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NEUES THEMA25.04.2022, 15:22 Uhr
EDIT: FPeregrin
26.04.2022, 17:46 Uhr
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FPeregrin

• Nord-IRL: Vor republikanischem Wahlsieg jW heute:

Vor historischer Abstimmung

Nordirland wählt Anfang Mai neues Parlament. Linksrepublikanische Sinn Féin in Umfragen vorn. Referendum zu Wiedervereinigung geplant

Von Dieter Reinisch, Belfast

Hintergrund: »Brexit«-Streit

Mit dem »Brexit« hatten Nordirlands Unionisten gehofft, die britische Provinz näher an London führen zu können – statt dessen hat der EU-Austritt die Wiedervereinigung Irlands auf die Tagesordnung gebracht.

Am 23. Juni 2016 stimmte das Vereinigte Königreich für den sogenannten Brexit. Wie in Schottland gab es in Nordirland eine Mehrheit für den Verbleib in der EU. Die DUP unterstützte die damalige Premierministerin Theresa May in der Hoffnung, einen »harten Brexit« zu erreichen – sie befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Indes: May verhandelte einen Sonderstatus für Nordirland, die DUP fühlte sich verraten und unterstützte Boris Johnson. May musste zurücktreten.

Das von Johnson ausgehandelte »Nordirland-Protokoll«, das Elemente einer EU-Außengrenze zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens eingeführt hat, bedeutet in der Praxis kaum etwas anderes als Mays Sonderstatus. Die Unionisten fühlten sich abermals verraten. Radikale Teile unter ihnen sehen im Protokoll eine »Grenze durch die irische See« und eine »ökonomische Wiedervereinigung Irlands«.

Auch die loyalistischen Paramilitärs meldeten sich zu Wort und verkündeten ein Ende ihrer Unterstützung für das »Karfreitagsabkommen«, das 1998 den bewaffneten Nordirlandkonflikt beendet hatte. Jugendliche Loyalisten radikalisierten sich und randalierten im April 2021. Am 25. März erzwang die loyalistische UVF mittels einer Bombenattrappe den Abbruch einer Rede des irischen Außenministers Simon Coveney in Nordbelfast.

Um nicht die Kontrolle über die Unionisten und damit die Wahl zu verlieren, sprengte die DUP schließlich die Regierung: Am 3. Februar trat DUP-Regierungschef Paul Givan zurück. Am 5. Mai wird nun gewählt. (dr)


Nicht oft sind sich Michelle O’Neill und Jeffrey Donaldson so einig, wie in der Einschätzung der Bedeutung der bevorstehenden Wahl in Nordirland. Als die linksrepublikanische Partei Sinn Féin am 30. März im Europa-Hotel in der Belfaster Innenstadt ihren Wahlkampfauftakt bestritt, erklärte Spitzenkandidatin O’Neill: »Es ist die wichtigste Wahl seit einer Generation.« Wortgleiches schrieb Donaldson in den Ostergrüßen an die Mitglieder seiner Democratic Unionist Party (DUP).

Nordirland wählt am 5. Mai ein neues Parlament. Das in Stormont, auf einer Anhöhe im Osten der Hauptstadt Belfast, gelegene Abgeordnetenhaus steht vor einer historischen Veränderung. Wenn die Umfragen recht behalten, wird erstmals Sinn Féin die stärkste Kraft in Stormont. Die Linksrepublikaner liegen in Umfragen mit 26 Prozent klar vor der der DUP, der 19 Prozent vorausgesagt werden. Seit Wochen warnen die Unionisten vor einem Wahlsieg von Sinn Féin und versuchen so, ihre Stammwähler zu mobilisieren.

An die Parteimitglieder schrieb Donaldson: »Diese Wahl wird entscheiden, in welche Richtung das Land im nächsten Jahrzehnt gehen wird.« Die aus Dublin angereiste Vorsitzende von Sinn Féin in der Republik Irland, Mary Lou McDonald, erklärte auf der republikanischen Osterparade vergangenen Sonntag in Belfast ähnliches: »Vor uns liegt das Jahrzehnt der Chancen« – eine Anspielung auf das zurückliegende sogenannte Jahrzehnt der Jahrhundertfeiern. Von 1913 bis 1923 dauerte die irische Revolution. Sie endete mit dem Sieg der Konterrevolutionäre im Bürgerkrieg und der Teilung der Insel. »In Nordirland ist die Vergangenheit vorbei«, so McDonald vor ihren Anhängern.

