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•NEUES THEMA14.03.2021, 23:10 Uhr
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• "Mythos" Kronstadt
Wenige Jahre nach der Oktoberrevolution kam es zum "Matrosenaufstand" von Kronstadt. Mit dessen Umständen befaßt sich der Artikel von Elisa Nowak auf der Themenseite der jW vom 9. März:
Mythos Kronstadt
Gezielt geschürte Unruhen, »Fake News« und rückwirkende Verklärung. Vor 100 Jahren fand der Aufstand in der Festung bei Petrograd statt
Als am 7. November 1917 die Bolschewiki mit der Oktoberrevolution (nach Julianischem Kalender am 25. Oktober 1917) in Russland die Macht eroberten, geriet das durch den Ersten Weltkrieg zerstörte Land in einen Bürgerkrieg. Nachdem die verfassunggebende Versammlung von den Bolschewiki am 19. Januar 1918 aufgelöst worden war, stellten sich neben zaristischen und weißgardistischen Kräften auch die Sozialrevolutionäre und Anarchisten gegen die Sowjetmacht – und schreckten dabei nicht vor individuellen Terrorakten zurück: Am 30. August 1918 wurde beispielsweise Wladimir I. Lenin von der Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan mit zwei Schüssen schwer verletzt. Der Bürgerkrieg blieb kein nationales Ereignis, sondern entwickelte sich rasch zu einem Krieg zwischen Sowjetmacht und der internationalen Konterrevolution. Die »Weiße Armee«, eine aus ehemaligen Militärs des Zarenreichs, rechten Menschewiki und anderen antibolschewistischen Strömungen formierte Kraft, fand dabei Unterstützung von mehr als 14 Nationen. Neben dem russischen Erzfeind Japan halfen auch die USA, Großbritannien und Frankreich den »weißen« Kräften, die u. a. durch ihren antisemitischen Terror bekannt wurden.
Die Bolschewiki sahen sich jedoch nicht nur imperialistischen Feinden gegenüber, sondern auch Kräften innerhalb des linken und sozialistischen Spektrums, darunter den Sozialrevolutionären und der anarchistischen Bewegung von Nestor Machno. Die von Kriegskommissar Leo Trotzki aufgebaute Rote Armee, die Hilfe von Kommunisten aus der Mongolei und China erhielt, konnte in den Jahren nach 1917 unter großen Verlusten die konterrevolutionären Kräfte nach und nach zurückschlagen. Angesichts der Kriegsumstände kamen die Bolschewiki nicht umhin, Lebensmittel zu rationieren – vor allem Brot, das ein knappes Gut war. Waren dies schon keine vorteilhaften Bedingungen für die Arbeiter, kamen erschwerend »Fake News« hinzu, die von den bürgerlichen Kräften eifrig befeuert und verbreitet wurden.
Vor diesem Hintergrund stellte der Matrosenaufstand in der Festung Kronstadt auf der Kotlin-Insel vor Petrograd eine besondere Situation dar und gibt bis heute Anlass für Mythenbildungen, Verfälschungen und Propaganda. Bürgerliche erblicken in der Revolte, die vom 1. bis zum 18. März 1921 dauerte, einen »Freiheitskampf«, Anarchisten sehen in ihr eine »dritte Revolution«. Die Niederschlagung des Aufstands wird als angebliches Musterbeispiel des »Roten Terrors« auch heute noch herangezogen, um die kommunistische Idee zu diskreditieren. Dabei spielten in Kronstadt vor 100 Jahren mehrere Faktoren eine wichtige Rolle; eine monokausale Erklärung hilft da nicht weiter. Genauso bemerkenswert wie die seltene Einigkeit zwischen Anarchisten, antikommunistischen Linken und Bürgerlichen in dieser Frage ist der Umstand, dass dieser Aufstand das einzige Ereignis ist, das beim fünf Jahre währenden Verteidigungskrieg der Bolschewiki im kollektiven Gedächtnis der Widersacher geblieben ist.
Mediale Intervention
Nach drei Jahren des Bürgerkriegs lag die Wirtschaft in Russland Anfang 1921 am Boden. Eine Missernte befeuerte die Krise zusätzlich. Im Zuge der Politik des Kriegskommunismus wurden Rohstoffe und Nahrungsmittel primär in den militärischen Sektor geleitet und der Roten Armee zur Verfügung gestellt. Die Bevölkerung, die faktisch seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 – mit einer Unterbrechung zwischen der Februar- und Oktoberrevolution 1917 – im Kriegszustand leben musste, war kampfesmüde und litt Hunger.
Am 24. Februar 1921 zeichnete Lenin vor dem Parteiaktiv¹ der Stadt Moskau ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Situation, denn sowohl die Nahrungs- als auch die Brennstoffproduktion hatte sich stark verschlechtert.² Die Ursachen besonders der mangelhaften Versorgung mit Brennstoff konnten die Bolschewiki nicht gänzlich ausmachen, doch später schrieb der russisch-amerikanische Übersetzer und politische Aktivist der Socialist Workers Party John G. Wright in seinem im Februar 1938 veröffentlichten Artikel »The Truth about Kronstadt« (die Wahrheit über Kronstadt) von einer sanktionierenden Wirtschaftspolitik seitens der Imperialisten.³ Die gezielte ökonomische Abschottung Russlands verschlechterte die Lage der Bevölkerung inmitten des Krieges nochmals drastisch.
