|
•NEUES THEMA27.08.2017, 08:00 Uhr
Nutzer / in | ||
GFP | ||
|
||
• Vom deutschen Euro zur deutschen EZB
Die Bundesregierung versucht mit Bundesbank-Chef Jens Weidmann einen der lautesten Kritiker der bisherigen expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) an deren Spitze zu hieven. Weidmann hat die monetäre Linie der EZB, die mit Niedrigzinsen und massiven Anleihekäufen die in zahlreichen Krisenländern desaströsen sozioökonomischen Folgen des deutschen Austeritätsdiktats abzufedern sucht, stets erbittert bekämpft. Die vehemente Ablehnung seiner möglichen EZB-Präsidentschaft im krisengebeutelten Süden der Eurozone hofft Berlin mit personellen Rochaden und einem ersten strukturellen Zugeständnis überwinden zu können: mit der Einführung von Eurobonds.
Personalrochaden
Berlin beansprucht den 2019 vakant werdenden Posten des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), um seinen Einfluss auf die Ausrichtung der Geldpolitik in der Eurozone zu maximieren. Bereits im Mai wurde berichtet, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble brächten Bundesbank-Chef Jens Weidmann als Nachfolger des derzeitigen italienischen EZB-Präsidenten Mario Draghi "ins Gespräch". Weidmanns Chancen auf den Spitzenposten stünden "nicht schlecht".1 Eine führende deutsche Tageszeitung begründete die Berliner Forderung mit dem Hinweis, Weidmann wäre "der erste Deutsche an der EZB-Spitze seit ihrer Gründung Mitte 1998"; die "größte Volkswirtschaft im Euroraum" sei bislang bei dieser herausragenden Personalie noch "nicht berücksichtigt worden".2 Finanzminister Schäuble plane überdies, den Posten im Rahmen einer größeren Personalrochade in der EU zu besetzen. Zur Diskussion stünden der Posten des Vorsitzenden der Eurogruppe, den derzeit der Schäuble nahe stehende Niederländer Jeroen Dijsselbloem bekleidet, sowie das Amt des Vizevorsitzenden der EZB, das aktuell der Portugiese VÃtor Constâncio innehat. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sei als künftiger Eurogruppen-Chef im Rahmen eines "deutsch-französischen Personalpakets mit Weidmann plausibel", hieß es in dem Blatt, während Spanien Anspruch auf die Nachfolge Constâncios erhebe.
Streit um die Geldpolitik
Dennoch dürften in diesem Fall die üblichen Personalrochaden nicht ausreichen, um den massiven Widerstand gegen einen EZB-Präsidenten Weidmann zu brechen. Seit dem Beginn der Eurokrise ist der monetäre Krisenkurs der EZB hart umkämpft, wobei sich Deutschland mit seinen Forderungen nach einem Ende der expansiven Geldpolitik bislang nicht durchsetzen konnte. Weidmann gilt als einer der striktesten Gegner der bisherigen monetären Linie der EZB, die mit Niedrigzinsen und massiven Anleihekäufen die desaströsen sozioökonomischen Folgen des deutschen Austeritätsdiktats in vielen Krisenländern abzufedern sucht. Die lockere Geldpolitik der EZB wirkte damit als konjunkturelles Gegengewicht zum deutschen Spardiktat in der Eurokrise. Kritiker des deutschen Austeritätskurses befürchten, Berlin könne über Weidmann an der Spitze der EZB nicht nur beträchtlichen Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurostaaten ausüben, die der Bundesfinanzminister in der südlichen Peripherie der EU exekutiert, sondern nun auch noch die Geldpolitik der Eurozone dominieren.