Sinn Féin sieht nun die Chance gekommen, diese Teilung rückgängig zu machen. Die Partei ist die dominierende Kraft auf der nationalistischen Seite. Die gemäßigte nationalistische Social Democratic Labour Party (SDLP) liegt in den Umfragen bei elf Prozent. In den vergangenen Jahren konnte sich die Partei zudem zur Kraft der nordirischen »Brexit«-Gegner aufschwingen, dementsprechend kann sie auf Stimmen von liberalen Unionisten aus der urbanen Mittelschicht hoffen. Deren Vertreter sind zwar keine Befürworter einer irischen Wiedervereinigung. Die Chance, durch eine solche wieder Teil der Europäischen Union zu werden, ist ihnen aber wichtiger als der Verbleib in einem Vereinigten Königreich unter Boris Johnson.

In ihrer Rede auf der Osterparade streckte McDonald ihnen daher die Hand aus: »Die britische Regierung hat euch im Stich gelassen. Geht mit uns diesen Weg, damit ganz Irland zurück in die europäische Gemeinschaft kommt.« Die Rhetorik scheint zu fruchten – die Partei könnte bald Regierungschefs in Belfast und Dublin stellen. Dann verspricht sie ein Referendum zur Wiedervereinigung.

Ein solches verspricht auch die erstmals zu den Parlamentswahlen antretende Irische Republikanische Sozialistische Partei (IRSP), die die Kampagne »Ja zur Einheit« ausgerufen hat. Die Partei hat Kandidaten in Belfast und Derry aufgestellt, die versuchen, mit sozialen Forderungen auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Wegen des absehbaren Siegs von Sinn Féin ist der Wahlkampf der anderen Parteien insgesamt allerdings eher inhaltsleer.

Sinn Féin verspricht eine Rückkehr in die EU durch Wiedervereinigung, die Unionisten fordern das Gegenteil: weg mit dem sogenannten Nordirland-Protokoll, das Elemente einer EU-Außengrenze zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens eingeführt hat, und kein Referendum. Das unionistische Lager ist aber zusehends gespalten. Die gemäßigte Ulster Unionist Party (UUP) liegt laut Umfragen bei 13 Prozent. Die radikale Traditional Unionist Voice (TUV) wirft der DUP vor, nicht entschieden genug gegen das »Nordirland-Protokoll« eingetreten zu sein. Bisher hatte sie nur einen Abgeordneten in Stormont, Umfragen sehen sie zwischen vier und zwölf Prozent. Daneben kann die ehemals unionistische, nun liberale Alliance Party 16 Prozent erwarten. Auch trotzkistische Gruppen rechnen in Belfast und Derry mit Wahlerfolgen, einzelne Sitze werden voraussichtlich an »grüne« und unabhängige Kandidaten gehen.

Ob das Parlament nach den Wahlen arbeitsfähig sein wird, ist indes noch ungewiss. Die Unionistenparteien DUP, UUP und TUV haben angekündigt, das Parlament boykottieren zu wollen, falls Sinn Féin die Wahl gewinnt und die Regierungschefin stellt.


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#Irland
NEUER BEITRAG25.04.2022, 15:28 Uhr
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FPeregrin

Nord-IRL: Vor republikanischen Wahlsieg Ebd.:

»Erstmals friedliche Wiedervereinigung realistisch«

In Nordirland kandidiert die marxistische Irische Republikanische Sozialistische Partei. Ein Gespräch mit Dan Murphy

Von Dieter Reinisch

Dan Murphy (27) ist der Kandidat der IRSP im Wahlkreis Belfast West und Mitglied des Parteivorstands

Die Irische Republikanische Sozialistische Partei, IRSP, wurde 1974 gegründet und war eine einflussreiche Kraft während des Nordirlandkonflikts. Wieso haben Sie sich entschieden, erstmals für das nordirische Parlament zu kandidieren?

