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Merkel und Gauck
  begonnen von paulina am 20.02.2012  | 15 Antworten
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NEUES THEMA20.02.2012, 18:56 Uhr
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paulina

• Merkel und Gauck guten abend allerseits,
kann mir mal jemand erklären, was genau die merkel eigentlich gegen den gauck hat?
NEUER BEITRAG20.02.2012, 20:40 Uhr
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retmarut

Merkel und Gauck Es gibt leider viel zu wenige, die etwas gegen einen reaktionären Hetzer wie Joachim Gauck haben, vgl. seine Umfragewerte. Mittlerweile wird alss "Präsident der Herzen" in den Medien gepusht.
Merkel hat rein garnichts gegen Gauck, für sie ist er sogar ein "wahrer Demokratielehrer".

Ihr passt es halt nur nicht, dass die FDP mit Koalitionsbruch gedroht hat, falls Gauck nicht nominiert wird. (Das einzige, was die 2-Prozent-Partei FDP überhaupt noch an Machtmittel hat.)

Nach dem Grüßonkel aus Hannover jetzt also der selbsternannte Linkenfresser aus Rostock. Passt doch eigentlich ganz gut zum rabiaten außenpolitischen Auftreten des deutschen Imperialismus.
NEUER BEITRAG21.02.2012, 09:11 Uhr
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paulina

Merkel und Gauck das reicht mir nicht, finde ich auch unlogisch. wenn sie ihn so toll fände und einen "wahren demokratielehrer" usw., hätte sie sich ja gleich mit seiner nominierung einverstanden erklären können und hätte sich den ganzen krach gespart. außerdem hätte sie dann auch den "parteiübergreifenden" (haha) kandidaten gehabt, den sich ja alle angeblich gewünscht hatten, und hätte das ganze parlament als einen friede-freude-eierkuchen-haufen darstellen können, der sich zum wohle deutschlands auf gauck geeinigt hat. nee, irgendwas anderes muß da noch sein - ich hab aber bis jetzt nur verschwommene vorstellungen, was... mal ein vorschlag: ist er sogar ihr ZU reaktionär (er hat ja z.b. die oder-neiße-grenze mal als "machwerk von kommunisten" bezeichnet und also nicht anerkannt), und sie fürchtet, daß er womöglich noch ganz andere sprüche vom stapel lassen könnte und damit deutschlands ruf nicht gerade weiter verbessert? und in der ddr scheint er ja nicht gerade beliebt zu sein - also wieder ein schritt zurück auf dem weg zur "inneren einheit"?
werde ich übrigens nie verstehen, wieso die ddr so einen typen nicht in die fabrik geschickt hat, sondern auch noch theologie (!!) studieren ließ. das hat man dann davon...
NEUER BEITRAG21.02.2012, 10:52 Uhr
EDIT: Toto
21.02.2012, 10:53 Uhr
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Toto

Merkel und Gauck Auch wenn ich hier jetzt reine Spekulation betreibe.

Innerhalb der kapitalistischen Klasse gibt es scharfe Auseinandersetzung um Positionierung ihres Personals (Austausch von 2 Bundespräsidenten innerhalb von 2 Jahre, den mind. 6 Ministerpräsidentenaustausch in den Ländern, mehrere Ministerpöstchen, 1 Parteivorsiteznde sowie Sturz einer Partei). Da kann ich nur sagen, dort oben ist die Hölle los!

Und noch mal in gewissen Systematik zu bringen, was da los ist. Merkels Regierungserklärung wortgleich:
"Gestatten Sie mir angesichts der Lage nicht nur der ökonomischen Lage wegen der Schuldenkrise, sondern auch der politischen Lage in einzelnen Staaten Europas zum Schluss ein persönliches Wort. Niemand sollte glauben, dass ein weiteres halbes Jahrhundert Frieden und Wohlstand in Europa selbstverständlich ist. Es ist es nicht. Deshalb sage ich: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa." Als Kohlschülerin weiss sie Europa ist eine Frage von Krieg und Frieden!
Es gibt in Deutschland ja die bekannten 2 Strategien des Kapitals zur Herrschaft über Europa und erscheint mir Frau Merkel-Schäuble als Vertreterin einer bestimmten Weg und zwar den friedlichen kooperativen Weg. Der Gauck als Kommunistenjäger und Anhänger einer Politik der totalen sozialen Kahlschlag nicht nur HartzIV-Gesetze wird in der EURO-Politik keine Merkelkonforme Form finden, wer weiss, ob er "Griechenlands" Hilfen in dieser Form zustimme. Er ist zumindest für Merkel nicht einzuschätzen und somit ein Gefahr für Merkels Politik sowie ihre Hintermänner. Merkel wird mit Schäuble allerdings wissen, wo Gauck einzuordnen ist, als Vertreter einen ganz anderen Weg. Er ist für Merkel zu reaktionär!
NEUER BEITRAG21.02.2012, 12:16 Uhr
EDIT: retmarut
21.02.2012, 12:30 Uhr
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retmarut