Begleitet wurde diese Blockadepolitik von einer »Fake News«-Kampagne, in der sich besonders die französische Presse hervortat. Bereits Anfang Februar wurde dort behauptet – flankiert von weißgardistischen Medien –, es gebe »Unruhen« in Petrograd, obgleich es dort vergleichsmäßig ruhig zuging. Mit dieser Medienkampagne, die nach Russland hineinwirkte und während des gesamten Aufstands in Kronstadt anhielt, wurde versucht, die Bevölkerung im Land gegen die Sowjets aufzuwiegeln, nachdem die militärischen Interventionen aus dem Ausland von der Roten Armee zurückgedrängt worden waren. Davon angeheizt fanden Ende Februar dann in der Tat »Unruhen« und wilde Streiks in der Hauptstadt statt, wie sie die ausländische Presse prophezeit und heraufbeschworen hatte. Das war zugleich der Startschuss für die Bildung von Legenden vom »freiheitlichen« und »revolutionären« Kronstadt. Dabei war unter den beteiligten Akteuren selbst unklar, was sie eigentlich fordern sollten. Während Bürgerliche und Anarchisten von der Verabschiedung einer »Resolution« oder der Forderung, mit den regierenden Bolschewiki ins Gespräch zu kommen, sprachen, verstanden Sozialrevolutionäre den Beginn des Aufstandes am 1. März 1921 als einen Anlass, einen »freien Sowjet« zu wählen. Diese Losung bestimmte letztlich den Mythos, hinter dem sich alle antibolschewistischen Kräfte vereinen konnten.
Am 2. März forderten die Aufständischen neben der Wahl »freier Sowjets« auch den »freien Handel«, insbesondere für die Kleinbauern und -besitzer. Lenin warnte vor dieser Forderung, die das »kleinbürgerliche Element«⁴ der Proteste offen zur Schau trug: Da Sowjetrussland mehrheitlich ein bäuerliches Land und die Arbeiter in der Minderheit waren, hätten die immer noch vorhandenen kapitalistischen Kräfte ein großes Interesse daran, den Klassenkonflikt zwischen Arbeitern und Bauern zu ihrem Nutzen zu verschärfen. Wenngleich die Bolschewiki in den folgenden Tagen auf dem X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) die Neue Ökonomische Politik (NEP) verabschiedeten – die eine faktische, staatlich kontrollierte Marktöffnung bedeutete – wäre die Umsetzung der Resolution der Aufständischen gleichbedeutend mit einer Restauration unkontrollierter kapitalistischer Zustände gewesen. Dass es letzteren nicht um eine sinnvolle Regelung freier Handelsbeziehungen ging, bewies ihr Widerstand gegen Gespräche zur Normalisierung der Handelsbeziehungen zwischen Sowjetrussland und dem internationalen Kapital.
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Mythos Kronstadt
Gezielt geschürte Unruhen, »Fake News« und rückwirkende Verklärung. Vor 100 Jahren fand der Aufstand in der Festung bei Petrograd statt
Als am 7. November 1917 die Bolschewiki mit der Oktoberrevolution (nach Julianischem Kalender am 25. Oktober 1917) in Russland die Macht eroberten, geriet das durch den Ersten Weltkrieg zerstörte Land in einen Bürgerkrieg. Nachdem die verfassunggebende Versammlung von den Bolschewiki am 19. Januar 1918 aufgelöst worden war, stellten sich neben zaristischen und weißgardistischen Kräften auch die Sozialrevolutionäre und Anarchisten gegen die Sowjetmacht – und schreckten dabei nicht vor individuellen Terrorakten zurück: Am 30. August 1918 wurde beispielsweise Wladimir I. Lenin von der Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan mit zwei Schüssen schwer verletzt. Der Bürgerkrieg blieb kein nationales Ereignis, sondern entwickelte sich rasch zu einem Krieg zwischen Sowjetmacht und der internationalen Konterrevolution. Die »Weiße Armee«, eine aus ehemaligen Militärs des Zarenreichs, rechten Menschewiki und anderen antibolschewistischen Strömungen formierte Kraft, fand dabei Unterstützung von mehr als 14 Nationen. Neben dem russischen Erzfeind Japan halfen auch die USA, Großbritannien und Frankreich den »weißen« Kräften, die u. a. durch ihren antisemitischen Terror bekannt wurden.
Die Bolschewiki sahen sich jedoch nicht nur imperialistischen Feinden gegenüber, sondern auch Kräften innerhalb des linken und sozialistischen Spektrums, darunter den Sozialrevolutionären und der anarchistischen Bewegung von Nestor Machno. Die von Kriegskommissar Leo Trotzki aufgebaute Rote Armee, die Hilfe von Kommunisten aus der Mongolei und China erhielt, konnte in den Jahren nach 1917 unter großen Verlusten die konterrevolutionären Kräfte nach und nach zurückschlagen. Angesichts der Kriegsumstände kamen die Bolschewiki nicht umhin, Lebensmittel zu rationieren – vor allem Brot, das ein knappes Gut war. Waren dies schon keine vorteilhaften Bedingungen für die Arbeiter, kamen erschwerend »Fake News« hinzu, die von den bürgerlichen Kräften eifrig befeuert und verbreitet wurden.
Vor diesem Hintergrund stellte der Matrosenaufstand in der Festung Kronstadt auf der Kotlin-Insel vor Petrograd eine besondere Situation dar und gibt bis heute Anlass für Mythenbildungen, Verfälschungen und Propaganda. Bürgerliche erblicken in der Revolte, die vom 1. bis zum 18. März 1921 dauerte, einen »Freiheitskampf«, Anarchisten sehen in ihr eine »dritte Revolution«. Die Niederschlagung des Aufstands wird als angebliches Musterbeispiel des »Roten Terrors« auch heute noch herangezogen, um die kommunistische Idee zu diskreditieren. Dabei spielten in Kronstadt vor 100 Jahren mehrere Faktoren eine wichtige Rolle; eine monokausale Erklärung hilft da nicht weiter. Genauso bemerkenswert wie die seltene Einigkeit zwischen Anarchisten, antikommunistischen Linken und Bürgerlichen in dieser Frage ist der Umstand, dass dieser Aufstand das einzige Ereignis ist, das beim fünf Jahre währenden Verteidigungskrieg der Bolschewiki im kollektiven Gedächtnis der Widersacher geblieben ist.