Aufruhr in der Zentralbank
Die Aussicht auf eine EZB-Präsidentschaft Weidmanns lasse vielen EZB-Funktionären die "Nackenhaare zu Berge stehen", kommentierte die britische Wirtschaftspresse die zunehmenden personalpolitischen Auseinandersetzungen hinter den Kulissen Anfang Juli.3 Das größte Problem stelle dabei die permanente öffentliche Torpedierung des politischen Kurses der EZB dar, erläuterte ein Insider: "Der Jens" sei zwar ein "netter Typ", aber leider habe er "niemals die EZB gegenüber der deutschen Öffentlichkeit verteidigt". Er müsse noch "beweisen, dass er für alle sprechen" könne, und dies sei "eine große Schwäche, wenn man eine multilaterale Institution führen will". Viele politische Entscheidungsträger in EU fürchteten vor allem, dass ein EZB-Präsident Weidmann "nicht entschieden genug handeln" werde, falls eine künftige Kriseneskalation die "Eurozone anfällig für einen Kollaps" mache. Deshalb werde man sich in der Zentralbank "besser fühlen", wenn die EU zuerst die Bankenunion stärke oder Eurobonds einführe, "bevor man einem Deutschen die Verantwortung für die EZB überlässt". Bereits 2012 wurde berichtet, Weidmann, der nun von Berlin als künftiger EZB-Chef aufgebaut wird, habe sogar mehrere Male "den Rücktritt in Erwägung gezogen", um gegen die Mehrheitspolitik der EZB zu protestieren.4
Zugeständnisse unvermeidlich
Um den Widerstand der südlichen Eurostaaten gegen Weidmanns EZB-Präsidentschaft zu überwinden, halten deutsche Wirtschaftskommentatoren Zugeständnisse für unvermeidlich. Zum einen könne das aktuelle Streben der stellvertretenden Vorsitzenden der EZB-Bankenaufsicht, der Deutschen Sabine Lautenschläger, nach dem Chefposten des Gremiums preisgegeben werden, um zu signalisieren, dass Deutschland "die Zentralbank nicht dominieren" wolle, heißt es.5 Lautenschläger könne sich nach einer Wahl Weidmanns aus der EZB zurückziehen und dessen Posten als Bundesbankchefin übernehmen. Zugleich komme die Bundesregierung möglicherweise nicht umhin, der Einführung von Eurobonds zustimmen - eine "Maßnahme, der sich die deutsche Regierung lange widersetzte".6 Dieses minimale Zugeständnis wurde jüngst vor allem von französischen Politikern mehrmals klar eingefordert - und bislang immer als eine angebliche "Vergemeinschaftung von Schulden" von Berlin abgelehnt.7
Der Preis für den Euro
Mit der Personalie Weidmann scheint Berlin letztendlich seinen Preis für den Fortbestand der Eurozone und eine partielle Berücksichtigung französischer Interessen formuliert zu haben: Es ist die Kontrolle über die EZB. Die seit der Wahl Emmanuel Macrons propagierte Wiederannäherung zwischen Deutschland und Frankreich könnte nur dann nach der Bundestagswahl realisiert werden, wenn die extremen "Ungleichgewichte" in der Eurozone gemindert würden. Konkret waren es die enormen deutschen Handelsüberschüsse gegenüber dem Euroraum, mit denen die BRD - ein klassischer Fall von Beggar-thy-neighbour-Politik - die europäische Konkurrenz in die ab 2009 eskalierenden Schuldenkrisen trieb und so die Grundlage der gegenwärtigen Dominanz Berlins im Währungsraum legte. Die Überschüsse des Exportweltmeisters schlugen logischerweise insbesondere im Süden der Eurozone als Defizite zu Buche.
Bis zum nächsten Krisenschub
Zugleich weigerte sich Finanzminister Schäuble konsequent, durch Transfermaßnahmen welcher Art auch immer innerhalb der Eurozone die schädlichen Konsequenzen der erfolgreichen deutschen Exportoffensiven zu mindern. Damit maximierte Berlin den ökonomischen Abstand zwischen der Bundesrepublik und der restlichen EU, destabilisierte allerdings den Währungsraum. Mit der nun intern diskutierten Einführung von Eurobonds scheint man in Berlin gewillt zu sein, auf Paris zuzugehen, die aus der eigenen Politik resultierenden sozioökonomischen Zentrifugalkräfte einzudämmen und die Eurozone mittelfristig zu erhalten - wenn der Preis stimmt. Die Eurobonds würden es den durch jahrelange Austerität und hohe Zinsen verwüsteten südeuropäischen Volkswirtschaften ermöglichen, am niedrigen Zinsniveau der Bundesrepublik zu partizipieren. Dies wäre eine Methode, um die Ungleichgewichte im Euroraum zumindest partiell zu mindern und so, im Sinne einer etwas stabileren deutschen Hegemonie, dessen Existenz zu prolongieren - zumindest bis zum nächsten Krisenschub.
Anmerkungen:
1 An der Reihe. Der Spiegel 2017/21.
2 Bald erstmals ein Deutscher an der Spitze der EZB? faz.net, 19.05.2017.
3 Prospect of Weidmann in top job raises hackles at ECB. ft.com 03.07.2017.
4 Bundesbank chief Jens Weidmann 'considered resigning over ECB bond buying'. telegraph.co.uk 31.08.2012.
5, 6 Merkel's ECB Candidate. handelsblatt.com 21.05.2017.