Merkel und Gauck @ Paulina:
Es ist ja politisch schon eine Schlappe für die CDU, dass ihr kleiner, kaum noch überlebensfähiger Koalitionspartner jetzt vors Mikrophon schlappt, um den internen Präsidentenkandidaten zu nominieren. Das ist schon ein Affront gegen die koalitionsinterne Hackordnung. Kein Wunder, dass da einige in der CDU/CSU auf die Barrikaden gehen.

"mal ein vorschlag: ist er sogar ihr ZU reaktionär (er hat ja z.b. die oder-neiße-grenze mal als "machwerk von kommunisten" bezeichnet und also nicht anerkannt)"
Diese Hypothese lässt sich nicht aufrecht erhalten.Die CDU hatte nie Probleme, reaktionäre Knochen für die Präsidentschaftswahl aufzustellen. Erinnert sei nur an solche Gestalten wie Karl Carstens oder Roman Herzog. Gegen die These spricht zudem, dass Gauck auch von der SPD und den Grünen (er war 2010 ihr gemeinsamer Gegenkandidat zu Wulff) getragen wird, die also diesen Grad der Reaktion mittlerweile bedenkenlos mittragen. Gauck ist eventuell sogar wegen und nicht trotz seiner reaktionären und antikommunistischen Haltung ein Präsidentenkandidat, auf den sich die bürgerliche Klasse intern verständigen kann.

Der Ablauf könnte sich so abgespielt haben: Offensichtlich wurde Gauck bereits in der Regierungskoalition als künftiger Kandidat gehandelt, während parallel Wulff systematisch demontiert wurde. Überlegung dabei: Gauck musste nicht noch extra medial aufgebaut werden, die Opposition musste (nach ihrer taktischen Entscheidung 2010 für Gauck) den Typen auch künftig mittragen, um sich nicht lächerlich zu machen.
Die FDP, auf jedes bisschen Aufmerksamkeit angewiesen, ist entgegen der Weisungskompetenz der Kanzlerin vorgeprescht, um sich selbst die Lorbeeren der Nominierung zu sichern. Dabei hat sie offenbar auch mit Koalitionsbruch gedroht. (Wie gesagt, das einzige Mittel, das die FDP überhaupt noch in die politische Waagschale werfen kann.)

"und in der ddr scheint er ja nicht gerade beliebt zu sein" - Mach Dir da mal bitte keine Illusionen: Gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bekommt Gauck überdurchschnittliche Zustimmungswerte. 2010 hat die Tagesschau anlässlich der damaligen Präsidentenwahl eine Infratest Dimap Umfrage in Auftrag gegeben. Ergebnis: "40 Prozent der Bundesbürger würden sich für Gauck entscheiden - davon 39 Prozent der Westdeutschen und 47 Prozent der Ostdeutschen." - Und da strahlte der Hannoveraner als CDU/CSU-Kandidat noch wie ein Honigkuchenpferdchen. Heute als "Kandidat der Herzen", hinter dem sich alle bürgerlichen Parteien sowie das Gros der bürgerlichen Presse stellen, wird Gauck vermutlich noch wesentlich besser abschneiden. Warten wir mal die kommende Umfrage ab.

