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NEUES THEMA24.06.2021, 00:57 Uhr
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FPeregrin

• Eichmann, Globke & das Bundekanzleramt 2x Gaby Weber auf TP - am 2. April:


ARD wärmt Mythos um Adolf Eichmann auf

02. April 2021 Gaby Weber

Peinliches Medienspektakel zum 60. Jahrestag: Sender strahlt Serie über "Jahrhundertprozess" aus und ignoriert beharrlich neue Erkenntnisse

Im letzten Jahr war der Medienrummel zum 60. Jahrestag der "Entführung" des SS-Offiziers Adolf Eichmann erfreulicherweise ausgeblieben – inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Sache ganz anders gelaufen ist. Doch statt den gesamten Mythos verschämt in der Schublade verschwinden zu lassen, lockte noch der 11. April 2021: der 60. Jahrestag der Eröffnung der Strafsache in Jerusalem – lange Zeit als "Meilenstein für Menschenrechte" und "Jahrhundertprozess" gefeiert. Die ARD will mitfeiern, mit einer Serie, die am 6. April startet.

Solche Themenschwerpunkte werden lange im Voraus geplant. So konnte man in den Redaktionsstuben des verantwortlichen Bayerischen Rundfunks (BR) nicht ahnen, dass mir kurz vor dem Jahrestag der Bundesnachrichtendienst (BND) einen Schwung geheimer Akten aushändigte. Zuvor hatte ich den deutschen Auslandsgeheimdienst erneut auf Herausgabe seiner Eichmann-Akten verklagt.

Einen investigativen Journalisten hätte dies nicht überrascht, da nach 60 Jahren die Schutzfristen ablaufen, und ich entsprechende Anträge gestellt hatte. Aber das wissen eben nur die, die schon einmal recherchiert haben.

Und – wie peinlich – die neuen Dokumente werfen ein ganz anderes Licht auf die Strafsache Eichmann: Danach war sie kein rechtsstaatliches Verfahren, sondern ein Schauprozess, bei dem der BND und der Mossad gemeinsam die Fäden zogen. Es wurden Mandantengespräche abgehört und Beweismittel unterdrückt.

Und es wurde dafür gesorgt, dass ein Jurist, der bereits seit 1955 auf der Lohnliste des BND stand, Verteidiger des Angeklagten wurde und fortan gegen den ausdrücklichen Willen seines Mandanten die Interessen des Bundeskanzleramts und der israelischen Regierung vertrat.

Der junge Bonner Staat fürchtete, dass in Jerusalem der Name von Hans Globke – Adenauers rechte Hand und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze – erwähnt und damit eine Diskussion über die Kontinuität des Nationalsozialismus losgetreten würde.

So steht es in den freigegebenen Akten, und diese Dokumente habe ich in meinem neuen Film "Pimpel und Blaustern – die BND-Akten über die Strafsache Eichmann" veröffentlicht. Der BND, damals unter dem Kommando des vormaligen Nazi-Generalmajors Reinhard Gehlen, sollte die Erwähnung Globkes mit allen Mitteln verhindern. Man arbeitete in der Sache Hand in Hand mit dem Mossad, die Aktion lief bei dem israelischen Geheimdienst unter dem Tarnnamen "Blaustern".

Der Mythos von Ben Gurion

Auch das KAN, das israelische öffentlich-rechtliche Fernsehen, plant gemeinsam mit den Metro-Goldwyn-Mayer Studios, Tadmor Entertainment und Alice Communications eine Serie über den Prozess. Autor ist laut Auskunft des deutschen Produzenten der Dokumentarfilmer Yariv Mozer aus Tel Aviv.

Unklar ist, ob man damit zum 60. Jahrestag des Eichmann-Prozesses an die Öffentlichkeit geht, wie es geplant war. Offensichtlich gibt es Verzögerungen. Mozer beantwortete weder meine Frage nach dem Sendetermin noch dazu, ob er über neue Archivdokumente über den Fall verfüge.