Mediale Intervention
Nach drei Jahren des Bürgerkriegs lag die Wirtschaft in Russland Anfang 1921 am Boden. Eine Missernte befeuerte die Krise zusätzlich. Im Zuge der Politik des Kriegskommunismus wurden Rohstoffe und Nahrungsmittel primär in den militärischen Sektor geleitet und der Roten Armee zur Verfügung gestellt. Die Bevölkerung, die faktisch seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 – mit einer Unterbrechung zwischen der Februar- und Oktoberrevolution 1917 – im Kriegszustand leben musste, war kampfesmüde und litt Hunger.
Am 24. Februar 1921 zeichnete Lenin vor dem Parteiaktiv¹ der Stadt Moskau ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Situation, denn sowohl die Nahrungs- als auch die Brennstoffproduktion hatte sich stark verschlechtert.² Die Ursachen besonders der mangelhaften Versorgung mit Brennstoff konnten die Bolschewiki nicht gänzlich ausmachen, doch später schrieb der russisch-amerikanische Übersetzer und politische Aktivist der Socialist Workers Party John G. Wright in seinem im Februar 1938 veröffentlichten Artikel »The Truth about Kronstadt« (die Wahrheit über Kronstadt) von einer sanktionierenden Wirtschaftspolitik seitens der Imperialisten.³ Die gezielte ökonomische Abschottung Russlands verschlechterte die Lage der Bevölkerung inmitten des Krieges nochmals drastisch.
Begleitet wurde diese Blockadepolitik von einer »Fake News«-Kampagne, in der sich besonders die französische Presse hervortat. Bereits Anfang Februar wurde dort behauptet – flankiert von weißgardistischen Medien –, es gebe »Unruhen« in Petrograd, obgleich es dort vergleichsmäßig ruhig zuging. Mit dieser Medienkampagne, die nach Russland hineinwirkte und während des gesamten Aufstands in Kronstadt anhielt, wurde versucht, die Bevölkerung im Land gegen die Sowjets aufzuwiegeln, nachdem die militärischen Interventionen aus dem Ausland von der Roten Armee zurückgedrängt worden waren. Davon angeheizt fanden Ende Februar dann in der Tat »Unruhen« und wilde Streiks in der Hauptstadt statt, wie sie die ausländische Presse prophezeit und heraufbeschworen hatte. Das war zugleich der Startschuss für die Bildung von Legenden vom »freiheitlichen« und »revolutionären« Kronstadt. Dabei war unter den beteiligten Akteuren selbst unklar, was sie eigentlich fordern sollten. Während Bürgerliche und Anarchisten von der Verabschiedung einer »Resolution« oder der Forderung, mit den regierenden Bolschewiki ins Gespräch zu kommen, sprachen, verstanden Sozialrevolutionäre den Beginn des Aufstandes am 1. März 1921 als einen Anlass, einen »freien Sowjet« zu wählen. Diese Losung bestimmte letztlich den Mythos, hinter dem sich alle antibolschewistischen Kräfte vereinen konnten.
Am 2. März forderten die Aufständischen neben der Wahl »freier Sowjets« auch den »freien Handel«, insbesondere für die Kleinbauern und -besitzer. Lenin warnte vor dieser Forderung, die das »kleinbürgerliche Element«⁴ der Proteste offen zur Schau trug: Da Sowjetrussland mehrheitlich ein bäuerliches Land und die Arbeiter in der Minderheit waren, hätten die immer noch vorhandenen kapitalistischen Kräfte ein großes Interesse daran, den Klassenkonflikt zwischen Arbeitern und Bauern zu ihrem Nutzen zu verschärfen. Wenngleich die Bolschewiki in den folgenden Tagen auf dem X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) die Neue Ökonomische Politik (NEP) verabschiedeten – die eine faktische, staatlich kontrollierte Marktöffnung bedeutete – wäre die Umsetzung der Resolution der Aufständischen gleichbedeutend mit einer Restauration unkontrollierter kapitalistischer Zustände gewesen. Dass es letzteren nicht um eine sinnvolle Regelung freier Handelsbeziehungen ging, bewies ihr Widerstand gegen Gespräche zur Normalisierung der Handelsbeziehungen zwischen Sowjetrussland und dem internationalen Kapital.
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Strategische Frage
Die Besetzung der Festung bedeutete für die Bolschewiki einen strategischen Nachteil. Kronstadt bietet einen Zugang zur Ostsee und wäre unter antibolschewistischer Kontrolle ein Einfallstor für imperialistische Kräfte geworden, die dadurch schnell auch auf Moskau hätten vorrücken können. Um den Aufstand unter Kontrolle zu bringen, hatten die Bolschewiki wenig Zeit, denn mit dem anbrechenden Frühling würde das Eis schmelzen und damit nicht nur den Seeweg nach Petrograd öffnen, sondern auch eine Rückeroberung der Inselfestung erschweren, da die Aufständischen auch einen relevanten Teil der Flotte kontrollierten. Daher wurde den Aufständischen ein Ultimatum gestellt. Nach dessen Ablauf und nachdem Gesprächsangebote abgeblockt worden waren, befahl Trotzki, der sich seit dem 5. März in Petrograd befand, am 7. März die Stürmung der Festung. Im ersten Angriff standen den 17.600 Rotarmisten unter dem Kommando des späteren Marschalls Michail Tuchatschewski etwa 25.000 Aufständische gegenüber. Am 10. März meldeten sich 300 Abgeordnete des X. Parteitags freiwillig, um mit weiteren 50.000 Rotarmisten den zweiten Angriff zu starten, der angesichts der schweren Artillerie und der Maschinengewehre, über die die Aufständischen verfügten, unter harten Bedingungen stattfand.