"werde ich übrigens nie verstehen, wieso die ddr so einen typen nicht in die fabrik geschickt hat, sondern auch noch theologie (!!) studieren ließ. das hat man dann davon..." - Da merkt mensch, dass Du aus dem Westen kommst. Ganz so schablonenhaft läuft es halt nicht beim Aufbau des Sozialismus, wenn Du nicht größere Teile der eigenen Bevölkerung in die Hände des Gegners treiben willst. ;)

Die DDR hat versucht, die protestantische Kirche als offen reaktionären Faktor zu neutralisieren und zu kanalisieren, indem ihr gesetzlich ein bestimmter rechtlicher Rahmen der Religionsausübung und Priesterausbildung zur Verfügung gestellt wurde. Das bedeutete aber auch, dass innerhalb dieses Rahmens die protestantische Kirche dann selbständig schalten und walten konnte. Entsprechend wurden solche Gestalten wie Gauck (und er ist ja nur einer von vielen, die durch diese antikommunistische Schule gingen) gefördert. Ein weiterer Hintergedanke der sozialistischen Staatsführung mag gewesen sein, dass die offenen Staatsfeinde so unter dem Dach der christlichen Kirche gebündelt sind und damit ihr Treiben besser überwacht werden kann.
Ab den 1970ern kommt noch dazu, dass im Rahmen der sog. "Menschenrechtskampagne" der NATO-Staaten massiv Druck auf die realsozialistischen Staaten ausgeübt wurde (Stichwort Charta 77 etc.), gegen den sich die DDR (so jedenfalls meine Meinung dazu) nicht ausreichend aktiv gewehrt hat, um die neue westdeutsche Ostpolitik nicht zu gefährden. In solchem Klima hat sich jedenfalls der politische Spielraum der reaktionären Kräfte in den Kirchen der DDR wesentlich erweitert.

Das Problem, dass vom bürgerlichen Gegner versucht wird, innerhalb sozialistischer Staaten Kirchen (bzw. religiöse Gruppen allgemein) als Nuklei der Konterrevolution zu installieren, wird sich nicht gänzlich vermeiden lassen, wenn mensch die Religionsfreiheit ernst nimmt. (Und Religion ist ja bekanntlich "Opium des Volkes", also ein reales Bedürfnis, und kann nicht einfach wegdekretiert werden.) Statt eines Religionsverbotes o.ä. Irrsinn zahlt es sich weit mehr aus, auf allen Ebenen die materialistische Weltanschauung, gerade auch in Kontrast zur Religion, wissenschaftlich darzulegen und zu fördern. Die DDR hat es auf diesem Wege immerhin geschafft, dass über 70% der Bevölkerung keinerlei religiöser Weltanschauung mehr anhängen. - Und dieser Wert hält sich trotz diverser Missionierungsversuche nach 1990 auch noch 22 Jahre nach Ende der DDR auf gleichbleibend hohem Niveau.

@ Toto:
"Er ist für Merkel zu reaktionär!" - Diese Einschätzung halte ich wiederum für irreführend, s.o.
NEUER BEITRAG21.02.2012, 12:50 Uhr
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retmarut

Merkel und Gauck Noch der Hinweis auf gfp vom 21.02.2012: Der Konsenspräsident

Die Zeiten des Grüßonkels sind vorerst vorbei. Hier als Remineszenz: "Ich bin der Präsident" von Rainald Grebe.
NEUER BEITRAG21.02.2012, 12:52 Uhr
EDIT: secarts
21.02.2012, 12:55 Uhr
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secarts

Merkel und Gauck "Er ist für Merkel zu reaktionär!"

Ich denke, dass da etwas dran ist.

Zunächst finde ich ja immer noch verblüffend, dass ausgerechnet SPD und Grüne mit Gauck einen Mann aufgestellt haben, der - realistisch betrachtet - irgendwo am rechten Rand der CDU/CSU zu verorten wäre... Gauck arbeitet mit Erika Steinbach zusammen am "Zentrum gegen Vertreibungen", stellt die Oder-Neiße-Grenze in Frage und referiert im rechtslastigen "Studienzentrum Weikersheim" - von seinen asozialen Entgleisungen, seiner Unterstützung für Sarrazin etc. mal zu schweigen. Alleine nach bürgerlich-demokratischen Gesichtspunkten ist der Mann fragwürdig:
Der "Fokus" hat 2010 eine Story gebracht, die mir für Gauck, sein protestantisch-reaktionäres Umfeld und seinen geistigen Nährboden erhellend zu sein scheint: "FOCUS recherchierte die bisher unbekannte Leitfigur von Joachim Gauck. Gerhard Schmitt, erst Nazi-Funktionär und später erbitterter Gegner der SED-Diktatur, prägte den Präsidentschaftskandidaten." ("Das Geheimnis um den Onkel")
Das Ganze riecht schon fast nach einer Art Neuauflage der Konstellation Roman Herzog - Theodor Maunz. Als väterlicher Freund hatte der wichtige, offiziell durchweg anerkannte Grundgesetzkommentator Maunz nicht nur Roman Herzog entscheidend politisch beeinflusst; er hat auch - das kam erst nach seinem Tod heraus - unter Pseudonym fleissig für Gerhard Freys "National-Zeitung" geschrieben. Die "erste Reihe", die direkt faschistisch belasteten Typen, können nicht einfach so nach ganz vorne geschoben werden. Die zweite Reihe hingegen ist schon diskutabler - über solche "Erblinien" werden zudem ganze politische Millieus tradiert. Bei Gauck wie bei Herzog.

