 Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR.
Nach der Annektierung der DDR wurde Egon Krenz von einem BRD-Gericht zu 6,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt; 2003 wurde er aus der Haft entlassen.Vor knapp 10 Jahren stand ich einem Staatsanwalt gegenüber, der bis 1989 in der Altbundesrepublik für die Verfolgung der Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof des Herrn Freisler zuständig war. Sein "Verdienst" besteht darin, daß nicht ein einziger Richter oder Staatsanwalt dieses faschistischen Gerichtshofes rechtskräftig verurteilt wurde. Erst als es gegen Antifaschisten der DDR ging, erwachte seine Verfolgungsenergie. Während er in seinem Schlußvortrag 11 1/2 Jahre Haft für mich beantragte, mokierte er sich zugleich darüber, daß ich das Wort "Faschismus gebrauchte", wo es nach seiner Ideologie "Nationalsozialismus" heißen müßte. "Faschismus", so belehrte er mich, habe es in Deutschland nicht gegeben. Der habe nur in Italien geherrscht. Er unterstellte dreist, ich wolle wohl mit dem Gebrauch des Wortes "Faschismus die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen". "... und das offenbar zur Vermeidung des Gebrauchs der Bezeichnung ‚Nationalsozialismus', was unliebsame Assoziationen mit dem Realsozialismus [Das Wort "Realsozialismus" wurde in der DDR so nicht verwendet. Korrekt hieß es "Real existierender Sozialismus". Die Wortschöpfung "Realsozialismus" entstand in der Bundesrepublik offensichtlich, weil "Realsozialismus" und "Nationalsozialismus" sich wohl im Wortklang ähneln und dadurch beabsichtigte Assoziationen hergestellt werden sollen.] in der DDR hervorrufen könnte." [Plädoyer der Staatsanwaltschaft, gehalten am 28. und 31. Juli 1997. vor dem Landgericht Berlin.]
Offensichtlich wird in bestimmten Kreisen der Bundesrepublik der Terminus "Nationalsozialismus" auch deshalb gepflegt, um in verbaler Gleichsetzung den Begriff Sozialismus zu diskreditieren. Erst jüngst schlug ein Senator der Berliner Regierungskoalition in die gleiche Kerbe. Er setzte die GRH, eine Organisation, in der auch Menschen organisiert sind, die entweder Familienangehörige in Hitlers Konzentrationslagern verloren haben oder selbst vom Naziregime verfolgt wurden, mit den "Freundschaftsverbänden der Waffen-SS" gleich. Wer entschuldigend meinen sollte, es wären ja nur Journalisten, Juristen und Provinzpolitiker, die sich so extrem äußern, der wurde jüngst bei der Veranstaltung "Gedächtnis Buchenwald" in Weimar von einem Ministerialrat, einem hohen Beamten der Bundesregierung also, eines Besseren belehrt. Der Herr Professor, angeblich sogar Historiker, "vergaß" ganz nebenbei die Opfer des KZ Buchenwald, die vor ihm im Saal in der ersten Reihe saßen, und widmete sich dafür lieber den "Opfern von Flucht und Vertreibung" und der Erinnerung "an die Opfer des SED-Regimes". [Vergleiche Neues Deutschland vom 30. August 2006, S. 2.] Makaber! Für mich ist das nicht nur falsches Geschichtsbewußtsein oder "Erinnerungstäuschung". Ich empfinde es als Volksverhetzung.
In der DDR jedenfalls wußte schon jedes Kind, daß der "Nationalsozialismus" weder national noch sozialistisch war und daß sich die Kämpfer gegen ihn weltweit als Antifaschisten verstanden. So widerlich es auch ist, Naziverbrecher, die Krieg und Völkermord zu verantworten haben, und Kommunisten, die bekanntlich zu den ersten Opfern der faschistischen Diktatur gehörten, in eine Reihe zu stellen, so wenig erstaunt mich diese Art "Vergangenheitsaufarbeitung". Sie ist Ausdruck eines militant-primitiven Antikommunismus, der in der Bundesrepublik Staatsdoktrin ist. Das hat Tradition.
Seit es Kommunisten gibt, haben sich die alten Mächte zu einer "heiligen Hetzjagd" gegen das "Gespenst des Kommunismus" [Manifest der Kommunistischen Partei. Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 461.] verbündet, wie es schon Marx und Engels wußten. Seither gehören Schmähung und Verfolgung von Kommunisten zum politischen Geschäft von bürgerlichen Parteien, ihren Medien, ihren Historikern sowie ihren Richtern und Staatsanwälten. Einer der Väter der revolutionären deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, hat diese Erfahrung schon 1872 im Kaiserreich formuliert: "Wir sind Sozialisten, gut! Kommunisten, gut! Sind wir darum moralische Monstra ...? Freilich hat man uns als solche Monstra hingestellt ... Wir verlangen, daß man uns beurteile nach dem, was wir getan haben und was wir sind, nicht nach dem, was blinde Furcht und blinde Wut uns angedichtet, uns angelogen haben". [Der Leipziger Hochverratsprozeß vom Jahre 1872. Berlin, 1960, S. 350.]
Seit Konrad Adenauer 1949 in seiner ersten Regierungserklärung den Anspruch der alten Bundesrepublik erhob, für ganz Deutschland zu sprechen, wurde die DDR vom anderen deutschen Staat nicht nur ausgegrenzt, sondern zum politischen Monster erklärt.
Im Prinzip hat sich das bis heute nicht geändert. Mit einer Ausnahme: War die DDR für die Regierenden in der BRD bis 1989 das "Sprachrohr Moskaus", die "Marionette des Kreml" oder einfach die "Sowjetzone", die nur "Moskaus Befehlsempfänger" gewesen sein soll, so wurde sie im Nachhinein zum Gegenteil gemacht: Alle Härten und negativen Begleiterscheinungen des Kalten Krieges werden nun der DDR angelastet. Das wird für das Ziel gebraucht, den sozialistischen Gedanken ein für allemal auszurotten und die zunehmenden Gebrechen der kapitalistischen Gesellschaft als Folge "kommunistischer Herrschaft" zu verbrämen. Alles hat eben seine Funktion! Nachdem der Deutsche Bundestag Anfang der neunziger Jahre in seinem Enquete-Bericht über die DDR das Ziel verordnete, "Nie wieder Sozialismus", sind der Umgang mit der DDR sowie die Diskriminierung und Demütigung vieler ihrer Bürger nur diesem Ziel untergeordnet. Wen wundert's? Beurteilt werden die DDR und ihre Bürger nicht nach dem, was sie geschichtlich geleistet haben. Nicht danach, daß die DDR ein Friedensfaktor im Zentrum Europas war. Auch nicht danach, daß sie ihren Bürgern garantierte, was es zuvor in Deutschland noch nie gegeben hatte und was in der heutigen Gesellschaft von vielen vermißt wird: Arbeit für alle, soziale Sicherheit, enorme Fortschritte bei der Emanzipation der Frau, Kinder- und Familienfreundlichkeit, Fördern und Fordern der Jugend, ein modernes Gesundheits- und effektives Bildungssystem ...
