DE
       
 
0
unofficial world wide web avantgarde
NEUES THEMA19.06.2016, 15:00 Uhr
Nutzer / in
gr
GAST
• Hände weg von der 35-Stunden-Woche! Als die französische Regierung unter dem Staatspräsidenten Hollande im Februar die geplante Verschärfung des Arbeitsrechts vorstellte, verkündeten deutsche Medien: „Frankreich wird deutsch.“
Die Reaktion der Gewerkschaften, Studenten- und Schülervereinigungen ist allerdings eine ganz andere als die bleierne Ruhe, mit der die Gewerkschaften hierzulande all die Angriffe auf uns in den letzten Jahrzehnten hingenommen haben: Die französischen Kolleginnen und Kollegen
kämpfen – auch für uns.

Demonstrationen während der Arbeitszeit mit hunderttausenden Teilnehmern, immer wiederkehrende Streiks in Betrieben, im Nahverkehr, in öffentlichen Einrichtungen und Verwaltungen, Platzbesetzungen und Blockaden bestimmen seit März das Bild in Paris und anderen Städten Frankreichs. Es ist der geplante Angriff auf die gesetzlich festgelegte 35-Stunden-Woche und auf den Kündigungsschutz,
der die Arbeiter, Schüler und Studenten auf die Straße treibt. Doch es geht um noch mehr: Nach deutschem Vorbild soll die Kampfkraft der französischen Arbeiterklasse geschwächt werden.

Nach deutschem Vorbild

„Das Vorbild heißt Daimler“, berichtete die Süddeutsche Zeitung am 19. Februar 2016. „Der deutsche Konzern ist es, der Frankreichs Regierung die Blaupause zu ihrer womöglich wichtigsten wirtschaftspolitischen Reform geliefert hat: Im Herbst ließ Daimler die Belegschaft jenes Werks in Lothringen, das den Kleinwagen Smart baut, über Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich abstimmen. Im Gegenzug gab der Konzern eine Jobgarantie.“ Daimler umging mit dieser Abstimmung das in Frankreich bisher mögliche Veto der Gewerkschaften gegen derartige Aushebelungen der geltenden Arbeitszeit auf Betriebsebene. Anschließend pressten die Konzernvertreter jedem einzelnen Beschäftigten einen neuen Arbeitsvertrag ab. Denn Daimler hatte angedroht, das Werk nach Slowenien zu verlegen, sollten die Arbeiter nicht zustimmen.

[file-periodicals#189]Solche hierzulande gut bekannten Erpressungen sollen nun auch in Frankreich gesetzlich erleichtert werden. Die Möglichkeit eines Vetos der Gewerkschaften gegen betriebliche Vereinbarungen über längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen, die die Kapitalvertreter mit einer willfährigen kleineren Gewerkschaft1 abschließen wollen, soll abgeschafft werden. Dafür „darf“ die Belegschaft dann abstimmen: Für die angedrohten Entlassungen oder für längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen. Den Rahmen für derartige betriebliche Abweichungen von der 35-Stunden-Woche will die französische Regierung erheblich ausweiten.

Bisher gilt, dass die 35-Stunden-Woche im Jahresmittel eingehalten werden muss. Dieser Zeitraum soll nun auf drei Jahre ausgedehnt, die Obergrenze für Überstunden erhöht und die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf (!) Stunden ausgedehnt werden. Die französischen Arbeiter wissen, was das bedeutet, sie müssen nur ins Nachbarlandschauen: In den wenigen Bereichen,
wo die 35-Stunden-Woche hierzulande überhaupt erkämpft worden ist, wurde sie durch derartige betriebliche Vereinbarungen durchlöchert wie ein Sieb. Denn Belegschaften werden dadurch gegeneinander ausgespielt und so die gemeinsame Abwehr solcher Angriffe erschwert.

„Wir werden angegriffen“, so die Antwort der Kolleginnen und Kollegen in Frankreich, „also wehren wir uns.“ Unterstützt werden sie dabei von den Studentinnen und Studenten, die so um ihre Zukunft kämpfen.

Konkurrenzkampf auf dem Rücken der Arbeiter

Seit Jahren klagen die Patrons, wie in Frankreich die Kapitalisten und ihre Vertreter genannt werden, über „Wettbewerbsnachteile“ durch die in Frankreich erkämpften Arbeiterrechte. Es geht vor allem um Nachteile gegenüber den mächtigen deutschen Kapitalisten, die bisher nie durch eine für alle Arbeiter geltende gesetzlich verankerte 35-Stunden-Woche eingeschränkt worden sind. Andere Schranken
der Ausbeutung der Arbeitskraft wurden durch die sogenannten Reformen der letzten Jahrzehnte, allen voran der Agenda 2010 unter dem sozialdemokratischen Kanzler Schröder, eingerissen. So von allerlei Arbeiterrechten befreit, eroberten sie Absatzmärkte auch der französischen Konkurrenz, steigerten Jahr für Jahr den Export, während alle anderen EU-Staaten mit zunehmenden Absatzschwierigkeiten und Stagnation der Wirtschaft zu kämpfen haben. Das ist die schnöde ökonomische Grundlage für die deutsche Führungsrolle in der EU und Merkels Diktate und Alleingänge.