Begleitet wurden die folgenden Tage von der schrittweise sich radikalisierenden Kampagne der ausländischen Medien, an der sich u. a. die britische London Times, der französische Le Matin und Reuters beteiligten. In seinem Schlusswort am 16. März während der Tagung des X. Parteitags führte Lenin mehrere Falschmeldungen auf, die die ausländische Presse verbreitete: Von Aufständen und Eroberungen in Petrograd und Moskau bis hin zur Meldung, wonach die bolschewistischen Führer nach Oranienbaum (heute: Lomonosow) oder auf die Krim geflohen seien. All diese Meldungen entsprachen nicht der Wahrheit. Lenin sprach von einer »Orgie von Lügen«, die es so noch nie gegeben habe.⁵ Am 15. März – drei Tage vor der endgültigen Rückeroberung – startete der letzte Angriff. Die Rotarmisten konnten dabei ausnutzen, dass den Aufständischen sowohl Nahrung als auch Munition ausgingen. Innerhalb von drei Tagen gelang es ihnen schließlich, den konterrevolutionären Widerstand niederzuschlagen.
Klassencharakter der Aufständischen
Doch der Blutzoll war gewaltig. Während die Zahlen der Toten und Verletzten auf seiten der Aufständischen schwer zu verifizieren sind (einige Anarchisten sprechen von 6.000 Toten und 2.500 Gefangenen⁶), ließen knapp 10.000 Rotarmisten ihr Leben, viele von ihnen starben im eisigen Meer.⁷ Die Kampagne und die Verleumdungen gegen die Bolschewiki wurden daraufhin jedoch nicht eingestellt, sondern intensivierten sich. Behauptet wurde und wird, dass es sich bei den aufständischen Matrosen um dieselben gehandelt habe, die 1917 für den Oktoberumsturz gekämpft hatten. Von der sozialen Zusammensetzung her mag man in ihnen Revolutionäre sehen, die ihre Sowjets gegen die Bolschewiki verteidigten und eine Räterepublik ohne Bolschewisten anstrebten. Doch waren die Aufständischen von 1921 wirklich dieselben wie die Revolutionäre von 1917? Und wie ist dann das Interesse der Imperialisten, diese zu unterstützen, zu erklären? Solche offenen Fragen hindern die Verteidiger des Aufstands jedenfalls nicht daran, den Mythos einer »dritten Revolution« am Leben zu erhalten. Als nach dem Niedergang der Sowjetunion in den 1990er Jahren die Archive geöffnet wurden, konnte man nun auch – aufrichtiges Interesse vorausgesetzt – der Sache näher auf den Grund gehen.
Wenn es um die Frage der Klassenzusammensetzung geht, stehen sich oftmals zwei Extrempositionen gegenüber: Entweder habe es sich um Revolutionäre gehandelt, die das Ideal der Sowjets verteidigten, oder um bürgerliche und weißgardistische Kräfte ohne jeglichen Bezug zur Arbeiterklasse. Die Matrosen in Petrograd spielten 1917 eine bedeutsame Rolle für die Bolschewiki und wurden von der Partei als »Zierde und Stolz der Revolution« bezeichnet. Während des Bürgerkriegs wurden die meisten der revolutionären Matrosen an die Front geschickt, um den jungen Sowjetstaat zu verteidigen. Bereits 1919/1920 verlangte das Kriegskommissariat gezielt nach Unterstützung aus Kronstadt. Ihm wurde jedoch mitgeteilt, dass es keinen »Nachschub« an Matrosen mehr gäbe, da alle bereits an verschiedenen Orten des Landes gegen die Imperialisten kämpften.⁸ Während viele von ihnen im Kampf fielen, übernahmen andere dort, wo sie im Kampf eingesetzt worden waren, Posten in lokalen Sowjets. Am Aufstand 1921 beteiligten sich demnach größtenteils nicht dieselben Matrosen wie zur Zeit des Oktoberumsturzes. Dennoch ist auch die gegenteilige Behauptung, es habe sich um eine soziale Zusammensetzung ohne jeglichen proletarischen Anteil gehandelt, falsch.
Eine homogene Klassenzusammensetzung gab es dort letztlich nicht.⁹ Da Russland auch nach der Machtergreifung der Bolschewiki ein mehrheitlich bäuerliches Land war, fanden sich in Kronstadt zahlreiche wohlhabende Bauern und Kleinbürger ein. Doch auch enttäuschte Arbeiter entwickelten aufgrund der schwierigen Bedingungen des Kriegskommunismus eine Skepsis gegenüber den Bolschewiki. Die Wirtschaft lag am Boden, der Krieg zerstörte jeden Funken Hoffnung. In dieser Zeit fand in der Partei bereits die Debatte über eine »Liberalisierung« der Wirtschaft statt, besonders, da die Revolution in Deutschland, auf der viele Hoffnungen ruhten, niedergeschlagen worden war. In Kronstadt kulminierten Enttäuschung und Erschöpfung.
Bürgerliche Kräfte wussten geschickt diese Stimmungen auszunutzen. Besonders die anarchistischen Ideen von Machno fielen dabei auf fruchtbaren Boden: Die Kritik am »Staat« wurde mit dem Kampf gegen die Bolschewiki gleichgesetzt – eine politische Positionierung, die auch vor der Hinrichtung von Kommunisten nicht halt machte.¹⁰ Die realen Nöte, Ängste und die Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung in Kronstadt wurde von einem antibolschewistischen Zweckbündnis instrumentalisiert, in der die Forderung nach »Sowjets ohne Bolschewiki« aufkam. Der Aufstand selbst wurde zu Beginn zwar von divergierenden Kräften mitgetragen, jedoch bereits am 2. März von weißgardistischen Militärs faktisch übernommen. Der ehemalige General der zaristischen Armee A. N. Koslowski und andere Militärs wurden damit beauftragt, die Festung zu verteidigen. Dieser Schulterschluss linker und zaristischer Kräfte, flankiert von der ausländischen Presse, bedeutete eine existentielle Bedrohung für die junge Sowjetmacht.