Ein Gegenentwurf zur bisherigen deutschen Geschichte
Erst recht bleibt unberücksichtigt - und das ist das Entscheidende, das Weltgeschichtliche an der DDR - daß sie ein Gegenentwurf zur bisherigen deutschen Geschichte war und damit auch eine legitime Antwort auf die Restaurationsversuche in der alten Bundesrepublik. Freilich, noch mit vielen Unvollkommenheiten, mit folgenschweren Fehleinschätzungen, politischen Dummheiten und leider auch vermeidbaren Ungerechtigkeiten, die aufrichtige Sozialisten und Kommunisten mehr als nur bedauern. Was aber Kommunisten, Sozialdemokraten und ihre Verbündeten aus dem Bürgertum nach zwei Weltkriegen, die vom kapitalistischen Deutschland ausgegangen waren, unter enorm schweren Bedingungen gewagt hatten, war geschichtlich etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes in Deutschland. Es gab Gegner dieses historischen Prozesses, das ist wohl wahr: Wirkliche und vermeintliche. Es gab Mitläufer, Unzufriedene und auch eine Menge Karrieristen - wie sich zeigt, bis ins Politbüro hinein. Es gab aber auch - und das wird heute kaum noch erwähnt - Millionen Bürger, denen die DDR Herzenssache war und die sich für ihren Staat ein Leben lang engagierten. Sie leiden heute darunter, daß und wie ihr Staat abgewickelt wurde. Wenn die DDR auf Begriffe wie SED-Staat, SED-Diktatur, MfS-Staat [Ich gebrauche den Begriff STASI nicht. Er wird offiziell verwendet, als wäre STASI eine Steigerungsform von GESTAPO. Als ideologischer Kampfbegriff dient er zugleich dazu, Biografien unzähliger DDR-Bürger zu beschädigen. Die Staatssicherheit der DDR hieß korrekt: Ministerium für Staatssicherheit, in der Abkürzung MfS, war wie 40 andere Ministerien und Ämter auch ein Organ der Regierung der DDR und unterstand als solches dem Vorsitzenden des Ministerrates und in Grundsatzfragen zugleich dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Es arbeitete auf der Grundlage der Verfassung der DDR.] und ähnliche reduziert wird, dann ist dies nicht nur falsch und fragwürdig. Es zeugt vor allem von fehlendem Respekt vor den Menschen, die gern in der DDR gelebt und gearbeitet haben, denen die DDR ihre Heimat war.
Die Zeitung "junge Welt" veröffentlichte kürzlich das Protokoll einer Gewerkschaftsversammlung am BE vom Juni 1953. Bertolt Brecht äußerte sich auf dieser Versammlung unter dem Eindruck seiner unmittelbaren Erlebnisse am 17. Juni 1953 auf Berlins Straßen: "Der Westen kritisiert ja nicht die Fehler, die hier wirklich gemacht wurden, sondern kritisiert die Vorzüge dieses Staates. Diese Herren stört die Veränderung der Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln. Für sie herrscht hier zuviel Sozialismus, wo wir gerade davon reden, daß zu wenig Sozialismus herrscht." [Nach dem stenographischen Protokoll der Gewerkschaftsversammlung am Berliner Ensemble vom 24. 5. 1953.] Genau das ist der Punkt noch heute. Die Herrschenden werden der DDR nie verzeihen, daß sie dem Kapital und dem privaten Großgrundbesitz im Osten Deutschlands für 40 Jahre die Macht nahm. Sie kritisieren uns ja auch nicht wirklich wegen unserer Fehler. Die sind ihnen willkommen, um uns diskreditieren und demütigen zu können. Ihnen ist zuwider, daß es die DDR überhaupt gegeben hat. Aus ihren politischen Interessen heraus, von ihrem Klassenstandpunkt her, ist das durchaus verständlich.
Während Antikommunisten den Untergang der DDR mit dem Versagen der sozialistischen Idee gleichsetzen, behalten überzeugte Kommunisten und Sozialisten das sozialistische Ideal vor Augen. Sie lassen nicht zu, daß diese großartige Idee in Zusammenhänge gebracht wird, in die sie nicht gehört. Überrascht hat mich daher beispielsweise die Fragestellung im "Neuen Deutschland" [Siehe "Es kommt auf die Definition an", Neues Deutschland, 4. August 2006, S. 14.], ob es eine Linie gebe, von Lenin über Stalin, Mao, Ulbricht und Pol Pot. Na, das wär's dann: Pol Pots Verbrechen unter einem Dach mit Ulbrichts Wirken für die DDR! Wie viel Erfahrungen der Weltgeschichte, Erfahrungen von Revolutionen und Konterevolutionen, von Kriegen und Bürgerkriegen, von zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert und vom frühen Sozialismus in der DDR werden mit einer solchen Fragestellung ignoriert? Man kann in der Wissenschaft sicher viel miteinander vergleichen. Es muß aber vergleichbar sein. Obige Fragestellung halte ich für eine willkürliche Konstruktion, die wohl eher der Totalitarismuskonzeption als einem diskutablen Umgang von Linken mit der Geschichte des Sozialismus entspricht. Wer, wie ich, in Kampuchea die Folgen des Pol-Pot-Regimes mit eigenen Augen gesehen hat, findet angesichts der dortigen Grausamkeiten keine Worte darüber, daß Ulbricht und damit natürlich auch die DDR in solche Zusammenhänge gesetzt werden.
Wer Sozialismus will, kommt an den DDR-Erfahrungen nicht vorbei
Wenn ich höre oder lese, daß auch einige Funktionsträger der PDS meinen, die DDR sei zu Recht untergegangen, dann frage ich mich schon, wie das mit dem einst formulierten Ziel übereinstimmen soll, aus der Geschichte der DDR zu lernen, wie der Sozialismus der Zukunft sein könnte. Wer nur die Defizite der DDR summiert, landet bei grundsätzlichen Fehlschlüssen. Wer wirklich Sozialismus will, kommt an den Erfahrungen der DDR nicht vorbei - weder an den schmerzlich-negativen und erst recht nicht an den Werten und Vorzügen der DDR. Es sei denn, er ist der Meinung, die DDR sei ein Irrweg in der deutschen Geschichte gewesen. Das aber wäre weit mehr als nur historischer Hochmut. Kürzlich las ich von Gregor Gysi: "Wer sich heute demokratischer Sozialist nennt, darf nie vergessen: Mit der DDR ist etwas untergegangen, das die Menschen trotz sozialer und kultureller Leistungen nicht wollten. Punkt." [Superillu, Nr. 19/2006.] Einst hat sich Gregor gegen solche Falsch- und Bevormundungsurteile gewehrt. Und das zu Recht. Ich kenne auch Äußerungen von ihm, die genau das Gegenteil aussagen! Als demokratischer Sozialist frage ich doch zuerst: Was ist bewahrenswert an der DDR? Und ich stelle in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch die Frage: Was ist auf keinen Fall bewahrenswert?