7 Große Koalition lehnt Macrons Ideen geschlossen ab. faz.net 09.05.2017.
#euro #eurobonds #europa #ezb #jensweidmann
Personalrochaden
Berlin beansprucht den 2019 vakant werdenden Posten des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), um seinen Einfluss auf die Ausrichtung der Geldpolitik in der Eurozone zu maximieren. Bereits im Mai wurde berichtet, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble brächten Bundesbank-Chef Jens Weidmann als Nachfolger des derzeitigen italienischen EZB-Präsidenten Mario Draghi "ins Gespräch". Weidmanns Chancen auf den Spitzenposten stünden "nicht schlecht".1 Eine führende deutsche Tageszeitung begründete die Berliner Forderung mit dem Hinweis, Weidmann wäre "der erste Deutsche an der EZB-Spitze seit ihrer Gründung Mitte 1998"; die "größte Volkswirtschaft im Euroraum" sei bislang bei dieser herausragenden Personalie noch "nicht berücksichtigt worden".2 Finanzminister Schäuble plane überdies, den Posten im Rahmen einer größeren Personalrochade in der EU zu besetzen. Zur Diskussion stünden der Posten des Vorsitzenden der Eurogruppe, den derzeit der Schäuble nahe stehende Niederländer Jeroen Dijsselbloem bekleidet, sowie das Amt des Vizevorsitzenden der EZB, das aktuell der Portugiese VÃtor Constâncio innehat. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sei als künftiger Eurogruppen-Chef im Rahmen eines "deutsch-französischen Personalpakets mit Weidmann plausibel", hieß es in dem Blatt, während Spanien Anspruch auf die Nachfolge Constâncios erhebe.
Streit um die Geldpolitik
Dennoch dürften in diesem Fall die üblichen Personalrochaden nicht ausreichen, um den massiven Widerstand gegen einen EZB-Präsidenten Weidmann zu brechen. Seit dem Beginn der Eurokrise ist der monetäre Krisenkurs der EZB hart umkämpft, wobei sich Deutschland mit seinen Forderungen nach einem Ende der expansiven Geldpolitik bislang nicht durchsetzen konnte. Weidmann gilt als einer der striktesten Gegner der bisherigen monetären Linie der EZB, die mit Niedrigzinsen und massiven Anleihekäufen die desaströsen sozioökonomischen Folgen des deutschen Austeritätsdiktats in vielen Krisenländern abzufedern sucht. Die lockere Geldpolitik der EZB wirkte damit als konjunkturelles Gegengewicht zum deutschen Spardiktat in der Eurokrise. Kritiker des deutschen Austeritätskurses befürchten, Berlin könne über Weidmann an der Spitze der EZB nicht nur beträchtlichen Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurostaaten ausüben, die der Bundesfinanzminister in der südlichen Peripherie der EU exekutiert, sondern nun auch noch die Geldpolitik der Eurozone dominieren.
Aufruhr in der Zentralbank
Die Aussicht auf eine EZB-Präsidentschaft Weidmanns lasse vielen EZB-Funktionären die "Nackenhaare zu Berge stehen", kommentierte die britische Wirtschaftspresse die zunehmenden personalpolitischen Auseinandersetzungen hinter den Kulissen Anfang Juli.3 Das größte Problem stelle dabei die permanente öffentliche Torpedierung des politischen Kurses der EZB dar, erläuterte ein Insider: "Der Jens" sei zwar ein "netter Typ", aber leider habe er "niemals die EZB gegenüber der deutschen Öffentlichkeit verteidigt". Er müsse noch "beweisen, dass er für alle sprechen" könne, und dies sei "eine große Schwäche, wenn man eine multilaterale Institution führen will". Viele politische Entscheidungsträger in EU fürchteten vor allem, dass ein EZB-Präsident Weidmann "nicht entschieden genug handeln" werde, falls eine künftige Kriseneskalation die "Eurozone anfällig für einen Kollaps" mache. Deshalb werde man sich in der Zentralbank "besser fühlen", wenn die EU zuerst die Bankenunion stärke oder Eurobonds einführe, "bevor man einem Deutschen die Verantwortung für die EZB überlässt". Bereits 2012 wurde berichtet, Weidmann, der nun von Berlin als künftiger EZB-Chef aufgebaut wird, habe sogar mehrere Male "den Rücktritt in Erwägung gezogen", um gegen die Mehrheitspolitik der EZB zu protestieren.4
Zugeständnisse unvermeidlich