Die Rolle der Bauern spielte dabei eine entscheidende Rolle. Als Klasse, die zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern stand, schwankten die Bauern immer zur einen oder anderen Seite: Während die arme Bauernschaft in der sozialen Revolution sich der Arbeiterklasse anschloss, tendierten die wohlhabenderen – die Kulaken – zum Bürgertum. Dieser Konflikt wurde überlagert von dem zwischen Land und Stadt. Die Arbeiter, die in den Städten Russlands Sowjets bildeten, befanden sich gegenüber der auf dem Lande lebenden Bevölkerung in der Minderheit.
Den Aufstand mit Gewalt niederzuschlagen, war dabei keine willkürliche Entscheidung der Bolschewiki. Den objektiven Bedingungen des Krieges und der Nahrungsmittelknappheit unterworfen, blieb ihnen nichts anderes übrig. Retrospektiv schrieb Trotzki, dass »der Bürgerkrieg keine Schule des Humanismus« sei.¹¹ Unter anderen Bedingungen – in Friedenszeiten und bei ausreichend vorhandenen Nahrungsmitteln – wäre es zu diesem Aufstand vermutlich nicht gekommen.
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Strategische Frage
Die Besetzung der Festung bedeutete für die Bolschewiki einen strategischen Nachteil. Kronstadt bietet einen Zugang zur Ostsee und wäre unter antibolschewistischer Kontrolle ein Einfallstor für imperialistische Kräfte geworden, die dadurch schnell auch auf Moskau hätten vorrücken können. Um den Aufstand unter Kontrolle zu bringen, hatten die Bolschewiki wenig Zeit, denn mit dem anbrechenden Frühling würde das Eis schmelzen und damit nicht nur den Seeweg nach Petrograd öffnen, sondern auch eine Rückeroberung der Inselfestung erschweren, da die Aufständischen auch einen relevanten Teil der Flotte kontrollierten. Daher wurde den Aufständischen ein Ultimatum gestellt. Nach dessen Ablauf und nachdem Gesprächsangebote abgeblockt worden waren, befahl Trotzki, der sich seit dem 5. März in Petrograd befand, am 7. März die Stürmung der Festung. Im ersten Angriff standen den 17.600 Rotarmisten unter dem Kommando des späteren Marschalls Michail Tuchatschewski etwa 25.000 Aufständische gegenüber. Am 10. März meldeten sich 300 Abgeordnete des X. Parteitags freiwillig, um mit weiteren 50.000 Rotarmisten den zweiten Angriff zu starten, der angesichts der schweren Artillerie und der Maschinengewehre, über die die Aufständischen verfügten, unter harten Bedingungen stattfand.
Begleitet wurden die folgenden Tage von der schrittweise sich radikalisierenden Kampagne der ausländischen Medien, an der sich u. a. die britische London Times, der französische Le Matin und Reuters beteiligten. In seinem Schlusswort am 16. März während der Tagung des X. Parteitags führte Lenin mehrere Falschmeldungen auf, die die ausländische Presse verbreitete: Von Aufständen und Eroberungen in Petrograd und Moskau bis hin zur Meldung, wonach die bolschewistischen Führer nach Oranienbaum (heute: Lomonosow) oder auf die Krim geflohen seien. All diese Meldungen entsprachen nicht der Wahrheit. Lenin sprach von einer »Orgie von Lügen«, die es so noch nie gegeben habe.⁵ Am 15. März – drei Tage vor der endgültigen Rückeroberung – startete der letzte Angriff. Die Rotarmisten konnten dabei ausnutzen, dass den Aufständischen sowohl Nahrung als auch Munition ausgingen. Innerhalb von drei Tagen gelang es ihnen schließlich, den konterrevolutionären Widerstand niederzuschlagen.
Klassencharakter der Aufständischen
Doch der Blutzoll war gewaltig. Während die Zahlen der Toten und Verletzten auf seiten der Aufständischen schwer zu verifizieren sind (einige Anarchisten sprechen von 6.000 Toten und 2.500 Gefangenen⁶), ließen knapp 10.000 Rotarmisten ihr Leben, viele von ihnen starben im eisigen Meer.⁷ Die Kampagne und die Verleumdungen gegen die Bolschewiki wurden daraufhin jedoch nicht eingestellt, sondern intensivierten sich. Behauptet wurde und wird, dass es sich bei den aufständischen Matrosen um dieselben gehandelt habe, die 1917 für den Oktoberumsturz gekämpft hatten. Von der sozialen Zusammensetzung her mag man in ihnen Revolutionäre sehen, die ihre Sowjets gegen die Bolschewiki verteidigten und eine Räterepublik ohne Bolschewisten anstrebten. Doch waren die Aufständischen von 1921 wirklich dieselben wie die Revolutionäre von 1917? Und wie ist dann das Interesse der Imperialisten, diese zu unterstützen, zu erklären? Solche offenen Fragen hindern die Verteidiger des Aufstands jedenfalls nicht daran, den Mythos einer »dritten Revolution« am Leben zu erhalten. Als nach dem Niedergang der Sowjetunion in den 1990er Jahren die Archive geöffnet wurden, konnte man nun auch – aufrichtiges Interesse vorausgesetzt – der Sache näher auf den Grund gehen.
Wenn es um die Frage der Klassenzusammensetzung geht, stehen sich oftmals zwei Extrempositionen gegenüber: Entweder habe es sich um Revolutionäre gehandelt, die das Ideal der Sowjets verteidigten, oder um bürgerliche und weißgardistische Kräfte ohne jeglichen Bezug zur Arbeiterklasse. Die Matrosen in Petrograd spielten 1917 eine bedeutsame Rolle für die Bolschewiki und wurden von der Partei als »Zierde und Stolz der Revolution« bezeichnet. Während des Bürgerkriegs wurden die meisten der revolutionären Matrosen an die Front geschickt, um den jungen Sowjetstaat zu verteidigen. Bereits 1919/1920 verlangte das Kriegskommissariat gezielt nach Unterstützung aus Kronstadt. Ihm wurde jedoch mitgeteilt, dass es keinen »Nachschub« an Matrosen mehr gäbe, da alle bereits an verschiedenen Orten des Landes gegen die Imperialisten kämpften.⁸ Während viele von ihnen im Kampf fielen, übernahmen andere dort, wo sie im Kampf eingesetzt worden waren, Posten in lokalen Sowjets. Am Aufstand 1921 beteiligten sich demnach größtenteils nicht dieselben Matrosen wie zur Zeit des Oktoberumsturzes. Dennoch ist auch die gegenteilige Behauptung, es habe sich um eine soziale Zusammensetzung ohne jeglichen proletarischen Anteil gehandelt, falsch.