Man sollte sich doch genau an die Situation im Herbst 89 erinnern. Sowohl bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig als auch auf dem Berliner Alexanderplatz überwogen Forderungen nach einer "Erneuerung des Sozialismus" und nach einer "reformierten DDR", was immer das auch konkret bedeuteten sollte. Erst als nach dem 9. November 1989 Reichskriegsflaggen in Leipzig auftauchten, die nachweislich Westimport waren, wurde aus der Losung: "Wir sind das Volk" der hineingetragene Slogan "Wir sind ein Volk". Sehr unterschiedliche politische Kräfte der DDR haben darauf in dem Aufruf "Für unser Land" die Alternative genannt: Entweder können wir auf der "Eigenständigkeit der DDR bestehen" oder " ... wir müssen dulden, ... daß die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik vereinnahmt wird." [Aufruf "Für unser Land", Neues Deutschland vom 29. November 1989.] Sie antworteten: "Noch haben wir eine Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln ...". [Ebenda] Sehr viele Menschen - ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Zahl - sprachen sich mit ihrer Unterschrift für diese Alternative aus. Ob das immer ehrlich war oder manche der Erstunterzeichner diese Position auch nur bezogen, um ihre wahren Absichten zu verbergen, muß jeder mit sich selbst ausmachen. Daß aber die Chance zur sozialistischen Alternative zur Bundesrepublik vertan wurde, hat ein Ensemble von Ursachen: Objektive und subjektive, historische und zeitgeschichtliche, nationale und internationale, ökonomische und ideologische, moralische und theoretische, vermeidbare und unvermeidbare, hausgemachte und von der DDR nicht beeinflußbare; kurz: Weit mehr als in der Behauptung Gysis zum Ausdruck kommt, demokratische Sozialisten müßten wissen, daß mit der DDR etwas untergegangen sei, das die Menschen nicht wollten. Und: Wenn sie sich anders als Gysi erinnern, können sie dann keine demokratischen Sozialisten sein?
Gregor Gysi meint, daß "die ganze DDR kleinbürgerlich strukturiert war". [Superillu] Was sind nach seiner Meinung kleinbürgerliche DDR-Strukturen? Die Struktur der Eigentumsverhältnisse, der Volkswirtschaft, des Bildungswesens, des Gesundheitswesens, die Bevölkerungsstruktur, die Justizstrukturen ...?
Zweifelsohne gab es kleinbürgerliches Bewußtsein und Verhalten; leider bis weit in die SED hinein. Ich leite aber eine politische Haltung von Menschen nicht in erster Linie von deren Wohnzimmereinrichtung oder deren ästhetischem Geschmack ab, sondern von gesellschaftlichen Klassen und Gruppen, ihren Interessen und ihren Beziehungen zueinander. Vielen, die heute arbeitslos sind, wird schmerzlich bewußt, daß ihnen der volkseigene Betrieb oder ihre Genossenschaft abhanden gekommen sind. Sie denken dabei wohl nicht so sehr an "kleinbürgerliche Strukturen", sondern mehr an den sicheren Arbeitsplatz und an reale Mitbestimmungsmöglichkeiten, die sie aus DDR-Zeiten kennen. Ich finde Bezeichnungen wie "Staatssozialismus", "Staatsparteisozialismus" und "Staatspartei" ohnehin abwegig, um faßbar sagen zu können, was die DDR und die SED waren. Es sind Kategorien, die einer sozialwissenschaftlichen Analyse nach marxschen Kriterien nicht standhalten. Für mich sind es bürgerliche Kampfbegriffe!
Die Ursachen für den Untergang der DDR sind doch nur zu einem Teil hausgemacht. Dieser Gedanke soll keineswegs eine Entschuldigung für das Versagen des Politbüros sein, dem ich angehörte. Untergegangen ist bekanntlich nicht nur die DDR, sondern ein Weltsystem, das vom Stillen Ozean bis an die Elbe reichte. Eine solche weltweite und epochale Entwicklung mit einem basta-ähnlichen "Punkt" abzutun, bleibt für mich einfach unverständlich und spricht eher für kleinbürgerliches Denken als für eine wissenschaftliche Analyse. Und was heißt die Menschen? Heute gibt es wohl so viele Meinungen über die DDR wie es einst Bürger gab. Das hängt zweifellos mit ihren sehr unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Da ist es schon interessant, auf sozialwissenschaftliche Forschungen zurückzugreifen. Nicht unbedingt auf kurzfristige Gutachten und Umfragen, die mit durchschaubarer Zielrichtung gerade vor Wahlen von Parteien bestellt werden. Der verdienstvolle Jugendforscher Prof. Peter Förster vom einstigen Jugendforschungsinstitut aus Leipzig hat seit 1987 an einer repräsentativen Längsschnittstudie gearbeitet. Er hat damals angefangen, junge Leute, die 1973 geboren wurden, über ihre politischen und weltanschaulichen Positionen zu befragen. 19mal wurden inzwischen dieselben Personen befragt. Das Besondere besteht darin, daß die Studie den Weg von DDR-Bürgern zu Bundesbürgern begleitet hat und Auskunft gibt, was in ihren Köpfen, in ihrem politischen Bewußtsein vor sich gegangen ist.
Bei aller Differenziertheit hat die Mehrheit der heute 34jährigen Befragten ihre Verbundenheit mit der DDR nicht aufgegeben. Politisch eng verbunden mit der Bundesrepublik fühlt sich nur eine Minderheit. Die Befragten meinen mehrheitlich, daß es in der DDR auf folgenden Gebieten besser als heute war: Soziale Sicherheit, Verhältnis der Menschen untereinander, Förderung der Familie, Betreuung der Kinder, Schulbildung, Schutz gegenüber Kriminalität, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der Frau und das Gesundheitswesen. Dies gewinnt noch an Gewicht, wenn viele Menschen - vor allem die Ärmsten der Armen - in der Gegenwart faktisch täglich das Gegenteil davon erleben und dies noch dazu als das Nonplusultra sozialer Politik angepriesen wird. [Siehe: Längsschnittstudie 1987-2005, Forschungsleiter und Verfasser: Prof. Peter Förster, Leipzig, April 2005.]
Europa 40 Jahre ohne Krieg
In jüngster Zeit werden von regierungsnahen Einrichtungen Forderungen laut, die DDR-Geschichte im Unterricht zu behandeln. Doch welche? Die, die die DDR auf einen "Unrechtsstaat" reduziert oder diejenige, die die DDR in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit, in ihren Erfolgen und Niederlagen, ihren Vorzügen und Defiziten, ihren Werten, Idealen und Realitäten zeigt? Die Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur" machen deutlich, daß die antikommunistische Sicht auf die DDR verfestigt werden soll. Umso dringender ist es, daß linke Kritiker der DDR sich diesen Positionen widersetzen.
Es mag ja eine parteiinterne Angelegenheit sein, wenn Bodo Ramelow meint: "Wer die Haltung vertritt, auch die Bundesrepublik Deutschland sei schuld an Mauerbau, Stacheldraht und Schießbefehl, muß bei uns mit scharfem Widerspruch rechnen." [Bodo Ramelow, Märkische Oderzeitung, 9. 8. 2006] Als PDS-Wähler frage ich mich dennoch: Wieso eigentlich soll Leuten widersprochen werden, die weiter nichts tun, als geschichtliche Tatsachen zu benennen? Man muß die Grenzsicherungsanlagen, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer quer durch Europa gingen, ja nicht schönreden. Das tue ich als einer der Verantwortungsträger der DDR auch nicht. Als Kommunist bedauere ich alles, wo Menschen zu Schaden kommen. Wer aber so tut, als habe die DDR-Führung pausenlos nur darüber nachgedacht, ihre Bürger einzusperren oder ihnen sonstwie zu schaden, geht an den Realitäten vorbei. Auch wir haben Politik nicht unter Treibhausbedingungen machen können. Es waren die Gesetze der Systemkonfrontation, die solche Grenzsicherungen hervorgebracht haben. Ich weiß, daß es auch unter Linken Publizisten gibt, die den Verweis auf die Systemauseinandersetzung bis 1989 als dogmatisches "Lagerdenken" bezeichnen. "Lagerdenken" war kein Einfall des SED-Politbüros, sondern gedanklicher Ausdruck der tatsächlich herrschenden Verhältnisse. Es existierte auf beiden Seiten. Und es besteht ja in der Beurteilung der DDR bei nicht wenigen Politikern bis heute.