Dabei ist diese Frage essentiell für die Darstellung des Falls: Laut BND-Akten hatte sich der israelische Staatsgründer Ben Gurion persönlich in den Prozess gegen Eichmann eingemischt und Zeugen davon abhalten wollen, dort auszusagen.

Und dem Entsandten des Kanzleramtes hatte er versichert, dass Eichmann vor Gericht behaupten würde, Globke nicht zu kennen. Ben Gurion verhandelte zu diesem Zeitpunkt mit Konrad Adenauer über technische und finanzielle Unterstützung seines Atomprogramms, konkret um die Errichtung des Atomkomplexes Dimona in der Negev-Wüste. Er wollte diese Verhandlungen nicht gefährden.1

ARD Sonderprogramm zum Jahrestag

Während sich Mozer im Vorfeld über den Sachstand der Forschung informiert und mich um die Überlassung meiner erneuten Klageschrift gegen den BND gebeten hatte, setzt das deutsche Fernsehen unter Federführung des BR ungerührt die 60 Jahre alte Version des Mossad erneut in Szene, mit Konserven aus dem Archiv, unkommentierten Interviews und Gesprächsrunden.

Los geht das Eichmann-Theater in der ARD, um 21.45 Uhr mit "Report München extra: Eichmann und sein geheimer Komplize" über einen SS-General, der straflos im Nachkriegsdeutschland lebte. Einer von Vielen.

Am Mittwoch widmet sich "Kontrovers – Die Story" im BR der Fluchtroute der Nazis, Titel: "Die Jagd auf Kriegsverbrecher aus Bayern." Das Thema "Rattenlinie" wird seit Jahrzehnten immer wieder dargestellt: Was ist daran "kontrovers" oder neu?

Es geht weiter bei ARD-Alpha, mit "Die Katastrophe vor Gericht – Der Eichmann-Prozess vor 60 Jahren" mit den Zeitzeugen Gabriel Bach und Michael Goldmann-Gilead, die Eichmann im Prozess aus nächster Nähe erlebt hatten; Bach als stellvertretender Ankläger und Goldmann-Gilead als persönlicher Referent des Chefanklägers.

Journalistisch wäre es hochinteressant gewesen, diese beiden Zeitzeugen mit den neuen BND-Dokumenten zu konfrontieren. Aber dafür hätte sich der BR um Dokumente bemühen müssen, zum Beispiel über Google. Stattdessen kommen die Historiker Mirjam Zadoff vom Münchner NS-Dokuzentrum, Tom Segev und Michael Wolffsohn ausführlich zu Wort. Segev hat Simon Wiesenthal in einer Biographie als erfolgreichen Eichmann-Jäger dargestellt – eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt.

Und von Wolffsohn (Bundeswehr-Hochschule München) stammt die Äußerung: "Wenn wir mit Gentleman-Methoden den Terrorismus bekämpfen wollen, werden wir scheitern. (…) Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim." Was ihn offensichtlich für das Bayerische Fernsehen als Experten für Menschenrechte qualifiziert.

Wiederholt wird Margarethe von Trottas Spielfilm "Hannah Arendt", die für den New Yorker das Verfahren kommentierte und sich schon damals wunderte, warum Eichmanns Verteidiger Robert Servatius nicht auf "mildernde Umstände" plädiert hatte.

Arendt kannte natürlich die BND-Akten nicht und wusste daher nicht, dass Servatius ein Spitzel in Dienst der jungen Bundesrepublik war. Aber sie hatte das richtige Gespür und wurde zu einer der wenigen kritischen Stimmen der westlichen Welt.

Es folgen zeitgenössische Konserven, die interessant sein könnten, wenn man den heutigen Forschungsstand dagegen halten würde. Das passiert aber nicht. Man hätte die WDR-Dokumentation über Globke ("Der Mann hinter Adenauer") wiederholen können. Fehlanzeige. Dafür wird das NDR-Doku-Drama "Eichmanns Ende" erneut gezeigt – eine angebliche Liebesgeschichte zwischen der Tochter des jüdischen Emigranten Lothar Hermann und einem Sohn Eichmanns.