Wir hatten in den letzten Jahren ein enormes Wachstum an Mitgliedern. Doch es ist nicht nur die Anzahl der Mitglieder, sondern auch deren Qualität, die uns in eine Situation gebracht haben, dass wir kandidieren können. Wir sind überzeugt, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine Wiedervereinigung Irlands erleben werden. Es ist wahrscheinlich, dass das Parlament, das dieses Jahr gewählt wird, auch das letzte seiner Art sein wird. Diejenigen, die darin vertreten sein werden, haben also besonderen Einfluss auf die Debatten darüber, wie Irland nach der Wiedervereinigung aussehen wird. Diese Chance wollen wir nutzen und die Zukunft Irlands mitgestalten.

Der zweite wichtige Punkt ist die Wohnsituation. Die muss verbessert werden, das ist ein zentraler Aspekt unseres Wahlprogramms. Wohnungsnot, Wiedervereinigung und Dinge, die die einfachen Leute betreffen – darum dreht sich unsere Wahlkampagne. Wir wollen mit unserer Kandidatur die einfachen Leute stärken.

Wie kann die Wohnungsnot in Nordirland gelöst werden?

Wir haben die Kampagne »Senkt die Mieten« ins Leben gerufen. Dadurch wollen wir Druck auf die Vermieter ausüben. Menschen zahlen 700 oder 800 Pfund Sterling pro Monat Miete für kleine Häuser – das ist sehr viel für Belfast. Schuld sind die Vermieter, weil sie öffentlichen Wohnraum übernehmen und dann teuer vermieten.

Das nächste große Problem, das auf uns zukommt, ist die Privatisierung des Wohnbauamtes. Das müssen wir mit aller Kraft verhindern. Wir möchten unsere Position im Parlament dazu nutzen, eine gesamtirische Wohnraumvereinigung zu gründen. Die Wohnungsnot kann nicht im Norden allein gelöst werden. Die Wohnungssituation betrifft vor allem die Arbeiterklasse. Dadurch können dann auch die protestantischen Loyalisten von einem vereinten Irland überzeugt werden, denn die Loyalisten sind Arbeiter und die Wohnungssituation betrifft sie direkt.

Auch Sinn Féin tritt für die Wiedervereinigung ein und dürfte bei den Wahlen erstmals stärkste Partei werden. Sie treten in einem Wahlkreis an, in dem es Abgeordnete von Sinn Féin und der trotzkistischen »People Before Profit« gibt. Manche werfen Ihnen daher vor, die republikanischen und linken Kräfte zu spalten.

Ich antworte darauf mit den Worten von (dem irischen Sozialisten, jW) James Connolly: »Arbeiter können nicht warten.« Ja, Sinn Féin sind wie wir auch Republikaner und wollen, ebenso wie wir, ein Referendum über die Wiedervereinigung. Hier enden aber schon die Gemeinsamkeiten. Sinn Féin bekommt sehr viel Geld aus den USA. Wieso? Weil es auch ein kapitalistisches Interesse an der Wiedervereinigung gibt. Wir wollen dagegen eine Arbeiterrepublik etablieren.

Der Unterschied zu »People Before Profit« ist der, dass sie glauben, Stormont (das nordirische Parlament, jW) könne dafür genutzt werden, den Menschen zu helfen. Wir glauben das nicht. Wir wollen Stormont gegen sich selbst verwenden und von innen heraus zerschlagen.

Welche langfristige Strategie verfolgt IRSP mit der Kandidatur?

Wir sehen die Kandidatur als »Guerillapolitik«. Wir wollen diese Taktik in allen politischen Feldern anwenden und auch bei den Lokalwahlen antreten. Die Irische Nationale Befreiungsarmee (INLA, die IRSP gilt als politischer Arm der Organisation, jW) hat 1998 einen Waffenstillstand erklärt und sich 2009 entwaffnet. Ich unterstütze diesen Schritt uneingeschränkt. Denn erstmals in der Geschichte gibt es heute eine realistische Möglichkeit für eine friedliche Wiedervereinigung Irlands und dafür müssen wir arbeiten.


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NEUER BEITRAG08.05.2022, 13:10 Uhr
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FPeregrin

"Wenn die Umfragen recht behalten, wird erstmals Sinn Féin die stärkste Kraft in Stormont."

In der Tat:
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