Kompetente Zeitzeugen, auch aus den Reihen der SPD, kommen zu wesentlich anderen Erkenntnissen als Bodo Ramelow. Kein geringerer als Willy Brandt bestätigte 1988: Angesichts der Tatsache, daß und wie von deutschem Boden Krieg ausgegangen ist, sei der Mauerbau für die Westmächte ein "Datum der Erleichterung gewesen". [Willy Brandt, Vortrag vor der Friedrich-Ebert-Stiftung 1988.] Als ich vor Gericht stand, versuchte die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln zu verhindern, daß Egon Bahr, ein Weggefährte von Willy Brandt, als kompetenter Zeitzeuge aussagt. Erst nach langwieriger Diskussion zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht wurde er zugelassen, ohne daß seine Aussage später im Urteil berücksichtigt wurde. Man fürchtete seine Sachkenntnis. Er bezeugte dann auch aus eigenem Wissen: "Es handelte sich um die Grenze zwischen zwei gegeneinander aufmarschierten Bündnissen, besonders gefährlich, weil sie durch ein Volk ging und deshalb von den Führungsmächten besonders gesichert und kontrolliert wurde. Das war im Westen wie im Osten gleichermaßen zuverlässig, wenngleich den unterschiedlichen Systemen entsprechend ganz unterschiedlich organisiert." Bahr erinnerte an einen Brief von W. Brandt an J. F. Kennedy, in dem der damalige Regierende Bürgermeister von Westberlin die Vorgänge vom 13. August 1961 als "sowjetischen illegalen Schritt" bezeichnete. Darauf habe Kennedy definitiv geantwortet, es sei eine Entscheidung, "die nur Krieg verändern könne". Angesichts solch grundlegender weltpolitischer Zusammenhänge halte ich eine "einseitige Schuldzuweisung" und die Reduzierung der "Mauer" auf die Frage "erbaut, um die Leute nicht raus- und die Probleme nicht reinzulassen" [Gregor Gysi in Superillu] für unangemessen. Ich halte mich an Friedrich Engels, der bekannte: "Über geschichtliche Ereignisse beklagt man sich nicht, man bemüht sich im Gegenteil, ihre Ursachen zu verstehen und damit auch die Folgen." [Friedrich Engels, Vorwort zu 'Karl Marx vor den Kölner Geschworenen' , Marx/Engels, Band 21, S. 201.]
Natürlich weiß ich, daß man für Wahrheiten über die DDR, die nicht ins Konzept der Kinkelschen Delegitimierung passen, aus bestimmten Richtungen keinen Beifall bekommt. Aus meiner Sicht ist es ja auch nicht notwendig, daß linke Politiker mit Westherkunft oder solche, die erst nach 1990 politische Verantwortung übernahmen, über jeden Stock springen, den Fälscher der DDR-Geschichte ihnen in den Weg stellen. Sie brauchen ja nicht den schweren Rucksack mitzuschleppen, den der Kalte Krieg ihnen hinterlassen hat. Wichtiger als das ist ihr Kampf gegen Kriegspolitik und Sozialabbau heute. Doch geschichtliche Tatsachen, weltpolitische Zusammenhänge dürfen nicht negiert oder ins Gegenteil verkehrt werden. Und Zeitzeugen, die solche Tatsachen und Zusammenhänge aussprechen, sollten nicht als "Ewiggestrige" attackiert oder mit anderen gehässigen Etiketten versehen werden.
Aktuelle Ereignisse erinnern mich immer wieder an einen Text von vor mehr als 50 Jahren: Die sowjetische Regierung nannte die Bildung der Deutschen Demokratischen Republik einen "Wendepunkt in der Geschichte Europas". [Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz-Verlag Berlin 1966, Band 7, Seite 335.] Wenn die Völker der UdSSR und Deutschlands, hieß es "für den Frieden mit der gleichen Anspannung ihrer Kräfte kämpfen, mit der sie den Krieg geführt haben ... kann der Friede in Europa als gesichert betrachtet werden." Diese Voraussage hielt 40 Jahre. Solange die UdSSR und die DDR existierten, wurden in Europa keine Kriege geführt. NVA-Soldaten haben nie an Kampfeinsätzen gegen andere Völker teilgenommen. War die Gründung der DDR ein Wendepunkt, so wurde leider auch ihr Verschwinden von der politischen Landkarte ein Wendepunkt in Europa, allerdings mit entgegengesetzten Vorzeichen. Kriege wie in Jugoslawien und deutsche Beteiligungen daran wurden wieder möglich. Bundesdeutsche Soldaten im Mittleren Osten? Das alles war 1989 noch undenkbar. Rußlands Präsident Putin nennt den Zusammenbruch der Sowjetunion die "größte global-politische Katastrophe am Ende des 20. Jahrhunderts". Wer Sinn für Realitäten hat, wird dem beipflichten können. Spätestens jedoch seit dem Bekenntnis der Regierenden hierzulande, daß die Bundeswehr vermeintliche "deutsche Sicherheitsinteressen am Hindukusch verteidigt". Seit 1990/91 gibt es in Europa keinen staatlichen Gegenpol mehr zu dieser Politik.
Die amtliche Debatte über die DDR verläuft einseitig. Sie leidet unter dem bekannten und immer mal wieder anschwellenden Kommunistenhaß. Dazu gehört auch, daß weltpolitische Zusammenhänge ausgeblendet, DDR-Politik grundsätzlich nur "verwerfliche Zwecke" unterstellt und Entscheidungen der DDR-Führung mit Häme und Heuchelei begleitet werden. Zunehmend positive Erinnerungen an die DDR, die von den offiziellen Vorgaben abweichen, und unter anderem auch das Resultat von Vergleichen der beiden erlebten Gesellschaftssysteme durch frühere DDR-Bürger sind, werden spottend als DDR-Nostalgie denunziert. Notwendig ist eine ehrliche Diskussion über die Nachkrieggeschichte der beiden deutschen Staaten. Bei einer solchen Debatte würden auch an die alte Bundesrepublik sehr kritische Fragen gestellt werden. Solange diese aber als die Verkörperung alles Guten und Schönen in Deutschland gepriesen und die DDR verteufelt wird, solange wird es keine wirkliche deutsche Einheit geben können.
Egon Krenz: "Ãœber den Umgang mit der DDR-Geschichte - Gedanken zum 7. Oktober", Aus: "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS", Heft 10/2006, Link ...jetzt anmelden! Link ...jetzt anmelden!' target='blank, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Alles Negative wird der DDR angelastet
Egon Krenz, geboren 1937, war 1989 Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR.