Über diesen Film habe ich einen 90-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel "Desinformation" gedreht. Darin werfe ich dem Sender Geschichtsfälschung vor. Der NDR hat diese Vorwürfe weder dementiert noch eine Unterlassung gefordert; er hat sie einfach ignoriert. Lediglich der Untertitel - "Liebe, Verrat, Tod" – musste nach Protesten der Familie Hermann entfernt werden.

Die Reaktion des BR

Ich habe die verantwortlichen BR-Vertreter – Andreas Bönte, stellvertretender Programmdirektor Kultur, und Pressesprecher Detlef Klusak – gefragt, ob sie auf die neuen Dokumente des BND, an deren Authentizität keine Zweifel bestehen, hinweisen werden? Ob sie sich um den Sachstand der aktuellen Forschung bemüht haben? Wenn nein, warum nicht? Ob sie die Kritik an "Eichmanns Ende" kennen? Und ob sie – was etwa in der Presselounge des WDR üblich ist – ihre Sendungen vorher einsehen lassen? Man schickte mir ein paar Allgemeinplätze.

Beantwortet wurde keine Frage.


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NEUER BEITRAG24.06.2021, 01:10 Uhr
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Und ebd. am 21. Juni:


Wie das Bundeskanzleramt ein System der Geschichtsfälschung verteidigt …

21. Juni 2021 Gaby Weber

… und welche Rolle die Konrad-Adenauer-Stiftung dabei spielt. Neue Dokumente des BND liefern Indizien, wie die historische Wahrheit verschleiert werden soll

Einige Behörden haben inzwischen ihre NS-Vergangenheit vor und nach 1945 aufgearbeitet. Selbst der Bundesnachrichtendienst (BND) hat eine externe Kommission in seinem Archiv forschen lassen. Nur eine Institution sperrt sich beharrlich, das Bundeskanzleramt.

Und das hängt vor allem mit einer Person zusammen: Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, hoher Beamter in Hitlers Reichsinnenministerium und später allmächtiger Staatssekretär von CDU-Bundeskanzler von Konrad Adenauer.

Schon seit den 1950er-Jahren stand Globke im Zentrum der Kritik als Symbol für die NS-Kontinuität im Bonner Staat. Sie kam aus dem Ostblock, von der westdeutschen Opposition - nur aus Israel kam sie nicht. 1960 erteilte das Kanzleramt dem BND den Sonderauftrag, dafür zu sorgen, dass im Prozess in Jerusalem gegen den SS-Mann Adolf Eichmann Globkes Name nicht erwähnt wurde.

Und der Pullacher Dienst, damals unter dem Kommando von Nazi-Generalmajor Reinhard Gehlen, sorgte sich. Er witterte eine "kommunistische Hetzkampagne" gegen "Globus", wie er Adenauers Staatssekretär intern nannte. Die DDR veröffentlichte Bücher über ihn und stellte Globke in Abwesenheit vor Gericht.

Bis heute sorgt das Kanzleramt - bis auf einige historische Ausrutscher stets in der Hand der Christdemokraten - dafür, dass die Globke-Akten unter Verschluss bleiben. Globke hatte sie bei seinem Ausscheiden aus dem Amt einfach mit nach Hause genommen, und seine Erben gaben sie an die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).

Und diese private Einrichtung geht mit dem Nachlass, darunter Verschlusssachen und "geheim"-Gestempeltes, so um, wie es die C-Parteien wünschen. Einige Historiker oder angehende Historiker wurden mit diesen amtlichen Dokumenten gefüttert und andere nicht. Bevorzugt werden die Stipendiaten der KAS.

Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte 2017 in einem von mir erstrittenen Urteil klargestellt, dass diese Akten weiterhin Bundeseigentum seien. Doch das Kanzleramt weigert sich hartnäckig, diese Akten an das Bundesarchiv zu schicken, wo sie laut Bundesarchivgesetz hingehören.

Meine Verfassungsklage ist anhängig, und Rechtsanwalt David Werdermann wünscht sich ein "Machtwort, zumal das Gericht im vorangegangenen Verfahren bereits entschieden hat, dass die Privatisierung von amtlichen Unterlagen nicht in Ordnung ist". Aber die Karlsruher Richter scheinen keine Eile zu haben. Meine Strafanzeige wegen Hehlerei wurde verworfen. Deutsche Staatsanwälte sind weisungsgebunden; sie unterstehen der Ministerialhierarchie, und dort hat die Politik das Sagen.

Der Fall Litauen

Globke hatte nicht nur die Nürnberger Rassengesetze kommentiert, damit also die rechtliche Grundlage der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung geschaffen, er hatte als Ministerialdirigent im Reichsinnenministerium maßgeblich an der Einziehung des Vermögens der staatenlos gewordenen Juden mitgewirkt, auch in den besetzten Ostgebieten. Und er hatte sogar den Nazi-Staat auf internationalem Parkett vertreten.

Zum Beispiel in Litauen, 1939. Im März hatte der deutsche Außenminister seinen Amtskollegen in Vilnius vor die Wahl gestellt, entweder das Memelgebiet unverzüglich und per Vertrag an das Deutsche Reich abzutreten oder Gefahr zu laufen, von der Wehrmacht überrollt zu werden.

Die litauische Regierung beugte sich dem Ultimatum. Globke unterzeichnete diesen Vertrag. Als Wortführer der deutschen Delegation setzte er durch, dass die aus dem Memelgebiet nach Litauen geflüchteten Juden nicht als litauische Bürger anerkannt wurden und dass somit ihr zurückgelassenes Vermögen dem Nazi-Staat zufiel.

Allerdings gelang es Globke nicht, dass den Geflüchteten ihre deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Doch der militärische Angriff auf die baltischen Länder war nur noch eine Frage der Zeit. Wenige Wochen nach der Vertragsunterzeichnung fand Globke in einem Fachaufsatz tröstende Worte:

"Es ist aber Vorkehrung getroffen, um sie alsbald nach Inkrafttreten des Vertrags und vor Rückkehr nach Deutschland auszubürgern." (Hans Globke)
Auch konservative Historiker betrachten den Anschluss des Memelgebietes als erzwungen und Globke als Komplizen dieser Erpressung. Sein Name steht schließlich unter dem Vertrag. Doch die Adenauer-Stiftung scheut weder Kosten noch Mühen, um die Deutungshoheit an sich zu reißen. In ihren Augen war der Kommentator der Rassengesetze nur ein Rädchen in der NS-Maschinerie und im Herzen ein Fürsprecher der Juden.

Der akademische Verteidiger Globkes

Während die KAS anderen Forschern den kompletten Zugang zum Globke-Nachlass verweigert hatte, durfte der Student Erik Lommatzsch jahrelang diese Akten auswerten. Sowohl in seiner Magisterarbeit wie auch in der Promotion widmete er sich Globke, veröffentlichte Bücher, gilt als "Globke-Experte". Für die Magisterarbeit gewährte ihm die Adenauer-Stiftung ein großzügiges Stipendium, für die Doktorarbeit kam das Geld von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Finanzier und Forschungsobjekt waren also identisch.

Lommatzsch verbreitet seitdem, dass sich Verhandlungsführer Globke in Litauen für die Flüchtlinge eingesetzt habe:

"Globke (habe) angeregt, die im Memelgebiet ansässigen Juden, einschließlich der nach der Machtergreifung eingewanderten Juden, zu litauischen Staatsangehörigen zu machen. Das wurde jedoch von den Vertretern der litauischen Regierung abgelehnt."

