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Emil Carlebach: 20. Todestag
  [1 pic,1 file] begonnen von FPeregrin am 09.04.2021  | 1 Antwort
NEUES THEMA09.04.2021, 13:15 Uhr
EDIT: FPeregrin
10.04.2021, 10:47 Uhr
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FPeregrin

• Emil Carlebach: 20. Todestag jW heute:

Bis zum zweiten Tod

Widerstand im KZ: Vor 20 Jahren starb Emil Carlebach

Von Michael Henkes

Irgendwo oben auf dem Ettersberg starb in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1945 der Häftling Nr. 4186 das erste Mal. Dort zwischen Stacheldraht, Todeszonen und den Wachtürmen des KZ Buchenwald, nach 4.280 Tagen in deutschen KZ, starb er, um weiterzuleben als »Franzose« – statt noch kurz vor der Befreiung »evakuiert«, also getötet zu werden. So beschreibt Emil Carlebach in seinem Buch »Tote auf Urlaub« seine Gedanken der Nacht, in der er und andere Häftlinge eine »Meuterei« unternahmen.

Er starb, um weiterzukämpfen – weitere 56 Jahre, bis er dann endgültig vor 20 Jahren, am 9. April 2001, aus dem Leben schied. Einem Leben, dem das »Kommunistsein« nicht durch Tradition oder soziale Lage vorherbestimmt war. Denn geboren wurde Carlebach 1914 in eine patriotisch gesinnte, bürgerlich-jüdische Familie als Sohn eines Kaufmannes in Frankfurt am Main. Die Arbeiterbewegung war ihm fremd. Das änderte sich erst mit dem staatlichen Doppelmord an den beiden Arbeitern Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den USA, der damals eine weltweite Solidaritätsbewegung auslöste. Auch den jungen Emil empörte dieser allzu offensichtliche Ausdruck der Klassenjustiz zutiefst. Er begann sich für die Arbeiterbewegung zu interessieren; Massenarbeitslosigkeit und faschistischer Straßenterror taten ihr übriges. Carlebach nahm über Mitschüler Kontakt zum Kommunistischen Jugendverband auf – und trat mit 18 Jahren in die KPD ein. 1934 bezahlte er dieses Engagement mit seiner Verhaftung, der etliche Jahre Folter und Terror in deutschen Konzentrationslagern folgten. Zunächst Gefängnishaft. Im Anschluss das KZ Dachau. Dann Buchenwald. Dort blieb er bis 1945.

Es kann nicht auf alles eingegangen werden, was Emil Carlebach im KZ widerfuhr. Er hat es selbst eindringlich beschrieben im bereits genannten Buch. Doch an eines muss erinnert werden, will man an Carlebach erinnern. Dass die KZ eine Welt des Terrors, der willkürlichen Ermordungen und der Folter waren, ist über 75 Jahre nach 1945 bekannt – wenn auch nicht begreiflich. Dass sie aber auch ein Ort der Solidarität, des Internationalismus und des Widerstands waren, findet in der geschichtlichen »Aufarbeitung« wenig Widerhall. Oder wird gar geleugnet. Wahrheit bleibt aber, dass es Widerstand gab. Nicht nur einzelnen, sondern organisierten Widerstand, der in der Selbstbefreiung Buchenwalds gipfelte.

Die SS errichtete in den deutschen KZ ein System der partiellen Selbstorganisation der Häftlinge, u. a. weil sie die große Zahl an Gefangenen anders nicht handhaben konnte. Diese sogenannten Funktionshäftlinge sahen sich bei Strafe des eigenen oder des Todes anderer dazu gezwungen, mitzuwirken am System KZ. Ihr Handlungsspielraum war klein, ständig waren sie der Willkür der SS ausgesetzt. In Buchenwald gelang es einer Vielzahl von Kommunisten, in Funktion zu kommen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten versuchten sie durch Einflussnahme auf die Arbeitskommandos, die Essenverteilung und Krankenpflege das Unerträgliche erträglicher zu machen. In Buchenwald wurde Emil Carlebach ein solcher Blockältester und half anderen unter Einsatz seines Lebens. Auch an der Widerstandsorganisation im KZ Buchenwald war er beteiligt. Es ist kaum vorstellbar, im Zustand der völligen Überwachung und des absoluten Terrors: Die Kommunisten organisierten gemeinsam mit inhaftierten Soldaten der überfallenen Länder, mit Christen und bürgerlichen Demokraten ein »Internationales Lagerkomitee« und ein »Volksfrontkomitee«. Selbst eine Militärorganisation wurde gegründet, Waffen gestohlen und versteckt, Pläne geschmiedet – die schließlich in der Selbstbefreiung am 11. April 1945 angesichts der anrückenden US-amerikanischen Truppen gipfelten.

Auch danach blieb Carlebach seinen Überzeugungen treu: Er war Stadtverordneter der KPD in Frankfurt am Main und Landtagsabgeordneter, Mitbegründer der Frankfurter Rundschau und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Verfolgt wurde er auch in der BRD, nach dem Verbot der KPD 1956 musste er zeitweise in die DDR übersiedeln. Später schrieb er als Journalist für die antifaschistische Zeitung Die Tat, war in der 1968 neukonstituierten Kommunistischen Partei DKP tätig und Vorsitzender der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora. Er blieb dem Schwur von Buchenwald, der »Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln« und dem »Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit«, bis zu seinem zweiten Tod treu.

Die Herrschenden in diesem Land wollen nicht, dass wir uns an ihn erinnern. Sie wollen, dass wir vergessen. Vergessen, dass es die Kommunisten waren, die die Hauptlast des Widerstands gegen den Faschismus trugen. Vergessen, dass es Solidarität und Widerstand selbst in der Hölle von Buchenwald gab – von Kommunisten, bürgerlichen Demokraten und Christen gemeinsam organisiert. Vergessen, dass eben jene, die den Schwur von Buchenwald leisteten, die Wurzeln des Faschismus auch nach dem 8. Mai 1945 nicht vernichtet sahen.

Tun wir ihnen diesen Gefallen nicht und erinnern uns an Emil Carlebach.


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NEUER BEITRAG10.04.2021, 11:43 Uhr
EDIT: FPeregrin
10.04.2021, 11:44 Uhr
Nutzer / in
FPeregrin

Emil Carlebach: 20. Todestag Lasst nicht nach in Eurer Wachsamkeit! - Diese Rede hat Emil Carlebach 1995 anläßlich des Gedenkens des 50. Jahrestages der Buchenwald-Selbstbefreiung gehalten, ... u.a. mit den scheinheiligen offiziösen Vertretern des Klassenfeinds im Auditorium!

Da sie sowieso gerade gescant vorlag, werde ich sie Euch nicht vorenthalten:
• PDF-Datei Carlebach-Rede.pdf
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