Nach der Annektierung der DDR wurde Egon Krenz von einem BRD-Gericht zu 6,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt; 2003 wurde er aus der Haft entlassen.Vor knapp 10 Jahren stand ich einem Staatsanwalt gegenüber, der bis 1989 in der Altbundesrepublik für die Verfolgung der Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof des Herrn Freisler zuständig war. Sein "Verdienst" besteht darin, daß nicht ein einziger Richter oder Staatsanwalt dieses faschistischen Gerichtshofes rechtskräftig verurteilt wurde. Erst als es gegen Antifaschisten der DDR ging, erwachte seine Verfolgungsenergie. Während er in seinem Schlußvortrag 11 1/2 Jahre Haft für mich beantragte, mokierte er sich zugleich darüber, daß ich das Wort "Faschismus gebrauchte", wo es nach seiner Ideologie "Nationalsozialismus" heißen müßte. "Faschismus", so belehrte er mich, habe es in Deutschland nicht gegeben. Der habe nur in Italien geherrscht. Er unterstellte dreist, ich wolle wohl mit dem Gebrauch des Wortes "Faschismus die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen". "... und das offenbar zur Vermeidung des Gebrauchs der Bezeichnung ‚Nationalsozialismus', was unliebsame Assoziationen mit dem Realsozialismus [Das Wort "Realsozialismus" wurde in der DDR so nicht verwendet. Korrekt hieß es "Real existierender Sozialismus". Die Wortschöpfung "Realsozialismus" entstand in der Bundesrepublik offensichtlich, weil "Realsozialismus" und "Nationalsozialismus" sich wohl im Wortklang ähneln und dadurch beabsichtigte Assoziationen hergestellt werden sollen.] in der DDR hervorrufen könnte." [Plädoyer der Staatsanwaltschaft, gehalten am 28. und 31. Juli 1997. vor dem Landgericht Berlin.]
Offensichtlich wird in bestimmten Kreisen der Bundesrepublik der Terminus "Nationalsozialismus" auch deshalb gepflegt, um in verbaler Gleichsetzung den Begriff Sozialismus zu diskreditieren. Erst jüngst schlug ein Senator der Berliner Regierungskoalition in die gleiche Kerbe. Er setzte die GRH, eine Organisation, in der auch Menschen organisiert sind, die entweder Familienangehörige in Hitlers Konzentrationslagern verloren haben oder selbst vom Naziregime verfolgt wurden, mit den "Freundschaftsverbänden der Waffen-SS" gleich. Wer entschuldigend meinen sollte, es wären ja nur Journalisten, Juristen und Provinzpolitiker, die sich so extrem äußern, der wurde jüngst bei der Veranstaltung "Gedächtnis Buchenwald" in Weimar von einem Ministerialrat, einem hohen Beamten der Bundesregierung also, eines Besseren belehrt. Der Herr Professor, angeblich sogar Historiker, "vergaß" ganz nebenbei die Opfer des KZ Buchenwald, die vor ihm im Saal in der ersten Reihe saßen, und widmete sich dafür lieber den "Opfern von Flucht und Vertreibung" und der Erinnerung "an die Opfer des SED-Regimes". [Vergleiche Neues Deutschland vom 30. August 2006, S. 2.] Makaber! Für mich ist das nicht nur falsches Geschichtsbewußtsein oder "Erinnerungstäuschung". Ich empfinde es als Volksverhetzung.
In der DDR jedenfalls wußte schon jedes Kind, daß der "Nationalsozialismus" weder national noch sozialistisch war und daß sich die Kämpfer gegen ihn weltweit als Antifaschisten verstanden. So widerlich es auch ist, Naziverbrecher, die Krieg und Völkermord zu verantworten haben, und Kommunisten, die bekanntlich zu den ersten Opfern der faschistischen Diktatur gehörten, in eine Reihe zu stellen, so wenig erstaunt mich diese Art "Vergangenheitsaufarbeitung". Sie ist Ausdruck eines militant-primitiven Antikommunismus, der in der Bundesrepublik Staatsdoktrin ist. Das hat Tradition.
Seit es Kommunisten gibt, haben sich die alten Mächte zu einer "heiligen Hetzjagd" gegen das "Gespenst des Kommunismus" [Manifest der Kommunistischen Partei. Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 461.] verbündet, wie es schon Marx und Engels wußten. Seither gehören Schmähung und Verfolgung von Kommunisten zum politischen Geschäft von bürgerlichen Parteien, ihren Medien, ihren Historikern sowie ihren Richtern und Staatsanwälten. Einer der Väter der revolutionären deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, hat diese Erfahrung schon 1872 im Kaiserreich formuliert: "Wir sind Sozialisten, gut! Kommunisten, gut! Sind wir darum moralische Monstra ...? Freilich hat man uns als solche Monstra hingestellt ... Wir verlangen, daß man uns beurteile nach dem, was wir getan haben und was wir sind, nicht nach dem, was blinde Furcht und blinde Wut uns angedichtet, uns angelogen haben". [Der Leipziger Hochverratsprozeß vom Jahre 1872. Berlin, 1960, S. 350.]
Seit Konrad Adenauer 1949 in seiner ersten Regierungserklärung den Anspruch der alten Bundesrepublik erhob, für ganz Deutschland zu sprechen, wurde die DDR vom anderen deutschen Staat nicht nur ausgegrenzt, sondern zum politischen Monster erklärt.
Im Prinzip hat sich das bis heute nicht geändert. Mit einer Ausnahme: War die DDR für die Regierenden in der BRD bis 1989 das "Sprachrohr Moskaus", die "Marionette des Kreml" oder einfach die "Sowjetzone", die nur "Moskaus Befehlsempfänger" gewesen sein soll, so wurde sie im Nachhinein zum Gegenteil gemacht: Alle Härten und negativen Begleiterscheinungen des Kalten Krieges werden nun der DDR angelastet. Das wird für das Ziel gebraucht, den sozialistischen Gedanken ein für allemal auszurotten und die zunehmenden Gebrechen der kapitalistischen Gesellschaft als Folge "kommunistischer Herrschaft" zu verbrämen. Alles hat eben seine Funktion! Nachdem der Deutsche Bundestag Anfang der neunziger Jahre in seinem Enquete-Bericht über die DDR das Ziel verordnete, "Nie wieder Sozialismus", sind der Umgang mit der DDR sowie die Diskriminierung und Demütigung vieler ihrer Bürger nur diesem Ziel untergeordnet. Wen wundert's? Beurteilt werden die DDR und ihre Bürger nicht nach dem, was sie geschichtlich geleistet haben. Nicht danach, daß die DDR ein Friedensfaktor im Zentrum Europas war. Auch nicht danach, daß sie ihren Bürgern garantierte, was es zuvor in Deutschland noch nie gegeben hatte und was in der heutigen Gesellschaft von vielen vermißt wird: Arbeit für alle, soziale Sicherheit, enorme Fortschritte bei der Emanzipation der Frau, Kinder- und Familienfreundlichkeit, Fördern und Fordern der Jugend, ein modernes Gesundheits- und effektives Bildungssystem ...