Meine These: Von SPD und Grünen aufgestellt wurde er 2010 nur, weil seine Niederlage rechnerisch sowieso klar war - ein rein parteitaktisches Manöver also, gegen die LINKE, aber auch gegen die CDU. Merkel hat sich gegen ihn gesträubt, so lange es nur ging. Warum?
- Zunächst dürfte sie mehr Informationen über den Neuen haben als die "Öffentlichkeit" - ihr arbeiten schließlich alle möglichen Dienste zu. WAS sie da möglicherweise über Gauck in Erfahrung gebracht hat, weiß ich nicht.
- Merkels EU-Politik weckt in halb Europa den Zorn der Bevölkerungen. Mit Gauck nun einen offenen Revanchisten auf das höchste (repräsentative) Amt zu hieven dürfte da politisch kaum geschickt sein. Auch wenn Gauck - warum eigentlich? - in Deutschland kaum als Rechter gilt; das Ausland dürfte schnell geeignete Äußerungen des Dampfplauderers munitionieren. Unpassend beim Kampf um die Hegemonie in Europa, denn da steht Merkel tatsächlich für die ökonomische Expansion, nicht aber für eine deutsche Kerneuropastrategie.
- In Zeiten der Krise ist jemand wie Gauck, der - so hieß es mehrfach in CDU-Kreisen - "nur Freiheit kann", kein geeigneter Volkstribun. Mit seinen hausbackenen neoklassischen Binsenweisheiten steht Gauck für einen Elitedünkel und eine Kahlschlagsmentalität, die sozial spaltend wirken könnte.
- Gauck ist, obschon ostdeutscher Herkunft, ein Wessi-Phänomen (irgendwelchen Umfragen zum Trotz - das hatten wir doch nun schon oft, und wie wenig diese Umfragen tatsächlich selbst aussagen, wissen wir auch). Zu viele Biographien wurden durch das Wirken seiner Behörde vernichtet, fast jede ostdeutsche Familie dürfte dafür Beispiele haben. Der Generalverdacht, unter den die ehemaligen DDR-Bürger durch die Gauck-Behörde gestellt wurden und werden, dürfte eine "gesamtnationale" Einigung auf Gauck als integrative Figur torpedieren. Eine "West-Volksgemeinschaft" unter Ausschluß des Ostens ist jedoch eine brandgefährliche Sache: Da könnten 16 Millionen auf dumme Ideen kommen. Der Affront gegen die LINKE ist dementsprechend auch politisch hochriskant. Nur: damit gerechnet haben, dass ihr Mann durchkommt, dürften Grüne und SPD ursprünglich sowieso nicht. Bis dann Wulff zum Abschuß freigegeben wurde...

Last, but not least: falls Merkel, wie das ja manchmal gemutmaßt wurde, das Präsidialamt zugunsten des Kanzleramts schwächen wollte, so ist ihr dies augenscheinlich überhaupt nicht gelungen (ich fand diese Erklärung sowieso nie einleuchtend - einen handzahmeren Verbündeten als Wulff konnte sich Merkel schließlich kaum wünschen...). Im Gegenteil: mit einem Präsidenten Gauck können wir uns darauf gefasst machen, auch mal die anderen, nicht-repräsentativen Funktionen kennenzulernen, über die das Amt ja durchaus verfügt...