Eine homogene Klassenzusammensetzung gab es dort letztlich nicht.⁹ Da Russland auch nach der Machtergreifung der Bolschewiki ein mehrheitlich bäuerliches Land war, fanden sich in Kronstadt zahlreiche wohlhabende Bauern und Kleinbürger ein. Doch auch enttäuschte Arbeiter entwickelten aufgrund der schwierigen Bedingungen des Kriegskommunismus eine Skepsis gegenüber den Bolschewiki. Die Wirtschaft lag am Boden, der Krieg zerstörte jeden Funken Hoffnung. In dieser Zeit fand in der Partei bereits die Debatte über eine »Liberalisierung« der Wirtschaft statt, besonders, da die Revolution in Deutschland, auf der viele Hoffnungen ruhten, niedergeschlagen worden war. In Kronstadt kulminierten Enttäuschung und Erschöpfung.
Bürgerliche Kräfte wussten geschickt diese Stimmungen auszunutzen. Besonders die anarchistischen Ideen von Machno fielen dabei auf fruchtbaren Boden: Die Kritik am »Staat« wurde mit dem Kampf gegen die Bolschewiki gleichgesetzt – eine politische Positionierung, die auch vor der Hinrichtung von Kommunisten nicht halt machte.¹⁰ Die realen Nöte, Ängste und die Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung in Kronstadt wurde von einem antibolschewistischen Zweckbündnis instrumentalisiert, in der die Forderung nach »Sowjets ohne Bolschewiki« aufkam. Der Aufstand selbst wurde zu Beginn zwar von divergierenden Kräften mitgetragen, jedoch bereits am 2. März von weißgardistischen Militärs faktisch übernommen. Der ehemalige General der zaristischen Armee A. N. Koslowski und andere Militärs wurden damit beauftragt, die Festung zu verteidigen. Dieser Schulterschluss linker und zaristischer Kräfte, flankiert von der ausländischen Presse, bedeutete eine existentielle Bedrohung für die junge Sowjetmacht.
Die Rolle der Bauern spielte dabei eine entscheidende Rolle. Als Klasse, die zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern stand, schwankten die Bauern immer zur einen oder anderen Seite: Während die arme Bauernschaft in der sozialen Revolution sich der Arbeiterklasse anschloss, tendierten die wohlhabenderen – die Kulaken – zum Bürgertum. Dieser Konflikt wurde überlagert von dem zwischen Land und Stadt. Die Arbeiter, die in den Städten Russlands Sowjets bildeten, befanden sich gegenüber der auf dem Lande lebenden Bevölkerung in der Minderheit.
Den Aufstand mit Gewalt niederzuschlagen, war dabei keine willkürliche Entscheidung der Bolschewiki. Den objektiven Bedingungen des Krieges und der Nahrungsmittelknappheit unterworfen, blieb ihnen nichts anderes übrig. Retrospektiv schrieb Trotzki, dass »der Bürgerkrieg keine Schule des Humanismus« sei.¹¹ Unter anderen Bedingungen – in Friedenszeiten und bei ausreichend vorhandenen Nahrungsmitteln – wäre es zu diesem Aufstand vermutlich nicht gekommen.
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14.03.2021, 23:17 Uhr
14.03.2021, 23:17 Uhr
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"Mythos" Kronstadt
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Spekulation der Finanzmärkte
Dass es sich bei den Zielen der Aufständischen jedoch nicht nur um vereinzelte politische Forderungen handelte, zeigt ein Blick auf das Börsengeschehen. Die französische Wirtschaftszeitung L'Information begleitete die Ereignisse aufmerksam und dokumentierte das Interesse des internationalen Kapitals. Die Parolen der Aufständischen spielten dabei keine Rolle, es ging schlicht um eine »vernünftige wirtschaftliche Ordnung«. Russlands Wertpapiere, die auf den Finanzmärkten gehandelt wurden, spiegelten die damalige Stimmung der Aktionäre wider: Kam die Rede auf »Unruhen« und »Aufstände«, die der Sowjetmacht gefährlich werden konnten, stiegen die Aktien. In diesen Tagen wurde in der L'Information den Wertpapieren ein besonderes Interesse beigemessen – den Finanzmarktakteuren war also die eigentliche Tragweite und Bedeutung des Aufstands bewusst. Ein Erfolg der Kronstädter hätte nicht in eine bessere, befreite Welt geführt, sondern ein den Kapitalisten genehmes System restauriert. Die Umsetzung der besonders von Sozialrevolutionären postulierten Forderung nach »Sowjets ohne Bolschewiki« hätte letztlich die alte Ordnung wiederhergestellt. Tatsächliche Nöte und Interessen der Bevölkerung spielten dabei bestenfalls eine untergeordnete Rolle.
Auch 100 Jahre später hält der Kampf um die Deutungshoheit an. Die Niederschlagung war – in ihrer dialektischen Vielschichtigkeit betrachtet – notwendig, um eine kapitalistische Restauration zu verhindern. Auch wenn Anarchisten des 21. Jahrhunderts den Aufstand in Kronstadt zum zentralen Moment eines »antiautoritären Sozialismus« stilisieren, so war dies damals keineswegs Konsens. So vermutete etwa der mit dem Anarchismus sympathisierende Schriftsteller Victor Serge, ein Sieg der Aufständischen über die Bolschewiki hätte zu einer »antiproletarischen Diktatur« und einem »Massaker an Kommunisten« geführt.¹²
Für die historische und politische Einordnung der Russischen Revolution bleibt die Aufarbeitung des Aufstands relevant. Revolutionen und gesellschaftliche Umwälzungen folgen nicht den Regeln einer humanistischen Moral, auch wenn die Niederschlagung der Rebellion alles andere als ein ruhmreiches Kapitel war. Andererseits bewiesen die Ereignisse in Kronstadt eine Zuspitzung des Klassenkonflikts, die eine friedliche Machtübergabe nahezu unmöglich machte.