Ein Gegenentwurf zur bisherigen deutschen Geschichte
Erst recht bleibt unberücksichtigt - und das ist das Entscheidende, das Weltgeschichtliche an der DDR - daß sie ein Gegenentwurf zur bisherigen deutschen Geschichte war und damit auch eine legitime Antwort auf die Restaurationsversuche in der alten Bundesrepublik. Freilich, noch mit vielen Unvollkommenheiten, mit folgenschweren Fehleinschätzungen, politischen Dummheiten und leider auch vermeidbaren Ungerechtigkeiten, die aufrichtige Sozialisten und Kommunisten mehr als nur bedauern. Was aber Kommunisten, Sozialdemokraten und ihre Verbündeten aus dem Bürgertum nach zwei Weltkriegen, die vom kapitalistischen Deutschland ausgegangen waren, unter enorm schweren Bedingungen gewagt hatten, war geschichtlich etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes in Deutschland. Es gab Gegner dieses historischen Prozesses, das ist wohl wahr: Wirkliche und vermeintliche. Es gab Mitläufer, Unzufriedene und auch eine Menge Karrieristen - wie sich zeigt, bis ins Politbüro hinein. Es gab aber auch - und das wird heute kaum noch erwähnt - Millionen Bürger, denen die DDR Herzenssache war und die sich für ihren Staat ein Leben lang engagierten. Sie leiden heute darunter, daß und wie ihr Staat abgewickelt wurde. Wenn die DDR auf Begriffe wie SED-Staat, SED-Diktatur, MfS-Staat [Ich gebrauche den Begriff STASI nicht. Er wird offiziell verwendet, als wäre STASI eine Steigerungsform von GESTAPO. Als ideologischer Kampfbegriff dient er zugleich dazu, Biografien unzähliger DDR-Bürger zu beschädigen. Die Staatssicherheit der DDR hieß korrekt: Ministerium für Staatssicherheit, in der Abkürzung MfS, war wie 40 andere Ministerien und Ämter auch ein Organ der Regierung der DDR und unterstand als solches dem Vorsitzenden des Ministerrates und in Grundsatzfragen zugleich dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Es arbeitete auf der Grundlage der Verfassung der DDR.] und ähnliche reduziert wird, dann ist dies nicht nur falsch und fragwürdig. Es zeugt vor allem von fehlendem Respekt vor den Menschen, die gern in der DDR gelebt und gearbeitet haben, denen die DDR ihre Heimat war.
Die Zeitung "junge Welt" veröffentlichte kürzlich das Protokoll einer Gewerkschaftsversammlung am BE vom Juni 1953. Bertolt Brecht äußerte sich auf dieser Versammlung unter dem Eindruck seiner unmittelbaren Erlebnisse am 17. Juni 1953 auf Berlins Straßen: "Der Westen kritisiert ja nicht die Fehler, die hier wirklich gemacht wurden, sondern kritisiert die Vorzüge dieses Staates. Diese Herren stört die Veränderung der Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln. Für sie herrscht hier zuviel Sozialismus, wo wir gerade davon reden, daß zu wenig Sozialismus herrscht." [Nach dem stenographischen Protokoll der Gewerkschaftsversammlung am Berliner Ensemble vom 24. 5. 1953.] Genau das ist der Punkt noch heute. Die Herrschenden werden der DDR nie verzeihen, daß sie dem Kapital und dem privaten Großgrundbesitz im Osten Deutschlands für 40 Jahre die Macht nahm. Sie kritisieren uns ja auch nicht wirklich wegen unserer Fehler. Die sind ihnen willkommen, um uns diskreditieren und demütigen zu können. Ihnen ist zuwider, daß es die DDR überhaupt gegeben hat. Aus ihren politischen Interessen heraus, von ihrem Klassenstandpunkt her, ist das durchaus verständlich.
Während Antikommunisten den Untergang der DDR mit dem Versagen der sozialistischen Idee gleichsetzen, behalten überzeugte Kommunisten und Sozialisten das sozialistische Ideal vor Augen. Sie lassen nicht zu, daß diese großartige Idee in Zusammenhänge gebracht wird, in die sie nicht gehört. Überrascht hat mich daher beispielsweise die Fragestellung im "Neuen Deutschland" [Siehe "Es kommt auf die Definition an", Neues Deutschland, 4. August 2006, S. 14.], ob es eine Linie gebe, von Lenin über Stalin, Mao, Ulbricht und Pol Pot. Na, das wär's dann: Pol Pots Verbrechen unter einem Dach mit Ulbrichts Wirken für die DDR! Wie viel Erfahrungen der Weltgeschichte, Erfahrungen von Revolutionen und Konterevolutionen, von Kriegen und Bürgerkriegen, von zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert und vom frühen Sozialismus in der DDR werden mit einer solchen Fragestellung ignoriert? Man kann in der Wissenschaft sicher viel miteinander vergleichen. Es muß aber vergleichbar sein. Obige Fragestellung halte ich für eine willkürliche Konstruktion, die wohl eher der Totalitarismuskonzeption als einem diskutablen Umgang von Linken mit der Geschichte des Sozialismus entspricht. Wer, wie ich, in Kampuchea die Folgen des Pol-Pot-Regimes mit eigenen Augen gesehen hat, findet angesichts der dortigen Grausamkeiten keine Worte darüber, daß Ulbricht und damit natürlich auch die DDR in solche Zusammenhänge gesetzt werden.
Wer Sozialismus will, kommt an den DDR-Erfahrungen nicht vorbei
Wenn ich höre oder lese, daß auch einige Funktionsträger der PDS meinen, die DDR sei zu Recht untergegangen, dann frage ich mich schon, wie das mit dem einst formulierten Ziel übereinstimmen soll, aus der Geschichte der DDR zu lernen, wie der Sozialismus der Zukunft sein könnte. Wer nur die Defizite der DDR summiert, landet bei grundsätzlichen Fehlschlüssen. Wer wirklich Sozialismus will, kommt an den Erfahrungen der DDR nicht vorbei - weder an den schmerzlich-negativen und erst recht nicht an den Werten und Vorzügen der DDR. Es sei denn, er ist der Meinung, die DDR sei ein Irrweg in der deutschen Geschichte gewesen. Das aber wäre weit mehr als nur historischer Hochmut. Kürzlich las ich von Gregor Gysi: "Wer sich heute demokratischer Sozialist nennt, darf nie vergessen: Mit der DDR ist etwas untergegangen, das die Menschen trotz sozialer und kultureller Leistungen nicht wollten. Punkt." [Superillu, Nr. 19/2006.] Einst hat sich Gregor gegen solche Falsch- und Bevormundungsurteile gewehrt. Und das zu Recht. Ich kenne auch Äußerungen von ihm, die genau das Gegenteil aussagen! Als demokratischer Sozialist frage ich doch zuerst: Was ist bewahrenswert an der DDR? Und ich stelle in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch die Frage: Was ist auf keinen Fall bewahrenswert?