Gauck als Präsident: das ist ein Rechtsruck und eine Niederlage für die bürgerliche Demokratie. Dass es, wieder einmal, Sozialdemokraten waren, die aus purer Taktiererei und aus purer Blödheit den Steigbügelhalter spielten, wird sich noch einmal böse rächen.
NEUER BEITRAG21.02.2012, 14:41 Uhr
Nutzer / in
secarts

Gauck und die NSU-Morde Aus der Welt / 17.11.2011:

"Berlin. Der *Bürgerrechtler* und *evangelische Pastor* Joachim Gauck
hat einen Staatsakt für die Opfer der rechtsextremistischen
Terroristen aus Zwickau abgelehnt. "Von dem Vorschlag, für die Opfer
der gerade bekannt gewordenen Mordserie von Neonazis einen
*Staatsakt* zu veranstalten, halte ich nichts", sagte er der "Welt".
Ein Trauergottesdienst oder ein staatlicher Trauerakt schienen ihm
*nicht "die richtige Form zu sein, um Toter zu gedenken, deren
Ermordung schon so lange zurückliegt*". Ein Staatsakt könne nur eine
unmittelbare Reaktion auf ein Ereignis sein....
NEUER BEITRAG21.02.2012, 15:12 Uhr
EDIT: retmarut
21.02.2012, 15:16 Uhr
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retmarut

Merkel und Gauck @ secarts:

"Gauck als Präsident: das ist ein Rechtsruck und eine Niederlage für die bürgerliche Demokratie." - Da stimme ich Dir absolut zu.

"Gauck ist, obschon ostdeutscher Herkunft, ein Wessi-Phänomen (irgendwelchen Umfragen zum Trotz - das hatten wir doch nun schon oft, und wie wenig diese Umfragen tatsächlich selbst aussagen, wissen wir auch). Zu viele Biographien wurden durch das Wirken seiner Behörde vernichtet, fast jede ostdeutsche Familie dürfte dafür Beispiele haben. Der Generalverdacht, unter den die ehemaligen DDR-Bürger durch die Gauck-Behörde gestellt wurden und werden, dürfte eine "gesamtnationale" Einigung auf Gauck als integrative Figur torpedieren."

Sorry, aber in dem Punkt idealisierst Du die Bevölkerung in der ehemaligen DDR. Es fühlt sich eben nicht jede ostdeutsche Familie davon direkt betroffen. Die seit Jahren stabilen Wahlerfolge der CDU in Sachsen, Thüringen, MV basieren mittlerweile auf sehr tiefsitzenden konservativen und antikommunistischen Weltbildern. Das lässt sich mit dem Schlagwort "Westimporte" mittlerweile wirklich nicht mehr abhandeln.
Die CDU ist immer noch die mit Abstand stärkste Partei im Osten. Und die CDU im Osten ist eben keine hippe, sozialliberal geschmückte wie in Hamburg oder NRW, sondern wie in Bayern und Hessen tiefster völkischer Bodensatz. Die "sächsischen Verhältnisse" (das Bundesland ist mittlerweile ähnlich reaktionär wie Bayern) sind ein konkreter Auswurf dieses Bodensatzes.

Btw: 2009 wählten bei der Bundestagswahl im Osten immerhin 29,5% die CDU, 11% die FDP, das sind zusammen 40,5%. Einziges wahrnehmbares Gegengewicht dazu ist die PDL mit 26,4%. - So sehen die widergespiegelten gesellschaftlichen Verhältnisse im Osten derzeit tendenziell aus. (Ich gehe mal davon aus, dass Du Wahlergebnissen mehr Vertrauen entgegenbringst als Umfragen. Wobei die Umfragen der seriösen Institute im Schnitt +/- 3% an den realen Ergebnissen liegen. Aber die Diskussion bzgl. Aussagekraft von Meinungsumfragen müssen wir hier nicht noch mal auftauen.)

Noch einmal kurz zu Gauck:
Außenpolitisch: Gaucks Markenzeichen ist der Antikommunismus und die damit einhergehende Totalitarismus-Weltsicht, dazu antimuslimische Vorurteile. Damit fügt er sich doch optimal dem derzeitigen bürgerlichen Mainstream in Europa ein, insb. in Mittel-Ost-Europa. Das birgt die Gefahr, dass die BRD auf lange Sicht über diesen ideologischen Hebel ihren Hinterhof damit noch stärker an sich bindet als bisher. - Warten wir mal ab, wie die Reaktionen aus Polen und der CSR auf die Gauck-Nominierung sind. Ich vermute, da dominiert eher das Verbindende, nämlich der aggressive Antikommunismus.