All das ist nicht im Interesse der französischen Kapitalistenklasse. Deshalb soll nun also die „sozialistische“ Regierung, wie sich die französischen Sozialdemokraten nennen, endlich durchsetzen, woran sich die konservativen Regierungen bisher nicht herangetraut haben.

„Wir wollen keine Agenda 2010“

Doch anders als hierzulande wollen sich große Teile der französischen Arbeiterklasse nicht einbinden lassen in diese Standortlogik. Ihr Widerstand ist so groß, dass er sich auch in der sozialistischen Regierungspartei widerspiegelt. So brachte die französische Regierung den Gesetzentwurf in erster Lesung nur durch, weil sie mit Hilfe einer Verfassungsklausel das Parlament nicht darüber abstimmen ließ. Diese Umgehung des Parlaments fachte den Protest von Neuem an. Eisenbahner ließen den Nahverkehr stillstehen, Fernfahrer blockierten Straßen und Mautstellen, Häfen und Flughäfen wurden bestreikt. Inzwischen (27.Mai) werden die Großraffinerien durch streikende Arbeiter blockiert und die
Atomkraftwerke heruntergefahren.2

Es ist ein harter Kampf, den die französischen Kolleginnen und Kollegen zu führen haben gegen einen mächtigen Gegner: Regierung und Kapital und ihre Staatsgewalt. Mit Demonstrationsverboten, Platzräumungen, Inhaftierungen auch von Gewerkschaftern, Durchsuchung von Gewerkschaftsräumen
(bisher ein Tabu), Knüppeln und Wasserwerfern soll der Widerstand gebrochen werden; aber auch mit kosmetischen Zugeständnissen und Verhandlungen mit „vernünftigen“ Gewerkschaftsvertretern - bisher erfolglos.

Ein Kampf - auch für uns

Die französischen Arbeiter führen einen Kampf, den unsere Gewerkschaften bisher nicht aufgenommen haben. Ganz im Gegenteil. Im Glauben, etwas vom Glanz der Macht abzubekommen, üben sich die Gewerkschaftsführungen in Standortverteidigung, statt die Arbeiter für die Verteidigung
ihrer Interessen zu mobilisieren. Und doch kämpfen die französischen Arbeiter auch für uns: Setzt sich die französische Regierung mit ihrem Gesetzentwurf durch, so werden unsere Patrons die ersten sein,
die weitere „Reformen“ in Deutschland anmahnen, um ihre Konkurrenzvorteile wieder herzustellen. Es ist eine mörderische Spirale. Denn das Kapital kennt keine Grenzen, wenn es um den Profit geht außer
denjenigen, die die Arbeiterklasse gegen Regierung und Kapital durchsetzen und verteidigen kann. Und dabei gilt international, was auch in jedem Betrieb, in jeder Branche, in jedem einzelnen Land gilt:
Fünf Finger bricht man, nicht die Faust.

gr

Anmerkungen:
1 In Frankreich gibt es, anders als bei uns, mehrere, nach unterschiedlichen politischen Richtungen entstandene Gewerkschaftsverbände, die in einem Betrieb oder in einer Branche vertreten sein können. Die größte ist derzeit die eher kämpferische CGT
2 Eine ausführliche Berichterstattung kann man bei Link ...jetzt anmelden! Link ...jetzt anmelden!' target='blank nachlesen.



#agenda2010 #cgt #frankreich #gerhardschroeder #hollande
PNG-Datei • Bild öffnen ...ohne Wasserzeichen: anmelden! ydtjh.png
• Hier gibt's was extra: mehr Debatten aus den www.secarts.org-Foren
80 J. Sieg der Roten Armee bei Stalingrad
6
Nachtrag - jW heute: Klassiker »Totale Mobilmachung« Nach der Niederlage in Stalingrad: Die Schlacht an der Wolga ...mehr FPeregrin NEU 04.02.2023
FPeregrin NEU 01.02.2023
FPeregrin NEU 01.02.2023
USA: Schuldenobergrenze erreicht, bald pleite?
Im 'Online extra' der jW vom 19.Jan. findet sich die Info, daß die USA ihre "Schuldenobergrenze" erreicht hätten, demnach a...mehr arktika 20.01.2023
Ende der Dollardominanz in Sicht?
3
Danke Arktika! Sehr interessant! (sorry, too tired to write in German).. there are in the western Media a lot of debates ...mehr Dima NEU 31.01.2023
arktika NEU 30.01.2023
arktika NEU 30.01.2023
Die 3. Intifada, ...
1
lllll »extrem besorgt«, »sehr besorgt [...]«, ... Ach, wie schön!!! arktika NEU 05.03.2023
UMFRAGEWie geht es mit Sahra Wagenknecht politisch weite..
3
Es gab auch mal (2019) eine Umfrage zur Zukinft von 'aufstehen', deren Ergebnis so in etwa eingetreten ist: Was diese Umf...mehr FPeregrin NEU 07.03.2023
Hezekiel NEU 04.03.2023
Valparaiso NEU 04.03.2023
Donbass-Referenden --> Putin-Rede zur Aufnahme 20..
Am 1. Oktober 2022 brachte RTdeutsch die Beitrittsrede Putins nach der Aufnahme der 4 Gebiete/Volksrepubliken zu Rußland. Si...mehr arktika 15.12.2022