Man sollte sich doch genau an die Situation im Herbst 89 erinnern. Sowohl bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig als auch auf dem Berliner Alexanderplatz überwogen Forderungen nach einer "Erneuerung des Sozialismus" und nach einer "reformierten DDR", was immer das auch konkret bedeuteten sollte. Erst als nach dem 9. November 1989 Reichskriegsflaggen in Leipzig auftauchten, die nachweislich Westimport waren, wurde aus der Losung: "Wir sind das Volk" der hineingetragene Slogan "Wir sind ein Volk". Sehr unterschiedliche politische Kräfte der DDR haben darauf in dem Aufruf "Für unser Land" die Alternative genannt: Entweder können wir auf der "Eigenständigkeit der DDR bestehen" oder " ... wir müssen dulden, ... daß die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik vereinnahmt wird." [Aufruf "Für unser Land", Neues Deutschland vom 29. November 1989.] Sie antworteten: "Noch haben wir eine Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln ...". [Ebenda] Sehr viele Menschen - ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Zahl - sprachen sich mit ihrer Unterschrift für diese Alternative aus. Ob das immer ehrlich war oder manche der Erstunterzeichner diese Position auch nur bezogen, um ihre wahren Absichten zu verbergen, muß jeder mit sich selbst ausmachen. Daß aber die Chance zur sozialistischen Alternative zur Bundesrepublik vertan wurde, hat ein Ensemble von Ursachen: Objektive und subjektive, historische und zeitgeschichtliche, nationale und internationale, ökonomische und ideologische, moralische und theoretische, vermeidbare und unvermeidbare, hausgemachte und von der DDR nicht beeinflußbare; kurz: Weit mehr als in der Behauptung Gysis zum Ausdruck kommt, demokratische Sozialisten müßten wissen, daß mit der DDR etwas untergegangen sei, das die Menschen nicht wollten. Und: Wenn sie sich anders als Gysi erinnern, können sie dann keine demokratischen Sozialisten sein?
Gregor Gysi meint, daß "die ganze DDR kleinbürgerlich strukturiert war". [Superillu] Was sind nach seiner Meinung kleinbürgerliche DDR-Strukturen? Die Struktur der Eigentumsverhältnisse, der Volkswirtschaft, des Bildungswesens, des Gesundheitswesens, die Bevölkerungsstruktur, die Justizstrukturen ...?
Zweifelsohne gab es kleinbürgerliches Bewußtsein und Verhalten; leider bis weit in die SED hinein. Ich leite aber eine politische Haltung von Menschen nicht in erster Linie von deren Wohnzimmereinrichtung oder deren ästhetischem Geschmack ab, sondern von gesellschaftlichen Klassen und Gruppen, ihren Interessen und ihren Beziehungen zueinander. Vielen, die heute arbeitslos sind, wird schmerzlich bewußt, daß ihnen der volkseigene Betrieb oder ihre Genossenschaft abhanden gekommen sind. Sie denken dabei wohl nicht so sehr an "kleinbürgerliche Strukturen", sondern mehr an den sicheren Arbeitsplatz und an reale Mitbestimmungsmöglichkeiten, die sie aus DDR-Zeiten kennen. Ich finde Bezeichnungen wie "Staatssozialismus", "Staatsparteisozialismus" und "Staatspartei" ohnehin abwegig, um faßbar sagen zu können, was die DDR und die SED waren. Es sind Kategorien, die einer sozialwissenschaftlichen Analyse nach marxschen Kriterien nicht standhalten. Für mich sind es bürgerliche Kampfbegriffe!
Die Ursachen für den Untergang der DDR sind doch nur zu einem Teil hausgemacht. Dieser Gedanke soll keineswegs eine Entschuldigung für das Versagen des Politbüros sein, dem ich angehörte. Untergegangen ist bekanntlich nicht nur die DDR, sondern ein Weltsystem, das vom Stillen Ozean bis an die Elbe reichte. Eine solche weltweite und epochale Entwicklung mit einem basta-ähnlichen "Punkt" abzutun, bleibt für mich einfach unverständlich und spricht eher für kleinbürgerliches Denken als für eine wissenschaftliche Analyse. Und was heißt die Menschen? Heute gibt es wohl so viele Meinungen über die DDR wie es einst Bürger gab. Das hängt zweifellos mit ihren sehr unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Da ist es schon interessant, auf sozialwissenschaftliche Forschungen zurückzugreifen. Nicht unbedingt auf kurzfristige Gutachten und Umfragen, die mit durchschaubarer Zielrichtung gerade vor Wahlen von Parteien bestellt werden. Der verdienstvolle Jugendforscher Prof. Peter Förster vom einstigen Jugendforschungsinstitut aus Leipzig hat seit 1987 an einer repräsentativen Längsschnittstudie gearbeitet. Er hat damals angefangen, junge Leute, die 1973 geboren wurden, über ihre politischen und weltanschaulichen Positionen zu befragen. 19mal wurden inzwischen dieselben Personen befragt. Das Besondere besteht darin, daß die Studie den Weg von DDR-Bürgern zu Bundesbürgern begleitet hat und Auskunft gibt, was in ihren Köpfen, in ihrem politischen Bewußtsein vor sich gegangen ist.
Bei aller Differenziertheit hat die Mehrheit der heute 34jährigen Befragten ihre Verbundenheit mit der DDR nicht aufgegeben. Politisch eng verbunden mit der Bundesrepublik fühlt sich nur eine Minderheit. Die Befragten meinen mehrheitlich, daß es in der DDR auf folgenden Gebieten besser als heute war: Soziale Sicherheit, Verhältnis der Menschen untereinander, Förderung der Familie, Betreuung der Kinder, Schulbildung, Schutz gegenüber Kriminalität, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der Frau und das Gesundheitswesen. Dies gewinnt noch an Gewicht, wenn viele Menschen - vor allem die Ärmsten der Armen - in der Gegenwart faktisch täglich das Gegenteil davon erleben und dies noch dazu als das Nonplusultra sozialer Politik angepriesen wird. [Siehe: Längsschnittstudie 1987-2005, Forschungsleiter und Verfasser: Prof. Peter Förster, Leipzig, April 2005.]
Europa 40 Jahre ohne Krieg
In jüngster Zeit werden von regierungsnahen Einrichtungen Forderungen laut, die DDR-Geschichte im Unterricht zu behandeln. Doch welche? Die, die die DDR auf einen "Unrechtsstaat" reduziert oder diejenige, die die DDR in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit, in ihren Erfolgen und Niederlagen, ihren Vorzügen und Defiziten, ihren Werten, Idealen und Realitäten zeigt? Die Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur" machen deutlich, daß die antikommunistische Sicht auf die DDR verfestigt werden soll. Umso dringender ist es, daß linke Kritiker der DDR sich diesen Positionen widersetzen.
Es mag ja eine parteiinterne Angelegenheit sein, wenn Bodo Ramelow meint: "Wer die Haltung vertritt, auch die Bundesrepublik Deutschland sei schuld an Mauerbau, Stacheldraht und Schießbefehl, muß bei uns mit scharfem Widerspruch rechnen." [Bodo Ramelow, Märkische Oderzeitung, 9. 8. 2006] Als PDS-Wähler frage ich mich dennoch: Wieso eigentlich soll Leuten widersprochen werden, die weiter nichts tun, als geschichtliche Tatsachen zu benennen? Man muß die Grenzsicherungsanlagen, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer quer durch Europa gingen, ja nicht schönreden. Das tue ich als einer der Verantwortungsträger der DDR auch nicht. Als Kommunist bedauere ich alles, wo Menschen zu Schaden kommen. Wer aber so tut, als habe die DDR-Führung pausenlos nur darüber nachgedacht, ihre Bürger einzusperren oder ihnen sonstwie zu schaden, geht an den Realitäten vorbei. Auch wir haben Politik nicht unter Treibhausbedingungen machen können. Es waren die Gesetze der Systemkonfrontation, die solche Grenzsicherungen hervorgebracht haben. Ich weiß, daß es auch unter Linken Publizisten gibt, die den Verweis auf die Systemauseinandersetzung bis 1989 als dogmatisches "Lagerdenken" bezeichnen. "Lagerdenken" war kein Einfall des SED-Politbüros, sondern gedanklicher Ausdruck der tatsächlich herrschenden Verhältnisse. Es existierte auf beiden Seiten. Und es besteht ja in der Beurteilung der DDR bei nicht wenigen Politikern bis heute.