Als "Beweis" für die angebliche litauische Ablehnung des deutschen Vorschlages, verweist er in der Fußnote auf eine Erklärung eines Juozas Sakalauskas vom 20. Juli 1963, zufällig wenige Tage vor dem DDR-Urteil gegen Globke.

Sakalauskas war im Juli 1939 Vorsitzender der litauischen Verhandlungsdelegation gewesen und lebte später in München. Diese Erklärung, verrät die Fußnote, soll sich im KAS-Archiv befinden. Aber Lommatzsch erwähnt nicht, bei wem es sich um diesen Mann handelt.

Neue BND-Dokumente

Im Rahmen meiner Klage wegen Aktenfreigabe vor dem Bundesverwaltungsgericht hat der BND einige neue Akten zugänglich gemacht. Dort findet sich Aufschlussreiches über Globke, etwa ein Vermerk des BND-Chefs vom Herbst 1960. Der Staatssekretär hatte Gehlen mitgeteilt, dass sich Sakalauskas an ihn gewandt hatte und dass er ihn empfangen wolle.

"Die Zone wolle damit, dass Globus den Vertrag unterzeichnet habe, nachweisen, dass er besonders enge Beziehungen zu Hitler gehabt und dass den Litauern wider ihres Willens ein Vertrag aufoktroyiert worden sei. Globus könne sich daran erinnern, dass der Vertrag in wesentlichen Teilen auf litauischen Vorschlägen beruhe."

Globke bat Gehlen um weitere Informationen. Er sollte Sakalauskas überreden, eine "Bescheinigung für Globus auszustellen", wonach die Annektierung des Memelgebietes ein Vorschlag der Litauer gewesen sei. Gehlen kümmerte sich, schließlich stand der Mann auf der richtigen Seite, befand er. Er nenne sich, meldete er nach Bonn, "freier Journalist" und sei bei Radio Free Europe tätig, dem Propagandasender der CIA im Kalten Krieg.

Dem BND gegenüber hatte er erklärt, dass er Globke "gegen kommunistische Angriffe schützen" wolle. Am 13. Dezember 1960 begleiteten BND-Agenten den Mann ins Bundeskanzleramt, für ein Tête-à-Tête mit "Globus". Und der bekam auf diese Weise seine entlastende Erklärung, die in der Adenauer-Stiftung landete und mit der Lommatzsch seine These über den guten Menschen im Kanzleramt zimmern konnte.

Ich habe Lommatzsch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat sich dazu nicht äußern wollen. Ein Wissenschaftler hätte das getan.


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NEUER BEITRAG12.12.2021, 14:13 Uhr
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Eichmann, Globke & das Bundekanzleramt jW gestern:

»Tod durch den Strang«

Vor 60 Jahren wurde in Israel das Urteil gegen den Massenmörder Adolf Eichmann verkündet. Eine Nebenklage war nicht zugelassen worden

Von Ralph Dobrawa

Die Namen der Lebenden

Generalstaatsanwalt Hausner: »In dem Prozess gegen Eichmann geht es nur darum, die historische Wahrheit seiner kriminellen Verbrechen festzustellen!«

Prof. Dr. Kaul: »Glauben Sie, dass Eichmann auch nur einem jüdischen Menschen ein Haar hätte krümmen können, wenn andere nicht die Voraussetzungen hierfür geschaffen hätten?«

Generalstaatsanwalt Hausner: »Natürlich werden wir im Prozess auch von Hitler und Himmler, von Kaltenbrunner und Heydrich zu sprechen haben.«

Prof. Dr. Kaul: »Sie nennen nur die Namen von Toten! Warum nennen Sie nicht auch die Namen derer, die heute noch leben und in Westdeutschland bereits wieder in Amt und Würden sind?«

Aus der Unterredung, die am 21. Februar 1961 in Jerusalem zwischen dem israelischen Generalstaatsanwalt Gideon Hausner und Friedrich Karl Kaul stattfand, zit. n. Friedrich Karl Kaul: Der Fall Eichmann, Berlin 1963, S. 5

Aus der Befragung Eichmanns im Prozess

Richter Halevy: Sie waren ein überzeugter Nationalsozialist?