Dabei sollte daran erinnert werden, dass die eigentliche Revolution in Russland nahezu gewaltlos vonstatten ging. Erst der Gegenschlag weißgardistischer und anarchistischer Armeen sowie die Intervention der imperialistischen Kräfte erzwangen einen Krieg, der dann auch zum Aufstand in Kronstadt führte. Dass die Verteidigung der Revolution »das autoritärste Ding« ist, wusste schon Friedrich Engels, der in Hinblick auf die Niederschlagung der Pariser Kommune 1873 schrieb: »[D]ie siegreiche Partei muss, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.«¹³
Anmerkungen
1 Ein Parteiaktiv ist eine Arbeitsgruppe innerhalb der Partei.
2 Wladimir I. Lenin: Rede in der Versammlung des Parteiaktivs der Stadt Moskau, 1921. In: Wladimir I. Lenin: Werke (LW). Ergänzungsband 2. Berlin: Karl-Dietz-Verlag, Berlin 1971, S. 274
3 John G. Wright: The truth about Kronstadt. In: The New International, Nr. 2, Februar 1938
4 Lenin: Schlusswort zum Bericht des ZK der KPR (B) am 9. März 1921. In: LW 32, S. 206
5 Lenin: Rede bei der Schließung des Parteitags am 16. März 1921. In: LW 32, S. 274
6 Vgl. den Artikel »Wie kam es zum Aufstand von Kronstadt 1921«. In: Graswurzelrevolution, Dezember 2017
7 Vgl. Lutz-Dieter Behrendt: Kronstädter Aufstand. In: Wolfgang Fritz Haug/Frigga Haug/Peter Jehle/Wolfgang Küttler (Hrsg): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 8/I. Berlin 2012, S. 231
8 Vgl. Leo Trotzki: Die Notwendigkeit einer Streitschrift über Kronstadt. 1937
9 Vgl. Behrendt: Kronstädter Aufstand. a. a. O., S. 229 f.
10 Vgl. Leo Trotzki: Hue And Cry Over Kronstadt. In: The New International, Nr. 4, April 1938
11 Leo Trotzki: More on the Suppression of Kronstadt. In: The New International, Nr. 8, August 1938
12 Victor Serge: Erinnerungen eines Revolutionärs. Verlag Association, Hamburg 1977, S. 147 f .
13 Friedrich Engels: Von der Autorität. In: Karl Marx/Friedrich Engels (1962): Werke. Band 18. Karl-Dietz-Verlag, Berlin 1873, S. 308
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Spekulation der Finanzmärkte
Dass es sich bei den Zielen der Aufständischen jedoch nicht nur um vereinzelte politische Forderungen handelte, zeigt ein Blick auf das Börsengeschehen. Die französische Wirtschaftszeitung L'Information begleitete die Ereignisse aufmerksam und dokumentierte das Interesse des internationalen Kapitals. Die Parolen der Aufständischen spielten dabei keine Rolle, es ging schlicht um eine »vernünftige wirtschaftliche Ordnung«. Russlands Wertpapiere, die auf den Finanzmärkten gehandelt wurden, spiegelten die damalige Stimmung der Aktionäre wider: Kam die Rede auf »Unruhen« und »Aufstände«, die der Sowjetmacht gefährlich werden konnten, stiegen die Aktien. In diesen Tagen wurde in der L'Information den Wertpapieren ein besonderes Interesse beigemessen – den Finanzmarktakteuren war also die eigentliche Tragweite und Bedeutung des Aufstands bewusst. Ein Erfolg der Kronstädter hätte nicht in eine bessere, befreite Welt geführt, sondern ein den Kapitalisten genehmes System restauriert. Die Umsetzung der besonders von Sozialrevolutionären postulierten Forderung nach »Sowjets ohne Bolschewiki« hätte letztlich die alte Ordnung wiederhergestellt. Tatsächliche Nöte und Interessen der Bevölkerung spielten dabei bestenfalls eine untergeordnete Rolle.
Auch 100 Jahre später hält der Kampf um die Deutungshoheit an. Die Niederschlagung war – in ihrer dialektischen Vielschichtigkeit betrachtet – notwendig, um eine kapitalistische Restauration zu verhindern. Auch wenn Anarchisten des 21. Jahrhunderts den Aufstand in Kronstadt zum zentralen Moment eines »antiautoritären Sozialismus« stilisieren, so war dies damals keineswegs Konsens. So vermutete etwa der mit dem Anarchismus sympathisierende Schriftsteller Victor Serge, ein Sieg der Aufständischen über die Bolschewiki hätte zu einer »antiproletarischen Diktatur« und einem »Massaker an Kommunisten« geführt.¹²
Für die historische und politische Einordnung der Russischen Revolution bleibt die Aufarbeitung des Aufstands relevant. Revolutionen und gesellschaftliche Umwälzungen folgen nicht den Regeln einer humanistischen Moral, auch wenn die Niederschlagung der Rebellion alles andere als ein ruhmreiches Kapitel war. Andererseits bewiesen die Ereignisse in Kronstadt eine Zuspitzung des Klassenkonflikts, die eine friedliche Machtübergabe nahezu unmöglich machte.