Um den Widerstand der südlichen Eurostaaten gegen Weidmanns EZB-Präsidentschaft zu überwinden, halten deutsche Wirtschaftskommentatoren Zugeständnisse für unvermeidlich. Zum einen könne das aktuelle Streben der stellvertretenden Vorsitzenden der EZB-Bankenaufsicht, der Deutschen Sabine Lautenschläger, nach dem Chefposten des Gremiums preisgegeben werden, um zu signalisieren, dass Deutschland "die Zentralbank nicht dominieren" wolle, heißt es.5 Lautenschläger könne sich nach einer Wahl Weidmanns aus der EZB zurückziehen und dessen Posten als Bundesbankchefin übernehmen. Zugleich komme die Bundesregierung möglicherweise nicht umhin, der Einführung von Eurobonds zustimmen - eine "Maßnahme, der sich die deutsche Regierung lange widersetzte".6 Dieses minimale Zugeständnis wurde jüngst vor allem von französischen Politikern mehrmals klar eingefordert - und bislang immer als eine angebliche "Vergemeinschaftung von Schulden" von Berlin abgelehnt.7
Der Preis für den Euro
Mit der Personalie Weidmann scheint Berlin letztendlich seinen Preis für den Fortbestand der Eurozone und eine partielle Berücksichtigung französischer Interessen formuliert zu haben: Es ist die Kontrolle über die EZB. Die seit der Wahl Emmanuel Macrons propagierte Wiederannäherung zwischen Deutschland und Frankreich könnte nur dann nach der Bundestagswahl realisiert werden, wenn die extremen "Ungleichgewichte" in der Eurozone gemindert würden. Konkret waren es die enormen deutschen Handelsüberschüsse gegenüber dem Euroraum, mit denen die BRD - ein klassischer Fall von Beggar-thy-neighbour-Politik - die europäische Konkurrenz in die ab 2009 eskalierenden Schuldenkrisen trieb und so die Grundlage der gegenwärtigen Dominanz Berlins im Währungsraum legte. Die Überschüsse des Exportweltmeisters schlugen logischerweise insbesondere im Süden der Eurozone als Defizite zu Buche.
Bis zum nächsten Krisenschub
Zugleich weigerte sich Finanzminister Schäuble konsequent, durch Transfermaßnahmen welcher Art auch immer innerhalb der Eurozone die schädlichen Konsequenzen der erfolgreichen deutschen Exportoffensiven zu mindern. Damit maximierte Berlin den ökonomischen Abstand zwischen der Bundesrepublik und der restlichen EU, destabilisierte allerdings den Währungsraum. Mit der nun intern diskutierten Einführung von Eurobonds scheint man in Berlin gewillt zu sein, auf Paris zuzugehen, die aus der eigenen Politik resultierenden sozioökonomischen Zentrifugalkräfte einzudämmen und die Eurozone mittelfristig zu erhalten - wenn der Preis stimmt. Die Eurobonds würden es den durch jahrelange Austerität und hohe Zinsen verwüsteten südeuropäischen Volkswirtschaften ermöglichen, am niedrigen Zinsniveau der Bundesrepublik zu partizipieren. Dies wäre eine Methode, um die Ungleichgewichte im Euroraum zumindest partiell zu mindern und so, im Sinne einer etwas stabileren deutschen Hegemonie, dessen Existenz zu prolongieren - zumindest bis zum nächsten Krisenschub.
Anmerkungen:
1 An der Reihe. Der Spiegel 2017/21.
2 Bald erstmals ein Deutscher an der Spitze der EZB? faz.net, 19.05.2017.
3 Prospect of Weidmann in top job raises hackles at ECB. ft.com 03.07.2017.
4 Bundesbank chief Jens Weidmann 'considered resigning over ECB bond buying'. telegraph.co.uk 31.08.2012.
5, 6 Merkel's ECB Candidate. handelsblatt.com 21.05.2017.
7 Große Koalition lehnt Macrons Ideen geschlossen ab. faz.net 09.05.2017.
#euro #eurobonds #europa #ezb #jensweidmann
PNG-Datei •
Bild öffnen ...ohne Wasserzeichen: anmelden!
schauble.png
• es gibt 3 Verknüpfungen mit diesem Thema in den www.secarts.org-Foren
Deutschlands Lieblingsfranzose
GFP |
Der Sieg des deutschen Favoriten Emmanuel Macron [am vergangenen Sonntag, Anm. der Redaktion] bei der Präsidentenwahl in Frankreich wird laut Einschätzung von Experten die Spaltung im Land weiter vertiefen und der...mehr
GFP
• 08.05.2017
Vom Partner zum Rivalen
Kein Tag vergeht, an dem die Medien hierzulande nicht über den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, berichten. Empörte oder auch verächtliche Kommentare beschäftigen sich mit ihm. Um Missver...mehr
Gast
• 14.03.2017