Eichmann: Jawohl.

Richter Halevy: Aber nach der Niederlage, allmählich im Laufe der Jahre, von den Kriegsschlägen – wie Sie sagten – haben Sie sich zu einer anderen Anschauung durchgerungen.

Eichmann: Jawohl, das hat bei mir sehr lange gedauert.

Richter Halevy: … Die Juden wurden als ein »Bazillus« angesehen, der vernichtet werden müsse, wie jede andere Krankheit auch? Und Erbarmungslosigkeit galt als Tugend, wenn man so sagen darf …

Eichmann: Jawohl, das stimmt, das muss ich zugeben.

Dov B. Schmorak: Der Prozess Eichmann, Wien 1964, S. 332


Der Name Adolf Eichmann wird für immer mit dem größten Völkermord, der von deutschem Boden ausging, dem Holocaust, verbunden sein. Er gilt als einer der Hauptorganisatoren bei der Durchführung des Massenmordes an den europäischen Juden.

Eichmann wurde 1906 in Solingen geboren und entstammte einer kinderreichen kleinbürgerlichen Familie. Seine Ausbildungszeit verlief wenig erfolgreich. Bereits das Gymnasium in Linz verließ er ohne Abschluss, auch eine spätere Ausbildung zum Mechaniker brach er ab, so dass er sich als Verkäufer und Vertreter für verschiedene Firmen durchschlug. Noch vor der Machtübertragung an Adolf Hitler trat er der NSDAP bei und versuchte fortan im Dienste der Nazis Karriere zu machen. Seit 1934 war Eichmann beim SD, dem Sicherheitsdienst der SS, tätig. Ab Mitte 1935 gehörte er dem dort gerade erst geschaffenen sogenannten Judenreferat an. 1938/39 war er in Wien und Prag eingesetzt und an beiden Orten bereits mit der systematischen Organisation der Vertreibung jüdischer Bürgerinnen und Bürger befasst.

»Spediteur des Todes«

Zu Beginn des Jahres 1940 kehrte er in das Berliner Reichssicherheitshauptamt zurück und übernahm als SS-Obersturmbannführer ab Mitte 1941 die Leitung des für die Deportation europäischer Juden zuständigen Referats. Da in seinen Aufgabenbereich auch die Organisation des Transportes zu den Vernichtungslagern in Auschwitz-Birkenau, Sobibor oder Majdanek gehörte, wurde Eichmann oft als »Spediteur des Todes« bezeichnet. Seine Vorgehensweise entsprach der eines typischen deutschen Bürokraten, der jegliches Mitgefühl mit dem Schicksal seiner Opfer vermissen ließ. Auch aus späteren Äußerungen von Eichmann wissen wir, dass er zu jener Sorte Befehlsempfänger zählte, die ohne jegliche Skrupel widerspruchslos die ihnen erteilten Weisungen umsetzen. Allerdings wirkte er nicht nur als »Schreibtischtäter«, verbürgt ist auch, dass er einige Tatorte, unter anderem das KZ Auschwitz, besuchte, um sich selbst ein Bild von den massenhaften Tötungen zu machen. Auch an der berüchtigten Wannseekonferenz, die am 20. Januar 1942 stattfand und die sogenannte Endlösung der Judenfrage zum Inhalt hatte, nahm Eichmann teil.

Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus geriet Eichmann zwar zunächst in Gefangenschaft, konnte aber schließlich einige Jahre unter falschem Namen untertauchen. 1950 wanderte er über die sogenannte Rattenlinie nach Argentinien aus und lebte und arbeitete dort unter dem falschen Namen Ricardo Klément. Hier spürte ihn der israelische Geheimdienst Mossad auf und entführte ihn im Mai 1960 nach Israel mit dem Ziel, ihn dort vor Gericht zu stellen.