Dabei sollte daran erinnert werden, dass die eigentliche Revolution in Russland nahezu gewaltlos vonstatten ging. Erst der Gegenschlag weißgardistischer und anarchistischer Armeen sowie die Intervention der imperialistischen Kräfte erzwangen einen Krieg, der dann auch zum Aufstand in Kronstadt führte. Dass die Verteidigung der Revolution »das autoritärste Ding« ist, wusste schon Friedrich Engels, der in Hinblick auf die Niederschlagung der Pariser Kommune 1873 schrieb: »[D]ie siegreiche Partei muss, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.«¹³
Anmerkungen
1 Ein Parteiaktiv ist eine Arbeitsgruppe innerhalb der Partei.
2 Wladimir I. Lenin: Rede in der Versammlung des Parteiaktivs der Stadt Moskau, 1921. In: Wladimir I. Lenin: Werke (LW). Ergänzungsband 2. Berlin: Karl-Dietz-Verlag, Berlin 1971, S. 274
3 John G. Wright: The truth about Kronstadt. In: The New International, Nr. 2, Februar 1938
4 Lenin: Schlusswort zum Bericht des ZK der KPR (B) am 9. März 1921. In: LW 32, S. 206
5 Lenin: Rede bei der Schließung des Parteitags am 16. März 1921. In: LW 32, S. 274
6 Vgl. den Artikel »Wie kam es zum Aufstand von Kronstadt 1921«. In: Graswurzelrevolution, Dezember 2017
7 Vgl. Lutz-Dieter Behrendt: Kronstädter Aufstand. In: Wolfgang Fritz Haug/Frigga Haug/Peter Jehle/Wolfgang Küttler (Hrsg): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 8/I. Berlin 2012, S. 231
8 Vgl. Leo Trotzki: Die Notwendigkeit einer Streitschrift über Kronstadt. 1937
9 Vgl. Behrendt: Kronstädter Aufstand. a. a. O., S. 229 f.
10 Vgl. Leo Trotzki: Hue And Cry Over Kronstadt. In: The New International, Nr. 4, April 1938
11 Leo Trotzki: More on the Suppression of Kronstadt. In: The New International, Nr. 8, August 1938
12 Victor Serge: Erinnerungen eines Revolutionärs. Verlag Association, Hamburg 1977, S. 147 f .
13 Friedrich Engels: Von der Autorität. In: Karl Marx/Friedrich Engels (1962): Werke. Band 18. Karl-Dietz-Verlag, Berlin 1873, S. 308
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#Kronstadt
•NEUER BEITRAG21.03.2021, 16:24 Uhr
Nutzer / in | |
FPeregrin | |
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"Mythos" Kronstadt
Wie zu erwarten waren, gab es auf diesen jW-Artikel eine Reihe von Leserbriefantworten - der ausführlichste von Meas Tintenwolf:
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~https://www.jungewelt.de/aktuell/rubrik/leserbriefe.php?let-
terId=49687~
- in denen eine abwägendere Sicht angemahnt wurde: "Um Kronstadt als Wunde in der Geschichte zwischen verschiedenen linken Traditionen gerecht zu werden, hätte Nowak der Mythenbildung auf beiden Seiten nachgehen müssen, statt einseitig Partei zu ergreifen. In der gewählten Form stimmt sie lediglich in das Zetergeschrei um Kronstadt ein, auch wenn sie hierbei auf der anderen Seite steht als jene, die von Trotzki adressiert wurden. Die Gleichsetzung anarchistischer und weißgardistischer Armeen ist ebenso ahistorisch wie ähnliche Behauptungen von anarchistischer Seite gegen die Bolschewiki." (M. T.)
Es ist legitim, die historischen Möglichkeiten zu betrauern, die sich evtl. aus einer stärkeren bolschwistisch-anarchistischen Kooperation in der jungen Sowjetunion hätten ergeben können; Bei dem nachträglichen intellektuellen Dazwischenstehen wird aber die entscheidende konkrete situationale militärische Frage schlicht ignoriert: "Konnten die Kronstädter Aufständischen die strategische Bedeutung der Festung für den Bürgerkrieg gegen die Weißen erkennen?" Die Antwort ist so eindeutig, daß man die Frage besser in ihrer einfachen Negation formuliert: "Konnten die Kronstädter Aufständischen die strategische Bedeutung der Festung für den Bürgerkrieg gegen die Weißen nicht erkennen?" "Nein!" - Damit liegt die Verantwortung für die Verschwendung historischer Möglichkeiten allein auf der Seite der Kronstädter und nicht der Roten Armee! Punkt!
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- in denen eine abwägendere Sicht angemahnt wurde: "Um Kronstadt als Wunde in der Geschichte zwischen verschiedenen linken Traditionen gerecht zu werden, hätte Nowak der Mythenbildung auf beiden Seiten nachgehen müssen, statt einseitig Partei zu ergreifen. In der gewählten Form stimmt sie lediglich in das Zetergeschrei um Kronstadt ein, auch wenn sie hierbei auf der anderen Seite steht als jene, die von Trotzki adressiert wurden. Die Gleichsetzung anarchistischer und weißgardistischer Armeen ist ebenso ahistorisch wie ähnliche Behauptungen von anarchistischer Seite gegen die Bolschewiki." (M. T.)
Es ist legitim, die historischen Möglichkeiten zu betrauern, die sich evtl. aus einer stärkeren bolschwistisch-anarchistischen Kooperation in der jungen Sowjetunion hätten ergeben können; Bei dem nachträglichen intellektuellen Dazwischenstehen wird aber die entscheidende konkrete situationale militärische Frage schlicht ignoriert: "Konnten die Kronstädter Aufständischen die strategische Bedeutung der Festung für den Bürgerkrieg gegen die Weißen erkennen?" Die Antwort ist so eindeutig, daß man die Frage besser in ihrer einfachen Negation formuliert: "Konnten die Kronstädter Aufständischen die strategische Bedeutung der Festung für den Bürgerkrieg gegen die Weißen nicht erkennen?" "Nein!" - Damit liegt die Verantwortung für die Verschwendung historischer Möglichkeiten allein auf der Seite der Kronstädter und nicht der Roten Armee! Punkt!
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