Innenpolitisch: Ich glaube, derzeit braucht es in der Krise aus Sicht der Bourgeoisie auch keinen mitreissenden "Volkstribun", sondern einen Allrounder, der alle bürgerlichen Parteien sowie die SPD ideologisch mit einbinden kann, das Loblied auf die abstrakte "Freiheit" singt und gleichzeitig die soziale Frage auf andere Aspekte ablenkt, z.B. wirre Angstkampagnen vor der "Wiederkehr des Bolschewismus" oder der Übernahme Europas durch eingewanderte "muslimische Horden". Angstkampagnen sind bekanntlich in akuten Krisenzeiten stets ein probates Mittel, um die bürgerliche Herrschaft abzusichern.

Ohne Frage, die Luft für demokratische, antifaschistische und sozialistische Positionen würde mit einem Gauck dünner. Aber weder die Grünen noch die SPD im Osten (für letztere gilt das nur eingeschränkt, siehe z.B. Sellerings - ein ehemaliger Wessi btw - positive Bezugnahmen auf die DDR-Gesellschaft) haben mehrheitlich ein neutrales oder gar positives Verhältnis zur DDR. Denen geht es primär darum, der PDL das Wasser abzugraben, denn solange es die in den Bundestag schafft, gehen ihnen Prozentpunkte für eine rot-grüne Koalition verloren. Entsprechend ist das nicht einmal unbewusste Naivität, sondern bewusste Taktik seitens SPD und Grünen.
Dass das auch nach hinten gehen kann, wenn die Reissleine nicht früh genug gezogen wird, zeigt das Beispiel Hindenburg, der ja weiland auch von der SPD als Präsidentenkandidat getragen wurde. Die Konsequenzen haben wir ja im Januar 1933 gesehen.
NEUER BEITRAG21.02.2012, 15:28 Uhr
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secarts

Merkel und Gauck @retmarut:

"Sorry, aber in dem Punkt idealisierst Du die Bevölkerung in der ehemaligen DDR. Es fühlt sich eben nicht jede ostdeutsche Familie davon direkt betroffen. "

Es ist doch etwas komplexer, denke ich.

Über allen politischen Fragen geht eben doch noch eine Spaltung durch die BRD, die nach Ost und West differenziert. Der Grüne, SPDler, CDUler ist eben immer noch zuerst Wessi oder Ossi, dann Grüner, SPDler, CDUler... das hat auch überhaupt nix mit der individuellen Stellung zur BRD, zur DDR oder zur bürgerlichen Demokratie zu tun, sondern mit der Delegitimierung ganzer Biographien - und nicht nur derjenigen mit SED-Parteibuch. Dazu müssen sich ganz konkret alle Ostdeutschen (eines gewissen Alters natürlich) verhalten, ob nun damals oppositionell oder pro-DDR (solange sie nicht zur Handvoll abgefeierter "Dissidenten" gehören, wie Gauck selbst): das, was sie 40 Jahre lang gemacht haben, zählt bestenfalls halb. Manchmal gar nicht. Und Ex-Behördenchef Gauck ist das "Gesicht" dieser DDR-Abwicklung.

Gauck ist genausowenig besonders ost-populär wie die Ostdeutsche Merkel... ich habe auch noch nie, - auch nicht von Ost-CDUlern - gehört, die Merkel sei "ihre Kanzlerin", "auch eine Ostdeutsche" etc. - bei Gauck dürfte es m. E. ähnlich aussehen. Es wird im Übrigen auch kein großer Protest gegen Gauck kommen, keine Ost-Bürgerinitiative gegen ihn oder dergleichen. Frustration und Ressentiment kann verschiedenste Formen annehmen, und das tut es ja auch: das Erstarken einer faschistischen Bewegung im Osten ist auch Ausdruck dieser Anders- und Schlechterstellung der ostdeutschen Bevölkerung gegenüber der westdeutschen.
NEUER BEITRAG22.02.2012, 00:11 Uhr
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retmarut

Merkel und Gauck @ secarts:
"ich habe auch noch nie, - auch nicht von Ost-CDUlern - gehört, die Merkel sei "ihre Kanzlerin", "auch eine Ostdeutsche" etc."

Ich allerdings schon, und nicht nur in ihrem Wahlkreis Nordvorpommern/Rügen. Ich habe etliche Jahre im Osten gewohnt und hatte da nicht nur mit Genossen zu tun. Für die CDU-Klientel dort ist Merkel eine von ihnen, und die sind stolz wie Bolle, dass die deutsche Kanzlerin aus dem Osten kommt. (Obwohl sie ja in Hamburg geboren ist, also eigentlich auch nur so ein Westimport.)