Heute wissen wir, dass sein Ergreifen maßgeblich dadurch ermöglicht wurde, dass der zu dieser Zeit in Hessen tätige Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Hinweise auf den Aufenthalt Eichmanns erhalten hatte und diese Kenntnisse an den Mossad weitergab. Die in der Bundesrepublik zu Adolf Eichmann existenten Geheimdienstakten wurden bis zu einer vor zehn Jahren mit gerichtlicher Hilfe erzwungenen Freigabe unter Verschluss gehalten. Obwohl man seit 1952 Kenntnis vom Aufenthalt Eichmanns hatte, bestand kein Interesse an der Strafverfolgung gegen ihn. Auch Fritz Bauer musste die Erfahrung machen, dass in seinem näheren und weiteren Umfeld ebenfalls nichts unternommen wurde, um Eichmanns habhaft zu werden. Bauers stille Aktivitäten in die gegenteilige Richtung, die erst lange nach seinem Tod bekannt wurden, verdienen deshalb größten Respekt, zumal im Fall des Bekanntwerdens seine eigene Existenz gefährdet gewesen wäre. Die Bundesrepublik hatte auch deshalb kein Interesse an Eichmann, weil der frühere Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, Hans Maria Globke, in jenen Jahren als Staatssekretär des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer fungierte und als dessen »graue Eminenz« galt. Durch eine Strafverfolgung von Eichmann wäre zu befürchten gewesen, dass Globke, an dem Adenauer trotz der erhobenen Vorwürfe festhielt, noch viel stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten wäre. Der israelische Staat legte ebenfalls Wert darauf, Globke aus den Geschehnissen herauszuhalten. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel befanden sich seit 1960 auf gutem Wege, nachdem es zu einem Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben-Gurion gekommen war. Dabei spielten ganz sicher wirtschaftliche und finanzielle Aspekte eine Rolle.

Globke rausgehalten

Als sich abzeichnete, dass der DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul beabsichtigte, als Nebenklagevertreter für Hinterbliebene von Opfern des Holocaust an dem geplanten Prozess gegen Eichmann teilzunehmen, witterte man sowohl in Bonn als auch in Jerusalem die Gefahr, dass Globke doch noch zu einem Thema im Prozess werden könnte. Nach Gesprächen Kauls mit dem damaligen israelischen Justizminister Pinchas Rosen und dem Generalstaatsanwalt Gideon Hausner, die diesen Eindruck verstärkten, behalf sich der israelische Staat damit, dass er kurzerhand durch entsprechende Gesetzesregelung die Nebenklage abschaffte. Damit war Rechtsanwalt Kaul die unmittelbare Mitwirkung an dem Verfahren versagt. Er nahm fortan als Prozessbeobachter der DDR teil und veröffentlichte später dazu ein Buch. Während seines Aufenthalts in Israel wurde am 29. Juni 1961 in sein Zimmer im King David Hotel eingebrochen, und es wurden Dokumente entwendet. Der Vertraute Adenauers, Rolf Vogel, agierte dabei zusammen mit dem Bild-Reporter Frank Lynder, einem Schwager Axel Cäsar Springers. Das Diebesgut gelangte schließlich als Diplomatengepäck in die Hände des BND. Es sollte damit verhindert werden, dass Personen des öffentlichen Lebens der BRD mit Nazivergangenheit, im Zusammenhang mit dem Prozess ins Gespräch kamen.

Im April 1961 begann der Prozess gegen Eichmann, der bis zur Urteilsverkündung am 15. Dezember desselben Jahres andauerte. Das Gericht erkannte auf »Tod durch den Strang«. Die hiergegen gerichtete Revision seiner Verteidigung wurde am 9. Februar 1962 abgelehnt, ebenfalls die für ihn eingereichten Gnadengesuche. Am 1. Juni 1962 wurde das Urteil gegen Adolf Eichmann vollstreckt.


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