Kompetente Zeitzeugen, auch aus den Reihen der SPD, kommen zu wesentlich anderen Erkenntnissen als Bodo Ramelow. Kein geringerer als Willy Brandt bestätigte 1988: Angesichts der Tatsache, daß und wie von deutschem Boden Krieg ausgegangen ist, sei der Mauerbau für die Westmächte ein "Datum der Erleichterung gewesen". [Willy Brandt, Vortrag vor der Friedrich-Ebert-Stiftung 1988.] Als ich vor Gericht stand, versuchte die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln zu verhindern, daß Egon Bahr, ein Weggefährte von Willy Brandt, als kompetenter Zeitzeuge aussagt. Erst nach langwieriger Diskussion zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht wurde er zugelassen, ohne daß seine Aussage später im Urteil berücksichtigt wurde. Man fürchtete seine Sachkenntnis. Er bezeugte dann auch aus eigenem Wissen: "Es handelte sich um die Grenze zwischen zwei gegeneinander aufmarschierten Bündnissen, besonders gefährlich, weil sie durch ein Volk ging und deshalb von den Führungsmächten besonders gesichert und kontrolliert wurde. Das war im Westen wie im Osten gleichermaßen zuverlässig, wenngleich den unterschiedlichen Systemen entsprechend ganz unterschiedlich organisiert." Bahr erinnerte an einen Brief von W. Brandt an J. F. Kennedy, in dem der damalige Regierende Bürgermeister von Westberlin die Vorgänge vom 13. August 1961 als "sowjetischen illegalen Schritt" bezeichnete. Darauf habe Kennedy definitiv geantwortet, es sei eine Entscheidung, "die nur Krieg verändern könne". Angesichts solch grundlegender weltpolitischer Zusammenhänge halte ich eine "einseitige Schuldzuweisung" und die Reduzierung der "Mauer" auf die Frage "erbaut, um die Leute nicht raus- und die Probleme nicht reinzulassen" [Gregor Gysi in Superillu] für unangemessen. Ich halte mich an Friedrich Engels, der bekannte: "Über geschichtliche Ereignisse beklagt man sich nicht, man bemüht sich im Gegenteil, ihre Ursachen zu verstehen und damit auch die Folgen." [Friedrich Engels, Vorwort zu 'Karl Marx vor den Kölner Geschworenen' , Marx/Engels, Band 21, S. 201.]
Natürlich weiß ich, daß man für Wahrheiten über die DDR, die nicht ins Konzept der Kinkelschen Delegitimierung passen, aus bestimmten Richtungen keinen Beifall bekommt. Aus meiner Sicht ist es ja auch nicht notwendig, daß linke Politiker mit Westherkunft oder solche, die erst nach 1990 politische Verantwortung übernahmen, über jeden Stock springen, den Fälscher der DDR-Geschichte ihnen in den Weg stellen. Sie brauchen ja nicht den schweren Rucksack mitzuschleppen, den der Kalte Krieg ihnen hinterlassen hat. Wichtiger als das ist ihr Kampf gegen Kriegspolitik und Sozialabbau heute. Doch geschichtliche Tatsachen, weltpolitische Zusammenhänge dürfen nicht negiert oder ins Gegenteil verkehrt werden. Und Zeitzeugen, die solche Tatsachen und Zusammenhänge aussprechen, sollten nicht als "Ewiggestrige" attackiert oder mit anderen gehässigen Etiketten versehen werden.
Aktuelle Ereignisse erinnern mich immer wieder an einen Text von vor mehr als 50 Jahren: Die sowjetische Regierung nannte die Bildung der Deutschen Demokratischen Republik einen "Wendepunkt in der Geschichte Europas". [Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz-Verlag Berlin 1966, Band 7, Seite 335.] Wenn die Völker der UdSSR und Deutschlands, hieß es "für den Frieden mit der gleichen Anspannung ihrer Kräfte kämpfen, mit der sie den Krieg geführt haben ... kann der Friede in Europa als gesichert betrachtet werden." Diese Voraussage hielt 40 Jahre. Solange die UdSSR und die DDR existierten, wurden in Europa keine Kriege geführt. NVA-Soldaten haben nie an Kampfeinsätzen gegen andere Völker teilgenommen. War die Gründung der DDR ein Wendepunkt, so wurde leider auch ihr Verschwinden von der politischen Landkarte ein Wendepunkt in Europa, allerdings mit entgegengesetzten Vorzeichen. Kriege wie in Jugoslawien und deutsche Beteiligungen daran wurden wieder möglich. Bundesdeutsche Soldaten im Mittleren Osten? Das alles war 1989 noch undenkbar. Rußlands Präsident Putin nennt den Zusammenbruch der Sowjetunion die "größte global-politische Katastrophe am Ende des 20. Jahrhunderts". Wer Sinn für Realitäten hat, wird dem beipflichten können. Spätestens jedoch seit dem Bekenntnis der Regierenden hierzulande, daß die Bundeswehr vermeintliche "deutsche Sicherheitsinteressen am Hindukusch verteidigt". Seit 1990/91 gibt es in Europa keinen staatlichen Gegenpol mehr zu dieser Politik.
Die amtliche Debatte über die DDR verläuft einseitig. Sie leidet unter dem bekannten und immer mal wieder anschwellenden Kommunistenhaß. Dazu gehört auch, daß weltpolitische Zusammenhänge ausgeblendet, DDR-Politik grundsätzlich nur "verwerfliche Zwecke" unterstellt und Entscheidungen der DDR-Führung mit Häme und Heuchelei begleitet werden. Zunehmend positive Erinnerungen an die DDR, die von den offiziellen Vorgaben abweichen, und unter anderem auch das Resultat von Vergleichen der beiden erlebten Gesellschaftssysteme durch frühere DDR-Bürger sind, werden spottend als DDR-Nostalgie denunziert. Notwendig ist eine ehrliche Diskussion über die Nachkrieggeschichte der beiden deutschen Staaten. Bei einer solchen Debatte würden auch an die alte Bundesrepublik sehr kritische Fragen gestellt werden. Solange diese aber als die Verkörperung alles Guten und Schönen in Deutschland gepriesen und die DDR verteufelt wird, solange wird es keine wirkliche deutsche Einheit geben können.
Egon Krenz: "Ãœber den Umgang mit der DDR-Geschichte - Gedanken zum 7. Oktober", Aus: "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS", Heft 10/2006, Link ...jetzt anmelden! Link ...jetzt anmelden!' target='blank, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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