Mir ist schon klar, worauf Du hinauswillst. Ich halte diese Argumentation aber trotzdem für schablonenhaft.
Eben die strukturelle Benachteiligung als Ostdeutsche/Ostdeutscher führt zu sehr verschiedenen, teils konträren Reaktionsmustern. Die einen stellen sich hinter die historischen Errungenschaften der DDR und ihre DDR-Biographien, andere gleiten in Ostalgie ab ("politisch war die DDR scheiße, aber aber die soziale Wärme und Solidarität von damals fehlt - und Nudossi"), andere wechseln in Überanpassung (Assimilation), wieder andere betreiben militanten Antikommunismus in Form von CDU (oder eine Nummer krasser inf Form von NPD/NSU).
Gerade die Delegitimierung der DDR in allen Bereichen hat dazu geführt, dass (durch gezielte Westimporte wie Vogel, Biedenkopf und ihre Buschzulagenkrieger) konservativ-völkische Weltbilder in einigen Ost-Bundesländern hegemoniell werden konnten. Dort gibt es mittlerweile ein ziemlich stabiles und tonangebendes antikommunistisch-konservatives Spektrum.

Ähnlich 1919 in Bayern, wo nach der Niederlage der Münchner Räterepublik ein bis dato liberales Bundesland von der Reaktion übernommen wurde, ist das in Thüringen und Sachsen auch der Fall.

Aber noch einmal zu Gauck:
Viel spannender als die Frage, wie der im Osten angesehen wird, sollten wir uns fragen, wie wir einen Gauck als Bundespräsidenten politisch destabilisieren können.
NEUER BEITRAG22.02.2012, 15:35 Uhr
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secarts

Merkel und Gauck Naja, retmarut, dass wir in dieser Frage öfter mal Differenzen hatten (und haben werden) ist uns ja bekannt. War ja, in meiner Liste möglicher Gründe für die ablehnende Haltung der CDU gegenüber Gauck, auch nur ein Grund von etlichen - insofern haben wir da eben in einzelnen Aspekten Widersprüche.

Um zu verdeutlichen, was ich meine - mir geht es tatsächlich nicht um eine "Idealisierung" der Ex-DDRler: Wir befinden uns mitten in einem krisenhaften Prozeß, der die BRD noch nicht einmal richtig "erwischt" hat, sondern sich - zunächst - in der Peripherie austobt. Wenn die Wirtschaftskrise auch hier mit voller Wucht durchschlägt und die Arbeitslosenzahlen - auch und gerade im Osten, wo es schon strukturell kaum noch Puffer gibt - noch einmal in neue, bisher unbekannte Höhen treibt, werden wir verschiedene soziale und politische Verwerfungsprozesse erleben können. Der Bruch Ost-West dürfte noch einmal deutlich verschärft werden. Und Leute wie Merkel oder Gauck sind, obschon Ostdeutsche, sicher nicht in der Lage, dann noch sozial integrativ zu wirken. Diese Überlegung spielt (bei den Intelligenteren unter den regierenden Charaktermasken) sicher auch eine Rolle. Dafür böten sich andere Leute an, die populistisch geschickter agieren können als gerade der Erzneoklassiker Gauck. That's my point.
NEUER BEITRAG22.02.2012, 22:22 Uhr
Nutzer / in
Lars

Merkel und Gauck Hier mal paar Gauck-Zitate. Die Stimmen der NPD könnte er auch kriegen:

"Unbeliebt machten sich die Kommunisten auch, als sie Stalins Territorialforderungen nachgaben, die Westverschiebung Polens und damit den Verlust der deutschen Ostgebiete guthießen."
"Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten."
Aus dem Nachwort "Schwarzbuch des Kommunismus" nach FAZ 21.02.2012

"Aber wenn ich als Beispiel einmal das populäre Diktum einer populären Protestantin herausgreife "Nichts ist gut in Afghanistan", dann stellt sich mir die Frage, zu welchem Maßnahmen müssten engagierte Demokraten denn greifen, damit "alles gut" wäre in Afghanistan?"

"Hier wie in anderen Konfliktfeldern, etwa in Somalia, auf dem Balkan oder jetzt in Libyen, sehen sich Regierungen und Bürger des Westens herausgefordert, unterdrückten Menschen beizustehen bei der Realisierung von
menschen- und Bürgerrechten... Für diese Einsätze dieselben Vokabeln und Emotionen aufzurufen wie im Fall der kolonialen und imperialen Kriege von einst, halt ich für intellektuell unredlich und politisch falsch und möchte
ragen: Warum fehlt der Mut, sich hier des differenzierten Verstandes zu bedienen? Wovor besteht Angst?"

"Als beschämend bis heute empfinde ich es auch, dass sich die Anti-Hitler-Koalition nicht dazu entschließen konnte, die Bahnlinien zu den Vernichtungslagern zu bombardieren." [folgt ein Bericht eines polnischen Untergrundkurier und dann]: "Doch auf Aktionen zur Rettung der Juden wartete er damals vergebens."
Alles Rede zur Verleihung Börne-Preis 2011 nach FAZ 22.02.2012
NEUER BEITRAG23.02.2012, 16:01 Uhr
Nutzer / in
Maggi

Merkel und Gauck Die "Junge Freiheit" ist ganz aus dem Häuschen über die Wahl Gaucks:

Joachim Gauck – trotz konservativer Färbung keinem politischen Lager eindeutig zugehörig – ist es zuzutrauen, die Aussöhnung der Deutschen mit sich und ihrer Geschichte zu forcieren. Sein Plädoyer für Vaterlandsliebe und Freiheitswillen, sein beispielgebender Patriotismus könnten die Normalisierung unserer Nation befördern. Von ihm sind intellektuelle Impulse, geschichtspolitische Akzente zu erwarten, kurz: eine geistig-moralische Führung, zu der das versammelte Bundeskabinett nicht mehr in der Lage ist.

Gauck muß sich – zumal als Quasi-Einheitskandidat – von den Parteien und anderen Interessengruppen emanzipieren, will er zum wahren Volkspräsidenten werden. Demokratiepolitisch hat die informelle Allparteienkoalition die Bundesversammlung entwertet – insofern ist es höchste Zeit, die Direktwahl des Bundespräsidenten durchzusetzen. Kein anderer als Gauck könnte dies besser anpacken.


Das zeigt finde ich auch recht gut, wo die Reise hin gehen kann...
NEUER BEITRAG26.02.2012, 00:09 Uhr
Nutzer / in
Stephan

Merkel und Gauck "Dass es, wieder einmal, Sozialdemokraten waren, die aus purer Taktiererei und aus purer Blödheit den Steigbügelhalter spielten, wird sich noch einmal böse rächen.
"

Als sie Gauck vor fast zwei Jahren aufstellten, ging es denen nur darum, irgendwie die CDU/FDP unter Druck zu setzen, was ja auch geklappt hatte: Wulff musste trotz rechnerischer Mehrheit in der Bundesversammlung in den dritten Wahlgang. Zudem konnte man die Linke noch beschimpfen, weil der "links stehende" Kandidat Gauck eben nicht gewählt wurde, obwohl es da schon Chancen gab.

Jetzt konnten sie nicht zurück, sie können nicht schlüssig begründen, warum sie Gauck nach so kurzer Zeit nicht mehr präsidial empfinden. Das hat aber meiner Meinung nach vor allen die Ursache, dass sie es nicht im Mindesten geschafft haben, einen eigenen (oder einen Kompromißkandidaten mit der CDU - oder mit den vernünftigeren Leuten in der CDU) vorher auszukungeln - Zeit genug hätten sie gehabt, der Rücktritt Wulffs mag vieles sein, überraschend ist er nicht.

Mit einem spontan präsentierten Kandidaten - oder noch besser einer Kandidatin, wäre die Frage nach Herrn Gauck gar nicht erst gestellt worden - die FDP hat diese Lücke erkannt und besetzt. Die Bräsigkeit von Rot-Grün, das taktische Gespür einer ertrinkenden Partei, die Hilflosigkeit der CDU - voilá: Kandidat Gauck.

Es bleibt zu hoffen,dass die Linke eine wählbare Kandidatin dagegen stellt, damit Gauck nicht zu sehr
triumphiert. Aber da ist es wie beim Fussball: Hinterher fragt auch nie jemand, wie das Spiel gelaufen ist, einzig das Ergebnis wird bewahrt.
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